Читать книгу HIPPIE TRAIL - BAND 2 - Wolfgang Bendick - Страница 10
SUNDA STRASSE
ОглавлениеSo gegen 5 Uhr komme ich zum Hafen zurück. Weiße Aufbauten und Masten überragen den Schuppen vor mir, dazu ein schwarzer Schornstein mit einem weißen A darin. Als ich um den Schuppen herumgehe, liegt sie vor mir: Die ‚Australasia‘, grau gestrichener Rumpf, 6 Luken, 4 Decks, ein ‚Kombischiff‘. Sieht nach 50er Baujahr aus, aber gut in Schuss! Den Aufbauten nach zu schließen kann sie 200 bis 250 Passagiere befördern. Als ich mich nähere, rufen ein paar Kinder und eine Frau vom Hauptdeck „Hi, Wolfi!“ und winken. Es sind die Cartwrights, die irländischen Auswanderer. Daddy war noch auf der Pier beim Verladen des Autos. Dieses wurde an einen Kran angehängt und dann an Bord gehievt. Großes Hallo. Über eine Gangway komme ich an Deck. „Welcome on Bord!“ empfängt man mich, Ticketkontrolle, dann nimmt ein Steward meinen Rucksack und führt mich durch lange Gänge und Treppen hinunter bis vor eine Tür, die letzte an Steuerbordseite. Das gefällt mir! Da sich ja Dutzende von gleichen Türen aneinanderreihen, ist so die Kabine jederzeit leicht zu finden! Der Steward klopft und lässt mich eintreten. Und wer ist da, gerade dabei, seinen Koffer auszupacken? John, der Amerikaner, mit dem ich schon auf der Rajula die Kabine geteilt hatte! „Hi Wolfi!“ begrüßt er mich, freudig überrascht. In Kuala Lupur hatte es mit seinem Job nicht geklappt, und so hatte er beschlossen, nach Australien zu gehen, solange er noch genug Geld hatte. Und da hatte er vor drei Wochen nach einem Ticket gefragt, und zufällig das zweite von den gecancelten bekommen! Das Löschen und Laden, sowie die Proviantübernahme dauern noch die ganze Nacht. Leise begleitet das Klopfen der Hilfsdiesel meinen Schlaf. Am Vormittag kommen zwei Schlepper längsseits und übernehmen die Leinen. Wenige Personen stehen zum Abschied am Kai. Sind die Passagiere doch hauptsächlich Australier, die einen 14-tägigen Urlaub in Süd-Ost-Asien gemacht hatten, und nun zurückfahren. Und ein paar Einwanderer, wie die Cartwrights, John und ich…
Langsam schraubt sich das Schiff durch das Hafenbecken in Richtung Mole. Jetzt erst kann ich die Ausmaße des Hafens erkennen. Auf viele Becken verteilt liegen die Schiffe, dicht an dicht. Platz ist knapp. Singapur, die Drehscheibe Ostasiens. Alle Schiffe machen hier Station, sei es nur, um ihre Doppelbodentanks mit billigem Schweröl zu füllen. Andere eingehende Schiffe gleiten nah an uns vorbei. Ein Hauch ferner Länder streift mich wehmütig, wenn ich die Flaggen und Schornsteinfarben sehe. Wohl die Hälfte davon ist mir bekannt aus der Zeit, als ich noch vor dem Mast fuhr. Jetzt fahre ich in gewissem Sinne dahinter. John steht neben mir. Wir brauchen uns nichts zu sagen. Wir empfinden beide das Gleiche. Wieviele Male haben wir das während unserer Seefahrtszeit verspürt, dieses traurige und glückliche Gefühl zugleich, wenn die Schuppen und Kräne zurückfallen, bald die Schleppleinen ausklinken und ins Wasser fallen und die Schlepper beidrehen und langsam zurückdampfen oder träge auf ein eingehendes Schiff warten. TUUUUT TUUUUT TUUUUT dröhnt das Nebelhorn, die Flagge wandert vom Flaggenstock achtern auf die Gaffel des Signalmastes. Irgendwo klingelt ein Maschinentelegraph, kurz darauf geht die Maschine auf volle Drehzahl. Das Blubbern des Schornsteins weht mit leichten Abgasschwaden über das Deck. Noch begleiten uns ein paar Möwen. Doch die werden es bald müde und folgen lieber einem heimkehrenden Fischkutter.
Sieben Tage Seetörn liegen vor uns. Sieben Tage Ruhe und Essen. Wir schippern entlang den unzähligen indonesischen Inseln. Fünf Stunden nach Auslaufen von Singapur kreuzen wir fast unbemerkt den Äquator in südliche Richtung. Hätte die Brücke nicht dreimal lang das Nebelhorn betätigt, um den Meeresgeistern unsere Durchfahrt anzukündigen, es wäre unbemerkt geblieben! Abends gibt es zu diesem Anlass einen Kostümball, wo auch Neptun und seine Meresgeister erscheinen. Die Passagiere, vor allem das Dutzend der sich an Bord befindenden Kinder, haben daran große Freude. Es herrscht reger Verkehr in diesen Gewässern. Unzählige Fischerboote durchsieben das Meer, Fähren bewegen sich in alle Richtungen, dazu kommen noch die Frachtschiffe, die aber meist auf Parallelkurs fahren, weil sie alle das gleiche Ziel haben: die Sundastraße, ein etwa 20 Kilometer breites Nadelöhr zwischen Sumatra und Java. Eine der meist befahrenen Meeresengen der Welt. Ich habe mich mit John bis zur Brücke durchgemogelt, halten uns aber im Hintergrund. Zu groß ist die Anspannung da oben. Ab und zu zucken wir zusammen, wenn über uns das Nebelhorn aufdröhnt, um einen Schläfer (auf See natürlich) aufzuwecken, bevor es gefährlich wird. Meist ändern wir den Kurs, um eine Kollision zu vermeiden, weil der Andere sich nicht rühren will. Er denkt wohl, dass dieses seine Heimatgewässer sind. Zum Glück passieren wir die Meeresenge am Vormittag, während es hell ist und die Sicht gut. Dann ist freies Feld. Nur die Weihnachtsinseln liegen jetzt noch auf unserem Weg. Unser Kurs ist für die nächsten sechs Tage fast genau südwärts.
Manchmal schleiche ich mich mit John nachts auf die Back, das Vorschiff. In diesen tropischen Gewässern finden sich bisweilen große Flächen von Leuchtplankton. Wenn das Schiff eine solche Stelle durchquert, phosphoresziert die Bugwelle grünlich und die sich von dort ausbreitenden Wellen formen einen leuchtenden Fächer. Und wie still es hier vorne ist! Man hört nicht mal die Maschine, deren Geräusch sonst an allen Stellen des Schiffes wahrnehmbar ist. Hier ist nur der Pulsschlag des Schiffes, das Drehen der Schraube, leicht spürbar. Zurückschauend sehen wir dann die Positionslichter, grün an Steuerbord, rot an Backbord, und den Schein der Toplaterne im Vormast. Alle Fenster der Aufbauten, die nach vorne zeigen, sind abgedunkelt. Am zweiten Abend fragt mich John, ob ich noch meinen Tabak habe und die Pfeife. Das erinnert mich an etwas, vier Wochen zurück. „Klar, noch ein bisschen, warum?“ Er wedelt mit einem Tütchen Gras in der Luft. „Ganz schön tollkühn!“ bemerke ich, „und das durch Singapur!“ Er lacht. „Denkst du, die vermuten, dass ein alter Rentner wie ich Gras raucht?“ Wir lachen uns halb tot, so gut ist der Stoff. Echtes Buddhagras! Abends stehen wir oft an der Reeling, während drinnen die Feste auf Hochtouren laufen. Wir schauen hinaus in die Nacht, wie früher, auf unseren Wachen. Jeder geht seinen Erinnerungen nach. Wer einmal zur See gefahren ist, für den sind solche Stunden heilig. Dann kommuniziert er mit dem Universum.
Für zwei Tage haben wir bewegte See bei herrlichem Wetter. Das Schiff zeigt was es kann. Es nimmt auf dem Vorschiff gehörig Wasser über, achtern denkt man, man steht in einem Aufzug. Bevor uns eine Welle voll überrollen kann, bäumt sich das Schiff auf, wie ein Schwimmer im ‚Schmetterlingsstil‘, als würde es Luft holen wollen. Der Decksspaziergang verwandelt sich in eine Berg- und Talwanderung. Während man gerade noch steil bergauf geklettert ist, neigt sich plötzlich das Deck, man kommt ins Rennen oder schliddert fast nach unten. Der Bug fällt ins Leere, der Wind weht noch ablaufendes Wasser wie einen Schleier nach mittschiffs, damit Platz wird für neues. Dann erneut voll hinein, dass man einen Moment lang glaubt, das Schiff würde still stehen. Der Speisesaal wird bei jeder Mahlzeit leerer. John und ich sind fast die einzigen Gäste. Die Stewards verwöhnen uns. Wir haben uns alle an einer Tafel zusammengesetzt, um den Stewards die weiten Wege zu ersparen. Und auch, dass weniger Geschirr zu Bruch geht. Langsam verlassen wir die hügelige Gegend und die mitgenommenen Passagiere wagen sich wieder aus den Toiletten. Wenn ich nachts nach Süden schaue, stehen da oben am Himmel 5 Sterne. Wie magisch ziehen sie meinen Blick auf sich. Sie sind das erste, was ich allabendlich am Himmel suche: das Kreuz des Südens. So wie der Polarstern die Seefahrer auf der nördlichen Halbkugel leitet, so ist das Kreuz des Südens der Orientierungspunkt auf der südlichen. Die Tage ziehen sich in die Länge. Das ist das Schöne an einer Seereise. Manchmal nimmt Patrick, der Ire, einen Zug mit uns aus der Pfeife und spricht von dem wahnsinnigen Brudermord in Irland und seinen Hoffnungen für die Zukunft. Ab und zu machen wir ein Tischtennismatch mit den irischen Kindern, trinken ein Bier mit den anderen Passagieren, sehen einen Film im Kino an oder springen in den Pool auf dem Bootsdeck. Die Promenadendecks erstrecken sich fast über zwei Drittel der Schiffslänge. Raue Teakholzplanken, die der Krümmung des Rumpfes folgen. Ich schaue der Mannschaft beim Deckschrubben zu, beim Farbe-Waschen, beim Streichen. Für drei Jahre war das mein Leben gewesen. Dann drei Jahre Schule. Wie lange wird die Reise dauern, auch drei Jahre? Ich komme mir vor, wie ein Stück Treibholz im Meer. Einst hatte es eine Funktion. Jetzt treibt es dahin… Wo wird es angespült werden? Wird es mal wieder zu etwas nützlich sein?
Bald werden wir in Fremantle sein. Ich denke an die Zeit, wo ich mir in München das Visum besorgt hatte. Das war noch während der Schulzeit gewesen. Wenn die in der Schule gewusst hätten, warum ich an jenem Tag die Schule geschwänzt hatte! Ich hatte mich um ein Einwanderervisum beworben. Denn ich hatte vor, hier etwas länger zu bleiben. Vor allem, zu arbeiten. Die Löhne seien hoch, hatte man mir gesagt. Außerdem brauchte man für ein Touristenvisum ein Rückflugticket. Und ich wollte ja nicht zurück, ich wollte weiter! Und Australien sucht Einwanderer. Weiße Einwanderer. Möglichst mit blauen Augen. Aber von dieser Ein-wanderungspolitik wusste ich damals noch nichts. Sicher werde ich gleich Arbeit finden. Mein Leben wird wieder etwas geregelter sein. In meinem Pass stand, dass ich 50 Dollar bei meiner Ankunft haben muss, wohl als Überbrückungskapital. Das war ein bisschen meine Sorge. Ich hatte nur noch 5. „Die werden mich schon nicht wieder ins Wasser werfen!“, sagte ich zu John. „Aber schikanieren können sie einen schon.“ „Ich leihe dir 50 Dollar aus, und hinterm Zoll gibst du sie mir wieder!“ meinte er. Das war die Lösung.