Читать книгу Die Pyrenäenträumer - Band 2 - Wolfgang Bendick - Страница 10
ZEIT UND GELD
ОглавлениеAll diese Umbauarbeiten und Melkereien und Käsereien hielten uns nicht groß davon ab, den Mist auf die Wiesen zu schaffen, bei leeren Rückfahrten Feuerholz runter zu schaffen, die Straßen zu unterhalten, die Schultransporte zu machen, zwischendrin kleine Baustellen… War das Wetter entsprechend, klotzten wir draußen ran, ich schaute nicht auf die Uhr, ich hatte eh keine mehr, seit man sie mir in Indien geklaut hatte. Ich hatte einen solchen Zeitsinn entwickelt, dass ich auf fünf Minuten die Uhrzeit abschätzen konnte! Bis dann die Zeitumstellung erfunden wurde, dieser totale Schwachsinn eines Bürokraten! Die Natur hat einen Rhythmus. Der Mensch hat einen Rhythmus. Er fühlt sich wohl, wenn er in diesem lebt. Selbst wenn er ihn manchmal missachtet und eine Nacht durchfeiert! Doch dann ist er letztendlich froh, den Schlaf nachgeholt und seien Trott wiedergefunden zu haben. Bei den Tieren ist dieser Rhythmus noch tiefer eingeprägt, bestimmt durch Perioden der Ruhe und des Wiederkäuens. Schon eine Woche vor der Zeit-Umstellung veränderte ich täglich um fünf Minuten die Stallzeit, damit sie nach zwei Wochen in der neuen Zeit lebten, an die wir gebunden waren wegen des Schulbesuches der Kinder, der Geschäftszeiten… Mir kam vor, als sei das eine Weise der Regierenden, um uns, das Volk, das sie bestimmt als eine große Hammelherde betrachteten, noch gefügiger zu machen! Erst beraubt man uns um eine Stunde Schlaf, und dann, wenn man sich damit abgefunden hat, schenkt man uns eine! Das ist die einfachste und billigste Weise, jemanden zufrieden zu machen!
Doch in der Käseküche hatte ich eine Uhr, denn hier ging es um mehr Präzision! Hier ging es darum, den Pyrenäenkäse, diese undefinierbare Sache, neu zu entwickeln. Es ging, anders ausgedrückt, auch darum, etwas Verkaufbares zu entwickeln, das uns ermöglichte, die vielen unvorhersehbaren Kosten zu decken, die der Wiederaufbau des Hofes erforderte, ganz abgesehen von unseren eigenen Bedürfnissen, die dem gegenüber aber eher minimal waren!
Viele unsere Freunde waren in der gleichen Situation. Niemand hatte einen perfekten Hof übernommen, wir alle hatten nur unbenutztes, nach modernen landwirtschaftlichen Erkenntnissen sogar unbrauchbares Land erworben, oft mit einer Ruine darauf. Und jeder versuchte, daraus einen Musterhof zu machen, eine Art Oase, in der es sich für uns und unsere Kinder zu leben lohnte! Natürlich teilten nicht alle Neos, alle Neusiedler, unsere Einstellung. Viele ließen ihre Scheune in ihrem verfallenen Zustand und taten nur das Minimum, wie eine Plastikplane auf das Dach, um im Trockenen und Warmen zu sein. Manche wohnten in Autobussen oder Lieferwagen, die oft hier ihren Geist aufgegeben hatten. Viele hatten aber einen Garten. Selbst wenn die darin am besten gedeihende Pflanze das Marihuana war. Gemüse kam darin schon auch vor…
Nicht alle Deutschen legten die ihnen nachgesagte, sprichwörtliche Arbeitswut an den Tag. Viele lebten in den Tag hinein, besser gesagt, träumten durch den Tag, nach dem Motto: „Am Morgen ein Joint, und der Tag ist dein Freund! Und warum arbeiten, wo es doch so viele Arbeitslose gibt, die eine Arbeit suchen! Durch die eigene Inaktivität schaffe ich jemand anderem einen Arbeitsplatz, und daher ist es stinknormal, dass der Staat mir eine Sozialhilfe zahlt, Wohngeld, Heizung und Strom!“ Und dass man damit trickst, zum Beispiel seine eigene Hütte gegen Bares vermietet, um auf Staatskosten in einer Sozialwohnung zu wohnen war gang und gebe! Und gleiches Recht für alle Europäer! Wer nach Frankreich kam, hatte Anspruch auf das ganze ‚Geschenkpaket‘, das es einem ermöglichte, wenn man keine zu hohen Ansprüche stellte, wirklich ‚wie Gott in Frankreich‘ zu leben, wie man in Deutschland sagte!
Des Öfteren stellten wir kurzzeitig jemanden an für die Heuarbeiten oder für einen Bau. Das ermöglichte es außerdem der Person, auf leichte Weise die Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Und wenn dann alles geregelt war, die Papiere endlich stimmten, dann machten die Leute meistens einen auf arbeitslos. „Ich bekomme 15 Francs in der Stunde, wenn ich nichts tue! Wenn du willst, dass ich wieder für dich arbeite, musst du mir schon 30 geben!“, bekam ich dann zu hören. Bei etwas mehr Logik hätte ich erwartet, dass der Andere sagt, „Da ich ja schon bezahlt werde, arbeite ich für dich umsonst!“ Viele entwickelten leider, man kann sagen bedingt durch die zu viele Unterstützung von Seiten eines Sozialstaates, auf die Dauer eine Aversion gegen Arbeit, die sie am Ende arbeitsunfähig machte. Oder in besseren Fällen profitierten sie von beidem: Von Sozialhilfe plus Schwarzarbeit!
Wir hatten unseren Stolz und wollten von niemandem abhängig sein. Was brauchen wir Sozialhilfe, wenn wir gesund sind! Und die Hegemonie des Staates lehnten wir als solche in gewisser Weise ab, auch wenn wir aus Vernunftgründen manche Regeln einhielten. Warum sollte ich plötzlich links fahren, nur weil es meiner persönlichen Freiheit widerspricht, laut Gesetz rechts fahren zu müssen?! Vielleicht war das aber auch, weil wir einer Generation entstammten, wo Arbeitslosigkeit als eine Schande angesehen wurde, und wir als Jugendliche stolz waren, einen Ferienjob gefunden zu haben, der es uns ermöglichte, etwas Geld zu verdienen. Betteln oder stehlen? Da müsste mir schon ein Arm fehlen, und selbst dann…
Das Kindergeld war da eine Ausnahme, denn wer Kinder aufgezogen hat, weiß, was das für Arbeit mit sich bringt, Tag und Nacht in Bereitschaft zu sein, von den Kosten gar nicht zu reden… Doch ab einer bestimmten Anzahl von Kindern war es für viele gar nicht mehr notwendig, arbeiten zu gehen. Die Kinder ernährten die Eltern! Warum auch nicht? Denn zehn Kinder abzufüttern und instand zu halten ist durchaus ein Full-Time-Job!
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Manche Puristen warfen uns vor, Subventionen anzunehmen. Leider sind die Vergütungen für landwirtschaftliche Produkte so niedrig, dass kaum ein Bauer, zumindest ein Kleinbauer, mehr davon leben kann. Die Preise werden mit Absicht niedrig gehalten, damit die Leute mehr Geld ausgeben können für Industrieprodukte oder Luxusgegenstände. Das ist völlig unlogisch! Aber welcher Regierungsentscheid ist schon logisch?! Aus Steuergeldern werden Unterstützungen gegeben, damit der Bauer nicht den Laden zumachen muss, denn selbst der Obrigkeit wird inzwischen bewusst, dass immer noch alle Nahrung von Bauern produziert wird!
Meist sind diese Hilfen an bestimmte Programme gebunden, zum Beispiel für Modernisierung. Oder, in unserem Fall, eine Installationsprämie für Jungbauern. Doch sind auch damit Auflagen verbunden: Wir mussten nachweislich 60.000 Francs investieren, um 45.000 zu erhalten! Andere Hilfen sind von der geographischen Lage abhängig, wie die Bergbauern-Prämie. Sie soll das Weniger an Ertrag, bedingt durch Hanglage und magere Böden, ausgleichen. Doch verpflichtet sich der Bauer dazu, bestimmte Richtlinien, oft ökologischer Art, zu respektieren, wie zum Beispiel die Jauche nicht mehr in den Bach laufen zu lassen, sondern auf dem Land auszubringen. Ist ja auch (öko)logisch! Leider treibt die ‚Zuschuss-Sucht‘ manche Bauern zu einer schier grenzenlosen Vergrößerung ihrer Betriebe oder zu einer Übermaschinisierung und in die Kreditspirale der Banken, denn immer wird ein Eigenanteil verlangt, den der Bauer oft nicht hat, die Bank aber schon!
Diese Gedanken kamen meist nur kurzzeitig in den Vordergrund, wenn es darum ging, die Subventionsanträge auszufüllen, was im Februar und März der Fall war. Angeblich wurden diese immer wieder vereinfacht. Doch durch die neuen Formulare konnte man nicht einfach das alte kopieren, und viele, vor allem alte Bauern gaben es auf, nach Subventionen zu fragen. Denn es kam vor, dass einem nicht nur Teile der Gelder gestrichen wurde, weil der neue Antrag nicht mehr mit den Daten des alten übereinstimmte, sondern sogar Strafen berechnet wurden! Anfangs half einem das Amt beim Ausfüllen. Doch musste man dafür in die Departements-Hauptstadt Foix fahren und eine Weile Schlange sitzen. Das gab einem die Gelegenheit, mit anderen Bauern Erfahrungen zu tauschen, vor allem den Unmut über manche Schikanen! Später richtete das Landwirtschaftsamt eine Beratungsstelle für die PAC-Dossiers ein, aber gegen Bezahlung! Leider mussten wir im Laufe der Jahre mit ansehen, wie das Landwirtschaftsamt, das doch im Dienste der Bauern stehen sollte, immer mehr ein Geschäfts-Gebaren an den Tag legte und alle Dienstleistungen ‚rentabilisierte‘ und der humane Aspekt dabei leider verloren ging.
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Machte ich die Käsetour, kam ich manchmal erst später heim. Dann molk Doris die Tiere. Die Schafe waren weniger problematisch, da sie wenig Milch gaben und sich leicht melken ließen. Doch das Melken der Kühe ging in die Knochen! Außer Elie hatten die Milchbauern im Tal Melkmaschinen. In Orgibet hatte einer eine Melkmaschine auf einem Wägelchen, mit zwei Plastikkannen darauf und zwei Melkzeugen. Dieselbe Maschine hatte ein Freund von mir in Deutschland auch. Sie musste sich also bewährt haben! Auf eine Annonce hin fand ich bei einem Bauern, der aufhörte, so eine Maschine, aber mit nur einem Melkzeug. Doch das war uns recht, denn bei vier Kühen müsste des reichen! Wir reinigten sie, schmierten ab und ölten die lederne Kolbendichtung und wechselten die Gummiteile. Es konnte losgehen!
Bald waren wir mit der Handhabung vertraut. Wir stellten sie hinten zwischen zwei Kühen auf, und nachdem wir die Euter gewaschen hatten, setzten wir sie an. Ein Elektromotor trieb über eine Scheibe ein Pleuel an, das den Kolben in Bewegung setzte, welcher über einen Regelmechanismus Luft aus der Plastikkanne saugte, an der auch das Melkzeug angeschlossen war. Eine Kolbenbewegung entsprach einem Melk-Takt. Der Takt war bei sechzig Saugphasen pro Minute, festgelegt durch die Übersetzung des Motors. Alle vier Zitzen wurden gleichzeitig gemolken. Verschiedene Schräubchen ermöglichten es, ungefähr die Saug- und Massagestärke zu regeln. Die Kühe hatten nichts dagegen, auch wenn sie zu Anfang etwas skeptisch die summende und zischende Maschine betrachtet hatten. Der Behälter fasste 15 Liter. War er fast voll, schaltete man den Motor aus und somit das Vakuum, konnte den Behälter aus dem Gestell nehmen und die Milch durch ein trichterförmiges Sieb, das zusätzlich eine Papier-Filterscheibe besaß, in die Kanne gießen. Am Filter konnte man mit geschultem Auge zugleich feststellen, ob an einem Euter etwas nicht in Ordnung war oder man sie schlecht gewaschen hatte. Den Papierfilter bekam später der Hund.
Anders als unsere Kühe reagierte Eric, der Käsetechniker! „Was habt ihr denn da gekauft! Das ist eine völlig überalterte Technik, die Euterentzündungen fördert! Es gibt da Maschinen, die euterschonender melken und die genau geregelt werden können! Bei dieser ist das nicht möglich! Auch müsst ihr die Euter erst unmittelbar vor dem Melken waschen, am besten nur die Zitzen, da sonst zu viel von dem festklebenden Dreck gelöst wird, der dann die Zitzen runterlaufen kann. Und nehmt für jede Kuh einen sauberen Lappen, keine Schwämme. Denn wenn eine Kuh etwas am Euter hat, übertragt ihr es sonst auf die nächsten! Am besten sind zwei Eimer: Einer mit den sauberen Lappen in warmem, schwachem Seifenwasser, einen anderen, in den ihr die schmutzigen Lappen hineintut! Und nachher die Lappen gut waschen und ab und zu desinfizieren!“ Wir hatten gedacht, es gut zu machen, aber wir sahen, es gibt immer noch ein Besser! Doch wir taten es, denn bei genauerem Nachdenken war das ja auch logisch! Uns war klar, dass man alles auch auf andere Weise machen kann. Aber hier ging es darum, es optimal zu machen! Bald darauf fand ich einen Eimer mit zwei Abteilungen, der das Ganze noch vereinfachte. Außerdem riet Eric uns, die ersten Milchstrahlen in ein besonderes Gefäß zu melken, da sie oft verunreinigt sind und die Fabrikationsmilch infizieren können. Am besten sind da extra Vormelkbecher geeignet, ausgestattet mit einem schwarzen Sieb, worauf man leicht sehen kann, ob geronnene Milch darin ist, zum frühzeitigen Erkennen von Euterentzündungen.
Bei den anderen Bauern, die mit Maschine molken, hatte ich gesehen, dass sie gegen Ende, wenn keine Milch mehr floss, leicht auf das Milch-Sammelstück unter den Zitzenbechern drückten, und die Milch lief erneut. Manche Schlaue legten ein Kilogewicht von einer Waage darauf. So hatten sie es in der Landwirtschaftsschule gelernt! Also machten wir es auch, denn warum auf diese Zusatzmilch verzichten? Je fester man drückte, umso länger kam noch Milch! Doch hatten sich die Erkenntnisse inzwischen erweitert! Wie Eric uns erklärte, ist es seit kurzem ‚out‘, das Melkzeug zu beschweren, da dadurch das Euter gestresst wird, man es zu trocken melkt und die Kuh leicht mit einer Euterentzündung reagiert. Also verzichteten wir auf diese ‚Zusatzmilch‘ und zogen die Gesundheit der Kühe vor.
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Doch merkten wir bald, dass die Maschine nicht immer regelmäßig lief. Irgendwie lief sie bisweilen langsamer, tat sich schwer. Ich sprach mit Jacques darüber, der Elektriker ist. Bisweilen kamen nur knappe 180 Volt bei uns an! Als die vom E-Werk kamen, um den Zähler abzulesen, sprach ich davon. Diese schickten jemanden, der zum Transformator fuhr, der im nächsten Tal stand. Sie meinten, die Entfernung zum Trafo sei zu weit, der müsste näher beim Haus stehen, da die Leitung für 220 Volt zu lang ist. Doch hatten sie bemerkt, dass alle Häuser unseres Weilers auf den zwei gleichen Strippen hingen. Sie setzten also auch die anderen Leitungen unter Strom und schlossen uns so an, dass wir alleine auf einer Zuleitung hingen und das, was die Nachbarn verbrauchten, über einen anderen Draht ging. Auch schickten sie eine Mannschaft vorbei, um die Linie frei zu schneiden, denn bei Sturm berührten oft Äste die Drähte, und der Strom ging kurzzeitig weg oder fiel bald ganz aus.
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Durch unsere Arbeit auf einem Bio-Hof und unsere späteren Erfahrungen hatten wir gedacht, schon einiges zu wissen. Doch langsam wurde uns bewusst, dass Landwirtschaft ein Lehrbuch mit endloser Seitenzahl ist! Eigentlich ist jeder Tag ein neues Kapitel, das sowohl Repetition als auch Neulernen beinhaltet. Das ist wie mit einem Teleskop in das Weltall schauen: Je weiter man blickt, umso mehr eröffnen sich einem unbekannte Gebiete! Sokrates soll gesagt haben, „Ich weiß, dass ich nichts weiß!“, wir änderten seinen Spruch etwas ab: „Ich weiß, dass ich vieles noch nicht weiß!“ Und vielleicht ist es eben das Immer-neu-Hinzulernen, welches das Leben so interessant macht und welches unser „Heureka!“ hinausschiebt, wahrscheinlich bis zum letzten Atemzug…
Vielleicht ist es die Nähe der Natur, oder die dauernde Berührung von Leben und Tod, die den Bauern zu einem Philosophen machen. Vielleicht auch das große Maß an Arbeit, welches bedingt, dass man die kurzen Augenblicke der Offenbarung voll bewusst nutzt. Denn vieles sind sich tagtäglich wiederholende Arbeiten, Routine, wie man sagt. Doch diese ‚Galeeren-Arbeiten‘ sind genauso kostbar im Leben, wie die kurzen ‚Highs‘. Oft stellte ich mir bei diesen Arbeiten vor, wie es wäre, wenn ich sie nicht mehr machen dürfte oder könnte. Dann überkam mich eine gewisse Wehmut und ich merkte, dass es gerade diese Arbeiten sind, die einem bewusstwerden lassen, dass man ist! Je mehr man sich quält, umso besser spürt man seine eigene Existenz!
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Waren früher die großen Ereignisse im Jahr der Bauern das Fest der Wintersonnenwende, der Sommersonnenwende und die zwei Tag-und-Nacht-Gleichen, so kam bei uns zwei weitere Tage hinzu: Der 10. November und der 1. Februar. Ab dem zehnten November versteckte sich die Sonne hinter unserem Hausberg und ging erst 1 ½ Stunden später, um 11 Uhr rechts vom Gipfel auf, am ersten Februar erschien sie wieder links vom Berg und gab uns 1 ½ Stunden mehr Sonnenlicht. Ich sprach davon zu Jean de Serenne, als ich die freitägliche Käseverkaufstour machte. „Das trifft auf ‚Chandeleur‘ (Lichtmess) oder Chandelours‘, wie man früher sagte, den 2. Februar! Früher machte man nachts Prozessionen mit Fackeln über die Felder, um die Göttin der Fruchtbarkeit wohlwollend zu stimmen. Ab jetzt konnte man mit manchen Aussaaten beginnen, da die Erde warm genug war. Auch kam um diese Zeit der Bär aus seiner Überwinterung! Die Kinder verkleideten sich als Bären und tanzten bei diesen Fackelprozessionen.
Ab diesem Tag kann man die Schafe auch bei Regen austreiben, da die Sonne stark genug ist, um sie wieder zu trocknen! Ich komme ja ursprünglich aus deinem Tal. Ich habe hierher geheiratet. Als Kinder liefen wir an diesem Tag von Haus zu Haus und erbettelten Eier, aus denen wir mit Mehl vermischt ‚Crêpes‘, die runden, hauchdünnen Pfannenkuchen, buken. Tè, komm doch rein, meine Frau hat gerade welche gebacken!“ Ich folgte ihm in das dämmerige Haus, berochen und leicht beknurrt von den Labrits, seinen Hüte-Hunden. Drinnen roch es nach Gebackenem. Am Herd stand seine Frau, bestimmt schon weit über siebzig, während, wie ich erst entdeckte, als meine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, in einem Sessel in der Ecke seine Schwiegermutter saß, im hundertsten Jahr, wie sie mir mit ihrer etwas heiseren Stimme mitteilte.
Ich musste mich setzen und bekam bald auf einem Teller einen Crêpe vorgesetzt und dazu einen Topf mit Marmelade und einen anderen mit Zucker. „Die runde Form des Crêpe symbolisiert die Sonne. Wenn du das ganze Jahr Geld im Haus haben willst, musst du beim Backen des ersten Crêpe in die linke Hand ein Goldstück nehmen während du mit der rechten den Pfannenkuchen in die Luft wirfst, um ihn umzudrehen. Dann wickelst du das Goldstück darin ein und legst ihn auf den Schrank bis zum nächsten Jahr. Früher, bei mir zu Hause, hat der Vater den ersten Crêpe genommen und ist damit, begleitet von uns allen, durch alle Zimmer und den Stall gelaufen, um den Segen der Sonne auf uns herabzurufen. Das durfte der Curé, Pfarrer natürlich nicht wissen!“ Ich streute etwas Zucker auf den Crêpe, rollte ihn ein und aß ihn langsam, während die Alten von früher redeten.
Jean de Serenne war einer der wenigen Alten des Nachbar-Tales, der offen Partei für die Langhaarigen einnahm. Er war auch im Gemeinderat des Dorfes und erreichte, dass die Straße nach Ebocal wieder gerichtet wurde, da sich auch dort oben, auf fast 1000 Metern Höhe, mehrere junge Familien niedergelassen hatten. Er verkaufte sogar etwas Land und Scheunen, damit diese einen Garten machen konnten. Fand irgendwo eine Fete statt, wurde er deshalb immer eingeladen. Ansonsten hütete er alle Tage die Schafe, die auf seinen Sohn übergeschrieben waren, der im Dorf noch fast zwei Dutzend Milchkühe hielt, deren Milch er an den Käser nach St. Lary verkaufte. Bisweilen trafen wir uns beim Schafehüten, setzten uns auf den Boden, die zwei Herden im Auge, und sprachen über die Welt. Er über das schöne lange Tal, ich über das, was dahinter lag.