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2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken

ZUSAMMENFASSUNG

Wolfgang Borchert schrieb eine überschaubare Zahl von Werken; sie bedienen das gleiche Thema der Generation ohne Abschied. Gestalten wie Beckmann aus Draußen vor der Tür und seine Fragen finden sich durchgehend in Borcherts Werk. Die Fragen nach Gott, dem Leben, dem Grauen des Krieges und seiner Überwindung durchziehen Borcherts Werk wie ein fortlaufendes Selbstzitat.

Vor Draußen vor der Tür schrieb Borchert drei weitere Stücke. Immer finden sich darin Bezüge zur Weltliteratur, oft zu Goethes Faust.

Die in ihrer Zahl überschaubaren Werke Borcherts bedienen das gleiche Thema: Beschrieben werden der Krieg, seine Opfer, seine Folgen sowie die Generation ohne Abschied, so der Titel einer Erzählung, in der sich inhaltliche Bezüge zu Draußen vor der Tür finden. Es wird ein Leben voller Stationen und Begegnungen beschrieben, in dem es nur diese „Begegnungen ohne Dauer“ (Rowohlt Tb S. 109), aber keinen Abschied gab; „ohne Glück, ohne Heimat und ohne Abschied“ (Rowohlt Tb S. 108), Smolensk und der verlorene Gott, „ein Mann und eine Frau“ (Rowohlt Tb S. 109) werden genannt.

Gestalten wie Beckmann aus Draußen vor der Tür und seine Fragen finden sich durchgehend in Borcherts Werk. Im Januar 1946 entstand die Erzählung Die Hundeblume, in der nach Gott gefragt und nach einer geöffneten Tür gesucht wird. Ihr ging die Erzählung Die Blume[12] (1941) voraus, in der ebenfalls die Frage gestellt wurde: „(…) wo ist der Gott?“. Die Fragen nach Gott, dem Leben, dem Grauen des Krieges und seiner Überwindung durchziehen Borcherts Werk wie ein fortlaufendes Selbstzitat.

DIE HUNDEBLUME (1946) DRAUßEN VOR DER TüR (1946/1947) DIE LANGE LANGE STRAßE LANG (1947)
Beziehung drinnen und draußen: Gefangen im Drinnen; der Rundgang im Hof ausgestoßen ins Draußen; auf die Straße auf der Straße; Suche nach der Straßenbahn
Motiv: die Tür geschlossen die Tür verschlossen die Tür hinter ihm verschlossen durch die Mutter (Rowohlt TB S. 66)
Sehnsucht; Angst vor der Nacht (Rowohlt TB S. 84) Hunger; Angst vor der Nacht Hunger; Angst vor der Nacht
Figur: Häftling; allein mit sich selbst Unteroffizier Beckmann; auf sich selbst zurückverwiesen und allein Leutnant Fischer; nur er noch „unterwegs“; „allein gelassen“ (Rowohlt TB S. 66)
verantwortlich für eine Straftat verantwortlich für den Tod von elf Menschen verantwortlich für den Tod von 57 Menschen
22 Jahre alt 25 Jahre alt 25 Jahre alt
Sehnsucht: nach der Hundeblume als Zeichen der Geborgenheit nach Ankunft/Heimkehr und Geborgenheit nach der blauen Blume (Rowohlt TB S. 72 f.) als Gegensatz zur Einsamkeit
Gott: „(…) ist nicht da.“ (Rowohlt TB S. 84) ist ein alter, erschütterter Mann hat keinen Löffel

Borchert plante einen Roman mit dem Titel Persil bleibt Persil. Nur wenige Seiten sind ab dem 11. Januar 1947 geschrieben worden. Die Einteilung der Bücher erinnert an die grauen Akte des Stücks: 1. Buch: Die Nacht; 2. Buch: Nacht um uns, Nacht; 3. Buch: Nacht Nacht Nacht. Borcherts Verzweiflung hatte in Draußen vor der Tür einen Höhepunkt erreicht; beendet hat er sein literarisches Thema nicht.

Draußen vor der Tür ist nicht Borcherts einziges Stück, wie angenommen und behauptet wird. Zuvor schrieb er Stücke mit historischen oder politischen Inhalten. 1938 entstand Yorick, der Narr!, angeregt von Shakespeares Hamlet. Im Dezember 1937 hatte Gustaf Gründgens[13] als Hamlet auf der Bühne Borcherts Leben entscheidend beeinflusst. Auf dieses Erlebnis, seither hing ein Gründgens-Bild in Borcherts Zimmer, geht seine Theaterleidenschaft zurück; Hamlet wurde für Borchert zu einer Identifikationsgestalt. 1939 folgte Käse. Die Komödie des Menschen, in dem ein Käsehändler nach der Weltherrschaft strebt und vom Genie Wolff Günter – der Name setzt sich aus Borcherts Vornamen und dem seines Freundes Günter Mackenthun zusammen – daran gehindert wird.[14]

Als drittes Stück folgte Der schwarze Cardinal; es wurde von Goethes Egmont angeregt: „Das erste war wüst, weil ich zu jung war, das zweite war staatsfeindlich, das dritte in drei Tagen geschrieben und ebenfalls der heutigen Zeit contrair gestimmt.“[15] Das Stück nimmt Anleihen aus der Weltliteratur auf, besonders intensiv aus Goethes Faust. Insofern liegt es nahe, die Ähnlichkeiten, die Draußen vor der Tür mit Faust aufweist, als beabsichtigt zu sehen. Schließlich taucht das Faust-Problem nicht als Schöpfungs- und Erkenntnisproblem, sondern als Vernichtungsvorgang auch in der Erzählung Die lange lange Straße lang auf. Er lässt seinen Leutnant Fischer in Die lange lange Straße lang fragen, wer die todbringende Faust-Marionette bewege; der Leierkastenmann bekennt sich dazu. Wer aber der Leierkastenmann ist, wusste Borchert nicht. Deshalb wiederholte er Thema und Fragen fortwährend. Der Massenmord – „sechs Millionen“ (HL S. 40/R S. 58) korrespondiert mit den Zahlen der Naziverbrechen an den Juden –, angesprochen in Draußen vor der Tür, variiert in Die lange lange Straße lang, begleitete Borcherts Werk: Ohne Nennung Fausts schrieb Borchert die Geschichte des Massenmörders bezeichnenderweise in den Lesebuchgeschichten:

„Der Mann mit dem weißen Kittel schrieb Zahlen auf das Papier. Er machte ganz kleine zarte Buchstaben dazu. Dann zog er den weißen Kittel aus und pflegte eine Stunde lang die Blumen auf der Fensterbank. Als er sah, dass eine Blume eingegangen war, wurde er sehr traurig und weinte. Und auf dem Papier standen die Zahlen. Danach konnte man mit einem halben Gramm in zwei Stunden tausend Menschen tot machen. Die Sonne schien auf die Blumen. Und auf das Papier.“ (Rowohlt Tb S. 81)

Borcherts Haltung ist antimilitaristisch und erscheint pazifistisch, ist es aber nicht grundsätzlich. Wichtig war ihm die Verantwortung für eine Tat, die auch militant sein konnte: „Wir sagen nicht nein aus Verzweiflung. Unser Nein ist Protest.“ (Rowohlt Tb S. 116) In seinen beiden Schriften Dann gibt es nur eins! und Das ist unser Manifest geht es um ein neues Deutschland, in dem die Menschen sich zum Leben, zur Liebe und zum Wiederaufbau bekennen. In diesen Schriften lehnt Borchert nihilistische Haltungen ab. Es geht ihm nicht um „die reingefegte Luft der Nihilisten“, sondern um Häuser, die gebaut werden, „Häuser aus Holz und Gehirn und aus Stein und Gedanken“ (Rowohlt Tb S. 116).

Statt nihilistischer Verneinung verdichten sich bei Borchert literarische Maximen zu Lebensweisheiten, denen er folgt. Wichtig wurde dabei Shakespeares Hamlet. Er wurde oft von Borchert zitiert und genannt, schließlich aber auch zur Lebenschance. Hamlets Zweifel um Sein oder Nichtsein war, so Borchert in einem Brief an seine geistige Mentorin Aline Bußmann im August 1941, „auch Hamlets Größe (…). Was liegt nun noch an Gut und Böse? Leben will man – Sein oder Nichtsein ist tatsächlich immer noch die größte Frage und wird es auch ewig sein!“[16] In Aline Bußmanns Salon lernte er Literarisches kennen, wenn auch nicht in weltläufiger, sondern in heimatorientierter Weise: Aline Bußmann gab Werke ihre Freundes Gorch Fock heraus und trat am Richard-Ohnsorg-Theater auf.

Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert.

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