Читать книгу Der Schmetterlingsmann - Wolfgang Brunner - Страница 7

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Wenn ich an unsere erste Begegnung denke, kommt sie mir wie ein Traum vor. Als wir Wochen später stundenlang gemeinsam durch Berlin gingen und uns pausenlos unterhielten, geschah das Wunder:

Wir verliebten uns!

Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, um Dir von diesem Wunder zu erzählen, das mich noch immer erfüllt wie am ersten Tag. Ich rede von dem kleinen Universum in unseren Herzen, das wir seit unserer ersten Begegnung kennen, in all seinen Facetten erforschen …

Die Liebe.

Sie ist es, die uns antreibt und manchmal verhindert, dass wir nicht aufgeben, weil uns die Strapazen des Lebens zu groß sind.

Was wären wir ohne Liebe? Was wäre ich ohne Liebe?

Ich leide nicht, aber dieses Gefühl ist kompliziert. Stell Dir vor, du hättest zeit Deines Lebens nie die Möglichkeit, jemanden zu lieben. Erschreckend, oder?

Bei vielen Menschen beginnt mit dem Älterwerden eine Abstumpfung. Doch wir sind Helden der Liebe, Du weißt, was ich meine.

Erinnere Dich an unsere Gespräche über den stumpfsinnigen Alltag mancher Paare, die Abend für Abend vor dem Fernseher verbringen und keine Zeit für eine vernünftige Unterhaltung finden. Wir sind anders.

Ich weiß, dass Du genauso denkst wie ich, wenn es darum geht, wie grob mancher Mann seine Frau behandelt, nur weil sie nicht so funktioniert, wie er es will.

Es liegt an den übereinstimmenden Lebenseinstellungen, der Empathie und noch so vielen Dingen mehr, die uns zu dem machen, was wir sind …

Ein Paar.

Aber ich will von mir, meinen Gefühlen und meiner Liebe zu Dir erzählen.

Ich sitze auf der Bettkante und denke über das Erlebte nach, bin nicht sicher, ob ich geträumt habe.

Es begann, als ich aufwachte, während Du schliefst. Ich hörte Dein Ausatmen und spürte in Gedanken Deine weiche Haut, obwohl ich sie nicht berührte. Ich wurde durch ein Murmeln wach und war erst nicht sicher, ob es meine eigenen Überlegungen waren, die ich vernahm. Manchmal klangen die Worte wie Deine und verwirrt überlegte ich, ob ich noch immer träumte.

Du wirst ungläubig mit dem Kopf schütteln, wenn ich dir erzähle, dass ich mich mitten in der Nacht auf den Weg machte, um ein Hotelzimmer zu mieten und dort in Ruhe über den ›Sinn des Lebens‹ nachzudenken. Wieso ich das tat? Ich kann es Dir nicht erklären. Es war der Ruf, der mich dazu brachte.

Wenn ich Dich ansehe, erfüllt mich Liebe. Du bist mein Schmetterling: weich und zerbrechlich, aber auch gleichzeitig anmutig und stark.

Und ich bin der Mann an Deiner Seite.

Aber zurück zu dem geheimnisvollen Ruf. Ich hörte ihn, kurz nachdem wir uns hingelegt hatten und ich mich, geborgen in der Sicherheit unserer Traumillusionen, von den Strapazen des Tages erholen wollte.

Ich war schon unruhig, als ich die Augen schloss, während Du mit einem leisen Seufzen, in die sichere Welt der Träume übergetreten bist. Wir hatten uns über die Liebe unterhalten und vielleicht schlief ich deswegen mit diesem Gedanken ein.

Ich kann mich nicht erinnern, ob es der sanfte Gesang des Windes oder der gleichmäßige Ruf eines Nachtvogels war, der mich aus meinem ohnehin nicht tiefen und unruhigen Schlaf riss. Durch das geöffnete Fenster strömte ein kühler Wind ins Zimmer.

Eine Zeitlang lag ich mit offenen Augen da und starrte in die Dunkelheit, lauschte dem Zusammenspiel von Wind und Vogelruf und wartete, bis mich das Leben vollends aus den Umarmungen meines seichten Schlafes gerissen hatte.

Meine Stirn war feucht und ich versuchte angestrengt, mich an einen möglichen Albtraum zu erinnern. Als ich langsam aus der Wärme der Bettdecke glitt, spürte ich erneut in Gedanken Deine weiche Haut, als streichelten meine Finger über Deinen Körper, der im Traum gefangen war.

Was ist Liebe?

Die Stimme, ich nenne sie den Ruf, klang sanft und angenehm. Nicht aufdringlich, aber bestimmend genug, um mich aufhorchen und innehalten zu lassen. Ich neigte den Kopf zur Seite, als wäre es hilfreich, weitere Worte besser zu verstehen.

Der Ruf verstummte einen Moment.

Ich saß am Rand des Bettes und starrte in die Nacht. Der Mondschein warf einen silbernen Streifen auf den Boden, der mir wie eine Grenze erschien, die es zu überschreiten galt.

Was ist Liebe?

Da war sie wieder! Ich kniff die Augen zusammen und wartete.

Wenn du wissen willst, was Liebe bedeutet, so suche einen Ort, an dem du in Ruhe darüber nachdenken kannst.

Ich drehte mich in Deine Richtung und mein Blick schweifte über Deine nackte, halb unter der Decke verborgene Silhouette.

Denkst du, das ist Liebe?

Ich nickte unbewusst und richtete meinen Blick verwirrt auf das offene Fenster.

Was war das für eine seltsame Stimme, die mit mir über die Liebe diskutieren wollte?

Du nennst sie Schmetterling. Warum?

»Weil ...« Ich verstummte und schloss die Augen. »Weil sie mein Schmetterling ist«, hauchte ich nach ein paar Sekunden und fasste mir an die Stirn. »Wer bist du?«, traute ich mich zu fragen, obwohl ich mir der Unwirklichkeit der Situation bewusst war.

Ich bin der Geist der Liebe, war die Antwort. Ich erhob mich und tastete nach meiner Armbanduhr auf dem Nachttisch neben dem Bett.

03:13 Uhr!

Ich fand auf dem Tisch noch eine Plastikverpackung, die zu Boden fiel und sich mit einem leisen Rascheln verformte.

»Was …?«

Meine Augen versuchten die Dunkelheit neben dem Bett zu durchdringen. Der Schein des Mondes reichte nur bis ans Fußende und ließ den oberen Bereich unseres Schlafplatzes in vollkommenem Schwarz.

Als meine Finger die Plastikverpackung endlich fanden, blitzte eine Erinnerung in meinen Gedanken auf. Wir hatten uns geliebt und danach, wie meistens, geredet. Dabei hatte ich eines der Bonbons gegessen, deren Verpackung ich gerade in der Hand hielt. Hatten wir uns gestritten? Nein!

Ich erinnerte mich, dass wir über unsere Wertschätzung zueinander sprachen. Du hast mich gefragt, ob ich vergessen hätte, wie es ist, Dich zu lieben.

Nutz die Chance und denk über die Liebe nach, raunte die Stimme, der Ruf, und ich ließ die Folie wieder zu Boden fallen, als müsste ich diesem geheimnisvollen Befehl unverzüglich Folge leisten.

„Was soll ich tun?“

Geh in ein Hotel. Schließe das Zimmer, das du mietest und die Augen. Dann versuche, das Geheimnis der Liebe zu ergründen. Es wird eine außergewöhnliche Erfahrung werden. Ich verspreche es dir.

Ich lachte leise und drehte mich zu Dir um.

»Das ist verrückt«, flüsterte ich und überlegte, Dich zu wecken.

Wenn du wissen willst, ob du sie liebst, solltest du sie schlafen lassen, warnte mich die Stimme. Folge meinem Ruf!

Und weißt Du was? Ich gehorchte, verließ die Wohnung und machte mich auf die Suche nach einem Hotel.

Der Schmetterlingsmann

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