Читать книгу Der Schmetterlingsmann - Wolfgang Brunner - Страница 8
ОглавлениеMeine Müdigkeit war in dem Moment verflogen, als ich an die frische Luft kam. Leichte Kopfschmerzen plagten mich, während ich durch die menschenleeren Straßen streifte und überlegte, was mit mir geschah. Einerseits erlebte ich das Ganze wie einen Traum, andererseits fühlte ich mich wach. Ich betrachtete die Fassaden der Häuser und spekulierte darauf, irgendeinen Hinweis zu finden, dass es sich um einen Traum handelte.
Geh in ein Hotel. Schließe das Zimmer, das du mietest und die Augen. Dann versuche, das Geheimnis der Liebe zu ergründen. Es wird eine außergewöhnliche Erfahrung für dich werden. Das verspreche ich dir, erklang der Ruf, der Geist der Liebe, in meinem Schädel.
Ich erreichte eine Tankstelle, die geöffnet hatte, und kaufte eine Flasche Wasser.
Von der Aushilfskraft an der Kasse abgesehen, hatte ich noch keine Menschenseele erblickt. Meine Gedanken wirbelten durcheinander, als mir bewusst wurde, was ich machte. Ich suchte mir auf Anraten einer mysteriösen Stimme ein Hotel, um über die Liebe nachzudenken.
Kurzzeitig überlegte ich, kehrtzumachen und mich neben Dich ins warme Bett zu legen. Aber ich setzte den Weg fort und führte das begonnene Vorhaben aus.
Ich war neugierig, was mich erwartete, wenn ich dem Ruf folgte.
Ich machte mir Gedanken, ob ich überhaupt Geld dabei hatte. In meiner rechten Hosentasche ertastete ich mein Portemonnaie und zwei der Bonbons, die noch in Plastikfolie eingewickelt waren und die ich vom Nachtisch mitgenommen hatte.
Ich betrachtete die Süßigkeiten. Sie kamen mir plötzlich wie eine Droge vor und für einen Moment blitzte erneut der Gedanke auf, ich befände mich lediglich in einem Traum.
Bis mich das flackernde Licht einer Außenanzeige innehalten ließ, war ich schon eine Weile unterwegs gewesen. Es war die Reklame einer billigen Absteige. Hotel Schicksal stand auf dem Schild.
Ich gluckste leise und atme tief ein, bevor ich die Tür aufdrückte und in den mit stickiger Luft erfüllten Raum dahinter trat.
Ein Mann mit einem zottigen Bart saß hinter der Theke, die mich eher an einen alten Metzgerladen als eine Hotelrezeption erinnerte.
»Ein Gast«, seufzte er unnötigerweise und erhob sich mit einem lauten Ächzen. »Sie wollen ein Zimmer?«, er blickte auf die Uhr und schüttelte den Kopf. »Um diese Zeit?«
Ich gab keine Antwort und näherte mich dem Tresen, der seltsam auf mich wirkte, obwohl ich nicht erklären konnte, weshalb.
»Alleine?«, knurrte der Alte.
Nickend stellte ich die Wasserflasche auf die Holztheke und legte einen Geldschein daneben. »Alleine«, antwortete ich mit leiser Stimme. »Ich brauche das Zimmer nur für ein paar Stunden.«
»Verstehe«, antwortete der Mann. »Nur ein paar Stunden«, wiederholte er meine Worte und sah hinter mich, als erwarte er jeden Moment, dass die Tür aufginge und eine aufreizende Dame das Hotel beträte, um mit mir auf das Zimmer zu gehen.
»Alleine«, bestätigte ich ein zweites Mal und deutete auf den Geldschein. »Ist das ein Problem?«
Begleitet von einem leisen Lachen schüttelte er den Kopf. »Kein Problem … nein.« Er griff nach dem Fünfziger, machte keine Anstalten, mir Wechselgeld zu geben, und hielt stattdessen einen Schlüssel in die Höhe. »Die Treppe rauf, das zweite Zimmer auf der rechten Seite«, erklärte der Rezeptionist knapp und drehte sich von mir weg, als existiere ich von einer Sekunde auf die andere nicht mehr für ihn.
Ich hob die Augenbrauen und machte mich auf den Weg nach oben.
Die Wasserflasche ließ ich stehen.
Meine Füße schmerzten und ich freute mich, bald wieder in einem Bett liegen zu können.
Als ich die Tür aufschloss und das Zimmer betrat, dachte ich an Dich, mein Schmetterling. Es kam mir vor, als würde ich Dich hintergehen. Nicht mit einer anderen Frau, sondern mit mir und meinen Gedanken …
Absurd!
Ich sperrte hinter mir ab, warf den Schlüssel auf einen schlichten Nachttisch und ließ mich aufs Bett fallen. Als ich die Augen schloss, hörte ich erneut Worte des Rufs in meinem Kopf: Was ist Liebe? Wieso nimmst du nicht noch etwas von der Droge? Sie hilft dir beim Nachdenken.
Es ist keine Droge, dachte ich, während ich nach der Plastikfolie in meiner Hosentasche tastete.
Stell dir vor, es wäre eine, hauchte der Ruf. Essen für die Götter! Denn du wirst einem Gott ähnlich sein, wenn du die Liebe verstehst.
Und ich aß …