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8. Juli 1990

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»Es wurde demontiert, ohne zugleich aufzubauen.« (ND, 3.7.90) Frank Wehner, Berichterstatter des ND, hält es noch immer für erwähnenswert, »dass kein Beschluss gefasst wurde, ohne dass es Gegenstimmen gegeben hätte«. Auch der Titel gemäßigt-nostalgisch: »Lenin blickt diesmal eher skeptisch in den Saal«. Für »Fehler« in den letzten fünf Jahren habe »die Partei einen hohen Preis zu bezahlen«. Aber was ist mit den sechzig Jahren davor? Begreift nicht, dass ihre Stellung und Funktion der Urfehler. »In scharfem Ton« weist Gorbatschow laut ND die Forderung nach Parteirückzug aus den Repressionsapparaten zurück; unterschlagen wird sein revolutionärer Zusatz, auch alle andern Parteien könnten dort Gruppen aufmachen. Ebenso weggelassen die Frauenfrage und die neue Arbeiterbewegung.

ND, Titelseite, Herrmann/Wehner unkritisch und konzeptionslos: »Ligatschow setzte sich für die Zusammenarbeit aller marxistisch-leninistischen Kräfte, für den klassenmäßigen Zugang bei der Formierung der Sowjets der Volksdeputierten und eine folgerichtige, stufenweise Verwirklichung der Reformen ein.« Wer, bitte, sind die »marxistisch-leninistischen Kräfte«? Ist der ML denn kein Problem? Was, bitte, wäre ein »klassenmäßiger Zugang bei der Formierung der Sowjets der Volksdeputierten«? Also doch keine freien Wahlen? Und wer spräche im Namen welcher Klassen? Mit welchem Anspruch (Privileg)? Schließlich: was wäre dann »folgerichtig«? Welches wären die »Stufen« und ihre Reihenfolge? Ist denn irgendjemand gegen Folgerichtigkeit als solche und gegen »stufenweise Verwirklichung der Reformen«? Gegen was und wen richtet sich das? Warum werden die Beschwerden gegen die Pressefreiheit nicht berichtet? Nicht der Wink mit Armee und KGB?

»Schewardnadse, der seine Unterstützung für die Politik Gorbatschows deutlich machte« – was man im ND für mitteilenswert hält! Hier schreibt das Unbewusste, zumindest Ungesagte. – »Aufsehen erregte dessen Bereitschaft, nicht für Leitungsorgane der Partei zu kandidieren«. – Hübsche Bereitschaft. Im Kommentar bezeichnet Frank Wehner die Position Ligatschows als »Sozialismus der reinen Lehre«. Als ob das reine Lehre gewesen wäre.

Nicht anders der Ton im ND vom 5.7. (Klaus Joachim Herrmann: »von der Klärung zur Klarheit?«): nostalgisch, äußerst ungeklärt selber. Am treffendsten noch, was als absurdes Zeugnis berichtet wird: auf der Demo im Gorkipark ein Transparent: »Es lebe der letzte Parteitag der KPdSU!« – Es ist tatsächlich der letzte.

An der Kritik, die geübt wird, übersieht der Berichterstatter das positionelle, das Vorentschieden-Indirekte, das Genörgel, das Fehlen wirklicher Analyse und Strategie.

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