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von Martin Schulz
Nach der Krise ist vor der Krise – dieser Eindruck drängt sich angesichts des wieder eröffneten Spielkasinos an den Finanzmärkten auf. Zwei Jahre nachdem Spekulanten die Welt in die schlimmste Finanzkrise seit 80 Jahren stürzten, wird an den internationalen Finanzplätzen schon wieder munter gezockt. Die Banker sind nicht nur zum »business as usual«, sondern auch zum »profit as usual« zurückgekehrt. Hohe Gehälter und Bonuszahlungen winken und verleiten viele Finanzjongleure wie früher zu hochriskanten Deals. Geht doch mal was schief, wird es der Staat schon wieder richten, scheint so manch einer von ihnen zu denken.
Nach der Krise ist vor der Krise – das bedeutet vor allem: Die nächste Krise droht bereits, wenn wir jetzt keine Vorkehrungen treff en. Erinnern wir uns an den schwarzen Montag an der Wall Street vor zwei Jahren, der eine Woche einläutete, in der die Hiobsbotschaften aus der Finanzwelt nicht mehr abreißen wollten. Eine geschockte Welt wurde Zeuge, wie am 15. September 2008 das 158 Jahre alte Traditionshaus, die drittgrößte amerikanische Investmentbank, Lehman Brothers, zusammenbrach. Zum Atemholen blieb keine Zeit. Rasant breiteten sich nach dem Erdbeben an der Wall Street Schockwellen über die globale Finanzwirtschaft aus, die Banken fielen wie Dominosteine, und Finanzkonstrukte brachen wie Kartenhäuser zusammen. Und wir alle machten die ungewohnte Erfahrung, uns um die Sicherheit unserer Bankguthaben zu sorgen: Ob ich morgen wohl noch Geld von meinem Konto abheben kann? Ist meine Rente angesichts fallender Aktienkurse noch sicher? Wird mein Haus an Wert verlieren? Wird die Welt in eine globale Rezession stürzen? Das war eine beängstigende Erfahrung.
Heute, zwei Jahre später, ist die akute Krisengefahr gebannt, den Regierungen gelang es, die Finanzmärkte mit bis dato unvorstellbaren Summen zu stabilisieren. Den Totalzusammenbruch konnten sie damit verhindern. Verhindern konnten sie jedoch nicht, dass die Finanzkrise auf die Realwirtschaft übergriff: Der Welthandel brach ein, Fabriken standen still, Arbeitslosenzahlen schnellten in die Höhe. Wieder kamen die Regierungen mit riesigen Rettungspaketen zu Hilfe, die Zentralbanken drückten die Leitzinsen runter und pumpten so Geld in die Märkte, während die Regierungen Garantien für Banken aussprachen – laut Internationalem Währungsfonds (IWF) sprachen die Regierungen der USA, Großbritanniens und der Eurozone bis April 2009 Garantien im Wert von 8955 Milliarden US-Dollar aus. In Wirklichkeit waren die Garantien wohl nach oben unbegrenzt, die Regierungen verpfändeten das zukünftige Einkommen der Steuerzahler als Garantien für die von den Banken angehäuften Schuldenberge.
Nach der Krise ist vor der Krise – renommierte Ökonomen prognostizieren, dass sich die nächste Krise bereits abzuzeichnen beginnt: etwa als Blase auf dem chinesischen Immobilienmarkt oder auf den Rohstoff märkten. Allerdings ist zu befürchten, dass die nächste Krise noch schlimmere Verheerungen nach sich ziehen würde als die letzte, träfe sie doch eine Weltwirtschaft, die gesundheitlich noch immer angeschlagen ist. Ganz klar heißt der Auftrag an die Politik deshalb: die Lehren aus der jüngsten Krise ziehen, um die Entstehung der nächsten zu verhindern.
Die Finanzkrise hatte mannigfaltige Ursachen. Erstens in der Ordnungspolitik: Während sich die Märkte globalisierten, ist die Politik nicht mitgewachsen, es haben sich parallel keine Strukturen einer globalen Ordnungspolitik herausgebildet. Vielmehr wurden Finanzinstitute auf der Mikroebene überwacht, die makroökonomische Kontrolle verlief länderbezogen, und ein systemweiter Überblick über die finanzielle und makro-ökonomische Entwicklung wurde vernachlässigt.
Zweitens ist die Geldpolitik zu nennen. So haben die USA durch eine expansionistische Währungspolitik, eine auf Verschuldung von Privathaushalten gestützte Binnennachfrage und hohe Staatsschulden dazu beigetragen, dass die Finanzmärkte destabilisiert wurden. Ausgelöst wurde die Finanzkrise in den USA – dem angeblich fortschrittlichsten Finanzmarkt der Welt – durch Subprime-Kredite, die nichts anderes sind als Hypothekenkredite von minderer Bonität, die Kreditnehmer sind dabei meist vermögenslose Privatpersonen. Zur Verschleierung wurden diese Kredite von den Banken in scheinbar sichere Pakete verpackt, sie wurden »verbrieft«. Geplatzt ist die Blase, weil sich durch steigende Zinsen und den Einbruch der Immobilienpreise die ungenügende Sicherung der Subprime-Kredite off enbarte.
Damit sind wir drittens bei den systemimmanenten Fehlern des Finanzsystems wie der Komplexität und Undurchschaubarkeit von Finanzprodukten, kurzfristig ausgerichteten Vergütungssystemen, mangelhaften Geschäftsmodellen, der Zunahme komplexer außerbilanzlicher Produkte, sogenannter Swaps, und des Verbriefungsmechanismus infolge eines Schattenbankensystems, das die systemischen Risiken sogar noch erhöhte.
Da die Krise eben kein Unfall ist, der alle 100 Jahre einmal passiert, sondern auf systemimmanente Mechanismen zurückzuführen ist, steht uns früher oder später die nächste Krise ins Haus – solange wir nichts an der grundlegenden Organisation des Marktes ändern. Denn noch immer gilt die Aussage des Ökonomen John Maynard Keynes: »Wenn die Kapitalentwicklung eines Landes das Nebenprodukt der Aktivitäten eines Kasinos ist, dann wird die Aufgabe wahrscheinlich schlecht erledigt.«
Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat uns bitteres Lehrgeld für die Erkenntnis zahlen lassen, dass Europa eine koordinierte Wirtschaftspolitik braucht, die makroökonomische Ungleichgewichte abbaut und durch eine effektive Finanzmarktregulierung flankiert wird. In den dramatischen Tagen der Krise wurde »die Renaissance der Politik« verkündet. Es war schließlich der Staat, der eine Kernschmelze der Finanzmärkte und den Absturz in die globale Rezession verhinderte. Die Finanzkrise zwang die Deregulierer zum Offenbarungseid: Die unsichtbare Hand des Marktes wird schon alles richten, so lautete ihre Devise bis dato. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Finanzmärkte einen festen Ordnungsrahmen brauchen, denn von Kontrolle und Regulierung befreit, droht der entfesselte Kapitalismus seine eigenen Grundlagen aufzufressen, ja, sich regelrecht selbst zu kannibalisieren. Wird das System nicht signifikant verändert, dann entstehen in regelmäßigen Abständen Krisen. Das Ziel jeder Regulierung muss mehr Transparenz, bessere Kontrollen und strengere Regeln sein: Kein Finanzakteur, kein Finanzprodukt und kein Finanzmarkt dürfen künftig unreguliert bleiben.
Derzeit arbeiten wir im Europäischen Parlament an umfassenden Finanzmarktregulierungen und sind auf einem guten Weg. Die Regulierung von Ratingagenturen, höhere Eigenkapitalquoten von Banken, eine EU-Finanzmarktaufsicht für Banken, Wertpapiere und Versicherungen gehören ebenso wie harte Regulierungen für Hedge-Fonds und private Kapitalanleger zu den Erfolgen. Als nächstes knöpfen wir uns den Derivatehandel vor. Der Grundsatz, dass Verursacher, die Banker und Spekulanten, die Zeche zahlen, muss endlich mit einer Finanztransaktionssteuer umgesetzt werden.
Wolfgang Hetzer stellt in seinem wortgewaltigen Buch unter anderem die berechtigte und interessante Frage nach der strafrechtlichen Aufarbeitung der Krise – die bislang gescheitert ist. Die Grenze zwischen unmoralischem und kriminellem Verhalten ist schwer zu ziehen, der Vorsatz, vorsätzliche Pflichtverletzung schwer zu beweisen. War es Unvorhersehbarkeit oder der Zusammenbruch eines Schneeballsystems? Handelte es sich um ein Systemrisiko oder Organisierte Kriminalität? Zwischen diesen Polen bewegt sich die öffentliche Debatte. Für Hetzer ist die Sache klar: Mit krimineller Energie wurden große Mengen Geld bewegt, und er sieht der Organisierten Kriminalität vergleichbare Netzwerke in der Finanzwirtschaft üble Geschäfte tätigen.
Man muss wahrlich kein Jurist sein, um zu sehen, was off enkundig ist: dass es sich um eine Gerechtigkeitslücke handelt, wenn die kleinen Leute die Zeche für die Finanzjongleure zahlen sollen, wenn von Gier getriebene Banker um des eigenen Profits willen ohne Rücksicht auf Verluste wirtschaftlich gesunde Unternehmen und ganze Volkswirtschaften in die Knie zwingen. Wir brauchen ein Umdenken: Das kurzfristige Shareholder- Value-Denken muss wieder durch langfristiges Wirtschaften ersetzt werden – langfristige Investitionen sollen auch langfristig Gewinne abwerfen und das in einer Finanzwirtschaft, die wieder der Realwirtschaft dient und in der persönliche Verantwortung gilt. Die Aufarbeitung der Finanzkrise, auch die strafrechtliche, ist ohne Zweifel Aufgabe der Politik, und da bleibt noch einiges zu tun.