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Die Fischer-Kontroverse Von Anfang an war die Kriegsschuldfrage ein höchst umstrittenes Politikum, zwischen den beteiligten Ländern wie auf nationaler Ebene. Für Deutschland blieb sie auch nach Kriegsende von besonderer Brisanz, denn im Versailler Vertrag wurde dem Reich die alleinige Kriegsschuld zugesprochen, was von der Mehrheit der Deutschen als „Kriegsschuldlüge“ abgelehnt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg rückten andere Fragen in den Vordergrund, in Bezug auf 1914 dominierte nun die bereits von Lloyd George vertretene Vorstellung, alle Ländern seien gegen ihren Willen in den Krieg „hineingeschlittert“. Dieser Konsens wurde Anfang der 1960er Jahre von dem Hamburger Historiker Fritz Fischer aufgebrochen, der in mehreren Aufsätzen und vor allem in seinem Werk „Griff nach der Weltmacht“ nicht nur die weitreichenden Kriegsziele des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg aufzeigte, sondern auch die Auffassung vertrat, dass die Reichsleitung den Krieg gezielt herbeigeführt habe. Damit rief Fischer in der deutschen Öffentlichkeit vehemente Ablehnung hervor, die von wissenschaftlichen Verdammungen über persönliche Beschimpfungen bis zu dem Versuch der Bundesregierung reichten, eine Vortragsreise in die USA zu verhindern. Dass Deutschland nicht nur den Zweiten, sondern beide Weltkriege des 20. Jahrhunderts ausgelöst haben sollte, war für viele offensichtlich eine unerträgliche Vorstellung. Die so beginnende „Fischer-Kontroverse“ war jedoch trotzdem in mehrfacher Hinsicht höchst fruchtbar. Sie regte weitere Forschungen über die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges an, gab wichtige Anstöße für eine kritische Auseinandersetzung mit den Ursachen des Nationalsozialismus, und sie leistete einen wichtigen Beitrag zur theoretischen und methodischen Modernisierung der deutschen Geschichtswissenschaft, in der wirtschaftliche und soziale Interessen nun verstärkt Berücksichtigung fanden. In Bezug auf die Kriegsschuldfrage konnte Fischer zumindest einen Punktsieg erzielen. Es wird heute von keinem ernstzunehmenden Historiker mehr bezweifelt, dass die deutsche Politik in der Julikrise 1914 tatsächlich entscheidend zur Auslösung des Ersten Weltkrieges beigetragen hat. Umstritten bleibt allerdings die Frage nach den Motiven und Zielen.

Lokalisierung des Krieges auf dem Balkan?

Der deutschen Politik ging es nun vor allem darum, Österreich für den erwarteten militärischen Sieg den Rücken frei zu halten. Lokalisierung des Krieges auf den Balkan, lautete die offiziell ausgegebene Parole, während alle Bemühungen insbesondere der britischen Regierung, durch eine konzertierte diplomatische Aktion der europäischen Großmächte zu einer raschen Beendigung der Kampfhandlungen zu gelangen, von deutscher Seite teils zurückgewiesen, teils dilatorisch behandelt wurden. Der Schwarze Peter wurde so Russland zugeschoben, das entweder seinen Schützling Serbien im Stich lassen oder aber militärisch aktiv werden musste. Bestärkt durch die Zusicherung Frankreichs, im Kriegsfall mit Deutschland die Bündnispflichten zu erfüllen, machte nun auch Russland seine Truppen an der Grenze zu Österreich mobil, bereitete eine Intervention auf Seiten Serbiens vor und ließ darüber hinaus am 30. Juli die allgemeine Mobilmachung folgen. Darin wurde, insbesondere von deutschen Historikern, oft der entscheidende Schritt zur Auslösung des großen Krieges gesehen. Doch andererseits hatte die deutsche Politik vorher, zuletzt noch durch eine die Einstellung aller Mobilmachungsmaßnahmen fordernden Demarche vom 29. Juli, keinen Zweifel daran gelassen, im Falle eines militärischen Eingreifens Russlands in den österreichisch-serbischen Krieg auf Seiten des Bündnispartners zu intervenieren, wodurch sich das mit einer langen Mobilmachungsphase rechnende Zarenreich, wenn es Serbien nicht aufgeben wollte, auch an seiner Westgrenze unmittelbar bedroht sehen musste. Und den allein im Schlieffenplan festgelegten direkten Übergang von der Mobilisierung zur Kriegseröffnung vollzog schließlich das Deutsche Reich, als es nach zwei schroffen Ultimaten an Russland und Frankreich am 1. bzw. 3. August beiden Ländern den Krieg erklärte. Am selben Tag marschierten deutsche Truppen nicht nur in Frankreich, sondern auch im neutralen Belgien ein, was England nun seinerseits als Vorwand diente, den im engsten politischen Führungszirkel längst gefallenen Beschluss zur Kriegsbeteiligung umzusetzen und dem Deutschen Reich den Krieg zu erklären.

Ein „falscher Krieg“?

Der englische Historiker Niall Ferguson hat diesen Schritt in seinem umstrittenen Buch über den „falschen Krieg“ scharf kritisiert, weil er darin eine unnötige Ausweitung des eigentlich kontinental begrenzten Krieges sieht. Selbstverständlich kann man die Auffassung vertreten, dass England besser hätte neutral bleiben und dem Deutschen Reich die militärisch durchgesetzte Vorherrschaft auf dem Kontinent überlassen sollen. Doch mit der Kriegsschuldfrage sollte dies nicht vermengt werden, denn auf die aktive Auslösung des Krieges hat England eindeutig nicht hingearbeitet.

Der Erste Weltkrieg

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