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Vaterliebe

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Nachdem mein Vater aus dem Krankenhaus entlassen wurde und wieder bei uns war begann für mich als fast 5-jähriger Knirps die schönste Zeit meiner Kindheit. Was sich wohl fast jeder kleine Junge wünschte, nämlich viel Zeit mit dem Vater verbringen zu können, wurde für mich erst einmal Wirklichkeit. Durch den Arbeitsunfall meines Vaters und der anstehenden Kur zur Wiederherstellung seiner Arbeitskraft, verlor er seinen Arbeitsplatz. Die wirtschaftlichen Folgen seiner Arbeitslosigkeit waren einem Kind in meinem Alter natürlich nicht bewusst. Für mich war wichtig Papa ist zuhause und für mich jederzeit verfügbar. In der Vorweihnachtszeit packten wir für meine Oma, die in der damaligen Ostzone lebte, ein Paket mit vielen leckeren Sachen und vor allem Kaffee. Die meisten dieser Lebensmittel waren in der DDR nicht zu bekommen. Aber auch wir bekamen von der Oma zu Weihnachten ein Paket geschickt und so saß ich oft am Küchenfenster und beobachte den Paketwagen der Post. Und mit Spannung wartete ich darauf das der Paketbote auch bei uns klingelte. Oft hoffte ich vergebens, aber dann war es wieder soweit und ein Paket von Oma wurde zugestellt. Das Paket wurde dann von Mutter vereinnahmt. Es wurde erst am Heiligabend geöffnet. Jeden Tag stellte ich mir vor, was meine Oma mir wohl zu Weihnachten geschickt hatte. An einem der Adventssonntage machten wir alle zusammen einen Ausflug mit der „Weserfähre“ nach Bremerhaven. Wir tippelten zur Bürgermeister-Smidt-Straße, auf der sich die großen Warenhäuser Horten und Karstadt und C&A befanden. Es wurde ein gemütlicher Schaufensterbummel gemacht. Die Dekorateure der Warenhäuser hatten sich, wie in jedem Jahr große Mühe gemacht die Fenster mit märchenhaften Motiven zu schmücken. Jedes Kaufhaus hatte auch in einem seiner Fenster eine elektrische Eisenbahnanlage aufgebaut. Von diesen Fenstern konnte ich mich nur schwerlich abwenden. Auch wenn ich wusste das ich eine elektrische Eisenbahn nicht auf meinen Wunschzettel an das Christkind schreiben brauchte. Denn selbst mir kleinen Jungen ist es aufgefallen, dass wir auf Grund der Arbeitslosigkeit meines Vaters uns einschränken mussten. Also begnügte ich mit dem Anschauen der Fenster und träumte insgeheim davon eine Modelleisenbahn zum Spielen zu besitzen. Nach dem Schaufensterbummel kehrten wir noch in einem Café ein und aßen gemeinsam zum Kaffee, und ich zum Kakao ein Stück Kuchen. Dann schlenderten wir langsam und gemütlich wieder in Richtung „Weserfähre“ um den Heimweg anzutreten. Zuhause angekommen bereite Mutter für uns das Abendbrot zu. Papa und ich saßen dabei in unserer gemütlichen Wohnküche auf der Eckbank und schauten Mutter bei den Vorbereitungen zu. Nach dem Essen spielten wir zusammen noch einige Runden Mensch ärgere dich nicht bis dann um acht Uhr für mich Schlafenszeit war. Ein Fernsehgerät besaßen meine Eltern zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Meistens lief zur Berieselung leise ein Radio. Langsam kam der Heiligabend immer näher und meine Aufgeregtheit und Neugierde was das Christkind mir wohl unter den Weihnachtsbaum legt wurde immer größer. Am Heiligabend meinte der Wettergott es besonders gut mit uns, denn es fing am Nachmittag an zu schneien. Mutter hatte begonnen den Christbaum im Wohnzimmer zu schmücken, während ich mit Papa in der Küche saß. Am Abend gab es traditionell selbstgemachten Kartoffelsalat und schlesische Weißwurst. Nach dem Essen klingelte meine Mutter mit dem Glöckchen am Weihnachtsbaum zur Bescherung. Mit großen Augen bestaunten Papa und ich den schön geschmückten Baum auf dem echte Kerzen brannten. Nun wurden gemeinsam noch einige Weihnachtslieder gesungen während ich bereits meine Geschenke auspackte. Meine Oma hatte mir eine Holzeisenbahn geschickt. So wurde mein Traum von einer Eisenbahn doch noch wahr, wenn auch nicht eine elektrische. Von meinen Eltern bekam ich einen kleinen Kaufmannsladen mit einer kleinen Nachbildung einer Registrierkasse, in der sich, in der Kassenlade Spielgeld befand und einen Schlitten. Nachdem ich den Laden auf dem Wohnzimmertisch aufgebaut hatte und die dazugehörigen Waren einsortiert hatte musste mein Papa herhalten und den Kunden spielen. Aus dem Radio hörten wir Weihnachtslieder und eine Sendung der Deutschen Welle auf der Weihnachtsgrüße an und von Seeleuten an ihre Angehörigen gesendet wurden. Denn dieses Weihnachtsfest feierten wir das erste Mal ohne meinen großen Bruder Heinzi. Der fuhr seine erste Reise zur See und befand sich zu Weihnachten mit seinem Schiff der „Mike Legenhausen“ im Mittelmeer. Als wir gemeinsam die Sendung der Deutschen Welle lauschten waren wir alle ein wenig bedrückt und wünschten uns das es ihm gut geht. An diesem Tag habe ich meinen Bruder das erste Mal besonders vermisst und mir kullerten die Tränen herunter. An diesem Tag durfte ich besonders lange aufbleiben und mit meinen Geschenken spielen. Vor Mitternacht gab es in der Küche noch ein Stück schlesischen Mohnstrietzel danach ging es ab ins Bett.

Als ich am anderen Morgen aufwachte und aus dem Fenster schaute sah ich das es über Nacht weiter kräftig geschneit haben musste, denn alles lag unter einer dicken Schneedecke. Mein erster Gedanke war den Rodelschlitten den ich geschenkt bekommen habe auszuprobieren. Nachdem meine Eltern aufgestanden waren und Mama in der Küche das Frühstück vorbereitete, erzählte ich dem Papa von meinem Wunsch. Papa war jedoch erst einmal mit dem einheizen der Öfen beschäftigt. Dafür musste er die Öfen von den Ascheresten befreien, um dann mit Splitterholz und zerknüllter alter Zeitung das Feuer in den Öfen wieder zu entfachen. Schon nach kurzer Zeit bereiteten die Öfen wieder eine wohlige Wärme. Nach dem Frühstück nahm sich Papa meinem Wunsch an. Während Mama sich um den Festtagsbraten kümmerte schnappte Papa sich den Rodelschlitten und warm angezogen verließen wir die Wohnung. Mein Vater hatte auch schon eine Idee wo wir den neuen Schlitten ausprobieren konnten. Ich setzte mich auf den Schlitten und mein Papa zog mich durch den Schnee. Neugierig wie ich nun einmal war, wollte ich von ihm natürlich wissen, wo es hin ging. Papa erzählte mir dann das er mit mir auf den Weserdeich wollte. Der war nicht so weit entfernt und man konnte bestimmt auf der flach abfallenden Seeseite gut rodeln. Wie sich bald herausstellte war Papa nicht der einzige der diese Idee hatte, denn als wir auf dem Deich ankamen waren bereits viele Eltern mit ihren Kindern auf dem Deich, um dem Rodelvergnügen zu frönen. Durch das längere sitzen auf dem Schlitten hatte ich auch schon kalte Füße bekommen und es wurde Zeit sich mit Bewegung wieder aufzuwärmen. Nach einigen Rodelpartien, zuerst mit dem Papa gemeinsam, dann wurde ich mutiger und rodelte auch allein den Deich hinunter schnell hatte ich vergessen das mir kalt war. Das nach unten Rodeln war immer nur ein kurzer Vorgang, aber den Schlitten wieder nach oben zu ziehen war für mich schon mühsam. Aber es machte mir riesigen Spaß und vor allem wurde mir schnell wieder warm. Auch wenn wir an der Küste keine Berge haben, war das Rodeln vom Deich ein guter Kompromiss. Die Zeit verging wie im Flug und schon mussten wir los, um pünktlich zum Mittagessen wieder zuhause zu sein. Weil mir das Rodeln so gut gefallen hatte haben wir es am Nachmittag gleich wiederholt.

Mein Vater hatte nach seinem Arbeitsunfall viele Dinge zu erledigen. Schön war es, denn er nahm mich überall mit. Ob mit der Bahn in die Kreisstadt oder auch nur in den Ort, um Kohlen zu holen. Da das Geld knapp war ließ mein Vater sich die Briketts und die Eierkohlen nicht liefern. Er marschierte mit mir zu Fuß ins Dorf, um sich beim Brennstoffhändler einen Leiterwagen zu leihen. Mit Hilfe dieses Wagens brachten wir die Kohlen und Briketts selbst nach Hause. Da auf den Wagen aber immer nur drei Säcke passten, mussten wir den Weg dreimal machen. Nachdem wir die Kohlen und Briketts zuhause hatten machten wir den Weg ein viertes Mal, denn wir musste ja auch den geliehenen Leiterwagen zurückbringen. Durch diese Aktion sparten sich meine Eltern das Geld für die Anlieferung und die Gebühr für das Abtragen der Säcke in den Keller. Nach dem zurückbringen des Bollerwagens stapelte mein Vater die Briketts fein säuberlich an der Wand unseres Kellers. Alles ordentlich im Verbund und mit Zeitungspapier zwischen den einzelnen Lagen. Ich war wie immer wissbegierig und wich meinem Vater nicht von seiner Seite.

Am Nachmittag war es dann wieder Zeit mit meinem Kaufmannsladen zu spielen. Dabei versuchte mein Vater während des Spielens mein Interesse für das Rechnen und Lesen zu wecken. Das gelang ihm sehr schnell und ich fing an mich and den Umgang mit Zahlen und Buchstaben zu gewöhnen. Besonders stolz war ich, wenn mein Vater mit mir das kleine einmal eins übte. Nebenbei lernte ich auch das Abc. Nun versuchte ich, mit Hilfe meines Vaters, die verschiedenen Produkte in meinem Kaufmannladen zu lesen. Mit jedem Spielen gelang mir dies besser. Mein Vater sagte immer zu mir Übung macht den Meister. Im nächsten Schritt bekamen die Artikel in meinem Laden Preise und mein Vater zeigte mir wie man die Preise zusammenzählt. Von jetzt an, wenn mein Vater den Kunden spielte, musste ich ihm immer ausrechnen wie viel er für seinen Einkauf zu zahlen hatte. Später kam hinzu, dass wir mit dem Spielgeld den Zahlvorgang mit in das Spiel einbezogen. Nun war mein Interesse am Rechnen und Lesen geweckt, aber vor allem am Lernen. Durch das ständige Spielen mit meinem Vater verfestigte sich mein erlerntes. Und ich begann den ersten Versuch in Vaters Zeitung zu lesen. Als mein Vater das bemerkte, fingen wir gemeinsam an, Lesen in der Zeitung zu üben. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Mein Vater platzte fast vor Stolz.

Einmal im Monat gingen wir als Familie zum Friseur. Unser Stammfriseur hatte seinen Salon in Bremerhaven in der Nähe des Fähranlegers. Die Friseurbesuche waren immer so geplant, dass wir sie mit dem wöchentlichen Großeinkauf zusammenlegten. Dem Umstand geschuldet, dass wir als Familie bereits Stammkunden waren, kam es immer auch zu angeregten Unterhaltungen. Während meine Eltern nacheinander die Haare geschnitten bekamen, beschäftigte ich mich meistens mit dem weißen Königspudel des Besitzers. Auf die Frage des Friseurs, wann ich den eingeschult werde, berichtet mein Vater das dies im nächsten Jahr der Fall ist. Voller Stolz erzählte er auch von meinen Lesekünsten. Der Friseur war sichtlich erstaunt und konnte das gar nicht glauben. Mein Vater wollte es nun auf einen Versuch ankommen lassen, er war nämlich von meinem Können überzeugt. Der Friseur gab mir jetzt die Tageszeitung in die Hand und zeigte mir einen Artikel zum Vorlesen. Da ich ja mit meinem Papa viel geübt hatte gelang mir das mit Bravour. Der Friseurmeister war so gerührt das er zu mir sagte das diese großartige Leistung, die er nicht erwartet hatte, eine Belohnung Wert wäre. Er verschwand in seine Privaträume und kam nach kurzer Zeit zurück und überreichte mir eine 10 DM-Münze. Dies war eine Sonderprägung. Nach einem Dankeschön von mir, war ich nun der letzte von uns dreien der die Haare geschnitten bekam. Ich weiß nicht mehr wer mehr stolz war, mein Vater oder ich. Das war mein erstes verdientes Geld. Mit frisch geschnittenen Haaren machten wir uns nun zu Fuß auf den Weg zum Weserkaufhaus im Stadtteil Geestemünde. Auf dem Weg dorthin gab es für mich viel zu sehen, angefangen mit der alten Drehbrücke, die den Vorhafen und den Yachthafen trennte, die wir überqueren mussten kamen wir auch am Morgensternmuseum vorbei. Im Schaufenster des Museums befand sich ein Modell eines in Bremerhaven gebauten Fischdampfers. Das war wieder etwas was mich faszinierte und wir mussten hier verweilen, damit ich mir das Modell genau anschauen konnte. Als wir dann den Berliner Platz erreichten, mussten wir nur noch rechts abbiegen und unser Ziel war bereits in Sichtweite. Nach einer dreiviertel Stunde waren die geschätzten 4 Km, im gemütlichen Fußmarsch geschafft und wir hatten unser Ziel erreicht. Derzeit waren die Restaurants in den Kaufhäusern noch mit Bedienung. Wir aßen dort zu Mittag. Nach dem Essen verblieben mein Vater und ich bei einem Bier und für mich einer Limonade noch sitzen, während die Mama im Erdgeschoß die benötigten Lebensmittel einkaufte. In der Zeit während wir auf die Mama warteten durfte ich allein durch die Spielwarenabteilung schlendern. Man muss erwähnen, dass die Spielwarenabteilung unmittelbar neben dem Restaurant lag. Nach dem Die Mama mit ihren Einkäufen wieder zurück war gönnten wir uns noch ein Stück Kuchen und einen Kaffee. Nun begann unser Rückmarsch zum Fähranleger, allerdings schwer bepackt mit unseren Einkäufen. Jetzt konnte ich noch einmal bevor es auf die Fähre ging die Schiffe beobachten. Die Überfahrt mit der Fähre dauerte ca. 20 Minuten und war für mich immer ein großartiges Erlebnis. In Blexen angekommen, noch einmal 1,5 km Fußweg und unsere wöchentliche Einkaufstour war geschafft. Ohne ein Auto waren diese Touren schon beschwerlich, aber ich habe meine Eltern nie klagen hören. Ob Mütter und Väter in der heutigen Zeit noch solche Anstrengungen klaglos auf sich nehmen würden ist mit Sicherheit fragwürdig.

Von Bremerhaven bis Kiel

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