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Prolog

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Die Welt brannte. Und ich mit. Vor Zuversicht. Die Welt, so sah es aus, war im Begriff sich neu zu erfinden. Aufregende Zeiten. Baader war gerade von Ensslin und Meinhof aus der Haft befreit worden, die RAF überfiel Banken, warf Bomben und machte täglich von sich reden. Mich faszinierte das. Mein Vater sagte: »Wir stehen am Abgrund.« Dann fragte ich ihn, ob er das 1933 auch gesagt habe. Was zwangsweise im Streit endete. Ich lachte ihn aus und schrieb mich an der Uni ein.

Und abends ging ich ins Creamcheese.

Da ging man hin, wenn man ganz vorn mitschwimmen wollte und einigermaßen gut aussah. Eine echte Hürde war noch der ganz in Leder gekleidete Türsteher. Aber dann. Kilometerlange Theke mit Spiegellamellen an der Thekenwand, tief im Raum eine erhöhte Tanzfläche. Projektionen an den Wänden, flackernde Stroboblitze, eine Wand von Fernsehgeräten, auf denen Bilder von der Tanzfläche und aus dem Creamcheese liefen. Ein Inferno. Nicht nur einmal mussten sie jemanden halb ausgeknockt zum Abkühlen auf die Straße stellen. Meistens Frauen. Was natürlich auch am Qualm der fetten Joints gelegen haben mag, den auch ich nicht wirklich gut vertrug. Wenn man zwischen zwei solcher Joints an der Bar saß, musste man echt aufpassen, nicht vor lauter Albernheit vom Hocker zu fallen. Dazu lief Can, gern vor allem Tago Mago, oder Atomic Rooster, Birth Control, ansonsten musste ich passen, viele der Platten kannte ich einfach nicht. Wildes Zeug.

Oft hing der Qualm im Creamcheese so tief, dass man von den Tänzern die Oberkörper kaum mehr sah. Wenn dann noch die Frau hinter der Theke hin- und herlief, ich meine, sie hieß Mora, und über die Spiegel hinter der Bar flatterte, dann sorgte ich mich manchmal schon, ob ich das alles heil überstehen würde.

Da kam dann A Day in the Life von den Beatles ganz recht, das der DJ am Ende des Abends auflegte, eine Art Rausschmeißer. Manches Mal war das eine kleine Erlösung.

Ab und zu endete so ein Abend auch mit einer Überraschung. Gerade tönten noch die letzten schrillen Akkorde von A Day in the Life aus den Lautsprechern, da war aus Richtung Tür der Ruf »Bullen« zu hören. Von innen schien jemand die Tür zuzuhalten, während es weiter hinten etwas hektischer wurde und ein paar Tütchen mit Gras oder Haschisch in die dunklen Ecken flogen. Benebelt, wie ich war, dachte ich, es sei ein eher freundschaftliches Gerangel, bis die Polizisten an der Bar und an der Tanzfläche auftauchten, Taschen durchwühlten und sich die Ausweise zeigen ließen.

Ich hatte keinen dabei. Nicht einmal meinen neuen Studentenausweis.

Die mit Ausweisen konnten gehen, die ohne wurden im Gänsemarsch zur Wache gebracht, die nur ein paar Schritte entfernt lag. Schweigend lief ich neben einem Typ in Jeans und schwarzer Jacke her, kurze Haare, Bart um Kinn und Oberlippe. Er fiel schon ein bisschen ab, verglichen mit mir: weiße Hose, Plateausohlen und die ausrangierte Persianerjacke meiner Großmutter.

Auf der Wache hockten wir uns auf die verfügbaren Bänke, der Typ mit dem Bärtchen setzte sich neben mich und zog ein zerlesenes rotes Suhrkamp-Bändchen mit Gedichten aus der Tasche. Ich schaute ein paarmal unauffällig zu ihm rüber, bis ich den Titel entziffern konnte: Die Verteidigung der Wölfe von Enzensberger.

Ich holte mein Zigarettenetui hervor, steckte mir eine Zigarette in den Mund und bot ihm eine an. »Ist nichts drin, nur Chesterfield.«

Bevor er zugreifen konnte, fiel ein Schatten über uns, ein Polizist riss mir die Zigarette aus dem Mund und das Etui aus der Hand. Ich schoss in die Höhe, der Typ neben mir fiel mir in den Arm, bevor ich zuschlagen konnte, drückte mich wieder auf den Sitz. Unversehens war es still geworden in der Wache. Alle schauten zu uns herüber.

»Der reine Bullenterror«, sagte eine Stimme in die Stille hinein.

Der Polizist stand vor uns und schien darauf zu warten, dass ich mich doch hinreißen ließe, aber der Typ, der um einiges kräftiger war als ich, hielt mich fest, bis der Polizist zurück zu seinen Kollegen ging.

»Danke«, sagte ich und zog meine Persianerjacke aus. Ich zitterte vor Wut. Wortlos hob ich den Enzensberger-Band auf, der runtergefallen war, und blätterte ihn durch.

»Lyrik ist so gar nicht mein Ding.«

»Beruhigt aber«, gab er zurück. Leicht von oben herab, wie ich fand.

Ich betrachtete den zerfledderten Band.

»So sieht bei mir zu Hause das Kommunistische Manifest aus«, sagte ich. Er schaute mich an, mit seinem Bart sah er schon nach Landei aus. Und das mit dem Kommunistischen Manifest schien ihn zu schockieren. Ich grinste.

»Wir haben einen Hund. Der liebt das Buch.«

Verunsichert hatte ich ihn schon.

»Frank«, sagte ich nach einer Weile.

»Alexander«, antwortete er und reichte mir die Hand. Also doch ein Landei.

Klar, dass sie uns stundenlang warten ließen. Steckten Betrunkene in Ausnüchterungszellen, nahmen Anzeigen von Bestohlenen auf, ein Auge dabei immer in unsere Richtung. Zwischendurch notierten sie unsere Namen, dann wieder nichts.

So gegen drei Uhr, als die Ersten von uns aneinandergelehnt eingeschlafen waren, bauten sich zwei Polizisten vor uns auf. »Kann Sie jemand abholen und Ihre Identität bestätigen?«

Ich sah, wie Alexander den Kopf schüttelte, und sagte schnell: »Ja, klar, meine Mutter. Sie kennt dich doch auch.« Und gab dem Polizisten unsere Telefonnummer. Mein Vater, welch ein Glück, war auf Dienstreise.

Eine halbe Stunde später tauchte meine Mutter auf, in ein schwarzes Cape gehüllt, die Locken einwandfrei; unfrisiert verließ sie nie das Haus. Trotzdem sah man ihr an, dass halb vier Uhr morgens nicht ihre bevorzugte Zeit war. Sie hatte uns sofort gesehen, ich zeigte auf den Typ neben mir und sagte: »Alexander kennst du ja.« Sie verdrehte die Augen, reichte einem der Polizisten ihren Ausweis, schob das Kinn in Richtung Alexander und sagte: »Den nehmen wir auch mit.«

»Sie kennen ihn?«

»Seit ewig.«

Der Polizist reichte ihr mein Zigarettenetui und den Ausweis und straffte sich. »Wir haben die beiden in einem Lokal aufgegriffen, in dem, wie wir vermuten, mit Drogen gehandelt wird. Nimmt Ihr Sohn Drogen«?

»Soweit ich weiß, nicht«, sagte meine Mutter, laut genug, dass es alle hören konnten, »aber das kommt sicher noch. Es wäre der erste Blödsinn, dem er aus dem Weg ginge.«

Als wir die Wache verließen, wandte ich mich noch einmal um. Irgendwann würde ich denen allen den Arsch aufreißen und sie in Angst und Schrecken versetzen. Und ich sah das Bild von Ulrike Meinhof vor mir und das von Andreas Baader.

Schließlich standen wir in der frischen Nachtluft vor dem VW Käfer meiner Mutter.

»Lass uns Kontakt halten. Ich fange in diesem Semester hier an der Uni an«, sagte Alexander.

»Das passt. Ich auch.«

Er gab meiner Mutter die Hand. »Danke.«

Wir stiegen in den VW und fuhren los, ich sah ihn im Rückspiegel unschlüssig auf der Straße stehen, rief »Halt mal!«, und meine Mutter trat mit einem »Dachte schon, du lässt ihn mit Absicht auf der Straße stehen« auf die Bremse. Ich sprang raus.

»Wo musst du eigentlich hin?«

»Nach Benrath.«

»Ja dann.« Ich zeigte auf den Rücksitz.

Alexander stieg ein.

Der Mitläufer

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