Читать книгу Die Psychoanalyse nach Freud - Wolfgang Schmidbauer - Страница 6

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Wenn wir die Zeit der ersten »Studien über Hysterie« als Geburt der Psychoanalyse ansehen, ist sie 1913 volljährig geworden.14 Damals fasste Freud die mit gewissen Abwandlungen bis heute gültigen Grundgesetze der psychoanalytischen Privatpraxis zusammen. Er hat daran festgehalten, wie zur Zeit der hypnotischen Behandlung den Kranken auf ein »Ruhebett« – also ein bequemeres Möbel als die harte Untersuchungsliege, die in jeder Arztpraxis steht – lagern zu lassen. Aber während in der Hypnose der Arzt im Gesichtskreis des Kranken tätig wird, nimmt der Analytiker ungesehen hinter dieser Couch Platz.

Freud begründet das mit einem persönlichen und mehreren sachlichen Motiven. Das persönliche (das andere mit ihm teilen werden) sei, dass er es nicht vertrage, viele Stunden am Tag angestarrt zu werden. Darüber hinaus überlässt sich der Analytiker während des Zuhörens selbst dem Ablauf seiner unbewussten Gedanken und möchte es vermeiden, dass der Patient aus seiner Miene Stoff für Deutungen gewinnt oder sich durch mimische Reaktionen des Analytikers beeinflussen lässt.15

Viele Patienten protestieren, wenn sich die Person, auf die sich ihre Hoffnungen richten, ihrem Blick entzieht. Freud verbindet das mit dem Anteil an Schautrieb (Voyeurismus) in der Neurose und schlägt vor, dennoch darauf zu beharren, weil durch die Unsichtbarkeit des Analytikers die Übertragung schärfer hervortrete. Sie könne sich nicht wie beim Arbeiten von Angesicht zu Angesicht so leicht mit der Entwicklung der Einfälle im analytischen Prozess vermischen.

Das ist durchaus richtig, setzt aber eine gewisse Stabilität des Patienten und seine Bereitschaft voraus, die Übertragung – wenn nicht selbst zu thematisieren – doch als Thema anzunehmen, vor allem, wenn sie zum Widerstand geworden ist.

Dann wird dem Patienten16 erklärt, dass der Analytiker viel von ihm wissen müsse, eher er imstande sei, etwas Hilfreiches zu sagen. Er könne mit seiner Kindheitsgeschichte beginnen oder mit seinen aktuellen Symptomen oder Problemen; in beiden Fällen müsse er jedoch die Grundregel der Psychoanalyse beachten – die absolute Wahrhaftigkeit im Tausch gegen eine ebenso absolute Diskretion.

Freud formuliert die Grundregel so: »Noch eines, ehe Sie beginnen. Ihre Erzählung soll sich doch in einem Punkte von einer gewöhnlichen Konversation unterscheiden. Während Sie sonst mit Recht versuchen, in Ihrer Darstellung den Faden des Zusammenhangs festzuhalten und alle störenden Einfälle und Nebengedanken abzuweisen, um nicht, wie man so sagt, aus dem Hundertsten ins Tausendste zu kommen, sollen Sie hier anders vorgehen. Sie werden beobachten, dass Ihnen während Ihrer Erzählung verschiedene Gedanken kommen, welche Sie mit gewissen kritischen Einwendungen zurückweisen möchten. Sie werden versucht sein, sich zu sagen: Dies oder jenes gehört nicht hierher, oder es ist ganz unwichtig, oder es ist unsinnig, man braucht es darum nicht zu sagen. Geben Sie dieser Kritik niemals nach und sagen Sie es trotzdem, ja gerade darum, weil Sie eine Abneigung dagegen verspüren. Den Grund für diese Vorschrift – eigentlich die einzige, die Sie befolgen sollten – werden Sie später erfahren und einsehen lernen. Sagen Sie also alles, was Ihnen durch den Sinn geht. Benehmen Sie sich so, wie zum Beispiel ein Reisender, der am Fensterplatze des Eisenbahnwagens sitzt und dem im Inneren Untergebrachten beschreibt, wie sich vor seinen Blicken die Aussicht verändert. Endlich vergessen Sie nie daran, dass Sie volle Aufrichtigkeit versprochen haben, und gehen Sie nie über etwas hinweg, weil Ihnen dessen Mitteilung aus irgendeinem Grunde unangenehm ist.«17

Die Grundregel ist gleichzeitig sehr einfach und sehr kompliziert: Einfach, weil sie keinerlei spezifische Leistung erfordert, sondern nur den Verzicht auf Kontrolle, Ordnung, Zielstrebigkeit. Und kompliziert, weil sie diese Aufgabe einem Erwachsenen auferlegt, der schließlich nur dann überhaupt eine Analyse beginnen kann, wenn er einen langen Entwicklungsprozess durchgemacht hat, in dem er durch eben die Mechanismen zu seelischer Stabilität gefunden hat, auf die er jetzt verzichten soll.

Es gibt Menschen, die sich zunächst gut an die Grundregel halten können. Das heißt aber nicht, dass sie sich auch dann noch an ihr orientieren werden, wenn beschämende oder mit Schuldgefühlen belastete Inhalte zu bearbeiten sind.

Andere hingegen tun sich anfänglich sehr schwer. Unerfahrene analytische Therapeuten unterschätzen häufig die Anfangsschwierigkeiten. Sie halten Blockaden für einen »Widerstand«, die sich eher auf die ungewohnte Situation und die mangelhafte Anleitung durch den Analytiker zurückfuhren lassen als auf eine Abwehr unbewusster Inhalte. Ein Beispiel:

Der angehende Analytiker absolvierte seine Ausbildung neben seiner Tätigkeit als Kinderarzt in einer Kleinstadtpraxis. Er berichtete in der Supervision von einer Patientin, dass diese bald nach Behandlungsbeginn heftige Widerstände entwickelt habe und während der Sitzungen in gequältem Schweigen verharre. Verweise auf die Grundregel fruchteten ebenso wenig wie Widerstandsdeutungen. Schweigendes Abwarten, mit dem er es in letzter Zeit versuche, belaste ihn und führe dazu, dass er sich sehr in Frage stelle, ob er etwas falsch mache, einfach die richtige Deutung des Widerstands nicht finde.

Als Kinderarzt hatte er sich der Mentalität seiner Klientel angepasst und war immer bereit gewesen, über alltägliche Dinge zu plaudern, einen Scherz zu machen oder besorgte Fragen der Mütter zu beantworten. Als Analytiker hatte er die 30-jährige Bäuerin, die er aus der Behandlung einer ihrer Töchter kannte, plötzlich ganz anders behandelt als vorher.

Der freundliche Kinderarzt verwandelte sich in einen ernsthaften Therapeuten, der von seiner Klientin – sie litt an einer Angstneurose – forderte, sie solle ganz offen sein, alles sagen, was ihr durch Kopf und Gemüt gehe, er werde mit diesem Material arbeiten, aber keine direkten Fragen mehr beantworten. Denn das war ihr anfangs am nächsten gelegen: mit ihm über die Sorgen mit den Kindern zu sprechen. Da müsse sie eben die Kinderärztin fragen, zu derer sie überwiesen hatte, als er sie als Patientin für eine Psychoanalyse annahm.

In der Supervision fiel dem Arzt auf, welche Umstellung er seiner Klientin zugemutet hatte. Diese hatte zu allem, was er vorschlug, scheinbar willig ja gesagt. Darin wiederholte sie – wie sich später herausstellte – die Geschichte ihrer Vaterbeziehung und die ihrer Ehe; in beiden Fällen hatte sie erst nachgegeben und sich dann trotzig gewehrt.

Die Rückkehr zu seinem natürlichen Umgang mit seinen Patienten führte dazu, dass die Analysandin weniger schwieg, mehr Material brachte und der analytische Prozess in Gang kam. Gleichzeitig fühlte sich auch der Arzt wohler. Die Stunden waren keine schwere Aufgabe mehr, die er mit Hilfe von Selbstdisziplin und Leistungsbereitschaft durchstehen musste. Erfreute sich darauf die Klientin zu sehen und einmal länger mit einer jener Frauen zu sprechen, deren Lebenssituation er im Sprechstundenbetrieb immer nur ansatzweise kennen lernte.

Supervisoren kennen die Neigung angehender Therapeuten, viel zu früh anzunehmen, dass ein Klient etwas gegen die Behandlung einzuwenden hat. Er äußert nach ihrem Urteil Widerstände: latente Aggressionen, mangelnde Mitarbeit und Gesprächsbereitschaft. In Wahrheit handelt es sich gar nicht um Zeichen fehlender Eignung oder Motivation zur Behandlung, sondern um mangelnde Aufklärung über die gemeinsame Arbeit und unrealistische Ansprüche des Therapeuten, von seinem Klienten so wahrgenommen zu werden, wie er sich das wünscht.

Aus den Quellen über den Beginn der Psychoanalyse wird deutlich, wie sehr die heutigen Abstinenzvorstellungen aus einer Gegenbewegung entstanden sind. Die Abstinenz sollte die Verwurzelung der Analyse in hypnotischer Suggestion beseitigen. Während der späte Freud den Anaytiker mit einem Chirurgen vergleichen will, der doch mit kaltem Sinn und unerschüttertem Blick in blutendem Gewebe arbeitet, gesteht der frühe durchaus zu, dass es notwendig ist, sich für den Menschen hinter den Symptomen wahrhaft zu interessieren, wenn man die Voraussetzung schaffen will, ihm zu helfen.

Er könne, sagt Freud in seinem Frühwerk, einen Tabiker oder Tuberkulösen behandeln, auch wenn ihn die Person des Kranken nicht zur Teilnahme reize. Bei einer Neurotikerin oder einem Neurotiker sei das nicht der Fall. Freud bekannte damals noch freimütig, bei wertlosen Personen und unangenehmen Charakteren lasse ihn das psychologische Interesse bald im Stich.

Als Gegenbeispiel, um einen tatsächlich im Unbewussten wurzelnden Widerstand gegen die Grundregel zu Beginn einer Analyse zu veranschaulichen, eine von Ralph R. Greenson mitgeteilte Fallskizze.

Eine Patientin sagt einmal in den ersten Wochen ihrer Analyse, dass sie ein bestimmtes Wort einfach nicht aussprechen könne. Da sie gewöhnlich gut mitarbeitet, wartet der Analytiker ab, ob es ihr gelingt, sich an die Grundregel zu halten. Als er dann sieht, wie sie mit sich kämpft, fragt er sie: »Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie das Wort gesagt hätten?« Die Patientin antwortet, sie würde sich vernichtet fühlen, hässlich wie ein Wurm oder ein Insekt, die sich unter schmutzigen Steinen verstecken.

Sie kommt dann von selbst auf ihre Übertragungsphantasie und fährt fort: »Sie wären angewidert von mir, Sie würden mich verabscheuen, Sie wären schockiert und abgestoßen und Sie würden mich auffordern, wegzugehen.« Der Analytiker schweigt weiter. Die Patientin fährt fort: »Das ist ja lächerlich, Sie würden das überhaupt nicht tun … aber so fühle ich es. Ich reagiere, als würde Sie das Wort aus der Fassung bringen.«

Jetzt erzählt die Patientin eine Szene aus ihrer Kindheit, in der sie das Wort im Elternhaus beim Mittagessen mit ihrer Mutter zum ersten Mal gesagt hatte; sie wollte witzig sein. Die Mutter reagierte entsetzt und befahl dem neunjährigen Mädchen, vom Tisch aufzustehen und erst wiederzukommen, nachdem sie sich den Mund mit Seife ausgewaschen habe. Die Neunjährige hatte durchaus geahnt, dass es ein »schmutziges« Wort war, aber sie war durch die Reaktion der Mutter traumatisiert. Erst nach dieser Erzählung konnte sie jetzt Greenson das böse Wort mitteilen: »fuck« (ficken). Von da an konnte sie dieses Wort auch in der Analyse gebrauchen.

Freud verweist bereits 1913 auf eine weitere Komplikation: Obwohl sich die Patienten verpflichtet haben, alles zu sagen, halten sie plötzlich inne und behaupten, das gelte doch nur für ihre eigenen Intimitäten, nicht aber für Beziehungen zu anderen Personen. Der Analytiker besteht darauf, dass wirklich alles preisgegeben wird. Auch auf Namen darf er nicht verzichten. Freud verwendet hier ein drastisches Beispiel: Wenn es ein Asylrecht an einem einzigen Platz der Stadt gäbe, müsste man schließlich auch nicht lange warten, bis sich alles Gesindel genau dort versammelt habe.

Solche Metaphern zeigen, dass Freud dem Analytiker durchaus kämpferische Qualitäten zuschreibt; er setzt noch, viel stärker als das spätere Analytiker tun, das »Arbeitsbündnis« (Greenson) selbstverständlich voraus. »Die psychoanalytische Behandlung muss sich über alle Rücksichten hinwegsetzen, weil die Neurose und ihre Widerstände rücksichtslos sind.«18 Er habe einmal versucht, einen hohen Beamten zu behandeln, der sich durch seinen Diensteid genötigt sah, ihm »Staatsgeheimnisse« zu verschweigen. Die Behandlung sei gescheitert.

Vorbereitungen auf die Stunde, Anordnungen des Materials sieht Freud durchweg als Zeichen eines Widerstands. Die Einrede, dass der Kranke doch nur Zeit sparen, schneller vorankommen wolle, lässt er nicht gelten. Durch die vorherige Ordnung werde nur das Auftauchen unerwünschter Einfälle verhindert; gerade diese seien aber besonders interessant. Ähnliches gilt für eine andere Form der Vorbereitung: die Nebenanalyse, in der einem engen Freund oder dem Ehepartner das analytische Material vorher berichtet wird. Die Kur, notiert Freud, »hat dann ein Leck, durch das gerade das Beste verrinnt.«19 Es ist dann sinnvoll, den Patienten anzuhalten, die Behandlung ohne fremde Mitwisserschaft durchzuführen; später, wenn der analytische Prozess in Gang gekommen ist, treten solche Probleme nur noch sehr selten auf. Wenn der Kranke möglichst wenige Personen zu Mitwissern macht, schützt er sich vor unerwünschten Einreden.

Wie kommt nun ein analytischer Prozess in Gang? Es ist vielleicht hilfreich, sich hier an eine den meisten Menschen vertraute Lernsituation zu erinnern: die ersten Erfahrungen mit dem Lenken eines Automobils. Während der routinierte Fahrer gemütlich Musik hören oder telefonieren kann, wenn er sein Vehikel durch dichten Stadtverkehr lenkt, fühlt sich der Anfänger dadurch überfordert, dass er sich zwar jede einzelne Aktion – also Steuern, Gasgeben, Schalten, auf Ampeln und Fußgänger achten – nach kurzer Übung zutraut, jedoch nicht damit fertig wird, dass er das alles gleichzeitig erledigen muss.

Er würde so gerne nur lenken, oder anhalten und schalten, oder die Bedeutung eines Verbotsschildes klären. Ähnlich wäre es schön, wenn der Patient in Analyse sich zunächst an die Grundregel hält, dann in Widerstand gerät, schließlich die Übertragung entdeckt, angesichts derer sich dann eine Gegenübertragung beim Therapeuten entwickelt. Beide verharren dann auf jeder Stufe so lange, bis sie durch Deutungen aufgeklärt und die nächste erreicht ist.

In der Praxis hingegen kommt alles gleichzeitig und durcheinander. Oft ist die Gegenübertragung vor der Übertragung da (der Analytiker reagiert emotional auf den Patienten; dieser versachlicht ihn erst einmal zum neutralen Experten). Der Widerstand verschmilzt mit der Übertragung; der Patient schweigt oder redet pausenlos, sodass der Analytiker keine Deutung unterbringen kann – er macht die Methode der freien Einfälle zum Widerstand.

Dieses Dilemma der Gleichzeitigkeit spürt auch der Analytiker, welcher in dieser Methode unterrichten will, ebenso wie in unserem Fall der Autor eines einführenden Textes. Da in dem analytischen Prozess zwei Menschen mit allen – gerade auch den unbewussten – Anteilen ihrer Person in Wechselwirkung treten, lässt sich beispielsweise ein Traum nicht deuten, ohne das Konzept des Widerstands zu kennen, ein Symptom nicht verstehen, ohne zu wissen, was Abwehrmechanismen sind. Um einen Teil zu erkennen, müsste man im Grunde das Ganze mindestens erahnen.

Die Psychoanalyse nach Freud

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