Читать книгу Herzogs Höhenflug - Wolfgang Sréter - Страница 7

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Herzog war zufrieden. Gerade war er aus der U-Bahn am Odeonsplatz gestiegen. Die Rolltreppe brachte ihn einen Stock höher. Bevor er die nächste Treppe nahm, ging er auf das Schaufenster eines Möbelgeschäfts zu, in dem ein Spiegel hing. Er betrachtete sich.

Können Sie den Mann beschreiben? – Naja. – Das Alter? – Etwa um die dreißig? … vielleicht auch jünger … oder nein, doch ein wenig älter. – Größe? – Ich würde sagen eins fünfundsiebzig … er kann aber auch kleiner sein. – So groß wie Sie? – (zögernd) Ja. – Dick oder dünn? – So mittel. – Haarfarbe? Blond, schwarz, brünett? Grün? – Also ich bitte Sie, grün! Schwarz auf keinen Fall, aber blond auch nicht! Er könnte dunkelblond gewesen sein. – Wie war er denn gekleidet? – Jacke, Hose, unauffällig, ja auf jeden Fall unauffällig! Gedeckte Farben. – Würden Sie den Mann bei einer Gegenüberstellung wiedererkennen? – Ich hoffe. – (mit Ungeduld in der Stimme) Und Sie sind sicher, dass es sich um ein männliches Wesen gehandelt hat? – Meinen Sie, es könnte auch eine Frau mit kurzen Haaren gewesen sein? – Ich war nicht dabei!

So muss man sein, dachte Herzog im Weitergehen, wenn man bei seiner Tätigkeit erfolgreich sein will. Unauffällig! So unauffällig wie nur irgend möglich. Es war ihm gelungen, eine Eigenschaft, unter der er als Teenager gelitten hatte, in seinen Vorteil zu wenden. Er betrat den Hofgarten und ging mit anderen Besucherinnen und Besuchern auf den Herkulessaal zu. Vor dem Eingang unter den Arkaden spielte ein Petersburger Bläserquintett. Herzog ließ wie immer zwei Euro in einen offenen Instrumentenkasten fallen. Er war überzeugt, es würde Glück bringen. Einer der Musiker unterbrach sein Spiel und trat auf ihn zu. Er flüsterte mit einem starken Akzent: „Ich wünsche, dass Ihnen der Tod so fern ist wie die Armut, mein Herr!“

Am Buffet im Foyer der Münchner Residenz holte er sich zwei mit Lachs belegte Brötchen, stellte sich an einen der Bistrotische am Fenster und beobachtete die Menschen. Durchwegs ältere Semester, wie sein Onkel Eugen gesagt hätte, in aufgeräumter Stimmung. Dazwischen Studentinnen der nahen Musikakademie und eine Gruppe Kritiker mit zerfurchter Stirn und ernster Miene. Wahrscheinlich hatten sie Dvořáks Slawische Tänze schon oft gehört und kamen nur wegen der Prager Philharmoniker, die in München selten gastierten. Und wehe, der Dirigent hatte einen schlechten Tag oder erlaubte sich ungewöhnliche Interpretationen. Vernichtende Strenge der Herren mit den Schreibblocks und den Kugelschreibern würde ihn treffen. Herzog las manchmal am nächsten Tag die Kritiken und wunderte sich, was er alles nicht gehört hatte.

Plötzlich wurde seine ganze Aufmerksamkeit von einem Paar angezogen, das mit großem Auftritt angerauscht kam. Der Mann, einen Kopf kleiner als seine Begleiterin und um einige Jahre älter, versuchte mit ihren ausladenden Schritten mitzuhalten. Das war nicht leicht, denn er trug zwei große Tüten mit der Aufschrift einer italienischen Modefirma, die für ihren Hang zu Glamour, Gier und letztlich auch Mord bekannt war. Die Tüten mussten Wertvolles enthalten, da man sie nicht in der Garderobe lassen wollte. Offensichtlich kamen die beiden direkt aus der Maximilianstraße, wo sie sich der schwierigen Aufgabe gestellt hatten, Neues aus der Winterkollektion zu erstehen und, gemäß dem Slogan der Firma, Schönes in die Welt zu bringen. Eine Schönheit, die einzig und allein in der Brieftasche des Betrachters lag. Am Eingang zum Konzertsaal kam es zu einem Disput mit den Ordnern, die Tüten einer solchen Größe in einem Klavierkonzert nicht akzeptieren wollten. Die Dame, mit den Eintrittskarten wedelnd, setzte sich durch, und triumphierend steuerte sie ihren Sitzplatz im Parkett an. „Kreditkartentypen“ dachte Herzog. Uninteressant für einen wie ihn. Er sollte sich täuschen.

Beim zweiten Läuten nahm auch Herzog seinen Platz auf der Empore ein. Diese Plätze hatten den Vorteil, dass man das Parkett beobachten und bei vielen Konzerten ein oder zwei Sitze vom Nachbarn abrücken konnte. Er kam an diesem Abend natürlich nicht wegen der Slawischen Tänze, aber er konnte durchaus die Konzerte genießen, die er besuchte. Schon der erste Tanz riss ihn mit fort. Warum war man im Musikunterricht mit der Schwere Beethovens traktiert worden, wenn es klassische Musik gab, aus der Lebensfreude, Leichtigkeit und Zartheit geradezu heraussprangen? Der Schwung der Komposition schien auch in den Dirigenten in seinem Frack gefahren zu sein, denn er ruderte vor seinem Orchester herum, als müsste er die Geigen, Oboen, Querflöten, Trompeten und Posaunen geradezu vor sich hertreiben. Der zweite Tanz war zunächst schwermütig und getragen, ging aber am Ende in eine hüpfende Walzermelodie über. Der dritte Tanz begann mit den Bläsern, fast wie auf einem der Volksfeste, die Onkel Eugen gern mit ihm besucht hatte und auf denen er ein begehrter Polkatänzer gewesen war.

Das Publikum nahm die Beschwingtheit mit in die Pause. Selbst das Gedränge am Buffet kam Herzog weniger aufgeladen vor als an anderen Abenden. Wie durch Zufall wurde er hinter den Herrn geschoben, der noch immer die beiden Tüten zu bewachen hatte. Seine Begleiterin bestellte gerade. Der Herr ließ die beiden Tüten sinken und holte ein Bündel Banknoten in einer Geldklammer aus der Jackentasche. Herzog hörte:

„Nix da, Schatz! Du hast die Karten bezahlt, der Prosecco geht auf meine Rechnung“, dann um einige Grade schärfer, „und stell mir nix auf den Boden!“

Sofort verschwand das Geld in der Jackentasche und der Schatz nahm die beiden Tüten wieder auf. Er hielt sie vorsichtig ein wenig vom Körper ab, als hätte er Angst, es könnte etwas zerbrechen. Aufgesetzte Jackentaschen ohne Klappen, schon ein wenig ausgebeult, waren wie geeignet für einen schnellen Erfolg. Herzog stellt sich ganz nah an den Mann und hatte im Bruchteil einer Sekunde die Scheine verdeckt in seiner Hand. Freundlich ließ er dem hinter ihm Stehenden den Vortritt und ging auf die Toilette. Er hatte sich wirklich getäuscht, denn er war um siebenhundertdreißig Euro reicher, ohne dass er es darauf angelegt hatte. Er verstaute das Geld in einer versteckten Jackentasche. Nicht nur die Musik war an diesem Abend ausgezeichnet!

Solches Glück hatte er nicht immer. Nun hätte Herzog das Konzert verlassen können. Es wäre allerdings unvorsichtig gewesen, in der Pause an den Garderobenfrauen vorbeizugehen. Nicht aufzufallen war das Wichtigste. Er blieb auch im zweiten Teil des Konzerts auf seinem geschützten Platz auf der Empore und verließ am Schluss das Gebäude durch den Hintereingang, Richtung Residenzstraße. Man musste seine Einnahmequellen schützen. Er wäre nicht erfreut gewesen, wenn er eines Tages am Eingang ein Schild gesehen hätte: Achten Sie bitte auf Ihre Wertsachen!

Herzog zahlte das Geld noch am selben Abend an einem Bankautomaten ein. Er besaß drei Konten. Ein offizielles, von dem auch seine Krankenkasse und die Miete abgebucht wurden, ein zweites, von dem er jeden Monat einen bestimmten Geldbetrag auf das offizielle überwies, als würde er ein Gehalt beziehen, und ein drittes, das seine Reserve darstellte und das er nur anrührte, wenn es eine Durststrecke gab. Kontenmäßig war er ein junger Mann mit bürgerlichem Anstrich.

Herzogs Höhenflug

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