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Prolog

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»LOS!«

Melina rannte den kleinen Hügel hinauf. Ihre Beine schmerzten und kleine, fiese Stiche durchzuckten ihre Seite. Sie hörte das Keuchen der beiden Jungen hinter ihr. Mist, sie hatten sie beinahe! Sie grinste trotz ihrer Erschöpfung.

Jemand packte sie am Arm und sie kam ins Straucheln. Dann rannten beide Jungen in sie hinein und gemeinsam kugelten die drei Jugendlichen über die weiche Wiese. Hände packten Melina.

Sie keuchte auf, als sie durchgekitzelt wurde. Versuchte sich zu wehren, doch gegen die beiden Jungen hatte sie keine Chance. „Erik! Daniel! Hört auf!“

Endlich ließen die beiden von ihr ab. Schwer atmend lag Melina auf dem Rücken und sah hinauf in den blauen Himmel. Die Sonne schickte ihre warmen Strahlen hinab und wärmte ihr erhitztes Gesicht. Ihr Puls beruhigte sich allmählich und sie setzte sich auf.

Von der Hügelkuppe aus hatte sie hervorragende Sicht auf Schäferhof mit den Hochhäusern und dem Industriegebiet. Wie immer, wenn sie die qualmenden Schlote sah, war sie erleichtert, im ruhigen Vorwort zu leben. Wenn sie sich anstrengte, konnte sie ihr Elternhaus ausmachen.

»Du stellst dich vielleicht an.«

Melina sah zu Erik, der sie angrinste. »Blödmann.«

Sie schubste ihn und er ließ sich lachend zur Seite fallen. Kopfschüttelnd wartete sie, bis er sich wieder aufrichtete. In der Zwischenzeit betrachtete sie ihn. Er trug seine feuerroten Haare kurz, im letzten Jahr musste er viel Sport getrieben haben. Als ihr bewusst wurde, dass sie ihn anstarrte, schaute sie mit heißem Kopf zur Seite zu Daniel.

Er war zwei Jahre älter als sie und würde nächsten Sommer achtzehn werden. Im Gegensatz zu seinem eher stämmigen Bruder war Daniel groß und schlank, seine Haare ließ er sich seit ein paar Monaten wachsen. Es gefiel Melina, aber ihre Augen wurden wie magisch von Erik angezogen, der sich aufrappelte.

Mit einem mulmigen Gefühl im Magen, das sie sich nicht erklären konnte, fragte sie: »Habt ihr wieder nette Mädchen im Dorf gefunden?«

Erleichtert sah sie, wie die Geschwister synchron den Kopf schüttelten. Sie waren ständig auf der Suche nach willigen Opfern, wie Melina es nannte. Dabei ging es ihnen darum, Mädels anzumachen, und das um die Wette.

»Also in der Schule gibt’s bessere.«

Melina verdrehte die Augen. »Ihr und euer tolles Internat. Freut euch doch, dass morgen die Ferien wieder um sind und ihr endlich zurückdürft.«

Sie sah ein weiteres Mal in den Himmel hinauf, um sich ihre Trauer nicht anmerken zu lassen. Warum waren die Eltern der beiden so alternativ, dass sie ihre Kinder außerhalb der Stadt aufzogen und zu allem Übel auch noch weit weg zur Schule schickten?

Erik unterbrach ihren Gedankengang. »Habt ihr vorhin Henry gesehen? Der saß am Brunnen und hat wieder ein Mädel abgeschleckt.«

Daniel nickte. »Und abgeschleppt.«

»Ja, das auch.«

»Ich hasse diesen Kerl.« Stirnrunzelnd schnippte Melina einen Grashalm von ihrer Hose.

Erik lehnte sich zurück und stützte sich mit den Unterarmen auf der Wiese ab. »Wusstet ihr, dass er und seine drei Kumpel schon ein paar Einbrüche und Diebstähle begangen haben sollen?«

»Na ja, verwunderlich wäre es ja nicht.« Daniel streckte sich und gähnte ungeniert.

Melina wusste mehr, denn ihre Mutter arbeitete für die hiesige Tageszeitschrift. »Wusstet ihr auch das Allerdümmste? Sie prahlen damit, dass die Initialen ihrer Vornamen den Namen Hure ergeben.«

Während Erik konsterniert dreinschaute, lachte Daniel: »Also die Initialen von unseren Geschwistern ergeben dann…«

»PJED.« Jetzt grinste Erik wieder.

Melina lächelte. »Tja, da hat sich eure Mutter ja ganz schön vertan.«

»Wir sollten los, wir wollten doch noch Eis essen.« Mit den Worten stand Erik auf und klopfte sich die Grashalme von der kurzen Hose.

Glücklich nahm Melina seine dargebotene Hand und ließ sich hochhelfen. Während sie sich auf den Weg ins Dorf hinab machten, fiel Melina ins Grübeln. Sie liebte die Zeit, die sie mit den Brüdern verbrachte. Und sie ertappte sich erneut, wie sie zu Erik hinüberschielte. Hitze stieg erneut in ihre Wangen auf.

»Wenn man vom Teufel spricht.« Daniels Gesicht verdüsterte sich.

Ihnen kamen die Jugendlichen entgegen, über die sie vor wenigen Minuten gesprochen hatten. Ihre Münder verzogen sich zu höhnischen Grimassen, als sie die Drei sahen.

»Sieh an, sieh an, die Hinterwälder und das hässliche Entlein.«

»Halt die Klappe, Uwe.« Erik ballte die Hände zu Fäusten.

Beruhigend legte Melina ihm ihre Hand auf den Oberarm. So verhalten und abgeklärt Erik normalerweise war, sobald man etwas gegen ihre Familie sagte, war mit ihm nicht zu spaßen.

»Halt die Klappe, Uwe.« Der Angesprochene äffte Erik nach und die anderen lachten.

Melina spürte den wachsenden Unmut der beiden Jungen neben sich. Sie griff nach ihren Händen und zog sie mit sich. »Ach, lasst die Idioten doch. Sollen sie sich in ihrem Huren-Dasein baden und wohlfühlen.«

Das brachte Daniel und Erik zum Lachen, die Anspannung fiel von ihnen ab.

Melina warf einen letzten Blick über die Schulter und sah die hasserfüllten Mienen der vier Jugendlichen. Mist, hatte sie so laut gesprochen? Um abzulenken, sagte sie: »Sehen wir uns morgen?«

»Ja, der letzte Tag der Ferien.« Erik sah geknickt zu ihr hinunter. »Und dann gehts ab zur Schule.«

»Total doof.« Melina zog eine Schnute.

Ihr Inneres schlug einen Purzelbaum, als Erik sie anlächelte. »Wir sehen uns ja in den Herbstferien wieder.«

Auf dem Marktplatz verabschiedeten sie sich. Melina schlug ihren Heimweg ein und dachte an die Begegnung mit den vier Jungen. Sie konnte diese Clique nicht leiden. Zwei von ihnen gingen in ihre Klasse. Sie waren beide im letzten Jahr sitzen geblieben und taten auch jetzt nicht allzu viel, um ihre Einstellung zu ändern. Die beiden anderen waren zwei Jahre älter und volljährig. Sie gingen weder zur Schule noch arbeiteten sie.

Dagegen waren die zwei Brüder total anders. Als sie Melina erzählt hatten, dass sie insgesamt vier Kinder waren, war sie beeindruckt gewesen. Sie war Einzelkind. Manchmal furchtbar langweilig.

Zusammen mit Tammy, ihrer Freundin aus Kindertagen, waren die beiden ihre besten Freunde. Melina lächelte, als sie die Tür aufschloss und die erleuchtete Wohnung betrat. Wenigstens sah sie Erik und Daniel in den nächsten Ferien wieder.

Wie sie sich täuschte.

LOS

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