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Fassungslos

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Die ersten Sonnenstrahlen weckten Erik früh am Morgen. Unten hörte er seine Mutter herumwerkeln und von draußen drangen ihm verschiedene Geräusche ans Ohr. Vögel zwitscherten und sein Vater war in der Garage beschäftigt. Wahrscheinlich baute er wieder an einem seiner Motorräder herum.

Gähnend stand Erik auf. Wahnsinn, war er müde. Man sollte vielleicht früher ins Bett gehen und nicht bis tief in die Nacht mit seinem Bruder zechen. Sie hatten sich lange nicht gesehen, da war die Zeit wie von selbst verflogen. »Morgen.«

Daniel blinzelte verschlafen, doch sogleich huschte ein Grinsen über sein Gesicht. »Du siehst ja fit aus.«

Er riss sich die Decke vom Leib und warf sie achtlos zur Seite.

Als er aufstand, wurde Erik erst bewusst, was er da gerade anstarrte. »Dein Ernst? Kannst du beim Schlafen nicht wenigstens eine Boxershorts tragen?«

Irritiert blickte Daniel an sich herab. »Nö, warum?«

Entgeistert schmiss Erik seinem Bruder ein Shirt entgegen. »Weil mir eh schon flau im Magen ist vom Alkohol.«

Das brachte seinen Bruder zum Lachen und Erik gab es auf. Daniel war der bunte Vogel der Familie, was er auch durch die vielen Tattoos zum Ausdruck brachte, die seinen gesamten Körper bedeckten. Ihre Mutter hatte einen halben Herzinfarkt erlitten, als sie ihn das erste Mal oben ohne gesehen hatte.

Auf dem Weg ins Bad schaute Erik bei seiner kleinen Schwester Jana ins Zimmer hinein. Sie spielt mit einem Traktor, doch als sie ihn sah, sprang sie auf und hüpfte ihm in die Arme. »Morgen, Brüderchen.«

Als Antwort kitzelte er sie durch und sie wand sich kichernd. Er ließ sie hinab, da gluckste sie und hüpfte Richtung Küche. Kleiner Wirbelwind.

Nachdem sich Erik im Bad fertiggemacht hatte, ging er in die Küche hinab. »Morgen.«

Er unterdrückte ein Gähnen. Jana kicherte. Sie saß am Küchentisch und las in einem Buch.

»Hallo, Erik. So früh schon auf?«

Seine Mutter lächelte und widmete sich ihrer geliebten Hausarbeit. »Heute fangen die Ferien an und Paul kommt nach Hause. Ich bin mal gespannt, wie es ihm in seinem ersten Jahr gefallen hat. Ihr habt das Internat ja geliebt, aber er war ziemlich skeptisch gewesen.«

Erik nickte und widmete sich seinem Frühstück.

»Morgen!« Daniel hatte es geschafft, sich anzuziehen. Auch wenn es sich um eine Shorts und ein enges Achselshirt handelte, die in Eriks Augen zu kurz und knapp für einen Mann waren.

Als sie aufgegessen hatten, erhob Daniel sich. »Ich verschwinde.«

»Wohin?« Alarmiert betrachtete ihre Mutter ihn.

»Treff mich heute mit Clemens.« So heiter die Worte dahingesagt waren, konnte Erik den Missmut aus der Stimme seines Bruders heraushören. Es lag nicht nur an der Tatsache, dass Daniel einfach nicht der Typ für feste Beziehungen war und Clemens vermutlich bald den Laufpass geben würde.

»Ah«, sagte ihre Mutter deutlich kühler und wandte sich der Spüle zu.

Daniel warf Erik einen letzten, eindeutig genervten Blick zu und tippte sich elegant mit dem Zeigefinger an die Schläfe. »Also dann. Bis heute Abend.«

»Tschö!«, rief Jana und schaute kurz von ihrem Buch auf. Sie hatte den Temperaturabfall im Raum nicht bemerkt.

Als Dank gab ihr Daniel einen Kuss auf die Stirn und verließ das Haus. Der Motor seines Oldtimers knatterte auf und scheppernd entfernte sich das Auto vom Hof.

»Sag mal, kannst du mir eventuell einen Gefallen tun?«

Eriks Mutter hatte offenbar entschieden, die Situation von gerade zu ignorieren. Das machte sie meistens so.

Ergeben nickte er. Was tat man nicht alles für sie, auch wenn man Semesterferien hatte und Erholung vom Studium und Nebenjob brauchte?

»Gehst du gleich rüber und holst mir noch ein paar Dinge aus dem Einkaufsladen?«

Er bejahte und schnitt gedanklich eine Grimasse. Seine Mutter hasste die Stadt, aber er hielt es für übertrieben, nicht einmal den Namen nennen zu wollen.

Nachdem er die Spiegeleier und den Speck aufgegessen hatte, stand er auf. »Ich geh direkt mal los.«

»Das ist lieb von dir, mein Schatz. Heute soll es doch was Tolles zu Essen geben, wenn dein Bruder nach Hause kommt.«

Erik nickte zum ungefähr hundertsten Mal an diesem Morgen und fühlte sich wie ein Wackel-Dackel. Er schnappte sich Rucksack und Sonnenbrille, bekam einen Einkaufszettel in die Hand gedrückt und verließ das Haus.

Das Wetter meinte es gut mit ihm, die Sonne schickte ihre Strahlen durch die Baumkronen. Erik genoss den Spaziergang durch den Wald, der ihr Zuhause von Schäferhof trennte. Er studierte in einer Stadt, in der es keine großen Wälder und nur wenig Grünflächen gab.

Im Wiembachtal angekommen erledigte er zügig die Einkäufe für seine Mutter. Mit einer Cola bewaffnet setzte er sich auf dem Marktplatz an den Brunnen. Lässig lehnte er sich zurück und beobachtete die Menschen um sich herum durch seine dunklen Brillengläser.

Eine ältere Dame kam freudig auf ihn zu. »Hallo, Erik. Dich habe ich ja ewig nicht gesehen. Wie geht es dir?«

Er erwiderte das Lächeln und schüttelte die Hand der Frau. »Hallo, Frau Odhner. Sehr gut, und Ihnen?« Sie hatte ihnen damals Eis verkauft. Heute gehörte ihrem Sohn die kleine Eisdiele.

»Ach weißt du, ich kann mich nicht beklagen. Ich muss nur noch ein wenig einkaufen gehen, und meine alten Knochen …«

Erik sah im Augenwinkel eine Bewegung und stockte. Zwei junge Frauen traten aus dem neuen Klamottengeschäft heraus und sie kamen ihm unheimlich bekannt vor. Das eine war Tammy. Er hatte nur Augen für die Braunhaarige neben ihr. Das konnte nicht sein. Sollte es wirklich …?

»Erik?« Frau Odhner brachte ihn zurück in die Realität.

Er sprang auf. »Es tut mir leid, mir ist gerade etwas Wichtiges eingefallen. Einen schönen Tag noch!« Eilig schnappte er sich seinen Rucksack mit den Einkäufen und schlug denselben Weg wie die beiden Frauen ein. Sie hatten sich mittlerweile ein Stück von ihm entfernt und gingen in Richtung Wald, hinter dem Tammy wohnte. Erik eilte hinter ihnen her. Tammy musste seine Schritte gehört haben, sie warf einen Blick über die Schulter. In ihren Augen blitzte Erkenntnis auf und sie hielt ihre Freundin am Arm fest. Sie drehten sich zu ihm um.

Ja, sie war es! Wie lange hatte er darauf gewartet?

Auch auf ihrem Gesicht zeichnete sich Überraschung ab, dann lächelte sie. »Erik!«

LOS

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