Читать книгу Haselnussbraune Versuchung - Ysold Abay - Страница 6

COLTON

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Die junge Bedienung ging mit wiegenden Hüften davon, natürlich blieb mir das nicht verborgen. Mein Blick richtete sich davon unbeeindruckt wieder auf Eric, der vor mir saß und mich beobachtete.

„Talisker?“ Er sah mich fragend an.

„Whiskey“, erklärte ich.

„Ich hab noch nie Whiskey getrunken“, gestand er und meine Mundwinkel zuckten amüsiert.

„Ein Glück, dass du mich getroffen hast“, antwortete ich. „Sonst hättest du was verpasst.“

Eric wich meinem Blick aus, als ich ihn ungeniert beobachtete und dabei schwieg. Das wirre, braune Haar stand ihm vom Kopf und die dunklen Ringe unter seinen Augen verrieten, dass er wenig geschlafen hatte. Nicht, dass ich mir Gedanken darüber machte, wie viel er schlief.

Die Bestellung ließ nicht lange auf sich warten und ich konnte im Augenwinkel sehen, dass die junge Frau ungeniert mit den Wimpern klimperte und sich nahe an mich herangestellt hatte. Der einzige Gedanke, der in meinem Kopf herumschwirrte, war, dass Eric verdammt blaue Augen hatte.

„Auf deinen ersten Whiskey.“

Ich zwinkerte Eric zu und nahm einen genüsslichen Schluck von dem goldbraunen Getränk, die Eiswürfel klirrten. Zuerst skeptisch nahm er ebenfalls einen Schluck. Das Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen, als er schluckte und sich seine Wangen röteten. Er war süß. Und genau das war mein Problem. Er war wie viele Jahre jünger als ich? Schlimm genug, dass ich mir letztes Wochenende erlaubt hatte, den Anmachversuchen eines jungen Kerls nachzugeben und mit ihm hinter dem „DD“ verschwunden war. Fehlende Befriedigung und Eric, der mich, verdammt nochmal, dabei erwischt hatte, waren alles, was mir davon geblieben war.

„Wie bist du überhaupt darauf gekommen, Wirtschaftsinformatik zu studieren?“, fragte ich neugierig nach einer gefühlten Ewigkeit, in der wir nur von unserem Bier getrunken und auf die Tischplatte gestarrt hatten. Eric sah auf und sofort veränderte sich etwas in seinem Blick. Er sah verletzt aus, traurig.

„Du musst nicht antworten, wenn …“

„Entschuldige mich kurz“, unterbrach Eric mich.

Er stand hastig von der Bank auf und flüchtete schon fast in Richtung der Toiletten. Verwirrt blieb ich zurück und fragte mich, was ich Falsches gesagt hatte. Manchmal war ich wirklich der feinfühligste Idiot, den man sich vorstellen konnte, aber …

Wenn er nur zur Toilette musste, war er mittlerweile eine ganz schön lange Zeit weggeblieben. Unter normalen Umständen hätte ich mir weniger bis gar keine Gedanken darüber gemacht, aber meine Frage hatte ihn auf irgendeine Art und Weise gekränkt. In meinem Kopf ploppte die Szene einer billigen Soap auf, in der die Frau beim Date durch das Toilettenfenster verschwand.

Ganze zehn Sekunden hielt ich es mit diesem Gedanken in meinem Kopf aus, bevor ich aufstand und ebenfalls in den schmalen Flur ging, der zu den Toiletten führte. Vor der Tür hielt ich inne, besann mich meiner Manieren und klopfte an.

„Eric?“

Es kam keine Antwort, also öffnete ich vorsichtig die Tür nach innen. Das Erste, das meinen Blick auf sich zog, war Eric, der sich mit beiden Händen am Rand des Waschbeckens festhielt und darüber gebeugt war.

„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte ich in den Raum. Da keine Reaktion folgte, ging ich vorsichtig auf ihn zu und legte sanft die Hand auf seinen Rücken.

„Eric?“

Endlich bewegte er sich, wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht und schniefte laut, bevor er sich zu mir umdrehte. Ich bereute meine Frage von vorhin mehr als alles andere – aber woher hätte ich wissen sollen, dass ich damit einen wunden Punkt getroffen hatte?

Während meine Hand noch immer auf seinem Rücken ruhte, er mit schmerzerfülltem Blick zu mir aufsah und ich überlegte, wie ich ihm helfen konnte, lehnte er sich plötzlich zu mir. Er legte seine Hände flach auf meine Brust, die Schläfe darüber und ließ sein gesamtes Gewicht gegen mich sinken. Mehr überrascht, als dass ich etwas dagegen hätte tun können, schlang ich den Arm um Eric und drückte ihn an mich. Es fühlte sich gut an, sein zierlicher, warmer Körper an meinem. Viel zu gut.

Ich fühlte mich schlecht, dass ich es genoss, ihn im Arm zu halten, obwohl es ihm nicht gut ging. Jetzt, wo er so verletzlich, so durcheinander war, hatte ich nichts Besseres zu tun, als die Situation auszunutzen. Ich harrte aus, bis Eric sich von selbst wieder zurückzog, und widerte mich dabei selbst an, weil das Kribbeln in meinem Körper mit jeder Sekunde stärker geworden war. Wahrscheinlich hätte ich es nicht fertiggebracht, ihn von mir zu schieben. Nicht, wenn er so nah bei mir war und ich seine schmale Brust so deutlich an meiner spüren konnte.

„Geht es wieder?“, murmelte ich, als Eric sich rührte und einen langsamen Schritt nach hinten machte. Er nickte nur, den Blick müde und gleichzeitig entschuldigend auf mich gerichtet.

„Es tut mir leid, es hat mich einfach so überkommen“, flüsterte er mit brüchiger Stimme.

„Schon gut“ beschwichtigte ich ihn und drückte zart seinen Oberarm.

Ich ging Eric hinterher, zurück in den dunklen Raum der Kneipe, in dem die unterschiedlich großen Tische verteilt standen, und fragte mich, was da gerade eigentlich passiert war. Er hatte sich wieder gefangen, setzte sich aber nicht zurück an den Tisch. Sein angetrunkenes Bier und den Whiskey, in dem die Eiswürfel mittlerweile verschwunden waren, ignorierend, stand er unschlüssig vor mir.

„Ich denke, ich sollte besser gehen.“

Aufmerksam beobachtete ich dabei seine Gesichtszüge und kramte dann in meiner Hosentasche nach einem Zettel. Zu meinem Glück war in der Brusttasche meines Hemdes immer ein Kugelschreiber. Schnell schrieb ich meine Telefonnummer darauf, bevor ich darüber nachdenken konnte, ob es eine gute Idee war. Denn das war es ganz und gar nicht.

„Hier“, sagte ich und hielt ihm das zerknitterte Papier entgegen. „Falls du mal mit jemandem darüber reden möchtest.“

Er schien zuerst verwirrt, lächelte dann aber schüchtern und schob sich den Zettel in seine Hosentasche. Dann zog er einen ledernen Geldbeutel aus der Gesäßtasche seiner Jeans, doch ich legte abwehrend eine Hand darauf.

„Schon gut. Das mache ich.“

„Danke“, murmelte Eric.

Bevor ich noch ein weiteres Wort sagen konnte, war er verschwunden und ich ließ mich seufzend auf den Stuhl neben mir sinken. Kopfschüttelnd, verwirrt, leerte ich den Whiskey in einem Zug.

***

Müde und mit den Nerven am Ende steuerte ich den Pick-up in die Einfahrt des Sägewerkes. Außentermine waren meine ganz persönliche Hölle. Ich hatte nicht umsonst den Job hier draußen angenommen – ich dachte, ich würde den ganzen Tag allein mit mir und dem Holz sein. Gerade als ich den Wagen vor dem Bürogebäude parkte, klingelte mein Smartphone. Unbekannt. Das konnte nach Feierabend nichts Wichtiges mehr sein. Ich überwand mich trotzdem, den Anruf anzunehmen, bereit, der Person am anderen Ende der Leitung zu sagen, dass sie morgen noch einmal anrufen sollte.

„Hi, hier ist Eric.“ Überrascht setzte ich mich in meinem Sitz auf.

„Hey.“

Nach einer Woche ohne Nachricht oder einem Treffen im „DD“ hatte ich nicht erwartet, noch etwas von ihm zu hören. Ich hatte schon damit abgeschlossen, dass der Zettel mit meiner Telefonnummer im Mülleimer gelandet war.

„Ähm …“ Eine kurze Pause folgte, in der ich gespannt wartete. „Kommst du später noch ins ‚DD’?“

Verwirrt über diese direkte Frage warf ich einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Am liebsten würde ich nach Hause fahren und mich auf die Couch legen.

„Eigentlich nicht“, antwortete ich also wahrheitsgemäß.

„Es ist nur“, begann Eric, „dass ich mich gerne für letzte Woche entschuldigen möchte und es dir erklären.“

Das allerdings warf meine Pläne für heute Abend über den Haufen. Entschuldigen musste er sich für gar nichts und eine Erklärung brauchte ich, zumindest redete ich mir das ein, auch nicht. Nachdem ich aber schon die ganze Woche auf eine Nachricht von ihm gewartet hatte, konnte ich es nicht ausschlagen, ihn zu sehen.

„Ich kann in einer Stunde dort sein.“

Während ich das sagte, stieg ich aus dem Wagen und lief die wenigen Meter zum Eingang des Bürogebäudes. Das große Metallschild mit der dunkelgrünen Schrift „W. M. W. – Walter Melton Woods“ wurde von schwachen Lampen beleuchtet. Der Uhrzeit geschuldet war natürlich schon abgesperrt und gähnende Leere würde mich darin erwarten.

„Gut, dann sehen wir uns da“, bestätigte er und unweigerlich musste ich lächeln.

„Bis dann.“

Ich legte auf und ging nur kurz ins Gebäude, um meine Arbeitszeit abzustempeln. Dann fuhr ich die kurze Strecke in die Vorstadt, nahm zu Hause eine Dusche und zog mir frische Kleidung an, bevor ich mich wieder in meinen Pick-up setzte und zum „DD“ fuhr.

Als ich die Bar betrat, saß Eric bereits an dem abgelegenen Tisch, an dem ich ihn letzte Woche angetroffen hatte. Er starrte abwesend auf die Tischplatte und ich fragte mich, ob ich vielleicht irgendetwas in ihm ausgelöst hatte nach der unangenehmen Situation das letzte Mal. Sobald ich aber an den Tisch herantrat, zeigte sich ein vorsichtiges Lächeln auf seinen Lippen und ich atmete erleichtert aus.

„Hi“, begrüßte ich ihn und ließ mich auf einen der Stühle sinken. Wie auch beim letzten Mal hatte er Platz auf der Bank gemacht, aber ich wollte ihm nicht schon wieder zu nahekommen.

„Hi.“

Eric saß mir unsicher gegenüber und ich fragte mich, ob er es sich doch anders überlegt hatte. Schließlich war ich ein Fremder, den er nicht kannte.

„Hast du schon bestellt?“, fragte ich. Den ganzen Tag über war das Thema Nahrungsaufnahme zu kurz gekommen und ich freute mich auf die gute Küche im „Devils Doorstep“.

„Nein, ich hab gewartet“, antwortet Eric und sah mich fragend an.

„Ich würde gerne etwas essen“, sagte ich und nahm mir die Karte zur Hand, die in der Mitte des Tisches lag. „Du auch?“

Er schüttelte den Kopf und nahm sich die andere Karte zur Hand. Ich hatte das seltsame Gefühl, dass er ohne Plan und Ziel darin herumblätterte, um die Zeit vorüberzubringen. Aber für mich war das in Ordnung – er wollte reden, nicht ich.

Das Schweigen dehnte sich so lange aus, bis ich mit meinem Burger, den ich mir bestellt hatte, fertig war und die Bedienung die nächste Runde Bier und die beiden klobigen Whiskeygläser mit ihrem goldenen Inhalt vor uns abstellte. Ich wünschte mir, doch nichts bestellt zu haben, um dieser unangenehmen Stille aus dem Weg zu gehen.

„Hör mal“, begann ich. „Du musst mir nichts erzählen, was dir unangenehm ist.“

„Ich weiß.“

Er schwenkte den Inhalt seines Glases hin und her, wobei die Eiswürfel darin ein sanftes, rasselndes Geräusch erzeugten.

„Aber?“ Fragend neigte ich den Kopf und blickte ihn erwartungsvoll an.

„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“, meinte er und wirkte irgendwie niedergeschlagen auf mich.

„Von vorne würde für mich Sinn machen.“ Ich nahm mein Bier zur Hand und ließ den kühlen Inhalt meine Kehle hinunter rinnen, bis Eric nach einem tiefen Atemzug endlich zu sprechen begann.

„Du hast mich letzte Woche kalt erwischt. Normalerweise habe ich mich im Griff, das kam irgendwie unerwartet.“ Es fühlte sich wie das erste Mal an diesem Abend an, dass er mir direkt in die Augen blickte. Seine blauen Augen nahmen mich ein und ich hatte das dumpfe Gefühl, dass ich, solange er sprach, nicht wegschauen konnte. Ich fand mich damit ab, umklammerte Schutz suchend meine Bierflasche.

„Das tut mir leid“, war das Einzige, das mir dazu einfiel.

„Nein, schon okay.“ Eric schüttelte den Kopf. „Das Thema ist nur schwierig für mich. Der Grund, warum ich von Zuhause weggegangen bin und warum das Verhältnis zu meinen Eltern nicht mehr so ist, wie es mal war.“

Er machte eine Pause, in der er an seinem Whiskey nippte und ich gab ihm die Zeit, die er benötigte, begann geistesabwesend am Etikett der Flasche herumzuzupfen, fragte mich, wie es dazu kam, dass Eric mit einer eigentlich fremden Person am Tisch saß und ihr seine Lebensgeschichte erzählte. Ich war mir nicht sicher, ob ich mir selbst so etwas Intimes erzählen würde.

„Mein Bruder Samuel hatte einen Unfall vor einigen Jahren. Gerade als ich mit der Schule fertig war.“

Ich nickte nur, ohne ihn bei seiner Erzählung zu unterbrechen.

„Der Grund, warum ich Wirtschaftsinformatik studiere, ist Sam. Er wollte das immer machen.“

Mich beschlich das ungute Gefühl, dass Eric mir zum einen nur einen Bruchteil der eigentlichen Geschichte erzählt hatte, und zum anderen, sein Bruder nicht mehr hier war, um zu sehen, was er für ihn tat. Ich traute mich aber noch nicht, diesen Gedanken laut auszusprechen, solange Eric nicht fertig war.

„Vor ein paar Tagen habe ich was zu meinen Eltern gesagt, das sie nicht hören wollten. Und wahrscheinlich alles nur noch schlimmer gemacht.“

„Was hast du ihnen gesagt?“, fragte ich, ohne darüber nachzudenken. Eric zögerte, nahm noch einen Schluck von seinem Whiskey.

„Ich …“

„Schon gut, du musst es mir nicht erzählen.“ Abwehrend hob ich eine Hand vom Tisch, doch er hielt meinem Blick entschlossen stand.

„Ich hab mich geoutet“, gestand er.

„Oh.“ Idiot. Das ist bestimmt das, was er jetzt hören wollte. „Tut mir leid, dass deine Eltern das nicht gut aufgenommen haben“, setzte ich hinterher und hoffte, er hatte mein kurzes Zögern nicht bemerkt. Warum war ich eigentlich von Anfang an davon ausgegangen, dass er schwul war? Ach ja, …

„Schon gut“, murmelte Eric und leerte den Rest seines Whiskeys. Ich war mir sicher, dass der Alkohol dazu beigetragen hatte, dass er einfacher darüber sprechen konnte. Meine Gedanken flogen allerdings zurück zu seinem Bruder und ich fragte mich, ob es eine gute Idee war, ihn noch einmal danach zu fragen.

„Dein Bruder Samuel, ist er …“

Ein stummes Nicken bestätigte den Verdacht, der sich in meinem Kopf festgesetzt hatte, und ich brach zum ersten Mal, seit er begonnen hatte zu sprechen, unseren Blickkontakt ab.

„Oh Mann, ich weiß gar nicht, warum ich dir das alles erzähle“, sagte er plötzlich. Ich antwortete nicht darauf, fragte mich aber unweigerlich dasselbe oder ob er es bereute, mich angerufen zu haben. Er hätte es auch jedem anderen hier im „DD“ erzählen können, so fremd waren wir uns – wobei ich mir da nach dieser Geschichte nicht mehr ganz so sicher war. Wir verfielen wieder in Schweigen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es tut mir leid für dich? Das tat es natürlich, aber irgendwie spiegelte das nicht einmal einen Bruchteil meiner momentanen Gedanken wider.

„Du bist ein guter Zuhörer, Colton.“

„Danke“, murmelte ich, plötzlich unsicher, und suchte den Blickkontakt zu ihm. Das schüchterne Lächeln auf Erics Lippen war schön und angenehm und ich konnte mich nicht dagegen wehren, zurückzulächeln.

„Möchtest du noch?“, fragte ich und deutete auf sein leeres Whiskeyglas. Meines sah ebenso traurig leer aus.

„Ja, ich glaube, das wäre jetzt gut.“

Als ich bestellte, schien das Leben wieder in Eric zurückzukehren und ich konnte sehen, dass er erleichtert war, diese Geschichte losgeworden zu sein. Selbst wenn er sie einem Wildfremden in einer Kneipe am Rand der Stadt erzählt hatte.

Wir stießen auf seinen Bruder an, als unsere Getränke gekommen waren, und ich nahm einen großen Schluck aus meinem Glas, bevor ich es seufzend auf dem Holztisch vor mir abstellte.

„Vielleicht sollte ich dir im Gegenzug auch etwas anvertrauen“, sagte ich und blickte ihn über den Tisch hinweg an, versuchte dabei aber, vorsichtig zu lächeln.

„Was denn?“ Eric sah verwirrt zurück.

„Der Kontakt zu meinen Eltern ist auch nicht wirklich der beste“, murmelte ich zögerlich. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, während ich an die Zeit zurückdachte, in der ich noch bei ihnen gewohnt hatte. Auf der weitläufigen Farm, meilenweit vom nächsten Nachbarn entfernt, die einzigen Ansprechpartner waren meine Eltern und die Saisonarbeiter, die jedes Jahr dort waren.

„Ich wollte mich eigentlich nie vor ihnen outen – sie haben’s trotzdem herausgefunden und ich bin daraufhin von zu Hause weg.“ Mit einem bitteren Lächeln hob ich mein Glas an die Lippen und begrüßte den brennenden Geschmack auf meiner Zunge, der mich von dem schmerzenden Kribbeln in mir ablenkte.

„Danke, dass du das erzählt hast“, antwortete Eric nach einigen Sekunden der Stille. Ich konnte die aufrichtige Erleichterung in seiner Stimme hören, weil wir beide einen so intimen Teil unserer Geschichte miteinander geteilt hatten. Der Blick in seine schönen blauen Augen ließ die Gedanken an meine Eltern verfliegen, die schwere Last fiel von mir ab.

„Okay, jetzt mal Klartext.“ Ich richtete mich auf und versuchte, die trübe Stimmung mit einem Lächeln zu überspielen. „Wie kommt ein Kerl wie du in eine Bar wie diese?“

Überrascht lachte Eric auf und ich war froh, dieses Geräusch zu hören, losgelöst vom Schatten unseres vorherigen Gesprächsthemas.

„Ähm, mein Mitbewohner war hier schon oft. Eigentlich ist das nicht so mein Ding.“

Jetzt war es an mir, laut loszulachen. Nicht sein Ding? Rockmusik und Lederkutten, in die Schublade wurde ich schon oft genug gesteckt.

„Ich mag eigentlich auch keine Rockmusik“, sagte ich daraufhin, funkelte ihn amüsiert über den Tisch hinweg an. Zögerliches Stirnrunzeln, dann schloss Eric die Augen und schüttelte lachend den Kopf.

„Fast hättest du mich gehabt.“

***

Nach einem stressigen, langen Tag auf der Couch zu liegen und durch das Serien-Programm zu zappen, war eigentlich immer eine entspannte Abendbeschäftigung gewesen, wenn ich mich so zurückerinnerte. War. Ich konnte mich nicht darauf konzentrieren. Seit diesem augenöffnenden Gespräch mit Eric im „DD“ war irgendwie nichts mehr so wie vorher. Ständig hatte ich sein Gesicht vor Augen, sein ehrliches Lachen, seine blauen Augen.

Ich mochte es, mit ihm zu reden und ihn in meiner Nähe zu haben, und verdammt, ja, er war genau mein Typ. Auch wenn ich versuchte, das zu leugnen, war es dennoch die Wahrheit. Das Traurige daran war, dass ich mit Sicherheit nicht seinem Geschmack entsprach. Wer in seinem Alter wollte schon was von jemandem wie mir?

Jedes verdammte Mal, wenn ich an Eric dachte, wurde mir heiß. Ich wollte ihn berühren, ihn spüren und küssen. Ihn jetzt neben mir haben und in mein Bett zerren. Gleichzeitig fühlte ich mich unwohl dabei, so über ihn nachzudenken. Es fühlte sich falsch an und unangenehm, als müsste ich Angst haben, dass er meine Gedanken lesen konnte. Und wie zur Hölle sollte ich meine Gefühle in seiner Nähe unterdrücken können? Wenn er mich angrinsen oder sich noch einmal an mich lehnen würde …

Es war nicht das erste Mal, dass ich auf einen Kerl stand. Begehren, Verlangen, mitten in der Nacht aufzuwachen und an ihn denken zu müssen – das hatte ich schon mal gehabt. Aber das war der Grund gewesen, warum ich die Farm verlassen hatte. Ein junger Arbeiter, gut, er war älter gewesen als ich, hatte den Sommer über einige Wochen auf der Farm gearbeitet. Er war der erste Mann, mit dem ich etwas gehabt hatte. Heimliche Treffen in der Scheune oder den kleinen Hütten, in denen die Helfer schliefen, hatten meine Nächte ausgemacht. Er war drei Jahre in Folge gekommen, bis zu dem Zeitpunkt, an dem meine Mutter uns erwischt und mir den Teufel an den Hals gewünscht hatte.

Aber, fuck, das war viele Jahre her. Und ich war seitdem ein anderer Mann, erwachsen, hatte mein eigenes Leben, meine eigene Meinung, weit weg von meinen Eltern. Es schmerzte mich nur, dass es Eric genauso ergangen war und er und ich nicht die Einzigen waren, die solche Erfahrungen machen mussten.

Und wieder hatte ich erfolgreich die Brücke zu Eric geschlagen …

***

Am nächsten Abend schämte ich mich für das, was ich tat. Zwei Mal wäre ich auf dem Weg zu der unbekannteren Bar „#Pride“ in der Innenstadt fast umgedreht. Dann tauchte wieder Erics Gesicht vor meinem inneren Auge auf, wie er mir zulächelte und ich dabei dieses seltsame Kribbeln gespürt hatte. Wenn ich zugab, dass es gerade das erste Mal war, dass ich in eine queere Bar ging, würde mir das sowieso niemand glauben.

Es war kein großer Unterschied zum „DD“, nur etwas moderner und irgendwie dunkler – sofern das möglich war. An der Bar wurden Getränke ausgeschenkt, an den Tischen saßen die Gäste. Nur die kleinen Sitznischen im hinteren Teil waren für mehr Privatsphäre gedacht und neu für mich.

Ich bestellte mir ein Bier an der Bar, wie ich es auch im „Devils“ getan hätte, und ließ mich auf einem der hohen Stühle am Tresen nieder, halb in den Raum hinein gedreht, um die Gesellschaft um mich herum beobachten zu können.

Mir fiel schon bald ein junger Mann auf, der auffällig oft zu mir herübersah und auch nicht peinlich berührt wegblickte, sobald ich ihn bemerkte. Es war, als würden wir stumm das Interesse aneinander austauschen, ob es nun mit einem sanften Lächeln oder einem verhangenen Blick in meine Richtung war.

Es dauerte nicht lange, bis er sich von seiner Gruppe loslöste und zu mir herüberkam. Er lehnte sich vor mir an den Tresen, die dunkelbraunen Haare lässig frisiert, auf der linken Seite trug er einen länglichen goldenen Ohrring. Das eng geschnittene Shirt und die dunkelblaue Hose betonten seine schlanke Figur, doch mir fiel sofort seine Augenfarbe auf. Dunkelbraun. Nicht blau wie die von Eric. Aber das ist egal, dachte ich bei mir. Ich war nicht wegen Eric hier.

„Hi“, schnurrte mir der Junge entgegen und legte ungeniert die Hand auf meine, die locker auf dem Tresen geruht hatte.

„Hallo.“ Ich war mir nicht sicher, ob ich so offensichtliches Interesse gezeigt hatte, wie er es verstanden hatte. Eigentlich war ich mir selbst über mein Vorhaben noch nicht ganz im Klaren.

„Ich seh dich zum ersten Mal hier“, stellte der Dunkelhaarige fest und trat einen kleinen Schritt näher an mich heran. Meine Knie berührten beinahe seine Oberschenkel.

„Ist auch das erste Mal“, antwortete ich, so locker es mir möglich war.

„Nett.“

Er grinste mich an, während er sanft über meinen Handrücken strich, fast beiläufig, als würde er das unterbewusst machen.

„Hoffentlich nicht das letzte Mal“, scherzte ich und lächelte den jungen Mann dabei eindeutig an.

„Möchtest du es etwas privater?“, fragte er und ich folgte seinem Blick zu den kleinen Sitznischen am anderen Ende des Raumes. Keine Ahnung, ob es eine gute Idee war, dort mit ihm hinzugehen, aber wenn ich es nicht ausprobierte, dann wüsste ich es nicht. Alles war besser, als mit meinen nicht gerade jugendfreien Gedanken an Eric zu Hause auf der Couch zu sitzen.

Wir setzten uns nebeneinander auf die gepolsterte Lederbank und der Dunkelhaarige, den ich nicht einmal nach seinem Namen gefragt hatte, rutschte, so nah es ihm möglich war, zu mir. Nicht wie Eric, der sich so weit es ging, von mir weggesetzt hatte. Ich verwarf den Gedanken an Eric wieder und konzentrierte mich auf den jungen Mann, der sich nun zu mir herüberbeugte.

„Warum bist du hier?“, schnurrte er nahe an meinem Ohr. „Denn ich kann mir ganz genau vorstellen, was ich mit dir anstellen will.“

Er legte eine Hand auf meinen Oberschenkel, nur knapp oberhalb meines Knies, doch ich versteifte mich sofort. Es war bei Weitem nicht das erste Mal, dass ich mit einem Kerl etwas hatte, aber …

„Ich denke, ich lasse mich überraschen“, erwiderte ich, die Stimme tief und kehlig, irgendwo zwischen Erregung und Zweifel.

Der Dunkelhaarige nippte an dem Getränk, das er mitgebracht hatte, und sah mich dabei durch seine halb geschlossenen Lider an. Dabei wanderte seine Hand mit sanftem Nachdruck über den Stoff meiner Jeans nach oben. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass es mir unangenehm war, so schnell so intim mit ihm zu werden. Obwohl genau das meine Absicht gewesen war.

Um die Sache etwas zu beschleunigen, legte ich meinem Gegenüber vorsichtig eine Hand an die Wange und wollte mich nach vorne beugen, seine Lippen mit meinen berühren. Er stoppte mich, indem er einen seiner schlanken Finger auf meine Lippen legte, ein eindeutiges Lächeln auf seinen eigenen und sich meinem Hals widmete.

Ich wollte es genießen, wollte es wirklich, denn er war gut in dem, was er da tat. Er leckte über die empfindliche Haut hinter meinem Ohr, saugte und knabberte an mir. Aber das Einzige, das mein Kopf gerade zustande brachte, war, an Eric zu denken. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, dass er das mit mir täte, dass es seine Lippen wären. Aber das machte es auch nicht besser und ich musste an den Moment denken, als er sich an meine Brust gelehnt hatte und ich ihn im Arm gehalten hatte.

„Verdammt“, stieß ich aus und drückte den jungen Mann an den Schultern von mir weg. In seinem Blick war zu sehen, dass er nicht verstand, was ich für ein Problem hatte.

„Was ist?“, fragte er verwirrt.

„Es“, ich seufzte. „Es hat nichts mit dir zu tun. Ich kann nicht.“

Dann stand ich auf und ging.

***

Die nächsten Tage waren wie verflucht. Ich wollte Eric unbedingt aus dem Weg gehen, endlich wieder Herr meiner Gedanken werden und nicht ständig ihn vor Augen haben. Das war einfacher gesagt als getan. Ich hatte, warum auch immer, ein schlechtes Gewissen, weil ich ins „#Pride“ gegangen war, um dort jemanden für eine Nacht kennenzulernen und in erster Linie, um Eric zu vergessen. Das war gründlich schiefgelaufen. Mein schlechtes Gewissen galt nicht nur Eric, der ja nicht einmal wusste, dass ich dort gewesen war, – es galt auch dem jungen Mann, den ich hatte benutzen wollen.

Von meinen Arbeitskollegen hatte ich mich zu einem Abend im „DD“ überreden lassen, war aber nach nicht einmal einer Stunde frustriert wieder gegangen, weil ich mit den Nerven am Ende war und sowieso nur über eine bestimmte Person nachdenken konnte. Auf dem Weg nach draußen, ich wollte einfach nur weg von dort, war ich in Eric gelaufen, der gerade die Kneipe betreten wollte. Diese kurze Berührung hatte so viele widersprüchliche Gefühle in mir ausgelöst, dass ich Kopfschmerzen davon bekommen hatte. Noch Minuten danach hatte mein Körper von unserem Zusammenstoß vibriert vor Aufregung.

Ich kam mir total bescheuert vor, komisch, als würde ich etwas Verbotenes machen, wenn ich so über Eric nachdachte, dabei stand ich offensichtlich nur auf ihn. Es fühlte sich trotzdem falsch und richtig gleichzeitig an. Langsam war es an der Zeit, mir irgendetwas einfallen zu lassen, um mit diesen Gefühlen fertigzuwerden.

Haselnussbraune Versuchung

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