Читать книгу Haselnussbraune Versuchung - Ysold Abay - Страница 7

ERIC

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„Wisst ihr, was ich meine?“ Alex lief, die Hände in die Hosentaschen gesteckt, zwischen mir und Mia auf dem Gehsteig. „Als würde ich in meiner Abschlussarbeit über irgendeinen Blödsinn schreiben wollen.“

Wir waren auf dem Weg ins „DD“, es war Freitagabend und wir nach einer anstrengenden Woche völlig am Ende unsere Kräfte angelangt. Noch vor einem halben Jahr hatten wir uns abends in unserer kleinen Wohnung Filme oder Serien bis zum Abwinken angesehen, wenn wir an diesem Punkt angelangt waren, aber zu Hause fiel uns allen die Decke auf den Kopf. Ich war diesmal mehr als freiwillig mitgegangen, obwohl ich mir natürlich Gedanken gemacht hatte, ob Colton vielleicht ebenfalls dort war.

Alex’ ausschweifender Erzählung über die Diskussion, die er heute Morgen mit einem Professor geführt hatte, hörte ich nur mit einem Ohr zu. Meine Gedanken kreisten, wenn ich nicht am Lernen war, sowieso andauernd um Colton, den ich erst vor wenigen Tagen in der Kneipe getroffen hatte.

Die einzigen anderen Personen, die von der Geschichte mit meinem Bruder wussten, waren Mia und Alex. Es hatte viel Überwindung gekostet, es Colton zu erzählen, und wahrscheinlich hatte der Alkohol sein Übriges getan. Aber mir war danach viel leichter ums Herz gewesen und ich hatte das Gefühl, dadurch auf seltsame Weise mit ihm verbunden zu sein.

Im „DD“ war erstaunlich viel los an diesem Abend und wir hatten Glück, noch einen freien Tisch zu bekommen. Mein Blick huschte unauffällig über die übrigen besetzten Plätze und ich musste feststellen, dass ich enttäuscht war, als ich Colton nirgends sehen konnte. Dabei war ich mir nicht mal sicher, was ich getan hätte, wenn er irgendwo unter den Menschen gesessen hätte.

„Also“, fuhr Alex fort, als wir bestellt hatten. „Montag Morgen werde ich dem nochmal meine Meinung sagen, ich lass das nicht so im Raum stehen.“

„Beruhig dich mal wieder …“ Mia sah Alex finster an, der daraufhin nur mit den Schultern zuckte und etwas entgegnen wollte. Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, dass sie ihm unter dem Tisch gegen das Schienbein trat und mit dem Kopf in meine Richtung nickte.

„Schon gut“, murmelte ich. „Ihr müsst keine Rücksicht auf meine Stimmung nehmen.“

„Doch, das müssen wir“, betonte Mia und blickte dabei direkt zu Alex, der daraufhin seine Lippen mit einem unsichtbaren Schlüssel verschloss. Ich musste über seine Albernheit lächeln, als ich zufällig zur Tür sah und die Gruppe Männer beobachtete, die das „DD“ betrat. Colton war einer davon.

„Hey, ist das nicht der Kerl, mit dem du dich letztes Mal unterhalten hast?“ Mia war meinem Blick gefolgt und beobachtete ihn ebenfalls dabei, wie er an die Bar trat.

„Ja“, bestätigte ich. Dass ich mich mittlerweile zwei Mal mit ihm hier getroffen hatte, wussten die beiden nicht.

Als Colton sich mit seinem Bier in der Hand zum Raum hindrehte, trafen sich unsere Blicke und es fühlte sich an, als würden winzige Stromschläge über meine Haut rasen. Seine Miene zeigte keine Regung, aber ich konnte das Glitzern in seinen Augen sehen, das Zucken seiner Mundwinkel. So schnell dieses Gefühl gekommen war, so schnell war es auch wieder verschwunden. Und Colton ebenfalls. Er hatte das volle Bier auf dem Tresen abgestellt und war nach draußen geflüchtet.

„Was war das denn?“, fragte Mia, die das Schauspiel beobachtet hatte und nun, wie ich, die Tür anstarrte, durch die Colton gerade hinausgegangen war.

Ich zuckte nur mit den Schultern. Mia sah mich wieder an und zog nachdenklich eine Augenbraue in die Stirn. Manchmal hatte ich wirklich das Gefühl, sie konnte meine Gedanken lesen, wenn sie mich so anstarrte. In meinem Kopf dröhnte laut Coltons Name.

„War da irgendwas zwischen euch?“ Sie deutete mit der Hand in meine Richtung und dann in Richtung der Tür.

„Zwischen mir und …“, fragte ich nach und anstatt Coltons Namen zu sagen, deutete ich ebenfalls nur auf die Tür.

„Natürlich. Wen sollte ich sonst meinen.“

Mein erster Gedanke war, ihr nicht die Wahrheit zu sagen und eine Ausrede zu erfinden, weshalb ich Colton so angestarrt hatte. Aber es fühlte sich nicht richtig an. Es hatte sich schon merkwürdig angefühlt, ihr und Alex zu verschweigen, dass ich alleine ins „DD“ gegangen war oder mich mit ihm hier getroffen hatte.

„Wir haben uns zufällig hier getroffen“, meinte ich und wollte es klingen lassen, als wäre es nur eine Nebensächlichkeit.

„Aha“, machte Mia neugierig und stützte das Kinn auf ihre Hand.

„Und vielleicht haben wir uns vor ein paar Tagen nochmal gesehen.“

Während sie mich beobachtete und wartete, dass ich ihr die ganze Geschichte erzählte, war ich dankbar, dass mein Smartphone einen kurzen Laut von sich gab und ich das unausweichliche Gespräch noch etwas hinauszögern konnte. Ich zog es aus der Hosentasche und las die Nachricht, die auf dem Display zu sehen war.

Colton, 20:02 Uhr – Können wir draußen kurz reden? Colton

„Jetzt leg das weg und erzähl schon!“, stieß Mia aus, doch ich starrte nur auf die kurze Textnachricht.

„Komme gleich wieder“, murmelte ich im Aufstehen, was mir fragende Blicke der beiden einbrachte. Ich ignorierte sie geflissentlich, durchquerte die Bar mit schnellen Schritten und ging durch die Vordertür nach draußen. Colton stand links von mir, an der blanken Fassade angelehnt.

„Hey“, begrüßte ich ihn und ging einige Schritte auf ihn zu. „Was ist los?“

Er schien irgendwie nervös zu sein, anders als bei unserem letzten Gespräch. Colton sah noch einmal zur Tür des „DD“, bevor er einen Schritt weg davon machte und mich erwartungsvoll anblickte.

„Willst du ein Stück gehen?“

Ich zögerte noch, weil ich mir nicht sicher war, was er von mir wollte, und ob es eine gute Idee war, ihm zu folgen. Aber die Neugierde war eindeutig größer als meine Verwirrung.

„Keine Angst“, fügte er beschwichtigend hinzu. „Ich werde dich nicht in die nächste Seitengasse zerren.“

Sicher war es als Scherz gedacht, aber mir verging das Lachen, wenn ich an diesen speziellen Abend zurückdachte. Ohne etwas zu erwidern, folgte ich ihm die Straße entlang und beobachtete ihn von der Seite, bemerkte, wie er meinem Blick auswich und mit sich selbst rang. Es kam mir vor wie eine halbe Ewigkeit, die wir schweigend nebeneinander herliefen und ich den Blick irgendwann zum Boden gesenkt hatte.

„Ähm … wie geht’s dir so?“, kam es dann schließlich von ihm, aber seine Stimme war ausdruckslos, als würde er die Frage gar nicht so meinen. Hatte er mich nur deshalb nach draußen gebeten? Um mich zu fragen, wie es mir ging?

„Ganz gut“, antwortete ich. Noch dazu sagte meine Antwort nicht mal im Geringsten etwas darüber aus, wie es mir gerade ging. Ganz gut war die Übertreibung des Jahrhunderts. Prüfungsstress, der Job im Laden, meine Eltern, die ich mich nicht traute anzurufen, und zu allem Überfluss konnte ich den ganzen Tag an nichts anderes denken als an Colton und wann ich ihn wiedersehen würde.

„Aber deswegen hast du mich nicht hier rausgerufen, oder?“, fragte ich, weil ich mir seiner Antwort bereits mehr als sicher war.

„Nein“, murmelte er. Ich hob den Blick und sah ihn an, bemerkte seine nachdenkliche Miene, als er stehen blieb.

„Eric, ich kann dich nicht anlügen“, sprach er weiter. „Und ich kann die Gefühle nicht loswerden, die du in mir auslöst. Du bist …“

Ich war verwirrt einen Schritt vor ihm zurückgewichen, zu durcheinander von den Worten, die in meinem Kopf widerhallten. Zuerst hatte ich gedacht, er wollte mit mir über unser letztes Gespräch reden, aber Gefühle? Was für Gefühle löste ich in ihm aus?

„V-vergiss es“, knurrte er plötzlich und drehte sich weg von mir, war im Begriff, wieder vor mir davonzulaufen. Ich schluckte die Verwirrung runter und machte einen großen Schritt nach vorne, hielt Colton am Arm fest.

„Nein, rede weiter.“

Er schien sich die nächsten Worte, die er sagen wollte, gut zu überlegen. Einen Moment lang standen wir uns nur schweigend gegenüber. Mein Kopf war leergefegt, während ich darauf wartete, dass er weitersprach, überall in meinem Körper kribbelte es, mein Herzschlag pochte unnachgiebig in meinen Ohren.

„Du bist so …“, seine Stimme war fast nur ein Flüstern. „Du machst mich wahnsinnig. Ich will dich berühren, dich küssen …“

Er brach ab und schloss die Augen. Ich konnte sehen, dass sein Atem beschleunigt war, und er versuchte, sich selbst zu beruhigen, bevor er mich wieder ansah. Mir wurde noch wärmer, wenn ich daran dachte, was er sich gerade vorstellte …

Wie angewurzelt blieb ich stehen. Egal, was ich erwartet hatte, das war es mit Sicherheit nicht gewesen. Mein Kopf war gähnend leer, nur seine Worte leuchteten darin auf wie eine Neon-Reklame. Ich konnte spüren, wie mir das Blut in die Wangen schoss, mir war heiß, obwohl ein sanfter Windhauch mein Haar durcheinanderbrachte. Colton hatte bemerkt, dass ich stehen geblieben war, und drehte sich in meine Richtung. Er hatte seine Hände in den Taschen seiner Jeansjacke vergraben und sein Blick glühte in der Dunkelheit.

„Ich will ehrlich zu dir sein, so wie du es zu mir immer warst.“ Coltons Blick wurde ernst. „Vor ein paar Tagen war ich in einer Bar in der Stadt, um … Ich war wegen Sex dort, weil ich dachte, dass ich dann nicht mehr an dich denken muss.“

„Und?“, fragte ich zögerlich.

„Ich will dich nur noch mehr“, gestand Colton.

Meine Haut kribbelte, als er das sagte und mich dabei durchdringend ansah. Ich konnte das Verlangen in seinem Blick sehen, hatte es sogar in seinen Worten hören können und ich konnte nicht leugnen, dass ich ebenso empfand.

„Du kannst jetzt gerne gehen und wir müssen uns nicht wiedersehen. Aber ich kann dir nicht gegenüberstehen und so tun, als wäre nichts.“ Er schüttelte meine Hand ab, die noch immer auf seinem Arm gelegen hatte, und ging davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich wollte ihm hinterhergehen, aber meine Beine waren wie gelähmt. Keinen Millimeter wollten sie sich bewegen, solange ich über die Worte nachdachte, die er mir gerade gesagt hatte. So sehr ich seine Ehrlichkeit auch bewunderte, war es das, was ich wollte? Sex mit Colton?

***

Mia war sauer, als ich wieder zum „DD“ zurückgekehrt war. Mehr als das. Sie hatte die Ausmaße einer sorgenvollen Mutter angenommen, weil ich verschwunden war und mich nicht gemeldet hatte. Auch meine knappe Ausrede, ich würde mich nicht gut fühlen und nach Hause gehen, hatten sie nicht besänftigt. Aber ich konnte ihr nicht einfach sagen, was passiert war. Nicht, wenn ich mir selbst nicht einmal sicher war, was es eigentlich gewesen war.

Auch ein paar Tage später hatte sich in der Hinsicht noch nichts getan. Weder hatte ich mit Mia und Alex darüber gesprochen noch mit Colton. Etliche Male hatte ich angefangen, eine Nachricht an ihn zu tippen, sie aber nie abgeschickt.

Mir hatte noch nie ein Mann gesagt, dass er mich begehrte. Überhaupt hatte ich nie mit jemandem ein so intimes Gespräch geführt. Schon gar nicht mit jemandem wie Colton. Mir war der Altersunterschied völlig egal gewesen, als er gesagt hatte … als er laut ausgesprochen hatte, dass er mich wollte. Ich hatte nur ihn gesehen, den großen, blonden Mann, der so anders war als alle, die ich bisher getroffen hatte.

Seufzend legte ich den Ordner beiseite, der auf meinem Schoß geruht hatte und mit dem ich, zumindest noch bis gerade eben, ernsthaft versucht hatte zu lernen. Ich konnte mich nicht auf die Seiten voller sachlicher Texte konzentrieren, wenn Colton mir im Kopf herumschwirrte. Zum wahrscheinlich zehnten Mal heute nahm ich mein Smartphone zur Hand, tippte auf seinen Namen und begann, wie ich es auch schon die letzten Male getan hatte.

Eric, 20:23 Uhr – Hey, Colton

Meistens hatte ich an dieser Stelle schon wieder alles gelöscht und war frustriert aufgestanden. Aber es konnte ja nicht ewig so weitergehen, oder?

Eric, 20:23 Uhr – Hey, Colton. Alles in Ordnung bei dir?

Nein, das war nicht, was ich sagen wollte. Ich löschte den letzten Satz wieder.

Eric, 20:23 Uhr – Hey, Colton. Können wir reden? Bitte?

Oh man, ich klang verzweifelt. Aber genau das war ich. Verzweifelt, weil mein Kopf mir keine Ruhe ließ und das Einzige, über das ich nachdenken konnte, Colton war, der Sex mit mir wollte. Ich drückte auf Senden. Warten brachte nichts, er würde sich nicht von selbst melden, so wie er letzten Freitag geklungen hatte.

Mein Kopf dröhnte und ich stand auf, um in die Küche zu gehen. Alex und Mia waren nicht zu Hause, wahrscheinlich waren sie in der Bibliothek oder sonst wo, um zu lernen und an ihren Abschlussarbeiten zu schreiben. Draußen brannten bereits die Straßenlaternen und der Himmel war dunkel.

Mit einem Glas Wasser stand ich in meiner Zimmertür und betrachtete das Chaos, das ich in den letzten Tagen hier angerichtet hatte. Überall lagen Notizen verstreut und Ordner voller Wissen, das ich in meinen Kopf bringen musste. Und mitten in diesem Durcheinander lag mein Telefon, das angefangen hatte zu klingeln – auf dem Display leuchtete Coltons Name auf. Sobald ich mein erstes Zögern überwunden hatte, hechtete ich darauf zu und nahm den Anruf an, aus Angst, er würde es sich anders überlegen und auflegen.

„Hallo?“, fragte ich außer Atem.

„Eric?“, kam es vom anderen Ende der Leitung.

„Ja.“

„Hi.“

Ich ließ mich auf mein Bett sinken, während ich wartete, dass er von sich aus anfing zu reden. Erst nach gefühlten Minuten, die wir uns angeschwiegen hatten, wurde mir klar, dass er bereits alles gesagt hatte und ich nun an der Reihe war.

„Bist du noch dran?“, fragte ich überflüssigerweise, obwohl ich immer wieder Geräusche im Hintergrund gehört hatte.

„Ja, bin ich“, bestätigte er. Er klang müde und erschöpft.

„Ich“, in meinem Kopf rauschten die Gedanken. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

Colton schwieg eine ganze Weile und ich ließ mich nach hinten auf die Matratze sinken, schloss frustriert die Augen und fragte mich, was ich hier eigentlich gerade machte. Ich hatte mit ihm sprechen wollen, also warum hatte ich mir nicht vorher überlegt, was ich sagen wollte?

„Bitte, sag nur ja“, kam es von Colton.

„Ja zu was?“, fragte ich. Unnötig zu erwähnen, dass ich genau wusste, was er meinte.

„Zu mir.“

Und zum ersten Mal in meinem Leben war ich mir einer Sache sicher. Ich wollte ihn nicht von mir stoßen und diese Chance verspielen – ich wollte Colton. Und bevor er mein Schweigen als Zögern interpretierte, sprach ich es aus.

„Ja.“

Am anderen Ende nahm ich wahr, wie er hörbar die Luft ausstieß und dann ein raues, kurzes Lachen. Es kribbelte auf meiner Haut, wenn ich ihn mir dabei vorstellte, seine Lippen und seine haselnussbraunen Augen, die Muskeln unter dem Stoff des Oberteils verborgen.

„Wir müssen auch nichts überstürzen. Lass es uns langsam angehen.“

Ich war mir sicher, dass er das nur aus Rücksicht zur mir sagte. Wenn ich ihn gebeten hätte, sofort vorbeizukommen, hätte er nicht gezögert, das wusste ich.

„Was hältst du davon: Ich hol dich morgen ab – 18 Uhr? Und … wir sehen einfach, was passiert.“

***

„Wenn irgendetwas ist oder wir dich abholen sollen, dann ruf bitte an.“

Mia stand mit besorgter Miene vor mir, die Arme vor der Brust verschränkt. Alex lehnte neben ihr an der Küchenzeile, sah allerdings weniger besorgt aus als sie. Ihr zu erzählen, dass Colton und ich „ausgingen“, weil er mir ehrlich gesagt hatte, was er mit mir tun wollte, wenn wir allein waren, war wahrscheinlich keine gute Idee. Sie dachte, wir würden eben nur „ausgehen“.

Was mich heute Abend erwarten würde, wusste ich selbst nicht genau. Würde er mich zu sich nach Hause bringen? Würden wir an einem anderen Ort Zeit miteinander verbringen? All die Fragen flogen durch meinen Kopf und das machte mich nur noch verrückter.

„Ja“, bestätigte ich.

Mia nickte ernst, ihre pinken Haare rutschten ihr dabei über die Schultern, bevor sie mich noch einmal von oben bis unten betrachtete und grinsen musste. Ich sah selbst an mir herunter und überprüfte das Outfit, das ich gewählt hatte. Jeans, Sneakers und ein einfarbiges Shirt. Es war schließlich kein Date.

„Das willst du anziehen?“

Schulterzuckend nickte ich und fragte mich still, ob etwas damit nicht in Ordnung war. Bevor ich aber fragen konnte, was ihr Problem war, bekam ich eine Nachricht von Colton. Er war da.

„Viel Spaß!“, riefen mir die beiden hinterher, als ich die Treppe hinunterjoggte. Ich verdrehte nur die Augen.

Draußen vor der Tür parkte ein großer, dunkelblauer Pick-up, am Steuer saß Colton. Das Auto passte so perfekt zu ihm, wie auch seine Kleidung und der gepflegte Bart zu ihm gehörten. Mir ihn in irgendeiner Familienkutsche vorzustellen, war absurd. Ohne Umwege ging ich zur Beifahrertür und öffnete sie. Colton begrüßte mich mit einem breiten Lächeln, während ich zu ihm in das hohe Auto stieg.

„Hi“, begrüßte er mich grinsend.

„Hey“, antwortete ich.

Nervös sah ich zu ihm hinüber, in meinem Magen kribbelte es und ich wusste nicht recht, was ich sagen oder tun sollte. Colton startete den Wagen und aus dem Radio drang leise Rockmusik. Die harten Gitarren und düsteren Stimmen erinnerten mich an das, was Alex manchmal hörte.

„Was hast du geplant?“, fragte ich, um die merkwürdige Stille zu füllen, während er losfuhr.

„Lass dich überraschen.“ Ein kurzer Seitenblick in meine Richtung, das Glitzern in seinen Augen machte mich nervöser, als es sollte. Und Colton schien zu merken, dass ich auf dem Sitz hin- und herrutschte.

„Entspann dich“, betonte er daraufhin. „Wir gehen essen und dann sehen wir, wie der Abend läuft.“

Etwas erleichtert ließ ich mich in meinem Sitz nach hinten sinken und beobachtete Colton dabei, wie er uns mit dem riesigen Pick-up zum Ziel brachte. Hin und wieder blickte ich ihn dabei verstohlen von der Seite an, versuchte, zu begreifen, dass ich gerade wirklich mit ihm unterwegs war. Gleichzeitig fühlte ich mich wie der letzte Idiot, weil wir während der Fahrt kein Wort miteinander redeten.

Nach einigen endlos langen Minuten steuerte er den Wagen von der Straße weg auf den Parkplatz eines Restaurants. Die großen roten Leuchtbuchstaben und die rustikale Außenfassade ließen mich überrascht die Augenbrauen in die Stirn ziehen. Wir waren bei einem Steakhouse angekommen.

„Da wären wir.“ Colton stieg aus dem Wagen aus und ich folgte ihm, lief neben ihm her zur Eingangstür.

„Sieht nett aus.“

Im Inneren begrüßten uns viel Holz, Erdtöne an den Wänden, der Geruch von gegrilltem Fleisch. Colton passte perfekt in die Einrichtung. Wir wurden freundlich begrüßt und dann zu einem Tisch gebracht, der für uns reserviert war. Die Bedienung nahm unsere Getränkebestellung direkt auf, nachdem sich unsere Blicke getroffen hatten und wir uns stumm auf ein Bier geeinigt hatten.

Während Colton nur einen flüchtigen Blick in die Karte warf, bereits nach wenigen Sekunden ausgewählt hatte, was er essen würde, und diese dann wieder neben sich legte, blätterte ich durch die Seiten.

„Du bist oft hier, oder?“, fragte ich dann wie beiläufig. Colton nickte zur Antwort.

„Ja, ich mag es hier.“ Ich musste unweigerlich lächeln, als ich meine Karte ebenfalls zur Seite legte und er mich über den kleinen Tisch hinweg angrinste.

Die Bedienung kam mit unseren Getränken zurück und nahm die Bestellung für den Hauptgang auf. Colton bestellte ein Steak, wie erwartet, ich eine Gemüsepfanne mit Ofenkartoffel und Dip. Erst als der Kellner weg war, spürte ich seinen interessierten Blick auf mir.

„Isst du kein Steak?“

„Ich bin Vegetarier“, sagte ich amüsiert, während Colton überrascht die Stirn runzelte.

„Mist, das hätte ich vielleicht vorher klären sollen.“ Er schüttelte über sich selbst den Kopf. „Entschuldige.“

„Nein, schon ok.“ Beschwichtigend lächelte ich ihn an. „Hier gibt es auch viel Auswahl ohne Fleisch.“

„Na gut“, seufzte Colton ergeben. „Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte?“

Den Kopf etwas schief gelegt dachte ich darüber nach, ob es noch mehr Dinge gab, die ich ihm jetzt sofort sagen sollte. Entschied aber, dass es da vorerst nicht mehr gab, und schüttelte grinsend den Kopf.

„Nein, ich glaube, das war’s erstmal.“

Das ehrliche Lachen, das darauf folgte, jagte mir einen wohligen Schauder über den Rücken und ich konnte nicht anders, als mit einzustimmen.

„Warum isst du kein Fleisch?“, fragte Colton, nachdem wir uns wieder beruhigt hatten und jeder einen Schluck von seinem Bier genommen hatte.

„Ich mag einfach den Geschmack nicht“, gab ich ehrlich zu. Ich konnte nur sehen, wie er eine Augenbraue etwas weiter in die Stirn zog, aber er urteilte nicht darüber, sondern nickte.

„Gut, dass wir auswärts essen sind und ich nicht für dich bei mir zu Hause gekocht habe.“

Ich konnte nicht verhindern, dass meine Wangen rot wurden und glühten, als er das sagte. Ich musste mir Coltons Zuhause vorstellen, ich in seiner Küche und an seinem Esstisch. Um meine Nervosität zu überbrücken, lächelte ich.

„Du kannst kochen?“, fragte ich etwas überrascht und konnte Coltons Mundwinkel amüsiert zucken sehen. Dumme Frage, nur weil er ein Kerl ist?

„Ich glaube, das muss ich dir irgendwann beweisen.“ Er grinste und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken.

Dann überraschte mich Colton noch einmal an diesem Abend, indem er mehr von sich erzählte, einfach so, ohne, dass ich danach fragen musste. Er war in einer einsamen Gegend aufgewachsen, seine Eltern hatten dort eine Farm – ich stellte mir vor, was für eine glückliche Kindheit er gehabt haben musste, umgeben von der Natur und Tieren aufzuwachsen.

„Ich bin wegen einem einfachen Job bei ‚W. M. W.‘ hierhergekommen, den ganzen Tag an der frischen Luft, mit sich und den Bäumen alleine. Mittlerweile leite ich aber das Büro dort.“

Ich wollte nicht zu erstaunt darüber wirken, dass Colton eine so hohe Position bei „Walter Melton Woods“ hatte, das nicht weit von hier lag. In meinen Kopf schoss ein Bild von ihm, wie er mit nacktem Oberkörper zwischen Baumstämmen stand und die Axt schwang. Verdammt, der Gedanke war verstörend und heiß gleichzeitig.

„Warum hast du es angenommen, wenn du dann nicht mehr draußen unterwegs bist?“, fragte ich, um zu überspielen, dass meine Wangen schon wieder glühten und mich eine Hitzewelle ergriff.

„Holzfäller ist eben doch ein Knochenjob“, Colton zuckte mit den Schultern.

Bald darauf kam unser Abendessen und wir verfielen in angenehmes Schweigen. Colton schnitt ein winziges Stück seines Steaks ab, das Fleisch war innen rosig und saftig. Mit fragendem Blick hielt er mir seine Gabel entgegen, aber ich lehnte ab.

„Danke, aber ich möchte mir den Geruch nicht verderben.“ Colton lachte laut auf.

„Schmeckt denn dein Gemüse?“, fragte er und ich nickte, während ich kaute und dann schluckte.

„Ja. Dein Steak?“ Colton nickte ebenfalls, lächelte.

Nach dem Essen unterhielten wir uns weiter über alles, was uns gerade in den Sinn kam. Ich erzählte von meinem Studium und wie es so lief in den letzten Zügen und ich meinen Mitbewohnern mit meiner schlechten Laune auf die Nerven ging. Die anfängliche Nervosität, die ich in seiner Gegenwart verspürt hatte, war ein Stück weit verschwunden und ich fühlte mich wohler. Colton war ein guter Zuhörer und ein angenehmer Gesprächspartner.

„Erzähl mal, was hast du mit deinem Studium in Wirtschaftsinformatik vor?“ Colt lehnte sich in seinem Stuhl zurück und beobachtete mich interessiert.

„Ähm.“ Ich überlegte eine Weile, bis ich ihm eine zufriedenstellende Antwort geben konnte. „Das ist ziemlich breit gefächert. Je nachdem, wohin man seinen Schwerpunkt legen möchte.“

„Okay?“

Vielleicht hat er mehr erwartet, dachte ich bei mir und setzte noch hinterher: „Mein Bruder wollte sich damit als Unternehmensberater selbstständig machen.“

„Möchtest du denn dasselbe machen?“, fragte Colton ehrlich. Darüber musste ich tatsächlich eine ganze Weile nachdenken, in der ich den Blick von seinem löste und auf die Tischplatte vor uns sah.

„Nein, ich denke nicht“, antwortete ich schließlich. „Um ehrlich zu sein, hab ich mir bisher gar keine Gedanken darum gemacht. Das Ende war immer so weit entfernt.“

Wir saßen noch ein Bier lang da und unterhielten uns – ich hatte das Gefühl, wir hätten noch bis zum nächsten Morgen reden können, so locker und losgelöst war das Gespräch. Für Nachtisch waren wir beide zu satt und ich fühlte langsam, wie mich die Müdigkeit des anstrengenden Tages überkam. Während Colt die Rechnung bezahlte, versuchte ich erfolglos, ein Gähnen zu unterdrücken.

„Langweile ich dich?“, fragte er mehr scherzhaft, als die Bedienung wieder gegangen war.

„Nein.“ Lächelnd schüttelte ich den Kopf. „Anstrengender Tag.“

„Möchtest du gehen?“

Obwohl ich mich gerne noch länger mit ihm unterhalten hätte und mich schlecht fühlte, seine Frage zu bejahen, nickte ich müde. Colton stand daraufhin auf und lächelte mich an.

„Dann komm. Wir wollen ja nicht, dass du am Tisch einschläfst.“

Draußen war es bereits dunkel und die Straßenlaternen leuchteten gelb über uns. Während wir in den Pick-up stiegen und Colt losfuhr, fiel mir auf, dass die Stimmung anders war als am Anfang des Abends. Ich fühlte mich nicht mehr unwohl, machte mir keine Gedanken darum, was ich sagen oder tun sollte. Ich genoss einfach seine Anwesenheit und saß entspannt neben ihm. Und obwohl wir wieder die gesamte Fahrt über kein Wort miteinander redeten, war es doch, als würden wir uns im Stillen miteinander austauschen. Ich glaubte, zu fühlen, dass er meine Anwesenheit auch angenehm fand, dass er zufrieden war nach diesem Abend.

Colton hielt vor unserem Haus, aber ich machte keine Anstalten, den Wagen zu verlassen. Er war sehr still, blickte auf seine Hände, die noch immer auf dem Lenkrad lagen.

„Alles in Ordnung?“, fragte ich aus Angst, ich hätte sein Schweigen vielleicht doch falsch interpretiert.

„Ja.“ Colton lächelte zu mir herüber. Dann, unerwartet und plötzlich, ließ er das Lenkrad los und lehnte sich zu mir herüber – was in dem riesigen Fahrzeug gar nicht so einfach war. Ich blieb wie erstarrt sitzen und beobachtete ihn, seine Gesichtszüge, die aus der Nähe so viel schöner wirkten. Er hob eine Hand und legte sie vorsichtig in meinen Nacken, warm und weich, seine Haut auf meiner. Mein Blick huschte zwischen seinen haselnussbraunen Augen und seinen glänzenden Lippen hin und her, betete, dass er mir noch näher kam.

„Darf ich etwas probieren?“, fragte er und ich konnte seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren, schauderte bei den gemurmelten Worten.

„Bitte“, flüsterte ich.

Colton überbrückte die wenigen Zentimeter, die noch zwischen unseren Mündern gelegen hatten, und berührte meine Lippen vorsichtig mit seinen, sanft und feucht. Die erste Berührung war schüchtern, beinahe nicht da gewesen und ein heißer Schauder zog daraufhin meinen Rücken hinauf über meinen Nacken und kribbelte in meinem Kopf.

Ich schloss die Augen, als er ein zweites Mal zu einem Kuss ansetzte, diesmal fester und ohne Zweifel. Das Gefühl seines Bartes, der mich kitzelte, von Coltons Hand, die mich noch näher zu sich heranzog, berauschte mich, ließ mich zittern. Seine weichen Lippen, die meine in Besitz nahmen. Noch niemand hatte mich so geküsst – so männlich, so gut und mit so viel Leidenschaft.

***

Das Erste, das mir auffiel, als ich am nächsten Morgen die Küche betrat, war Mia, die freudestrahlend am Küchentisch saß und mich angrinste.

„Guten Morgen“, trällerte sie, stand auf und reichte mir gleich darauf eine Tasse mit Kaffee. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass es kein Zufall war, dass sie so freundlich zu mir war.

„Morgen“, murmelte ich. Mit der Hand fuhr ich mir durch das wirre Haar, bevor ich mich ihr gegenüber am Tisch niederließ und langsam an meinem Kaffee schlürfte.

„Na?“, fragte Mia überschwänglich und sah mich dabei aufgeregt an. Trotz meiner Müdigkeit wusste ich sofort, was hier eigentlich Sache war. Sie wollte, dass ich ihr vom gestrigen Abend erzählte.

„Na, was?“, antwortete ich unschuldig und tat, als wüsste ich nicht, wovon sie sprach.

„Wie lief es gestern mit Colton.“ Bei seinem Namen wackelte sie mit einer ihrer Augenbrauen, doch ich schüttelte nur den Kopf über sie.

„Gut“, sagte ich und wusste, dass es ihr als Antwort nicht ausreichen würde.

„Nur gut oder gut?“, fragte Mia grinsend.

Noch zögerte ich, ihr ausführlicher vom Abendessen zu erzählen. Wobei nichts dagegen sprach. Wenn ich die Tatsache außer Acht ließ, dass er verdammt gutaussehend war und mit mir ins Bett wollte. Und dass er mich geküsst hatte. Denn dann würde ich heute keine ruhige Minute mehr haben.

„Es war gut, okay?“, sagte ich und hoffte, sie würde damit Ruhe geben.

Zu meinem Glück kam in diesem Moment auch Alex in die Küche, verschlafen und nur mit Shorts bekleidet. Er nahm sich Kaffee und verschwand, ohne ein Wort zu sagen, wieder in seinem Zimmer – wie jeden Morgen. Ich nutzte die Chance, um Mias Fragen aus dem Weg zu gehen, indem ich mit meiner Tasse ebenfalls in meinem Zimmer verschwand. Mit dem Smartphone in der Hand setzte ich mich aufs Bett und trank den Kaffee, bevor ich mich für meine Schicht im Laden fertigmachen musste.

Colton, 7:11 Uhr – Ich möchte am Wochenende gerne für dich kochen. Kannst du Samstag Abend?

Coltons Nachricht ploppte auf und ich musste sie, ungläubig, zwei Mal lesen. Er wollte offensichtlich keine Zeit verlieren, mich wiederzusehen.

Haselnussbraune Versuchung

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