Читать книгу Fürstenkrone Staffel 8 – Adelsroman - Yvonne Bolten - Страница 12
ОглавлениеLeises Lachen klang aus dem blauen Zimmer, und Amanda, die Zofe, lächelte, als sie dies hörte. Ja, Gräfin Ludovica war völlig verändert, wenn Baroness Ulrike zu Besuch auf Pallenberg war.
»Ich möchte wissen, wo der Tee bleibt?«, hörte Amanda die Gräfin sagen.
Die Zofe schnitt eine Grimasse. Himmel, den Tee hatte sie völlig vergessen! So rasch sie konnte, begab Amanda sich ins Souterrain, in dem die Wirtschaftsräume untergebracht waren.
»Amanda kann nicht alles machen, Tante Ludovica.« Ulrike Baroness von Menden nahm die Zofe in Schutz. »Es ist an der Zeit, dass Otto wieder gesund wird.«
»Papperlapapp«, murrte die alte Dame. »Was heißt hier gesund? Er soll sich zur Ruhe setzen. Immerhin ist er ein Jahr älter als ich.«
Ulrike lachte über Tante Ludovicas Art, doch wer sie nicht kannte, konnte die Gräfin gut und gern für einen weiblichen Dragoner halten. Sie verstand es meisterhaft, ihr gutes Herz hinter einer rauen Schale zu verbergen.
»Ich kann mir schon denken, warum Otto seinen wohlverdienten Ruhestand hinausschiebt, Tante Ludovica. Er hat einfach Angst davor, Pallenberg verlassen zu müssen. Es ist seit vierzig Jahren seine Heimat.«
Ludovica Gräfin von Permont zupfte an den dunklen Spitzen des schwarzen Kleides. Sie trug mit Vorliebe Schwarz oder verschiedene Grautöne und ließ sich durch nichts und niemanden davon überzeugen, dass man in ihrem Alter auch noch andere Farben wählen konnte.
»Das soll es auch bleiben.« Tante Ludovica räusperte sich. »Obwohl ich nicht die Absicht habe, Schloss Pallenberg zu einem Altersheim zu machen. Ich habe lange darüber nachgedacht und mich dazu entschlossen, ihm das ehemalige Verwalterhaus zur Verfügung zu stellen. Natürlich werde ich auch eine kleine Miete von Otto verlangen. Er ist sehr stolz, musst du wissen.«
Ulrike betrachtete die alte Dame liebevoll. Dass sie sogar daran dachte, den Stolz des alten Dieners nicht zu verletzen, zeugte besonders von ihrer großherzigen Gesinnung.
»So, und jetzt lass uns nicht länger von Otto reden.« Tante Ludovica griff nach dem Gehstock aus Ebenholz, dessen reichverzierter Griff aus Elfenbein gefertigt war.
»Was möchtest du, Tante Ludovica? Bitte, sag es, und ich hole es dir!«, rief die Baroness und wollte aufstehen.
»Potzblitz und Hagelkorn!«, rief die Gräfin und klopfte mit dem Gehstock mehrmals auf den Boden. »Ich bin fünfundsechzig, aber noch nicht scheintot. Also werde ich mir meinen Sherry auch selbst holen.«
»Verzeih …«, antwortete Ulrike leise und senkte den Kopf. »Es war gut gemeint …«
»Das weiß ich«, gab die Gräfin zu. Es klang schon wieder versöhnlich. »Aber ich kann es nun mal nicht leiden, wenn man mich so behandelt, als gehörte ich schon zur Ausschussware. Wenn du erst mal in mein Alter kommst, wirst du auch merken, dass man sich noch viel jünger fühlt.«
Gräfin Ludovica war eine große hagere Frau. Trotz ihres Alters zeigte sich in ihrem pechschwarzen, straff zurückgekämmten Haar noch kein einziger Silberfaden. Das lange schmale Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen, den grauen Augen schien nichts zu entgegen, und die große hervorspringende Nase ließ den Betrachter sofort an einen Adler denken.
»Nimmst du auch einen?«, fragte Tante Ludovica über die Schulter.
»Danke, nein, es ist mir noch zu früh.«
»Zu früh …, als ob es für einen Sherry je zu früh wäre«, nuschelte Tante Ludovica so leise, dass ihre Besucherin sie nicht verstehen konnte.
»Verzeih, Tante Ludovica, ich kann nicht verstehen, was du sagst!«, rief Ulrike.
»Oh, es war auch nichts Wichtiges«, antwortete die alte Dame und kam zum Tisch zurück. Sie pflegte den Sherry aus Weingläsern zu trinken. In diesen entfaltete sich die Blume besser, behauptete Tante Ludovica. Doch nicht nur Ulrike hatte den Verdacht, dass die Gräfin die etwas größeren Gläser aus einem ganz anderen Grund bevorzugte.
Nachdem sie den ersten Schluck getrunken hatte, nahm die alte Dame das Gespräch wieder auf. »Gerhard scheint es auf Capri zu gefallen. Er wollte heute zurückkommen, aber wie er mir vorhin am Telefon sagte, sind die Geschäfte noch nicht abgeschlossen.«
»Er …, er kommt nicht?«, Ulrike, die seit fast einem Jahr mit Tante Ludovicas Neffen Gerhard Graf von Permont eng befreundet war, konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen.
»Du machst dir Gedanken?«, die Gräfin runzelte die Stirn. »Das brauchst du nicht, Kind, denn Gerhard schlägt in die Familie der Permonts, und die sind absolut treu.«
»Hoffentlich hast du recht!« Ulrike hielt es plötzlich nicht mehr im Sessel, sie musste sich bewegen, um ihrer Erregung Herr zu werden.
Die Baroness wusste, wie anfällig Gerhard für weibliche Reize war, denn sie hatte ihn in Gesellschaft schöner Frauen häufig genug beobachtet.
Ein ironisches Lächeln kräuselte Ulrikes Lippen, denn sie erinnerte sich daran, dass sie Gerhard darauf aufmerksam gemacht hatte. Wie sehr hatte er sich gegen diese Verdächtigungen gewehrt, tausend Eide hatte er ihr geschworen, dass Ulrike sich alles nur einbilde.
Doch die Baroness hatte ein feines Gespür dafür. Außerdem war sie nicht das, was man eine außergewöhnliche Schönheit nannte. O ja, sie war nicht ohne Reiz, doch gegen manche Frauen wirkte sie einfach farblos.
Die Baroness nahm einen kleinen Rokokospiegel von einer Kommode und betrachtete sich. Das halblange kastanienbraune Haar betonte die Blässe ihres Teints, und für Ulrikes Geschmack waren ihre braunen Augen viel zu sanft.
Capri … Ulrike seufzte. Vielleicht hatte Gerhard dort eine glutäugige Schöne kennen- und liebengelernt? War das denn so ungewöhnlich?
Die Baroness überhörte die Zofe Amanda, die den Servierwagen hereinschob. Als Amanda mit dem rollenden Gefährt an einen Sessel stieß und das Porzellan heftig aneinanderklirrte, zuckte Ulrike erschrocken zusammen.
Der Rokokospiegel entglitt ihr und polterte auf die Kommode. Als die Baroness ihn wieder aufhob und zurückstellen wollte, stieß sie einen erschrockenen Schrei aus.
Drei große Risse durchzogen das Kristallglas.
»Wie …, wie kann ich das nur wieder gutmachen?«, stammelte die Baroness und kam mit dem antiken Spiegel zu Tante Ludovica zurück. »Er ist mir aus der Hand gerutscht«, fügte sie entschuldigend hinzu.
»Ach, das werde ich schon noch verkraften können«, antwortete die alte Dame und schmunzelte. »Die Permonts gehören ja nicht zu den Ärmsten im Lande.«
»Das bringt Unglück«, orakelte Amanda, die den Tee servierte. »Bei uns zu Hause sagte man jedenfalls so. Drei Risse? Das bedeutet drei Monate oder drei Jahre Unglück.«
»Vielleicht auch nur drei Tage?«, meinte Tante Ludovica bissig.
»Vielleicht auch das«, antwortete Amanda ahnungslos.
»Hören Sie auf, mir das Kind zu ängstigen«, wetterte die alte Dame plötzlich und klopfte mit dem Gehstock auf den Boden. »Ich will von diesem Aberglauben nichts hören. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja, aber ich wollte doch nur …«
»Lassen Sie uns allein«, forderte Tante Ludovica herrisch.
»Wie Sie wünschen, Gräfin.« Amanda neigte den Kopf und verließ rasch das blaue Zimmer.
»Nimm das Geschwätz nicht ernst«, sagte Tante Ludovica jetzt. »Amanda ist abergläubisch, das ist alles. Mir ist schon so mancher Spiegel aus der Hand gefallen, aber ich hatte deshalb kein Pech.«
»Ach, im Grunde bin ich auch nicht abergläubisch«, entgegnete Ulrike nachdenklich. »Doch warum passiert es ausgerechnet jetzt?«
»Wie meinst du das?«, Tante Ludovica betrachtete nachdenklich ihr leeres Glas. Soll ich mir noch einen genehmigen?, fragte sie sich insgeheim. Nein, lassen wir es lieber, Ulrike könnte sich falsche Gedanken über mich machen.
»Ich weiß auch nicht, wie ich es sagen soll …« Ulrike von Menden zögerte. Wenn sie ihre Befürchtungen artikulierte, stellte sie Tante Ludovicas Neffen nicht gerade ein gutes Zeugnis aus.
»Zier dich nicht, mir kannst du alles sagen.« Die hellen grauen Augen fixierten die Baroness scharf.
»Ich habe ein ungutes Gefühl, wenn ich an Gerhard denke«, gestand Ulrike.
»Er hat nur einmal angerufen, geschrieben hat er überhaupt nicht. Tante Ludovica, halte mich bitte nicht für hysterisch, aber ich werde den Gedanken nicht los, dass sich auf Capri irgendetwas ereignet hat …«
»Eine Frau? Unsinn.« Leichte Unsicherheit im Ton der Gräfin klang mit.
»Und jetzt die Geschichte mit dem Spiegel?«
Ulrike schüttelte den Kopf. »Hoffentlich habe ich unrecht.«
»Reden wir nicht mehr davon«, schlug die Gräfin leichthin vor. »Liebes Kind, ich verspreche dir, dass ich Gerhard zurückbeordern werde, sobald er noch mal anruft. Wird dir jetzt ein bisschen leichter ums Herz?«
»Ja, es geht schon wieder.« Die Baroness riss sich zusammen. Hatte Tante Ludovica nicht recht? »Nimm mich nicht so ernst. Wahrscheinlich habe ich mich wirklich zu sehr von Amanda anstecken lassen.«
Die Gräfin und die Baroness plauderten noch eine gute Stunde, dann fuhr Ulrike von Menden zur Stadt zurück, in der sie eine Villa bewohnte.
*
Mode hatte Gerhard Graf von Permont noch nie sonderlich interessiert, doch seit Tagen besuchte er nun schon die Boutique Bella Anacapri, kaufte sinnlos ein paar Seidenschals, Blusen für Ulrike und eine fantastische Spitzenstola für Tante Ludovica.
Und das alles nur, um eine rassige Schönheit wiederzusehen, der er vor ein paar Tagen hier begegnet war. Seit diesen wenigen Sekunden, in denen er sich im tiefsten Samtbraun ihrer Augen verloren hatte, konnte er an nichts anderes mehr denken.
Ich muss sie wiedersehen, war am Morgen sein erster Gedanke, der ihn auch sofort aus dem Bett trieb. Nach einem hastigen Frühstück auf der Terrasse des Hotels spazierte Graf Gerhard den ganzen Tag über durch das Städtchen Anacapri, in der Hoffnung, die wunderschöne Fremde wiederzusehen.
Gerhard kannte sich selbst nicht wieder, und an Liebe auf den ersten Blick hatte er noch nie geglaubt.
»Es muss wohl so etwas geben«, murmelte er missgelaunt und starrte in die Schaufensterauslage der Boutique. Eigentlich sollte Gerhard schon längst wieder auf Schloss Pallenberg sein, doch er konnte sich zu dieser Reise nicht entschließen.
Zuvor musste er die Fremde wiedersehen, die ihm den Schlaf raubte und durch seine Träume geisterte.
Tante Ludovica wird wütend sein, dachte er, und an Ulrike wage ich gar nicht zu denken. Seiner Freundin gegenüber hatte Gerhard ein besonders schlechtes Gewissen, doch jedes Mal, wenn er diesen Punkt erreichte, schob er die Gedanken an zu Hause rigoros beiseite.
Absichtslos hob Gerhard von Permont den Kopf.
Siedend heiß durchzuckte es ihn, als er die rassige Schönheit im Spiegel des Fensters wiedererkannte.
Dass sie in Begleitung eines dunkelhaarigen Mannes war, störte Gerhard zwar, hinderte ihn jedoch nicht daran, alles daranzusetzen, die Fremde kennenzulernen.
Sie begab sich an der Seite des Mannes in die Boutique, und noch bevor Gerhard ihr folgen konnte, kam ihr Begleiter wieder heraus.
Der Graf lächelte, als er dem elegant gekleideten Mann nachsah. War das nicht eine Fügung des Schicksals, dass er, Gerhard, die schöne Fremde gleich allein antreffen würde?
Nichts hielt Gerhard mehr zurück. Er betrat die Boutique und schaute sich suchend um. Drüben im anderen Raum, in dem nur Seidenartikel verkauft wurden, stand die Dunkelhaarige und drehte ihm den Rücken zu.
Gerhard von Permont schlenderte hinüber. Er blieb neben der Fremden stehen und griff nach einem hellgrauen Seidenschal, den er eingehend betrachtete.
Zumindest gab er sich diesen Anschein. In Wirklichkeit waren all seine Sinne auf die Fremde gerichtet. Wenn sie sich bewegte, streifte ihn ein Hauch ihres schweren Parfüms, und in diesen Augenblicken schloss Gerhard unwillkürlich die Augen.
Ich kann doch nicht nur stumm neben ihr stehen, dachte er. Ich muss irgendetwas unternehmen …
Hinter Gerhard befand sich ein großer Spiegel. Der Graf drehte sich um, hielt das Seidentuch unters Kinn. Unschlüssig betrachtete er sich.
Es entging Gerhard nicht, dass ihn der Blick der dunkelhaarigen Schönen ab und zu streifte. Ja, und manchmal glaubte Gerhard sogar, ein amüsiertes Aufblitzen in ihren Samtaugen zu erkennen.
Er drehte sich um, verneigte sich und redete die Fremde an. »Verzeihen Sie, Signora, dass ich Sie anspreche, aber ich fühle mich hilflos. Können Sie mir helfen? Sagen Sie mir, ob mich dieser Seidenschal kleidet?«
Als Gerhard keine Antwort erhielt, ihn statt dessen jedoch ein seltsam fragender, vorwurfsvoller Blick streifte, verneigte er sich und räusperte sich.
»Verzeihen Sie, ich habe mich nicht vorgestellt. Ich bin Graf Permont. Gerhard von Permont.« Der Graf hatte sich der englischen Sprache befleißigt, denn sein Italienisch war nicht salonfähig.
»Sie sind Deutscher?«, fragte die rassige Schöne mit kaum merklichem Akzent.
»Oh …, ja …, sicher …«, Gerhard stotterte vor Verlegenheit. »Ich freue mich, dass Sie meine Sprache sprechen, Signora. Die Ihre werde ich sicher noch vollends lernen. Signora …«
Der junge Graf brannte darauf, den Namen seiner Angebeteten zu erfahren.
»Ich bin Silvia Contessa de Mirandola«, stellte sie sich vor und neigte anmutig den Kopf.
Jetzt war Gerhard restlos begeistert. Sie war nicht nur schön, sie gehörte auch jener Gesellschaftsschicht an, aus der er seine zukünftige Frau auswählen wollte.
»Das nenne ich fast ein Wunder.« Gerhard lachte sie an. »Contessa, darf ich Sie zu einem kleinen Spaziergang durch Anacapri einladen? Vielleicht eine Tasse Tee unter Palmen mit mir zu trinken, oder wenn es Ihnen beliebt, ein Glas Champagner?«
Der Graf nahm ihre Hand und zog sie formvollendet an die Lippen.
Silvias Blick ruhte auf dem blonden Lockenkopf, der sich über ihre Hand beugte. Ein undefinierbares Lächeln lag auf ihrem reizvollen Gesicht.
Marco ist unbezahlbar, dachte sie. Er hatte recht. Der Junge ist nicht nur ein Graf, sondern auch ein rechter Kindskopf. Es wird ein leichtes für mich sein, ihn in Flammen stehen zu lassen.
»Ich weiß nicht, Graf …« Die Contessa zierte sich. »Ich kenne Sie doch nicht …«
»Oh, diesem Fehler können wir abhelfen.« Gerhard reichte ihr den Arm und lachte sie an. »Haben Sie Vertrauen zu mir, Contessa, ich werde Sie sicher nicht enttäuschen.«
»Nur, wenn Sie mir erlauben, dass ich Sie bald meiner Familie vorstelle. Dass heißt, meinem Cousin, denn mehr ist von meiner Familie nicht übriggeblieben.«
Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, traurig senkte sie den Kopf.
»Bitte, denken Sie jetzt an nichts anderes als daran, dass die Sonne scheint und ich Sie ein bisschen verwöhnen möchte«, sagte Gerhard beschwörend. »Vergessen Sie alles, was Sie traurig macht, bitte …«
»Sie haben ja so recht.« Die Contessa seufzte und ging an seiner Seite aus dem Modegeschäft. »Das rede ich mir auch immer ein, doch es gibt stets wieder Augenblicke, da holt mich die Vergangenheit ein.«
»Wenn Sie wollen, erzählen Sie mir alles. Ich bin ein guter Zuhörer«, sagte Gerhard, und ein Blick in ihre nachtdunklen Samtaugen jagte heiße und kalte Schauer über seine Haut. »Vielleicht darf ich Sie öfter sehen? Bitte, sagen Sie nicht nein, Contessa, Sie brechen mir sonst das Herz.«
»Das kann ich nicht verantworten.« Zum ersten Male kam ein helles Lachen über ihre Lippen, und Gerhards Herz schlug hart und dumpf an die Rippen. Wenn sie die schneeweißen Zähne zeigte, war sie noch schöner. Gerhard konnte es kaum erwarten, die Contessa in die Arme zu nehmen.
Die oder keine – das glaubte er jetzt zu wissen. Vergessen waren Ulrike und das gute innige Gefühl, das er für sie empfunden hatte.
Gerhard von Permont lernte zum ersten Male in seinem Leben die Leidenschaft kennen, dieses verzehrende Feuer, das alle Bedenken vernichtete, das den Verstand ins Abseits drängte und nur dem Gefühl freien Raum ließ.
»Dann sagen Sie ja?« Gerhard blieb unwillkürlich stehen und schaute sie verliebt an. »Von heute an werden Sie kaum noch freie Zeit haben, Contessa.« Es sollte scherzend klingen, doch ein Unterton in seinen Worten zeugte von seinem ausgeprägten Besitzdenken.
»Das wird sich noch herausstellen, Graf«, bemerkte die Contessa de Mirandola zurückhaltend. »Unterschätzen Sie mich nicht. Ich gebe mich niemals mit Halbheiten zufrieden.«
»Ich auch nicht«, erwiderte er und ging weiter. »Wieder eine Gemeinsamkeit, Contessa.«
Graf Gerhard von Permont merkte nicht, dass er von einem dunklen Augenpaar beobachtet wurde, dass ihnen ein Mann folgte, der mit der Entwicklung der Dinge sehr zufrieden war.
*
Nur zwei Fenster des Palazzo an der Via di Porta waren erleuchtet. Manchmal bewegte sich ein Schatten hinter den feinen Stores.
Der Palazzo Garibaldi war eines der schönsten Häuser an der Via di Porto, und wer es sich leisten konnte, ihn als Feriendomizil zu mieten, gehörte einer gehobeneren Gesellschaftsschicht an, zumindest musste er über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, denn die Miete des Palazzo konnte durchaus mit den Kosten eines Luxushotels verglichen werden.
Drei Menschen hielten sich in dem Raum auf, der von der Besitzerin als Florentinerzimmer bezeichnet wurde.
Silvia de Mirandola und Maria Santos saßen sich in Plüschsesseln gegenüber, während Marco di Rivera unruhig hin und her ging.
»Wir dürfen keinen Fehler machen«, sagte er nachdenklich und blieb vor den Frauen stehen.
»Du wiederholst dich«, bemerkte Silvia gelangweilt. »Wenn du uns nichts anderes zu sagen hast, dann schlage ich vor, wir ziehen uns in unsere Zimmer zurück. Ich bin müde und möchte schlafen.«
»Du bist immer nur müde«, spottete der große dunkelhaarige Mann und beugte sich leicht vor. Wütend starrte er die jüngere der beiden Frauen an. »Begreifst du denn nicht, was uns da über den Weg gelaufen ist? Nein?«
»Doch, aber warum diese Hektik? Der Graf ist über beide Ohren in mich verliebt. Genügt das denn nicht? Ich glaube, lieber Marco, ich bin Frau genug, um zu wissen, wie man einen Mann hält«, entgegnete Silvia wütend.
Hätte Gerhard von Permont sie in diesem Augenblick sehen können – er wäre mehr als erstaunt gewesen. Silvia de Mirandola, die sich ihm gegenüber als Contessa ausgegeben hatte, benahm sich nicht im geringsten wie eine Dame.
Sie hatte die Füße hochgelegt und lagerte sie auf einem kleineren Sessel. In der linken Hand hielt sie ein Whiskyglas, in der rechten eine Zigarette, an der sie heftig zog.
Silvias dunkle Augen waren keineswegs mehr sanft. Sie funkelten wie die Lichter eine Raubtieres, und die üppigen Lippen waren jetzt schmal.
»Streitet euch nicht, das bringt uns nicht weiter«, mischte sich nun Maria Santos, die Älteste des Trios, ein. »Wir haben gefunden, was wir suchten. Silvia ist klug genug, um die Gans, die goldene Eier legt, nicht zu verscheuchen.«
Maria lachte laut auf. »Wichtig ist jetzt, dass wir mit dem Grafen nach Deutschland zurückkommen. Den Palazzo kann ich kaum noch bezahlen, und auch das Geld für weitere Reisen wird knapp. Also, Silvia, streng dich an.«
Die jüngere nickte und leerte das Glas in einem Zug. Sie reichte es Marco, der es kommentarlos füllte.
»Wird er alles glauben?«, fragte Maria Santos nachdenklich. Es hörte sich an, als stellte sie die Frage an sich selbst.
»Warum nicht? In Neapel und Umgebung wimmelt es von verarmten Adeligen.« Marco lachte. »Warum sollte Silvia nicht eine von ihnen sein? Unsere Papiere sind so gut gefälscht, dass nicht mal die Zollbeamten bei unserer letzten Reise etwas merkten.«
»Und bis zum Trauschein lassen wir es gar nicht kommen«, bemerkte Maria und lachte meckernd.
Sie war eine Frau Mitte vierzig, die älter aussah. Im allgemeinen wurde sie als Silvias Kinderfrau ausgegeben, an der die Contessa angeblich mit abgöttischer Liebe hing.
»Und wie lange habe ich Zeit?«, fragte Silvia und stand auf. Besprechungen dieser Art langweilten sie entsetzlich.
»Vierzehn Tage.« Jetzt klang Marias Stimme hart. »Keinen Tag länger. Bis dahin musst du eine Einladung nach Deutschland erreicht haben. Alles andere läuft dann so wie besprochen.«
»Ich werde es schon schaffen«, sagte Silvia leichthin und schob die Hand unter Marcos Arm. »Hier drinnen ist es furchtbar stickig, Liebling. Gehen wir ein bisschen hinaus?«
»Wenn du mich so anschaust, kann ich dir fast nichts abschlagen«, erwiderte er leise, wandte sich an Maria und sagte in einer Art, die keinen Widerspruch duldete: »Wir brauchen frische Luft. Morgen sehen wir uns wieder.«
Ohne sich weiter um Maria Santos zu kümmern, führte Marco die rassige Schöne hinaus. Sie gingen ein paar Stufen hinab, durchquerten den großen Salon und gelangten von hier aus auf die Terrasse.
Eine kleine Treppe führte in den Innenhof hinab, in dessen Mitte Wasserspiele plätscherten.
Mondstrahlen tanzten auf den Fontänen, der Jasmin verströmte einen betäubenden Duft.
Und über diesem herrlichen Fleckchen Erde spannte sich ein samtener Himmel. Tausend und abertausend helle Lichtpunkte glänzen aus der schweigenden Dunkelheit des Alls, Zikaden zirpten ihr gleichtönendes uraltes Lied, Glühwürmchen trugen ihre Laternen durch die Nacht.
Es war ein Abend für Verliebte, und Silvia schmiegte sich unwillkürlich enger an Marco.
Sie liebte ihn, auch wenn es bei geschäftlichen Besprechungen häufig Differenzen gab – wenn sie allein mit ihm war, gab es nur noch Liebe zwischen ihnen.
Marco führte sie zu einer Bank in einer Rosenlaube. Sie setzten sich, und er fragte leise: »Glaubst du, dass du diesen Grafen für eine gewisse Zeit ertragen kannst?«
»Habe ich eine andere Wahl?« Es klang bitter, und Silvia seufzte, als sie den Kopf an seine Schulter lehnte. Zwei Seelen wohnten in Silvias Brust.
Einerseits war sie skrupellos genug, um einem Mann Liebe vorzuheucheln, wenn sie sich dadurch Profit erhoffte. Andererseits jedoch hätte sie gern auf diese Lügen verzichtet, wenn sie über genügend Geld verfügt hätte, das ihr das gewünschte Leben erlaubte.
»Wenn du genug Geld abgestaubt hast, werde ich wieder im Spielkasino mein Glück versuchen. Hab Vertrauen, mein Liebes, denn eines Tages werde ich den ganz großen Coup landen, und dann werden wir nur noch für uns leben.«
Leidenschaftlich presste er sie an sich, bedeckte ihr Gesicht mit glühenden Küssen und flüsterte ihr verliebte Worte zu.
»Und Maria?«, fragte sie, als Marco ihr endlich eine Atempause gestattete.
»Tja, das ist ein Problem …«
»Das ist es nicht«, antwortete Silvia heftig. »Maria bleibt dabei und – basta. Sie war es, die mich aus der Gosse geholt und mir Umgangsformen beigebracht hat. Ihr habe ich es zu verdanken, dass ich mich benehmen kann. Sie wird bei mir bleiben, und davon lasse ich mich nicht abbringen.«
»Oh, eine der wenigen anständigen Regungen?«, spottete er gutmütig. »Na schön, wenn du auf deine Busenfreundin nicht verzichten willst, nehmen wir sie zu uns. Wir brauchen irgendwann auch mal ’ne Kinderfrau, meinst du nicht auch?«
Ungläubiges Staunen malte sich auf Silvias Gesicht aus, dann fiel sie Marco um den Hals und sagte überglücklich: »Oh, Marco, ich wusste, dass du mich verstehst. Ich wusste es, und ich liebe dich dafür noch viel mehr.«
*
Ein freudiger Schimmer erhellte Gräfin Ludovicas Augen, als sie sah, dass Ulrikes roter Sportwagen in den Innenhof des Schlosses einbog.
»Amanda, rasch, holen Sie meine Stola, ich möchte der Baroness entgegengehen!«, rief die Gräfin.
Die Zofe war froh, dass durch Ulrike ein bisschen Abwechslung ins Schloss kam, denn die Gräfin war an diesem Tag unausstehlich. Nichts war ihr recht zu machen, an allem hatte sie etwas auszusetzen.
Ulrike von Menden wusste nicht, dass ihr Kommen bereits bemerkt worden war. Sie parkte ihren Sportwagen, der auch nicht mehr der neueste war, neben dem rechten steinernen Löwen, der seitlich der Freitreppe wachte.
Ulrike war heute recht salopp gekleidet. Sie trug Jeans und ein Sweatshirt und bequeme Freizeitschuhe. Ihre Lederjacke hatte sie lässig über die Schulter geworfen.
Noch bevor die Baroness den breiten Treppenabsatz vor dem Portal erreichte, wurde die Tür geöffnet, und Tante Ludovica erwartete Ulrike mit ausgebreiteten Armen.
»Kind, ich kann dir nicht sagen, wie ich mich freue!«, rief die alte Dame und lachte die junge Frau an.
»Ich mich auch.« Die Baroness umarmte die Gräfin. »Ich habe es in der Stadt ganz einfach nicht mehr ausgehalten. Allerdings hegte ich die leise Befürchtung, dass ich ungelegen kommen könnte.«
»Du doch nicht«, antwortete die Gräfin und hakte sich bei ihr unter. »Im Gegenteil, du kannst mir helfen. In knapp einer Stunde kommt ein Herr Philip Kant. Er will sich als neuer Diener bewerben.«
Ein tiefer Seufzer kam über Tante Ludovicas Lippen, anklagend schaute sie Ulrike an. »Stell dir vor, Kind, es ist schon der elfte.«
»Diener?«, hakte Ulrike von Menden nach, denn sie konnte es nicht glauben.
»Was denn sonst?«, Tante Ludovica schüttelte den Kopf. »Früher war es wesentlich leichter, einen guten Diener zu bekommen.«
»Ach, das meinst du nur, Tante.« Sie hatten inzwischen das blaue Zimmer erreicht, in dem die Schlossherrin sich besonders gern aufhielt.
»Die Erinnerung gaukelt uns Dinge vor, die in Wirklichkeit ganz anders waren.«
»Man könnte meinen, wir hätten die Rollen vertauscht«, polterte Tante Ludovica laut los. »Gehe ich auf die siebzig zu oder du? Wer kann eigentlich von alten Zeiten sprechen? Ts, ts, die Jugend von heute wird immer besitzergreifender. Jetzt will sie uns auch schon die alten Zeiten nehmen.«
»Du bist wohl mit dem linken Fuß aufgestanden?« Die Baroness nahm Tante Ludovica in gewissen Situationen einfach nicht ernst, denn sie wusste, dass die alte Dame sich nicht wohlfühlte, wenn sie nicht aufbegehren konnte.
Tante Ludovica antwortete nicht. Wie konnte sie der Baroness auch sagen, dass es weder der linke Fuß noch das schlechte Wetter war, das ihre schlechte Laune provoziert hatte.
Es war das Telefongespräch, das sie heute Morgen mit ihrem Neffen Gerhard geführt hatte. Offen hatte Gerhard ihr mitgeteilt, dass er sich bis über beide Ohren in die wundervollste Frau verliebt habe, die er je gesehen habe.
Dieses Gespräch war Tante Ludovica auf den Magen geschlagen, doch es gab niemanden, mit dem sie darüber reden konnte. Sicher, mit Amanda vielleicht … Die Zofe war seit mehr als zwanzig Jahren die Vertraute der alten Dame.
»Setz dich«, sagte die Gräfin und deutete auf einen Sessel. »Möchtest du eine Erfrischung? Vielleicht einen Tee? Oder etwas Kaltes?«
»Danke, im Augenblick nicht«, antwortete Baroness Ulrike und senkte den Kopf. Jetzt, da sie mit Tante Ludovica allein war, konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten.
»Aber Kind, Tränen? Na, na …, es wird nichts so heiß gegessen wie es gekocht wird.« Die alte Dame räusperte sich kräftig. »Hast du …, äh …, hast du vielleicht mit Gerhard telefoniert?«
»Wie kommst du denn darauf?«, Ruckartig hob Ulrike den Kopf. Sie sah die Gräfin nur verschwommen durch den Tränenschleier. »Meinst du, dass ich dann einen Grund zum Weinen hätte?«
»Wie?« Tante Ludovica legte die Hand hinter die Ohrmuschel. Bei verschiedenen Gegebenheiten war es ganz günstig, ein schlechtes Gehör vortäuschen zu können. Das verschaffte Zeit zum Nachdenken.
»Warum bringst du meine Tränen mit einem Anruf bei Gerhard in Verbindung?« Ulrike hob die Stimme leicht an und beobachtete die alte Dame scharf. Es geschah nicht zum ersten Male, dass die Baroness den Verdacht hegte, dass Tante Ludovicas Gehörschwäche nur gespielt war.
»Zufall, purer Zufall«, murmelte die Gräfin, legte beide Hände über den Elfenbeinknauf ihres Gehstockes und schaute sinnend zum Fenster hinaus. »Ist das nicht ein scheußliches Wetter, Kind? Man könnte gemütskrank werden …«
»Weißt du, warum Gerhard nicht nach Hause kommt?« Die Baroness ging auf das Ablenkungsmanöver der alten Frau gar nicht ein. »Ich habe gestern mit ihm telefoniert. Er …, er klang sehr seltsam. So ungeduldig und ablehnend.«
»Nun …, mir sagte er, er habe noch geschäftlich einiges zu erledigen«, schwindelte Tante Ludovica, die insgeheim hoffte, diese plötzliche Verliebtheit ihres Neffen würde ebenso schnell wieder vorbeigehen, wie sie entstanden war. »Ich glaube, ihm ist so einiges schiefgegangen, und deswegen ist er unleidlich. Zu mir war er heute Morgen auch nicht gerade freundlich.«
»Meinst du wirklich …?«, fragte Ulrike von Menden zögernd. Nur zu gern war sie bereit, der alten Dame zu glauben, denn die eigenen Überlegungen und Mutmaßungen machten die Baroness nur unglücklich.
»Aber sicher«, bekräftigte Tante Ludovica und klopfte mit dem Stock auf den Boden. »Du musst nicht gleich Gespenster sehen, bloß weil der gute Gerhard mal kein Süßholz raspelt.«
»Ach, jetzt, wo ich mit dir rede, erscheint mir alles nicht mehr so schlimm. Wahrscheinlich hast du recht, Tante Ludovica. Ich habe mich in irgendetwas hineingesteigert.« Die Baroness atmete hörbar auf, wischte sich die Tränen ab und lächelte die Gräfin zaghaft an. »Tante Ludovica, hältst du mich jetzt für ein hysterisches Frauenzimmer?«
Die Gräfin lachte, doch es klang ein wenig gekünstelt. Die alte Frau machte sich Sorgen um den Neffen, der sich offensichtlich in ein Abenteuer gestürzt hatte.
Amanda kam ins blaue Zimmer. »Entschuldigen Sie, Frau Gräfin, aber der neue Diener ist da. Herr Kant sagt, er hätte einen Vorstellungstermin.«
»Du lieber Himmel, den hatte ich völlig vergessen.« Tante Ludovica strich sich über das dunkle glatte Haar, prüfte den Sitz des Knotens im Nacken und zupfte am Spitzenkragen.
Ulrike unterdrückte ein Lachen. Sieh da, dachte sie. Tante Ludovica ist ja noch eitel.
»Bringen Sie Herrn Kant bitte herein, Amanda.«
»Sehr wohl, Frau Gräfin.«
Kurz darauf stand der neue Bewerber, der elfte nunmehr, vor der Gräfin und verneigte sich. »Ich bin Philip Kant, Frau Gräfin, und das sind meine Reverenzen.«
Er reichte ihr ein braunes Kuvert, dem Gräfin Ludovica zunächst keinerlei Beachtung schenkte. Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete sie den Bewerber.
Die Gräfin hielt sich für eine große Menschenkennerin, und sie glaubte, auch ohne Zeugnisse einen guten Diener auf Anhieb erkennen zu können.
Philip Kant zuckte nicht mit der Wimper. Gelassen hielt er ihrem Blick stand.
Gräfin Ludovica runzelte die Stirn. Täuschte sie sich, oder lächelte der Mann tatsächlich leicht ironisch?
Auch Ulrika betrachtete neugierig den Mann, den sie etwa auf fünfundvierzig Jahre schätzte. Er gefiel der Baroness, denn er hatte eine positive Ausstrahlung. Außerdem beeindruckte es Ulrike, dass er Tante Ludovicas Musterung so gelassen ertrug.
Es war still im blauen Zimmer. Nur das Rascheln der Papiere, die die Gräfin nun gründlich studierte, war zu hören.
»Wie ich sehe, haben Sie ausgezeichnete Reverenzen«, sagte die Gräfin, als sie die Papiere wieder ins Kuvert schob. »Warum haben Sie Ihre letzte Anstellung bei der Herzogin von Schonstein aufgegeben? Wie ich sehe, waren Sie immerhin acht Jahre im Dienst der Herzogin.«
»Nun …«, Philip Kant zögerte. »Verzeihung, Frau Gräfin, aber die Herzogin von Schonstein war vierundneunzig, und sie wusste so manches, was sie tat, bereits eine Stunde darauf nicht mehr. Wie Sie aber aus meinen Reverenzen ersehen können, sprach ich mit dem Sohn der Herzogin, und dieser zeigte vollstes Verständnis für meinen Wunsch, nicht mehr in den Diensten der Herzogin arbeiten zu wollen. Außerdem wurde die Herzogin kurz nach meinem Weggehen in ein privates Sanatorium gebracht.«
Gräfin Ludovia schmunzelte. »Das haben Sie aber hübsch umschrieben, Herr Kant.« Sie neigte sich zu Ulrike und flüsterte dicht an deren Ohr: »Ich habe immer befürchtet, dass Mathilde eines Tages so enden würde. Bei ihr waren schon früher ein paar Schräubchen locker.«
»Aber Tante Ludovica«, tadelte die Baroness sie.
»Ach, nun schimpf nicht«, wehrte die alte Dame ab. »Ich habe doch nur die Wahrheit gesagt. Vielleicht ohne schmückendes Beiwerk, das gebe ich zu, aber ansonsten würde mir jeder ehrliche Mensch aus unseren Kreisen beipflichten.«
Die Gräfin wandte sich wieder dem Bewerber zu. »Sie gefallen mir, Herr Kant. Wann können Sie die Stellung bei mir antreten?«
»Schon morgen, wenn Sie wünschen.« Er verneigte sich leicht.
»Wunderbar.« Die Gräfin war begeistert. Sie griff zu einer kleinen Silberglocke auf dem Tischchen und läutete. Als die Zofe hereinkam, bat die Gräfin: »Amanda, bringen Sie bitte Herrn Kant in den Ostflügel. Er wird dort das grüne Zimmer mit dem kleinen Balkon bewohnen. Ach, fast hätte ich es vergessen. Amanda, das ist unser neuer Diener Philip.«
»Wie Sie wünschen.« Amanda war erstaunt, denn das grüne Zimmer im Ostflügel war eigentlich nicht für Personal bestimmt. Na, mir soll es egal sein, wo unser neuer Diener unterkommt.
*
Gerhard Graf von Permont erhob sich sofort, als er die Contessa in Begleitung eines Hotelboys auf sich zukommen sah.
Die blendende Erscheinung des jungen Grafen zog so manchen Frauenblick auf sich. Er trug dunkle Hosen und ein weißes Dinnerjackett, das seinen braunen Teint hervorhob. Gerhards kräftig-blondes Haar schimmerte wie reifes Korn.
Doch auch Silvia zog die Blicke der Anwesenden auf sich. Das tiefdekolletierte Abendkleid war eine raffinierte Kreation aus hellblauem Chiffon, ein dreifaches Perlenkollier schmückte ihren gebräunten Hals, und der Schimmer der Perlen wetteiferte mit dem Lächeln der Contessa.
Der Boy verneigte sich, nachdem er Silvia an den Tisch des Grafen begleitet hatte und zog sich sofort wieder zurück.
Gerhard küsste Silvia die Hand, und als er sich aufrichtete, verlor er sich sekundenlang in dem dunklen samtenen Braun ihrer großen leicht mandelförmig geschnittenen Augen.
»Ich freue mich, dass Sie doch noch gekommen sind«, sagte er.
»Und ich muss Sie um Entschuldigung bitten«, erwiderte sie und setzte sich, als er ihr den Stuhl zurechtrückte. »Ich hatte Migräne und konnte mich erst im letzten Augenblick entschließen, doch noch zu kommen. Mein Cousin und Tante Maria haben sich reizend um mich bemüht.«
»Ihr Cousin?« Eifersucht flammte in Gerhards Herzen auf. »Er lebt bei Ihnen?«
Ein Ober in dunklem Frack verneigte sich neben Silvia. »Haben Sie schon gewählt, gnädige Frau?«
»Ich schließe mich dem Grafen an«, entgegnete Silvia gelangweilt und wandte sich dann an Gerhard. »Ich hoffe, Sie haben kein großes Menü gewählt?«
»Nein, nur ein wenig kalten Hummer«, erwiderte er und wartete ungeduldig darauf, dass der Ober Champagner in Silvias Glas schenkte. Als der Ober sich entfernte, hob Gerhard sein Glas. »Ich trinke auf die schönste und bezauberndste Frau, die mir je begegnete.«
»Und ich auf den charmantesten Schmeichler.« Silvia lachte und trank einen kleinen Schluck.
Die Contessa schaute sich unauffällig um. Ja, das war der Rahmen, den sie liebte. Der Palmengarten des Hotels war bekannt und berühmt, und seine Atmosphäre verdankte er nicht zuletzt der indirekten Beleuchtung und den kleinen Wasserspielen, deren Wasserperlen sich in tausend Aquarellfarben präsentierten.
Gerhard kannte sich selbst nicht wieder. Er war als guter Unterhalter bekannt und verstand es im allgemeinen, geistreich und gekonnt zu plaudern.
Doch in Silvias Nähe war alles anders. Ja, Gerhard ertappte sich bei dem Wunsch, nichts reden zu müssen. Er wollte sie nur anschauen, und in ihren dunklen Augen konnte er sich verlieren.
Der kleine Imbiss wurde schweigend eingenommen, und Silvia unterdrückte ein spöttisches Lächeln. Himmel, den Grafen hatte es aber mächtig erwischt!
Seine Verlegenheit spürte Silvia fast körperlich, und sie amüsierte sich köstlich darüber.
Die junge Frau war eine fantastische Schauspielerin, und jeder hätte ihr die Rolle geglaubt, die sie dem Grafen vorspielte.
»Ich weiß nicht, warum ich Ihre Einladung angenommen habe«, sagte Silvia, der das Schweigen nicht behagte. »Es …, es ist gar nicht meine Art. Aber irgendetwas zwang mich dazu … Ich habe mit Tante Maria darüber gesprochen, und sie meinte, so etwas sei Schicksal.«
Gerhards Herz klopfte schneller. Spürte auch er nicht etwas Schicksalhaftes in der Begegnung mit der Contessa? Ja, sie hatte ihn vom ersten Augenblick an fasziniert, und bereits jetzt, nach so wenigen Tagen, konnte er sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen.
Gerhard legte die Finger auf ihre Hand und lächelte verliebt. »Mir geht es nicht anders, Contessa«, gestand er leise. »Auch ich fühle mich zu Ihnen hingezogen, wie noch zu keiner anderen Frau zuvor.«
Gerhard dachte kurz an Ulrike von Menden. Ja, er hatte geglaubt, sie zu lieben, doch seit er Silvia kannte, erschien ihm das Gefühl für Ulrike klein und nichtssagend.
Ach, was denke ich überhaupt an Ulrike?, fragte er sich unwillig. Gerhard wollte das aufkeimende Schuldgefühl der Baroness gegenüber nicht wahrhaben und redete sich ein, niemandem Rechenschaft schuldig zu sein.
»Sie sehen plötzlich so verärgert aus«, stellte die Contessa lauernd fest.
»Habe ich schuld daran?«
»Wie können Sie nur so etwas denken?«, entgegnete er ehrlich entsetzt. »Ich …, ich dachte nur daran, dass ich mich nicht mehr sehr lange auf Capri aufhalten kann. Und der Gedanke, Sie für unbestimmte Zeit nicht zu sehen, bereitet mir Unbehagen.«
Silvia spürte instinktiv, dass sie jetzt etwas unternehmen musste, wenn sie keine schlechte Stimmung aufkommen lassen wollte. Sie sah zur Balustrade des Palmengartens hinüber. Die Contessa wusste, dass dahinter eine gewundene Steintreppe begann, die durch Terrassen zum Meer hinunterführte.
»Ich möchte ein Stück gehen«, sagte sie und stand auf. »Begleiten Sie mich?«
Silvia erwartete keine Absage und ging ein paar Schritte. Gerhard von Permont folgte ihr auf dem Fuß. Für ihn gab es nichts Schöneres, als mit ihr allein sein zu können.
Hinter der Balustrade des Palmengartens fiel der Hang terrassenförmig ab. Die Blütenpracht konnte man um diese Zeit nur ahnen, der Duft von Oleander und Jasmin begleitete Silvia und Gerhard jedoch bis zum Privatstrand des Hotels hinunter.
Es war eine berauschende Nacht, sternenübersät der Himmel, die Luft lau und vom Blütenduft durchdrungen. Leise Musik wehte vom Hotel herüber.
Gerhard ließ sich von dem Zauber mitreißen. Ja, er wagte es auch, einfach die Hand der Contessa zu nehmen, als sie am Strand spazierten.
»Schade, dass solche Stunden viel zu schnell vergehen«, sagte Silvia leise, blieb stehen und blickte aufs Meer hinaus, über das der Mond einen silbernen Streifen zog.
»Das muss nicht sein«, sagte er. Sein Atem streifte ihre Wange, so nahe war Gerhard ihr. Er legte die Hände auf ihre Schultern. »Silvia, ich liebe dich. Bitte, sag jetzt nichts, hör mir zu. Ich weiß, dass ich ohne dich nicht mehr sein möchte. Komm mit mir, Silvia, auf Pallenberg ist genug Platz für uns. Und bitte …, hab keine Angst, ich werde dir jeden Wunsch von den Augen ablesen.«
»Ach, Gerhard …«, Silvia seufzte und bettete den Kopf an seine Brust. Sie schmiegte sich an ihn, und leise, fast ängstlich fügte sie hinzu: »Ich habe Angst vor so viel Gefühl.«
»Dummchen«, flüsterte er zärtlich und legte die Hand unter ihr Kinn. »Schau mich an, Liebling. Für mich ist nur eines wichtig, dass du mich auch ein bisschen lieb hast.«
»Ich liebe dich, Gerhard«, erwiderte sie. Zögernd legte sie die Hände um seinen Hals, scheu streiften ihre Lippen seinen Mund.
Gerhard legte die Hände um ihr Gesicht. »Sag es mir noch einmal«, bat er.
»Ich liebe dich.« Die drei Worte, die alle Liebenden der Welt kannten und sich zuflüsterten, kamen wie ein Hauch von ihren Lippen.
Der junge Graf riss die geliebte Frau in die Arme. Seine leidenschaftlichen Küsse, seine stürmischen Zärtlichkeiten zerstreuten ihre Zurückhaltung. Gerhard wähnte sich im siebten Himmel.
Gerhard wusste nicht, wie lange sie engumschlungen am Strand gestanden hatten. Ja, er glaubte aus einem wunderschönen Traum zu erwachen, als Silvia sich plötzlich von ihm löste, ein paar Schritte ging und sich dann auf einen umgekippten Kahn setzte.
Sie hatte die Hände in den Schoß gelegt und hielt den Kopf gesenkt.
Verwirrt strich er sich die Locken aus der Stirn, zögernd kam er näher, blieb neben ihr stehen und schaute auf sie hinunter.
»Silvia …«
»Frag mich nicht«, flüsterte sie.
Täuschte er sich, oder zitterte ihre Stimme wie unter Tränen? Gerhard setzte sich neben Silvia, legte den Arm um sie und sagte: »Ganz gleich, was dich bedrückt, Liebling, sag es mir. Vielleicht kann ich dir helfen?«
»Ach, Gerhard …« Ein tiefer Seufzer folgte den Worten. Silvia lehnte den Kopf an seine Schulter und schaute aufs Meer hinaus, das leise ans Ufer platschte.
»Das klingt sehr traurig«, bemerkte er, und seine Lippen streiften ihr Haar.
»Ich bin es auch. Du bist sehr großzügig, Gerhard, aber ich kann deine Einladung nach Deutschland nicht annehmen«, erklärte sie, befreite sich von seinem Arm und setzte sich gerade hin. Offen sah sie ihn an. »Ich bin nicht allein.«
Seine Augenbrauen hoben sich kaum merklich. War sie vielleicht verheiratet? Oder hatte sie ein Kind? Oder gar beides? Wie sollte er sich jetzt verhalten?
»Ich kann dir nicht folgen«, sagte er nach langem Schweigen. »Was heißt das?«
Silvia hatte diese Rolle schon häufiger gespielt. Jede Geste war ihr vertraut. Die junge Frau hob die Schultern und ließ sie langsam wieder sinken. Das gab ihr etwas Trostloses.
»Ich ginge gern mit dir, Gerhard, aber … Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll.« Wieder legte sie eine große Pause ein, bevor sie leise erklärte: »Ich bin zwar eine Contessa, aber ich kann das Leben einer Adeligen nicht führen. Ich bin arm, Liebling, sehr arm, und dass ich noch ein Leben in einem gewissen Stil führen kann, verdanke ich einzig und allein meiner Kinderfrau Tante Maria und meinem Cousin Marco de Rivera. Sie haben in den letzten Jahren rührend für mich gesorgt. Ich kann sie nicht allein hier zurücklassen. Verstehst du das?«
Gerhard atmete erleichtert auf. Wenn es nur das war …
»Nimm sie doch mit nach Deutschland«, schlug er vor und lachte. Er sah keine Probleme mehr.
»Auch das geht nicht.« Sie schluchzte leise. »Bitte, Gerhard, frag mich nicht weiter. Ich will nicht wie eine Bettlerin vor dir stehen.«
Fest legten sich seine Arme um ihre Oberarme. Er schüttelte Silvia leicht. »Was redest du für einen Unsinn, Liebling? Ich liebe dich, und ich will alles mit dir teilen. Auch deine Freunde sollen an unserem Glück teilhaben. Sag ihnen einfach, sie sollen mit nach Deutschland kommen. Um die Kosten brauchen sie sich nicht zu kümmern. Ich übernehme das schon. Und auf Pallenberg ist genug Platz für euch alle. Nun? Was sagst du dazu?«
Die Überraschung in ihrem Blick war echt, denn so viel Großzügigkeit hatte sie nicht erwartet.
»Gerhard«, flüsterte sie. »Ich …, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll …«
»Deine Liebe ist für mich Antwort genug.« Sein Blick umfasste ihr Gesicht, in dem ein großes dunkles Augenpaar leuchtete. Der Mondschein glänzte auf Silvias Lippen, die sich ihm verlangend boten.
Der junge Graf küsste sie behutsam und zärtlich, und in diesem Augenblick wusste Silvia de Mirandola, dass Gerhard keine leeren Versprechungen machte. In ihm hatte sie endlich den Mann gefunden, den sie schon lange suchte. Ein Mann, der gut aussah und offensichtlich über sehr viel Geld verfügte. Dass er zudem auch noch einen alten Namen zu bieten hatte, war eine angenehme Begleiterscheinung.
Silvia erwiderte Gerhards Zärtlichkeiten leidenschaftlich, denn nun wusste die junge Frau, dass ihr Einsatz sich lohnte.
*
»Ich werde selbst fahren, Konrad, nehmen Sie sich ein Taxi«, entschied Gerhard von Permont, nachdem der Chauffeur Kurt Wollmer das Gepäck verladen hatte.
»Ich musste noch einen Teil der Koffer in Aufbewahrung lassen, Herr Graf«, erklärte Wollmer und drehte die dunkle Schirmmütze zwischen den Händen. »Wann werde ich über den Wagen verfügen können?«
»Sie stellen komische Fragen. Wollmer.« Gerhard hob die Augenbrauen. »Fahren Sie mit einem Taxi nach Pallenberg. Dort gibt es doch genug Wagen, um das Gepäck zu holen. Den Jeep zum Beispiel. Oder ist der Ihnen nicht gut genug?«
»Doch …, sicher …« In den Worten klang Verwunderung, denn so barsch kannte der Chauffeur den jungen Grafen nicht.
»Gut, dann tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe.« Gerhard wandte sich seinen Gästen zu. »Silvia, möchtest du vorn bei mir sitzen?«
Die junge, elegant gekleidete Frau nickte. Sie genoss die Blicke der Passanten, die die dunkle Limousine mit dem Wappen derer von Permont bewunderten.
Marco de Rivera und Maria Santos nahmen im Fond des Wagens Platz. Auch sie fühlten sich in eine Welt versetzt, von der sie bisher nur träumen konnten.
Viel zu schnell für Silvias Vorstellungen verließen sie die verträumte Kleinstadt.
Gerhard lenkte den Wagen in südlicher Richtung, und als sie die Waldstrecke verließen, deutete der Graf auf Schloss Pallenberg, das sich auf einem sanften Hügel erhob.
»Das ist Pallenberg, das Stammschloss derer von Permont«, erklärte er nicht ohne Stolz. »Früher besaßen wir noch einige Jagdschlösschen, die ich jedoch bis auf eines alle verkauft habe. Heute sind es ausgezeichnete Hotels, in denen man sich zur Jagd oder Erholung trifft.«
Silvia schloss sekundenlang die Augen. Gerhard musste immens reich sein. Viel reicher, als sie bisher vermutet hatte …
Auch Maria Santos im Fond des Wagens bekam eine trockene Kehle und räusperte sich. »Bitte, Gerhard, halten Sie doch einen Augenblick lang an. Ich möchte Ihr Pallenberg betrachten.«
»Wie Sie wünschen.« Der junge Graf stoppte den Wagen. Gerhard kümmerte sich nicht weiter um Maria Santos, die den Fond verließ. Der junge Graf nahm Silvias Hände und küsste sie zärtlich.
Maria Santos hingegen stand und staunte.
Zwei mächtige Türme hoben sich klar vom blauen Himmel ab. Ihre Kupferhauben schimmerten in der Sonne, die beiden Wetterfahnen blinkten.
»Ein fantastischer Anblick«, flüsterte Maria, dann stieg sie wieder in den Wagen.
Gerhard setzte die Fahrt fort. Nicht ohne Stolz erzählte er von seinen Ahnen, die sich im frühen Mittelalter hier angesiedelt hatten.
»Heute bin ich froh, dass meine Vorfahren so großzügig geplant haben, denn ich kann meinen Gästen den gesamten Westflügel zur Verfügung stellen. Allerdings werde ich wohl noch einen Aushilfsdiener besorgen müssen, denn der gute alte Otto schafft das alles nicht allein.«
Die ersten Gebäude, die zum Schloss gehörten, tauchten unter hohen Kastanien auf.
»Dort drüben sind die Reitställe.« Gerhard deutete mit dem Kinn auf die sauberen Fachwerkbauten mit den hohen braunen Türen. »Ich habe zwar kein Gestüt mehr wie ehedem mein Vater, aber ich halte mir noch ein paar Reitpferde zum Vergnügen.«
Er verschwieg seinen Gästen, dass seine sieben Vollblutpferde ein Vermögen wert waren.
Gerhard von Permont lenkte den Wagen um die letzte Biegung. Ein prächtiges Tor, von Efeu umrankt, tat sich vor ihnen auf. Zwei kleine Häuschen flankierten das Tor. In ihnen waren früher die Torwachen derer von Permont untergebracht gewesen.
Der Graf lenkte den Wagen in den Innenhof und parkte ihn direkt neben der Freitreppe. »Ich bringe euch erst mal ins Haus, denn die Fahrt war sehr anstrengend. Um euer Gepäck wird der Diener sich kümmern.«
Galant war Gerhard der Frau seines Herzens beim Aussteigen behilflich. Höflich reichte er Silvia den Arm und wartete, bis auch Maria und Marco den Fond des Wagens verlassen hatten. Dann ging er mit ihnen zur Freitreppe. Zwei mächtige Steinlöwen flankierten den Treppenaufgang zum Schlossportal.
Einem von ihnen legte Gerhard die Hand auf die Mähne. »Sie sind nicht nur als Zierde gedacht«, erklärte der junge Graf. »In der Familienchronik wird erzählt, dass die Grafen von Permont an der Seite ihres Landesfürsten wie die Löwen kämpften. Das war im fünfzehnten Jahrhundert. Seither führen wir die beiden Löwen auch in unserem Familienwappen.«
Silvia hörte ihm geduldig zu, obwohl sie viel begieriger war, die Innenräume des Schlosses und deren Kostbarkeiten zu sehen.
Gerhard öffnete das Portal und wandte sich nach links. Er führte seine Gäste durch die Halle zu einem breiten Flur, dessen Decke sich wölbte und mit herrlichen Fresken bemalt war.
Hinter diesem Flur tat sich eine kleine Halle auf, die bereits zum Westflügel des Schlosses gehörte. »Ich bringe euch zuerst ins obere Stockwerk, in dem eure Zimmer liegen. In zwei Stunden werde ich euch meiner Tante vorstellen, der Gräfin Ludovica von Permont.«
Dass er keine Eltern mehr hatte, war für Silvia und deren Freunde mehr als angenehm, und diesen Umstand hatte Silvia als erstes in Erfahrung gebracht. Je weniger Verwandte es gab, desto besser würde ihr Plan gelingen!
»Zwei Stunden?«, fragte Silvia schmollend. »Bitte, Gerhard, drei Stunden brauche ich wenigstens, um mich zu erholen und frisch zu machen. Dafür musst du Verständnis haben.«
»Dann eben in drei Stunden«, stimmte Gerhard ihr zu. Er küsste ihre Hand und geleitete seine Gäste ins obere Stockwerk. Nachdem er ihnen die fürstlich ausgestatteten Zimmer gezeigt hatte, zog Gerhard sich zurück.
Jetzt, als er zum Haupttrakt hinüberschlenderte, zeigte sein Gesicht einen nachdenklichen Zug. Für ihn kam nun der schwierigste Augenblick.
Er musste Tante Ludovica erklären, dass er sich in eine andere Frau verliebt hatte.
Gerhard blieb stehen und rieb sich das Kinn. Tante Ludovica konnte verflixt unangenehm werden, wenn sich nicht alles nach ihren Vorstellungen entwickelte. Und Ulrike von Menden gehörte nun einmal zu Tante Ludovicas Traum von einer Schwiegertochter.
»Ich muss doch heiraten, und nicht meine Tante«, sagte Gerhard mürrisch zu sich selbst und ging hastig weiter. Er wollte diese unangenehmen Minuten so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Und wenn Tante Ludovica sich querstellte, dann musste sie eben erleben, dass er ein erwachsener Mann war und seinen eigenen Kopf hatte.
Als Gerhard die Halle erreichte und einen dunkelhaarigen Mann in gestreifter Weste erblickte, blieb er stehen. »Hallo, wer sind Sie denn?«, rief er dem Diener zu.
»Ich bin Philip Kant, der Diener«, erwiderte der große schlanke Mann würdevoll und musterte den Neuankömmling genau. Philip war sicher, das Gesicht schon einmal gesehen zu haben, aber wo – daran konnte er sich nicht mehr erinnern. »Und wer sind Sie?«
»Erlauben Sie mir, dass ich mich vorstelle?«, entgegnete der Jüngere mit gutmütigem Spott. »Gerhard Graf von Permont.«
»Verzeihen Sie, Herr Graf, aber ich hatte noch nicht …«
»Schon gut, Philip.« Gerhard winkte ab. »Wo hält meine Tante sich im Moment auf?«
»Im Kaminzimmer, Herr Graf.«
»Danke.« Gerhard ging ein paar Schritte, blieb erneut stehen. »Noch etwas, Philip. Wir haben Gäste im Westflügel. Sorgen Sie dafür, dass alles zu ihrer Zufriedenheit erledigt wird. Am besten sagen Sie Liesel, sie soll sich von heute an mehr für den Westflügel zuständig fühlen. Das Gepäck ist noch draußen im Wagen. Sorgen Sie dafür, dass es in das obere Stockwerk des Westflügels gebracht wird.«
»Wird sofort erledigt.« Philip verneigte sich leicht und lächelte säuerlich. Mit dem gemütlichen Leben schien es offensichtlich vorbei zu sein.
Noch bevor der junge Graf das Kaminzimmer erreichte, begegnete ihm Amanda. »Oh, Graf Gerhard. Sie sind wieder im Lande?« Ehrliche Freude leuchtete in ihren Augen auf. Amanda liebte den jungen Grafen, der damals, als sie ihre Anstellung auf Schloss Pallenberg angetreten hatte, gerade sechs Jahre alt gewesen war.
»Amanda, wie schön, Sie wiederzusehen.« Gerhard ergriff ihre Hand und drückte sie. Eine Spur leiser fragt er: »Wie ist denn Tante Ludovicas Laune?«
»So – lala«, erwiderte Amanda und senkte ebenfalls die Stimme. »Nach Ihren letzten Anrufen war sie allerdings nicht zu genießen. Sie müssen sie versöhnen, Graf Gerhard. Ich hoffe, Sie haben ihr ein Geschenk mitgebracht?«
»Habe ich.« Er blinzelte der Zofe zu.
»Ich werde mir noch früh genug Tante Ludovicas Zorn zuziehen. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Ich habe für Tantchen eine fantastische Spitzenstola gekauft. Sie ist noch im Gepäck.« Gerhard war froh, das Geschenk nicht vergessen zu haben.
»Soll ich Sie anmelden?«
»Ich überrasche Tante Ludovica lieber, Amanda.« Gerhard drehte sich um, klopfte an die Tür des Kaminzimmers und trat ein.
Tante Ludovica saß in einem Sessel vor dem Kamin, in dem ein kleines Feuer brannte. Sie liebte das Knistern der Flammen und den Duft des Harzes – das wusste Gerhard. Deswegen wunderte Gerhard sich nicht, dass seine Tante trotz der sommerlichen Temperaturen vor einem Feuerchen saß.
»Ist es schon Zeit für den Tee?«, fragte die alte Dame über die Schulter, denn Tante Ludovica glaubte, ihre Zofe sei hereingekommen.
Gerhard schmunzelte und näherte sich dem Sessel auf Zehenspitzen. Von hinten legte er die Hände über die Augen der Gräfin und lachte verhalten.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, rief die alte Dame, die den Neffen sofort am Klang der Stimme erkannt hatte.
»Du Schlingel hast endlich nach Hause gefunden?«
Gerhard zog sich einen Sessel neben den der Tante, setzte sich und nahm ihre Hände. »Ich freue mich, dich gesund wiederzusehen, Tante.«
»Soo?« Sie musterte ihn misstrauisch. »Und was ist aus deiner Leidenschaft geworden? Deine rassige Schönheit, von der du mir am Telefon erzählt hast?«
Gerhard seufzte. Das war Tante Ludovica. Sie steuerte stets ohne Umschweife aufs Ziel zu. Da gab es kein Herausreden oder Totschweigen, sie wollte alles genau wissen.
»Meine Leidenschaft?«, wiederholte er gedehnt. »Drücken wir es doch anders aus, Tante. Ich liebe die Contessa Silvia, und ich werde sie auch zu meiner Frau machen.«
Das Buch, das auf den Knien der Gräfin gelegen hatte, fiel polternd zu Boden. Sie öffnete die Lippen, doch sie brachte keinen Ton hervor.
»Nun schau mich nicht so entsetzt an«, bat Gerhard. »Silvia ist nicht reich, dafür aber sehr schön. Und ich liebe sie, Tante Ludovica. Bitte, behandele sie höflich, wie es ihr gebührt.«
»Was?« Die Gräfin schnappte nach Luft. »Willst du mir damit sagen, dass diese Frau hier auf Pallenberg oder in näherer Umgebung ist?«
Tante Ludovicas rechte Hand umklammerte den Knauf des Gehstockes. Wütend stampfte sie mit dem Stock auf den Boden auf, ihre grauen Augen schleuderten zornige Blitze.
»Ich habe sie als meine Gäste im Westflügel untergebracht.«
»Was heißt Gäste?«, fauchte die alte Dame.
»Ihr Cousin und ihre Kinderfrau sind auch hier«, erklärte der junge Graf ruhig.
Die alte Dame schüttelte den Kopf und betrachtete ihren Neffen, als sei er nicht zurechnungsfähig. Ihr war es gleichgültig, wen er alles mitgebracht hatte. Sie dachte nur an Ulrike, die sich so sehr auf das Wiedersehen mit Gerhard gefreut hatte.
»Musst du sie denn gleich heiraten?«, fragte sie mürrisch.
»Du denkst an Ulrike?«
»An wen denn sonst?«, wetterte die Gräfin laut. »Du hast dem Mädel doch Hoffnung gemacht. Du wolltest dich Weihnachten mit ihr offiziell verloben. Du hast …«
»Bitte, Tante Ludovica, ich bin kein Schuljunge mehr«, unterbrach er sie schroffer als beabsichtigt.
»Dann benimm dich auch entsprechend«, herrschte sie ihn an. Die Gräfin war nicht bereit, auch nur einen Schritt vor ihm zurückzuweichen. Angriff war für die alte Dame immer noch die beste Verteidigung.
Außerdem hoffte die Gräfin, Gerhard noch zur Vernunft zu bringen, wenn sie ihm ordentlich den Kopf wusch.
»Das tue ich.« Gerhard stand auf und holte sich das Zigarettenkästchen vom Kaminsims. Er zündete sich eine an und fuhr fort: »Ich möchte mich nicht mit dir streiten, Tante. Mit Ulrike werde ich reden, sobald ich Zeit dazu habe. Meine Gefühle haben sich geändert. Das wird Ulrike akzeptieren müssen. Es tut mir leid, dass unser erstes Beisammensein auf diese Weise verläuft. Silvia, Maria und Marco sind heute Abend bei Tisch meine Gäste. Ebenso während der nächsten Tage. Ich bitte dich, Tante Ludovica, sei höflich zu ihnen, auch wenn du sie nicht ausstehen kannst.«
Graf Gerhard stand neben ihrem Sessel und schaute auf die alte Dame herab. Sie bebte vor Zorn, doch offensichtlich ruhig bat sie: »Lass mich bitte allein. Ich muss über vieles nachdenken.«
»Wie du willst.« Gerhard ging zur Tür. Er wartete darauf, dass Tante Ludovica ihn zurückrief, doch als nichts dergleichen geschah, zog er die Tür unsanft hinter sich zu.
Der Graf ging nicht sofort zum Westflügel hinüber. Er begab sich in die Bibliothek und ließ sich von Philip eine kleine Karaffe Wein bringen.
Gerhard von Permont hatte nicht erwartet, dass Tante Ludovica Silvia mit offenen Armen aufnehmen würde, aber er hatte auch nicht mit einer derartigen Ablehnung gerechnet.
»Wer nicht für mich ist, ist gegen mich«, sagte der junge Graf düster. Er war nicht bereit, sich den Wünschen seiner Tante zu beugen, auch wenn er sie wie eine Mutter liebte und verehrte. Für sein Lebensglück war er allein verantwortlich.
*
Am Abend hatte Gräfin Ludovica es vorgezogen, in ihrer Suite zu speisen.
Silvia und ihre Freunde hatten Gerhard kein Wort geglaubt, als er ihnen mitgeteilt hatte, dass seine Tante sich nicht wohlfühlte.
Doch das war für Silvia im Grunde nicht wichtig. Sie ahnte, dass Gerhards Tante sich schlichtweg geweigert hatte, mit den neuen Bekannten ihres Neffen zu speisen.
Doch über diese Vermutungen schwieg Silvia sich aus. Ihr war es völlig gleichgültig, ob eine alte Frau ihr Beachtung schenkte oder nicht.
Silvia de Mirandola genoss das Leben auf dem Schloss, und das Hausmädchen Liesel hatte alle Hände voll zu tun, die eigenwilligen Wünsche der Contessa zu erfüllen.
Am nächsten Morgen erwachte Silvia schon zeitig. Sie schlüpfte in ihren rohseidenen Morgenmantel und verließ ihre Suite. Eigentlich wollte sie Marco einen Besuch abstatten, sie unterließ es jedoch, als sie eine blonde Frau mittleren Alters über den Flur gehen sah.
»Hallo, Sie da?!«, rief Silvia. »Äh, wie heißen Sie?«
»Amanda«, antwortete die andere, blieb stehen und musterte Silvia aufmerksam. Natürlich hatte die alte Gräfin lauthals in ihrer Suite gegen die Gäste ihres Neffen gewettert, und Amanda war bestens informiert.
»Bringen Sie mir bitte ein Glas heiße Milch«, forderte Silvia in einem Ton, der Amanda das Blut in die Wangen trieb.
»Dazu ist Liesel da«, erwiderte sie und wollte sich abwenden.
»Sie!«, rief Silvia wütend und ging der Zofe nach. »Ich bin mit Graf Gerhard eng befreundet. Ich werde ihm berichten, wie unmöglich Sie sich benehmen.«
Gelassen drehte Amanda sich noch einmal zu Silvia um. »Verzeihen Sie, Contessa, aber ich bin die Zofe der Gräfin. Ich bin nur ihr verantwortlich. Wenn Sie Beschwerden haben, so richten Sie sie bitte an Gräfin Ludovica. Guten Tag.« Die Zofe neigte hoheitsvoll den Kopf und ging.
Silvia stampfte mit einem Bein auf. Sie zitterte vor Wut. Diese Zofe hatte sie wie ein dummes Mädchen behandelt!
»Der werde ich es zeigen«, stieß sie zwischen schmalen Lippen hervor. Sie ging wieder zu ihrem Zimmer zurück, um nach Liesel zu läuten.
Da hörte Silvia Schritte auf dem Flur. Sie hastete zur Tür ihrer Suite zurück und schaute auf den Flur hinaus. Silvia stieß einen Freudenruf aus, als sie Gerhard auf sich zukommen sah.
Der junge Graf trug ein hellgraues sportliches Seidenhemd, das am Hals offen stand, dazu Breeches in dunklerem Grau und hohe schwarze Stiefel.
Gerhard hielt einen Strauß dunkelroter Rosen im Arm. »Guten Morgen, du Langschläferin.« Er legte der Contessa die Rosen in den Arm und küsste sie auf den Mund.
Silvia erwiderte seine Zärtlichkeit nur flüchtig, drückte ihm die Rosen wieder in die Hand, drehte sich um und ging in ihre Suite zurück.
Dort setzte sie sich in einen Sessel und stützte den Kopf in eine Hand. Von unten herauf starrte sie Gerhard, der ihr gefolgt war, wütend an.
»Liebes, was ist geschehen?«, fragte er und kniete sich neben den Sessel. »So kenne ich dich gar nicht. Sag mir doch, was dich bedrückt oder verärgert hat.«
»Ach …« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Liebling, ich möchte, dass du dich hier wohlfühlst. Alles, was du dir wünschst, soll dir zu Füßen gelegt werden«, versicherte er.
»Auch ein Glas warme Milch?«, fragte sie patzig. In ihren großen dunklen Augen loderte Hass.
»Willst du dich über mich lustig machen?«, fragte er misstrauisch, stand auf und setzte sich in einen Sessel ihr gegenüber. Kein Lächeln lag nun mehr auf seinen Lippen, forschend schaute er sie an. »Übrigens, Philip bringt uns gleich das Frühstück, das ich heute mit dir allein einnehmen wollte. Du hast doch nichts dagegen?«
Am liebsten hätte sie abgelehnt, doch sie erinnerte sich rechtzeitig an Maria Santos’ mahnende Worte. Maria hatte ihr geraten, den Grafen nicht zu herablassend zu behandeln, denn auch ein verliebter Mann hatte lichte Momente.
Silvia lachte plötzlich, als sie an Marias Ausdrucksweise dachte.
»Du lachst wieder? Da bin ich ja beruhigt. Aber nun sag schon: Was war das mit der Milch?«
Silvia wurde der Antwort enthoben, denn Philip schob einen Servierwagen herein. Der Diener deckte den Tisch vor der offenen Balkontür.
»Haben Sie noch einen Wunsch, Herr Graf?«
»Danke, nein.«
»Sagen Sie bitte meinen Freunden, dass ich heute Morgen mit dem Grafen auf dem Zimmer frühstücke!«, rief Silvia ihm nach.
»Sehr wohl, Contessa.« Als Philip die Suite verließ, rümpfte er die Nase. Er hatte noch niemals jemanden so lauthals mit einem Diener reden hören.
Gerhard hingegen hatte den Diener schon wieder vergessen. Der junge Graf schenkte seiner Geliebten Kaffee ein.
»Ich wollte heute Morgen ein Glas Milch, aber Amanda weigerte sich, es mir zu bringen«, erklärte Silvia und hielt die langen Wimpern gesenkt.
»Ich …, ich habe mich ausgesprochen schlecht behandelt gefühlt. So etwas passiert einem nicht einmal in einem drittklassigen Hotel.«
»Hm …, ich kenne Amanda nur freundlich«, antwortete er überrascht. »Warum hat sie denn abgelehnt? Oder ging sie weg, ohne eine Begründung zu nennen?«
Gerhard merkte, wie das Blut schneller durch die Adern floss. Seine Wangen färbten sich dunkelrot. Sicher, Amanda war schon viele Jahre auf Pallenberg, und sie war aus seiner Kindheit und Jugend nicht wegzudenken. Aber durfte sie deswegen der zukünftigen Gräfin einen Wunsch verweigern?
»Oh, sie …, sie sagte, sie sei nur für Gräfin Ludovica zuständig, dann ging sie«, antwortete Silvia leise, und sie brachte es tatsächlich fertig, ein paar Tränen hervorzuquetschen.
»Bitte, weine nicht«, bat er weich, stand auf, ging zu ihr und küsste die Tränen von ihren Wangen. »Ich werde versuchen, das zu ändern. Allerdings hat Amanda recht. Sie ist die Zofe meiner Tante und steht nicht auf meiner Lohnliste. Ich habe ihr nichts zu befehlen. Trotzdem möchte ich, dass du höflich behandelt wirst.«
Der junge Graf griff in die Brusttasche seines Hemdes und holte ein Schmuckkästchen hervor. Er legte es auf Silvias Damastserviette und stand auf.
»Es sollte ein Morgengruß sein, um dich zu erfreuen«, sagte er leise. »Ich hoffe, Amanda hat dich nicht zu sehr verärgert. Nimm es an, Liebling, denn es soll dir meine Liebe beweisen. Mich entschuldige bitte, ich möchte kurz mit Tante Ludovica reden.«
Noch bevor Silvia antworten konnte, hatte der Graf das Zimmer verlassen.
Sie lächelte siegessicher, als sie das kleine schwarze Lederkästchen betrachtete. Sie war erfahren in derartigen Geschenken, und sie fragte sich nur noch, welchen Stein der Ring wohl haben mochte.
Silvia de Mirandola ließ das Kästchen aufschnappen. Ein Entzückensruf entschlüpfte ihr, als sie den Ring betrachtete, der auf weißem Samt gebettet lag.
Glutrot schimmerte ein Rubin in den ersten Strahlen der Morgensonne. »Wunderbar«, flüsterte Silvia andächtig und nahm den Ring aus dem Etui. Sie schob ihn über den Ringfinger, streckte den Arm aus und betrachtete das Schmuckstück.
Der Rubin war in Platin gefasst, das hatte Silvia mit einem Blick erkannt. Jetzt beschäftigte sie die Frage, was er wohl wert sein mochte.
Sie konnte es nicht genau sagen, aber er musste – ihren Erfahrungen nach – ein Vermögen gekostet haben.
»Ich werde heute besonders lieb zu ihm sein«, sagte sie selbstgefällig, und ein sinnliches Lächeln glitt über ihr Gesicht. O ja, Silvia verstand es, mit Männern umzugehen. Und ihre Schönheit machte ihr fast jede Eroberung leicht.
Gerhard von Permont hatte Silvia inzwischen aus seinen Gedanken gestrichen. Der junge Graf bebte vor Zorn, als er das Speisezimmer im Haupttrakt betrat.
Gräfin Ludovica hatte sich entschlossen, die Mahlzeiten wie üblich wieder im Speisezimmer einzunehmen. Die alte Dame saß allein am Tisch. Amanda saß abseits und las ihr aus der Tageszeitung vor.
»Amanda, was haben Sie sich meinem Gast gegenüber herausgenommen?«, fuhr Gerhard sie barsch an.
»Guten Morgen, mein Junge«, sagte seine Tante gelassen. Sie kannte die Geschichte bereits und wusste, warum Gerhard so zornig war. »Seit wann lässt du die Höflichkeitsformen außer Acht?«
»Seit wann verweigern Dienstboten die Arbeit?«, schrie er, außer sich vor Zorn. Gerhard stand leicht vornübergeneigt da, seine Hände umklammerten eine Stuhllehne, sein Blick ging zwischen seiner Tante und der Zofe hin und her.
Amanda wich dem Blick des Schlossherrn nicht aus. Sie fühlte sich nicht schuldig, denn sie wollte lieber das Schloss verlassen, als für eine Frau wie Silvia zu arbeiten.
»Amanda, lassen Sie mich bitte allein mit diesem …, diesem … Wüterich«, bat die Gräfin.
Die Zofe wich dem Blick des Grafen nicht aus, als sie hocherhobenen Hauptes an ihm vorbeiging.
»Bitte, setz dich«, sagte die Gräfin, immer noch sehr höflich. Sie deutete auf einen Stuhl gegenüber. »Auch eine Tasse Kaffee?«
»Ich will keinen Kaffee, sondern eine Erklärung«, antwortete er aufbrausend. Trotzdem setzte er sich und zog ein Zigarettenetui aus der Tasche. »Darf ich rauchen?«
»Sicher. Gib mir bitte auch eine.«
Gerhard kam der Bitte nach und gab seiner Tante Feuer.
»So, nun können wir miteinander reden«, sagte Tante Ludovica. »Unhöflichkeiten und Schreiereien verbitte ich mir. Wir sind hier nicht auf einem Jahrmarkt.«
»Danke für den Hinweis«, murrte er.
»Ich kenne die Geschichte, lieber Neffe«, fuhr Tante Ludovica fort. Sie sprach sehr langsam und bedacht. Gerhard wurde den Verdacht nicht los, dass Amandas Verhalten für Tante Ludovica ein himmlisches Vergnügen gewesen war.
»Und?«
»Ich muss Amanda recht geben. Sie ist meine Zofe und für nichts anderes zuständig«, erklärte die alte Dame gelassen. »Und meine Zofe soll der Contessa Milch holen? Ich bitte dich, Gerhard, wir haben genügend Personal für dererlei Aufgaben.«
»Wäre deiner Amanda ein Zacken aus der Krone gefallen, wenn sie die Milch geholt hätte?«
»Sicher nicht, aber jetzt werde ich dir etwas sagen.« Tante Ludovica wurde lauter. »Amanda will gehen, wenn sie noch einmal zu anderen Zwecken herangezogen werden soll. Soll ich eine Zofe gehen lassen, mit der ich sage und schreibe zweiundzwanzig Jahre lang zufrieden gewesen bin?«
»Es gibt auch andere Zofen, die …«
»Schweig«, unterbrach sie ihn schroff. Es tat schrecklich weh, Gerhard in dieser Verfassung sehen zu müssen. Tante Ludovica betrachtete ihn lange. War das noch der gleiche Gerhard, der sie vor drei Wochen verlassen hatte? Die alte Dame schauderte unter seinem kalten entschlossenen Blick.
Tante Ludovica stand auf. Die Hand, die nach dem Gehstock griff, zitterte. »Ich habe Pallenberg bis heute als meine Heimat betrachtet. Vielleicht habe ich mich geirrt – lassen wir das dahingestellt sein. Noch habe ich Gut Kronfeld, auf das ich mich zurückziehen kann, wenn es sein muss.«
»Du stellst dich gegen mich auf die Seite einer Bediensteten?« Fassungslos schaute er sie an.
»Ich stelle mich auf die Seite des Rechts«, erklärte Tante Ludovica hart und klopfte mit dem Gehstock auf den Boden. »Und du? Denk gut über alles nach, mein Junge. Doch eines kannst du deiner Contessa jetzt schon sagen: Meine Amanda ist nur für mich da. Basta.«
Erhobenen Hauptes verließ die alte Gräfin das Speisezimmer, und das Geräusch des Gehstockes hallte scharf und überlaut in Gerhards Ohren wider.
Der junge Mann ballte die Fäuste. Wie stand er jetzt vor Silvia da? Was sollte er ihr sagen? Dass er sich von seiner Tante wie ein Schuljunge maßregeln lassen musste?
Ein entsetzlicher Gedanke! Gerhard stützte den Kopf schwer in beide Hände. Was sollte er tun? Er wollte Tante Ludovica, die Mutterstelle an ihm vertreten hatte, nicht verlieren. Aber er wollte auch vor Silvia nicht wie ein Trottel dastehen.
»Es wird sich schon wieder einrenken«, sagte er, um sich selbst zu trösten. Gerhard schob das Problem vor sich her. Er weigerte sich ganz einfach, sich damit auseinanderzusetzen, denn noch war er nicht bereit, sich für eine Partei zu entscheiden.