Читать книгу Fürstenkrone Staffel 8 – Adelsroman - Yvonne Bolten - Страница 9
ОглавлениеFürstin Johanna von Adelsbach stand an einem Fenster ihres Salons und sah hinaus in die wunderschöne Bergwelt des Tegernseer Tals. Als es an die Tür klopfte, trat Karl, der langjährige Diener der Fürsten von Adelsbach, ein.
»Durchlaucht haben einen Wunsch?« Der schon etwas gebückt gehende Karl sah die immer noch am Fenster stehende Fürstin fragend an.
Diese nickte. »Sagen Sie, Karl, arbeitet in unserer Schloßgärtnerei nicht dieses neue Mädchen?«
»Meinen Durchlaucht Marianne Burgner?« fragte der Diener.
»Ja, die meine ich«, antwortete die Fürstin. »Wie stellt sie sich an?«
»Die Nanni ist ein sehr liebes und im Umgang mit Pflanzen sehr geschicktes Mädel, Durchlaucht«, antwortete Karl.
»Soso, sie nennt sich also Nanni.« Die Fürstin zog die Augenbrauen hoch.
»Die Leut’ nennen sie so«, antwortete der Diener. »Ich glaub’ nicht, daß die Nanni ihren Namen selbst bestimmt hat.«
»Wie ist sie eigentlich zu der Stelle in der Schloßgärtnerei gekommen?« wollte daraufhin die Fürstin wissen.
»Sie hat sich beworben.«
»War denn eine Stelle freigeworden?«
Karl nickte. »Ja, die Gretl hat aufgehört. Sie hat doch vor einem Jahr geheiratet, und jetzt bekommt sie ein Kind.«
Fürstin Adelsbach zog wieder die Augenbrauen hoch, dann nickte sie, und wie sie es tat, bedeutete es für Karl, daß die Befragung beendet war. Er verbeugte sich kurz und verließ dann den Salon der alten Fürstin, wie man sie landläufig nannte.
Die drehte sich um, ging zu einem kleinen Schränkchen, nahm eine Flasche heraus und goß sich ein halbes Gläschen Sherry ein. Dann ging sie zurück zu jenem Fenster, an dem sie schon die ganze Zeit gestanden hatte, und sah wieder hinaus. Ab und zu nippte sie dabei an dem Sherry.
Johanna Fürstin von Adelsbach hatte im vergangenen Sommer ihren fünfundsiebzigsten Geburtstag gefeiert, war jedoch noch außerordentlich gut in Form. Ihre Jahre sah und merkte man ihr nicht an. Sie war groß und gertenschlank, hatte noch volles, wenn auch weißes Haar, und sie bestimmte seit dem Tod ihres Sohnes die Geschicke auf Schloß Adelsbach.
Die Adelsbachs waren eine sehr alte Familie, deren Ursprung ins vierzehnte Jahrhundert zurückging. Schloß Adelsbach war im sechzehnten Jahrhundert erbaut worden, und wenn die Schloßherren in früheren Jahrhunderten kämpferisch gewesen waren, so hatten sie sich in den späteren Jahrhunderten den schönen Künsten zugewandt, die sie gefördert hatten, wo es ihnen möglich gewesen war.
Deshalb war Adelsbach eines jener Schlösser, die voller Bilder aus allen Jahrhunderten hingen und die eine Bibliothek beherbergten, die unter Kennern auf der ganzen Welt bekannt war.
Gerade als Fürstin Johanna ihren Sherry ausgenippt hatte, klopfte es, und ihr jüngerer Enkel, Prinz Lothar, betrat den Salon. Er begrüßte seine Großmutter, indem er sich kurz verbeugte und ihr einen Guten Tag wünschte.
»Wieso gewöhnst du dir das steife Gehabe eigentlich nicht ab, mein Junge?« fragte sie, bevor sie ihm die Wange zum Kuß bot.
»Gute Umgangsformen gehören zu meinem Selbstverständnis als Vertreter des höheren Adels«, antwortete Lothar wie aus der Pistole geschossen.
Die Antwort amüsierte seine Großmutter, was unschwer festzustellen war, denn sie lächelte.
»Du bist unverbesserlich«, sagte sie, dann fragte sie ihn, ob sie ihm einen Sherry anbieten dürfe.
»Anbieten darfst du mir alles«, antwortete Prinz Lothar, »doch ich muß ablehnen.« Gleich darauf war er verschwunden.
Die alte Fürstin sah auf die Uhr, es war Zeit für ihren Nachmittagstee, und kurz darauf brachte Karl das anregende Getränk.
»Karl«, sagte Fürstin Johanna, »würden Sie Marianne Burgner zu mir heraufbitten?«
Karl nahm gewöhnlich alle Aufträge seiner Dienstherrin kommentarlos hin, es stand ihm schließlich nicht zu, Aufforderungen der Fürstin zu kommentieren, doch diesmal zeigte er insofern Reaktion, als daß er sie einen Augenblick erstaunt ansah.
Der Fürstin blieb Karls Reaktion nicht verborgen, deshalb fragte sie, ob er was dagegen habe, daß sie Marianne zu sich herauf bitte.
»Entschuldigung, Durchlaucht«, murmelte Karl, »natürlich habe ich nichts dagegen. Ich werde die Nanni heraufbitten.«
»Bringen S’ danach noch ein Teegedeck«, sagte die Fürstin, dann ging sie zu ihrem Sekretär, zog eine kleine Schublade auf, nahm einen kleinen Parfum-Flakon heraus und roch daran, worauf sich ihre Gesichtszüge entspannten.
Dann ordnete sie einige Unterlagen, allerdings hastig, als ob sie ungeduldig auf etwas wartete. Als es dann klopfte, stand sie auf, straffte sich und rief ›herein‹.
Karl trat ein und meldete Marianne Burgner.
Ein junges Mädchen trat in den Salon der Fürstin, sah sich ganz rasch erschrocken um und suchte dann den Blick der Fürstin. Es war offensichtlich, daß sie nicht wußte, was sie zu tun hatte.
»Sie sind also Marianne Burgner«, begrüßte Fürstin Johanna das junge Mädchen.
Karl kam gerade mit dem zweiten Teegedeck zurück und stellte es auf einen Wink der Fürstin auf den kleinen Tisch am Fenster, dann zog er sich zurück.
Marianne war ein sehr hübsches Mädchen mit ausgesprochen guter Figur, dabei war sie groß, und wenn sie lachte, dann lachten vor allem ihre rehbraunen Augen, die schon manchen jungen Mann des Tegernseer Tals in Verlegenheit gebracht hatten.
Nanni wußte nicht recht, wie sie sich zu benehmen hatte. Daß sie die Fürstin mit Durchlaucht anreden mußte, wußte sie, weil Karl es ihr auf dem Herweg gesagt hatte.
Sie nickte und hauchte: »Ja, Durchlaucht.«
Die Fürstin lächelte. »Warum ich Sie hergebeten habe, wissen Sie?«
Nanni schüttelte den Kopf, vermied es jedoch zu antworten.
»Daß Ihr Großvater bei uns schon in der Gärtnerei gewesen ist, das wissen Sie aber?« Aufmerksam sah die Fürstin das hübsche Mädchen an.
Nanni nickte. »Ja, er hat davon erzählt.«
»Und seine Liebe für die Natur, die Pflanzen, Blumen und speziell Orchideen haben Sie von ihm geerbt?« Fürstin Johanna ließ Nanni nicht aus den Augen.
Zum ersten Mal, seit sie im Salon der Fürstin war, huschte ein Lächeln um Nannis Mundwinkel.
»Ich glaub’ schon«, sagte sie dann, »der Großvater hat aber viel mehr über die Blumen und Pflanzen gewußt als ich. Er hat ja auch einige Orchideen gezüchtet.«
»Ja, zwei sind sogar nach ihm benannt worden«, erwiderte die Chefin des Hauses Adelsbach.
»Und eine seiner Züchtungen trägt Ihren Namen«, sprudelte es Nanni über die Lippen. Dann wurde ihr bewußt, daß sie dies nicht hätte sagen dürfen. Sie bekam einen knallroten Kopf und murmelte eine Entschuldigung.
»Sie müssen sich doch nicht entschuldigen«, sagte Fürstin Johanna, dann zeigte sie zum kleinen Tisch am Fenster. »Kommen Sie, lassen Sie uns einen Tee zusammen trinken.«
Marianne wußte nicht, wie ihr geschah, doch als die Fürstin ihr noch mal freundlich zulächelte, ging sie zu ihr und setzte sich ihr gegenüber an das kleine Tischchen, nicht ohne sich vorher für ihre Arbeitskleidung zu entschuldigen.
»Aber das macht doch nichts«, erwiderte Fürstin Johanna. »Sie sind ein außergewöhnlich hübsches Mädchen. Das wissen Sie sicher. Wie alt sind Sie?«
»Dreiundzwanzig, Durchlaucht.«
»Bei allen Heiligen«, murmelte die Chefin des Hauses Adelsbach und schloß für einen Augenblick die Augen. »Wie jung Sie sind. Einen Freund haben Sie sicher auch schon?«
Nanni bekam rote Wangen und schüttelte den Kopf. Inzwischen hatte die Fürstin Tee in die Tassen gegossen und einen Schluck genommen.
Nanni schüttelte den Kopf. »Nein, ich hab’ noch keinen Freund.«
»Da schau her.« Johanna von Adelsbach tat sehr erstaunt. »Sonst haben die jungen Mädchen doch immer schon sehr früh einen Freund. Wieso Sie nicht? An Bewerbern dürfte es bei Ihnen doch nicht mangeln.«
»Ich… es ist noch Zeit genug«, antwortete Nanni.
Da nickte die Fürstin. »Das ist wohl wahr.« Dann zögerte sie einen Moment. »Wissen Sie, warum ich Sie hergebeten habe?«
Nanni schüttelte den Kopf. »Nein, das weiß ich nicht.«
»Hat Ihr Großvater Ihnen nicht erzählt, daß wir uns schon lange kannten, bevor ich hier nach Adelsbach geheiratet habe?« Fürstin Johanna sah Nanni aufmerksam an.
Die schüttelte den Kopf. »Nein, davon weiß ich nichts.«
»Daß Ihr Großvater ursprünglich aus dem Werdenfelser Land stammt, das wissen Sie aber?«
»Ja, das weiß ich. Aus der Gegend von Mittenwald.«
Fürstin Johanna lächelte. »Und ich bin eine geborene Baronin von Steinburg. Ihr Großvater hat in Steinburgs Gärten die ersten Schritte als Gärtner getan.«
Nanni saß da und sah Fürstin Johanna mit großen Augen an.
»Das würde ja heißen«, sagte sie, »daß der Großvater mit… ich meine, daß er Ihnen nach Adelsbach gefolgt ist?«
Fürstin Johanna wiegte den Kopf. »Ganz so kann man’s nicht sagen, aber so ähnlich war’s schon.«
Nanni erwiderte nichts, machte sich offensichtlich jedoch Gedanken darüber, was dies zu bedeuten hatte.
Fürstin Johanna bekam natürlich mit, daß Nanni nachdachte, und sagte: »Mein Vater hat damals Ihrem Großvater den Vorschlag gemacht, ob er nicht mit nach Adelsbach wechseln wollte. Dort war man dabei, eine eigenständige Gärtnerei aufzubauen, und mein Vater wußte, wie tüchtig Ihr Großvater war.« Dann zögerte sie einen Moment und fügte hinzu: »Mein Vater hat aber auch gewußt, daß ich mich nicht ganz so alleine fühlen würde, wenn der Burgner-Gustav mit mir geht.«
*
Hans von Adelsbach war der ältere Bruder des Prinzen Lothar, und ihm würde mal der gesamte Besitz gehören. Lothar und Prinzessin Christiane würden eine ausreichende Apanage erhalten, doch mehr nicht. Die Erbgesetze Adelsbachs galten seit dem siebzehnten Jahrhundert, und bisher war immer streng danach verfahren worden.
Eine besondere Situation gab es insofern, als Fürstin Johanna ihrem Sohn längst die Geschäfte übergeben hatte, bevor der mit seiner Frau bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. Da der alte Fürst schon Jahre zuvor verstorben war, war der Titel des Fürsten vakant, bis man sich darauf einigte, daß Johanna ein paar Jahre die Geschicke des Hauses Adelsbach führen würde, zumal Hans eine hohe Stellung in der Wirtschaft bekleidete und nicht so ohne weiteres sofort ausscheiden konnte.
Prinz Hans war zweiunddreißig Jahre alt, hatte Jura studiert und war momentan dabei, nach Adelsbach umzusiedeln.
»Hat Großmutter Besuch?« fragte er, als er in der Halle des Schlosses Karl begegnete.
»Marianne Burgner ist bei Ihrer Durchlaucht«, antwortete der alte Diener.
»Wer?« Prinz Hans hatte den Namen noch nie gehört.
»Die Nanni«, antwortete Karl, »sie ist die Enkelin von Gustl Burgner.«
Hans sah den alten Diener erstaunt an. »Aha, da schau her. Was hat Großmutter mit… wie heißt sie gleich?«
»Marianne«, antwortete Karl, »aber alle nennen Sie nur Nanni.«
»Was hat Großmutter mit diesem Mädchen zu tun?«
»Das müssen S’ Ihre Durchlaucht fragen, Hoheit«, antwortete Karl, »ich kann’s Ihnen nicht sagen.«
»Ob ich hineingehen kann?« wollte Hans daraufhin wissen. »Sie wissen ja, Großmutter wird nicht gern gestört.«
»Gehen S’ nur, Hoheit«, erwiderte Karl, »da stören S’ ganz bestimmt nicht.«
Hans ging daraufhin die östliche Treppe des ganz in Marmor gestalteten Treppenhauses hinauf in das erste Obergeschoß, wo sich der Salon seiner Großmutter befand. Er klopfte kurz an die Tür und trat dann ein.
»Hans, mein Junge…!« Fürstin Johanna stand mit Nanni an ihrem Sekretär und zeigte ihr einige Fotos. »Kennst du Marianne Burgner? Sie ist die Enkelin unseres ehemaligen Gärtnermeisters. Und jetzt ist sie in der Gärtnerei beschäftigt.«
Hans ging auf Marianne zu, lächelte freundlich, gab ihr die Hand und begrüßte sie. »Grüß Gott, Fräulein Burgner.«
Marianne wußte nicht recht, was sie tun sollte, deutete so was wie einen Knicks an und murmelte: »Grüß Gott, Hoheit.«
»Sie sind also die Enkelin des alten Gustl«, sagte Hans. »Wie geht’s Ihrem Großvater?«
»Danke, ich glaub’, es geht ihm gut.«
»Sie wissen nicht, wie es Ihrem Großvater geht?«
Marianne schüttelte den Kopf. »Er läßt sich über seine Gesundheit nicht ausfragen.«
Fürstin Johanna lachte hell auf. »Ist das nicht typisch für ihn? Ihr Großvater hat schon immer solche Marotten gehabt. Aber es waren alles sehr nette Angewohnheiten.«
Dann war es einen Augenblick still, und Marianne fragte, ob sie wieder zurück in die Gärtnerei dürfe.
»Der Robert ist heut’ ganz allein, und wir haben viel zu tun«, sagte sie, als müsse sie erklären, warum sie Fürstin Johanna nicht länger Gesellschaft leisten könne.
»Gehen Sie nur«, sagte die, »wir können unser kleines Plauderstündchen ja jederzeit fortsetzen. Und grüßen S’ Ihren Großvater von mir. Sagen S’ dem Gustl, er wär’ seit seiner Pensionierung kaum mehr dagewesen.«
Nanni machte einen Knicks in Richtung der Fürstin, dann sah sie ganz rasch Prinz Hans, der sie schon eine ganze Weile beobachtete, an und verschwand schließlich, nachdem sie sich dafür bedankt hatte, daß sie die Fürstin hatte besuchen dürfen.
»Seit wann lädst du Dienstpersonal zum Tee ein?« fragte Hans, als Nanni den Salon seiner Großmutter verlassen hatte.
»Seit die Enkelin eines lieben Freundes in dessen Fußstapfen tritt«, antwortete Fürstin Johanna. Dann wollte sie wissen, wie weit Hans’ Übersiedlung aus München zurück nach Adelsbach gediehen sei.
»Ich werde noch ein paar Wochen hin und her pendeln«, antwortete der. »Ganz so rasch geht das nicht.«
»Geht es technisch nicht oder tust du dich schwer?«
»Beides. Ich kann meine Zelte nicht so rasch abbrechen, wie ich es vorgesehen hatte.«
»Spielt da vielleicht Jutta auch eine Rolle?« Johanna von Adelsbach sah ihren ältesten Enkel fragend an.
Der atmete tief durch und sagte: »Das weiß ich nicht so genau. Eines jedoch weiß ich, Jutta ist nicht die Frau, die ich immer an meiner Seite haben möchte.«
»Warum nicht?«
»Sie ist zu… wie soll ich es ausdrücken? Sie hat zu wenig Herz, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Natürlich verstehe ich, was du meinst«, erwiderte die alte Fürstin.
»Jutta ist eine Frau«, erklärte Prinz Hans, »die man überall vorzeigen kann und die jederzeit in der Lage ist, sich in einer Gesellschaft zurechtzufinden.«
»Und warum hast du dann plötzlich Zweifel, ob sie die Richtige für dich ist?«
»Es sind keine Zweifel, Großmutter«, antwortete Hans, »Das ist inzwischen Gewißheit. Für eine lebenslange Beziehung reicht es nicht, ein wenig verliebt zu sein. Liebe ist etwas viel zu Kostbares, als daß man dauerhaft auf sie verzichten könnte.«
Da nickte die alte Fürstin. »Das hast du schön gesagt, mein Junge, und ich gebe dir vollkommen recht.«
Hans stand einen Augenblick gedankenverloren da, dann sah er seine Großmutter fragend an.
»Sag mal«, murmelte er, »wieso hast du dieses Mädchen wirklich zum Tee eingeladen? Doch nicht nur, weil du sie kennenlernen wolltest?«
»Doch«, Johanna von Adelsbach nickte, »ich wollte Gustls Enkelin kennenlernen. Er hat ja sein Privatleben immer vollkommen abgeschottet. Seine Frau hab’ ich zweimal gesehen und seinen Sohn auch nicht öfter.«
»Und das möchtest du jetzt bei der Enkelin ändern?« Prinz Hans sah seine Großmutter fragend an.
Die nickte noch einmal. »Ja, das möchte ich ändern. Irgendwie ist Nanni dem Gustl schon ähnlich.«
»Wie meinst du das?«
»Sie hat was von seiner Gelassenheit«, antwortete die Fürstin. »Wenn es auf den ersten Blick auch nicht so aussehen mag, so hat sie doch sehr viel von ihrem Großvater…!«
*
Christiane von Adelsbach strahlte, als sie ihren Wagen, ein zweisitziges Cabrio, vor dem Schloß abstellte und ausstieg. Sie war froh, wieder zu Hause zu sein, vor allem, weil die letzten Wochen doch sehr anstrengend gewesen waren.
Christiane war vierundzwanzig Jahre alt, studierte in München Veterinärmedizin und hatte vor wenigen Tagen den letzten Abschnitt ihres Staatsexamens bestanden. Sie hatte mit ihren Kommilitonen noch ein wenig gefeiert und kam heute zum ersten Mal nach dieser wichtigen Prüfung nach Hause.
Fürstin Johanna wartete schon sehnsüchtig auf ihre Enkelin, wollte sie ihr doch als Zeichen ihrer Anerkennung etwas ganz Besonderes schenken.
Als Christiane, sie hatte mittelblonde, wunderschöne Haare, die sie, wie jetzt, oft hochgesteckt trug, den Salon ihrer Großmutter betrat, war diese nicht da. Das war vollkommen ungewöhnlich, denn die alte Fürstin war im Grunde genommen immer in ihrem Salon anzutreffen.
»Wo ist meine Großmutter?« Christiane sah Karl fragend an. »Ist was passiert?«
»Nein, Durchlaucht geht es gut«, antwortete Karl, dann gratulierte er Christiane zu der bestandenen Prüfung und sagte, daß Christianes Großmutter im Stall auf sie warte.
»Im Stall?« Christiane schien geschockt. »Was macht Großmutter denn im Stall? Da ist sie doch sonst nie.«
»Durchlaucht wartet im Stall auf Sie, Hoheit…!« Karl lächelte und dämpfte dann seine Stimme ein wenig. »Sie hat wohl eine Überraschung für Sie.«
»Eine Überraschung?« Christiane liebte Überraschungen.
»Bitte, Hoheit, verraten Sie mich nicht«, erwiderte Karl. »Es soll wohl wirklich eine Überraschung sein.«
»Natürlich verrate ich Sie nicht«, antwortet die bildhübsche Prinzessin, dann rannte sie aus dem Salon, die marmorne Treppe hinunter durch die Halle, aus dem Schloß über die Freitreppe zu den Stallgebäuden, die sich an die Verwaltungsgebäude reihten.
»Großmutter?« Christiane sah voller Erwartung in den Stall.
»Hier hinten bin ich«, rief Fürstin Johanna.
Christiane rannte weiter nach hinten, sie wunderte sich, daß keiner der Stalljungen zu sehen war. Als sie in den Bereich der letzten Boxen kam, standen dort alle Bedienstete aus der Gärtnerei und den Stallungen. Mittendrin stand Fürstin Johanna und hielt eine wunderschöne Araberstute am Zügel.
»Hallo, mein Kind«, sagte sie, »wir alle gratulieren dir ganz herzlich zu deinem Staatsexamen. Das hier ist Pila. Sie ist von sehr altem Geschlecht, und ich hoffe inständig, daß ihr beide miteinander auskommt, denn ganz einfach ist die Dame nicht zu handhaben.«
Christiane stand da und sah die einmalig schöne Stute mit großen Augen an. Christiane war Pferdenärrin, sie mochte alle Tiere, aber auf Pferde war sie geradezu verrückt.
»Das… das gibt’s ja nicht, eine… eine Araberstute«, murmelte sie, dann ging sie auf das sie sehr aufmerksam beobachtende Pferd zu und tätschelte ihm den Hals.
Der Stallmeister, er war ein schmaler, groß gewachsener Mann, hielt den Atem an, denn so hübsch Pila auch war, so nervös konnte sie auch sein. Vor allem, wenn Fremde in ihre Nähe kamen.
Doch als würden sich Christiane und die wunderschöne Stute schon immer kennen, begrüßte sie die Prinzessin mit leisem Schnauben.
»Aber, Großmutter«, murmelte diese, »eine Araberstute, das… die hat doch ein Vermögen gekostet. Normalerweise bekommt man gar keine. Was hast du dir denn dabei gedacht?«
»Daß mir für meine Enkelin nichts zu schade ist«, antwortete die Fürstin Johanna.
Dann gab sie ein Zeichen, und ein Mädchen aus der Schloßküche brachte Champagner. Als alle ein Glas hatten, sagte die Fürstin einen Trinkspruch, dann prostete sie zuerst Christiane, dann allen anderen zu.
Christiane war sehr gerührt. Sie bedankte sich bei allen, gab die Zügel der Stute aber nicht mehr frei. Als alle wieder bei ihrer Arbeit waren, nur noch ihre Großmutter und der Stallmeister da waren, fragte sie den: »Lieber Herr Laagen, jetzt sagen Sie mir bitte, wo Sie diese herrliche Stute herhaben?«
»Herr Laagen hat seine außerordentlich guten Beziehungen spielen lassen«, antwortete die alte Fürstin, »Ohne sein großes Engagement hätte ich mit allem Geld der Welt dir diese Stute nicht schenken können.«
»Pila stammt aus allerbester Zucht«, sagte der Stallmeister, »wenn Sie die Papiere in Händen haben, werden Sie es selbst sehen.«
Christiane rieb ihre Nase an dem weichen Maul der Stute, dann gab sie deren Zügel dem Stallmeister, bedankte sich noch mal bei ihm und verließ dann mit ihrer Großmutter den Stall. Noch bevor sie beim Verwaltungsgebäude waren, kam ihnen Lothar entgegen.
»Großmutter…!« Er deutete wieder eine Verbeugung an, dann küßte er seine Schwester auf beide Wangen. »Was macht ihr denn im Stall? Ist was passiert?«
»Hast du etwa vergessen, daß deine Schwester ihr Staatsexamen abgelegt hat?« Fürstin Johanna sah Lothar tadelnd an.
Der erschrak, schloß einen Augenblick benommen die Augen und entschuldigte sich dann bei Christiane.
»Es tut mir leid«, sagte er, »aber ich habe es in der Tat völlig vergessen. Doch ich habe im Moment soviel um die Ohren, daß ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht.«
»Das macht gar nichts«, erwiderte Christiane. »Ich hoffe, bei dir ist alles in Ordnung?«
»Ja, natürlich«, antwortete Lothar.
»Wo bist du jetzt eigentlich?«
»Ich volontiere nach wie vor in der Bank.«
»Aha… und was hast du dann vor?« Christiane sah ihren um vier Jahre älteren Bruder fragend an. »Willst du wirklich noch ein Studium beginnen?«
»Das wird sich zeigen«, antwortete Lothar, dann schien er es eilig zu haben. »Ich wollte eigentlich nur Bescheid geben, daß ich jetzt eine Woche oder länger nicht nach Hause kommen werde. Nicht, daß du dich sorgst.«
»Wo können wir dich erreichen?« wollte seine Großmutter wissen.
»Auf meinem Handy«, antwortete Lothar.
»Und wenn du da nicht zu erreichen bist?«
»Dann sprich auf die Mailbox. Die höre ich immer ab.« Lothar lächelte. »Also, ich bin dann weg. Wiederschauen, Großmutter.« Er sah Christiane an. »Du hast noch ein Geschenk gut bei mir.« Gleich darauf war er verschwunden.
Noch bevor die alte Fürstin und ihre Enkelin das Schloß betreten hatten, blieb Johanna von Adelsbach stehen und sah besorgt drein.
»Der Junge macht mir Sorgen«, sagte sie.
»Lothar?« Christianes Stimme klang erstaunt.
»Ja, Lothar!«
»Und warum machst du dir Sorgen?«
»Er nimmt das Bankvolontariat nicht ernst«, erklärte Fürstin Johanna. »Er ist manchmal eine ganze Woche nicht in der Bank. Ich habe letztens mit Herrn Eßer gesprochen, und der hat mir gesagt, daß er sich ebenfalls sorgt.«
»Aber warum denn?«
»Lothar ist möglicherweise in falsche Gesellschaft geraten«, antwortete Fürstin Johanna. »Eßer hat da Andeutungen gemacht. Daß Lothar Besuch von wenig vertrauenerweckenden Leuten bekommt.«
»Oje«, murmelte Christiane, »das wäre ja nicht schön…!«
»Nein«, erwiderte ihre Großmutter, »das wäre ganz und gar nicht schön.«
*
»Daß Fürstin Johanna früher eine Baronessse war und aus der gleichen Gegend stammt wie du, das hast du mir nie erzählt.« Als Nanni abends nach Hause kam, erzählte sie ihrem Großvater von der Begegnung mit der Chefin des Hauses Adelsbach.
»Die Johanna hat dich zum Tee gebeten?« Gustav Burgner sah seine Enkelin erstaunt an.
Die nickte. »Und geredet hat sie mit mir, als ob sie ein Mensch wie du und ich wär’.«
»Das ist sie doch auch«, brummelte der ehemalige Gärtner der Schloßgärtnerei Adelsbach.
»Schon«, gab seine Enkelin zu, »aber irgendwie auch wieder nicht. Sie ist schon was ganz Besonderes, die Fürstin. Sie ist eine sehr feine Dame und sie… sie ist auch sonst anders als die anderen Menschen.«
»Jetzt hör aber auf«, erwiderte Gustav Burgner. »Ich hab’ gemeint, das Adlige würd’ dich nicht sonderlich berühren. Aber wenn ich dich so reden hör’, irr’ ich mich gewaltig. Hast du vielleicht vergessen, worüber wir uns öfter unterhalten haben?«
»Daß zuerst der Mensch kommt und dann erst sein Titel und seine Herkunft?« Nanni sah ihren Großvater fragend an.
Der nickte. »So ist es.«
»Ich sag’ doch gar nix dagegen.« Nanni küßte ihren Großvater spontan auf die Wange. »Aber daß es für mich schon was Extras war, die Fürstin so persönlich kennenzulernen, das wirst du mir doch zugestehen. Und daß sie mich zum Tee gebeten hat, ist auch was Besonderes. Das macht sie nicht mit jedem.«
Als Gustav Burgner seine Enkelin ansah, mußte er lächeln. Wenn sie sich für etwas begeisterte, dann hatte sie sehr rasch rosa Wangen, und jetzt schimmerten ihre Wangen sogar rot.
»Hat sie dich also auch für sich eingenommen, die Durchlaucht Johanna, wie?«
»Und ob.« Nanni nickte. »Und der ältere der beiden Prinzen ist auch hinzugekommen.«
»Der Hans…?«
Nanni nickte noch mal. »Er ist ein sehr fescher Mann.«
»Seit wann schaust denn du, ob ein Mann fesch ist?« fragte Gustav Burgner.
»Ich bin immerhin dreiundzwanzig«, antwortete Nanni.
»Ja und…?«
»Als die Großmutter so alt war, da warst du schon mit ihr verheiratet, und ihr hattet schon die Tante Lies.«
»Das war was ganz anderes…!«
Marianne lachte. »Soso, was ganz andres war es also. Die Durchlaucht hat mich auch gefragt, ob ich schon einen Freund hab’.«
»Und was hast du geantwortet?«
»Daß ich keinen hab’.«
»War das nicht ein bisserl geflunkert?« wollte daraufhin ihr Großvater wissen.
»Nein, wieso?«
»Na, und der Robert?« Gustav Burgner musterte seine Enkelin ganz genau. »Der Herr Gartenbauingenieur hat es dir doch angetan, oder etwa nicht?«
Nanni lachte hell auf. »Das hast du schon mal gesagt. Wie kommst du denn auf diesen Blödsinn?«
»Seit ich mitbekommen hab’, wie er dich angesehen hat.«
Nanni lachte noch mal. »Aber ich hab’ ihn doch nicht angesehen. Außerdem ist der Robert anderweitig verliebt.«
»Aha, woher weißt du das denn?«
»Das hat er mir gesagt.«
»Und wer ist die Glückliche?«
»Das hat er nicht gesagt.«
Gustav Burgner und seine Enkelin Nanni saßen im Garten eines schmucken Hauses, das der Alte vor Jahren zusammen mit Nannis Vater gebaut hatte. Es lag am Ortsausgang von Adelsbach, denn auch der Ort trug den Namen des alten Adelsgeschlechts.
Das Haus lag am Hang, die untere Wohnung bewohnten die Großeltern und die obere, vom Hang aus zu erreichende Etage, bewohnten Nannis Eltern und ihr jüngerer Bruder Jens. Da in der unteren Etage jedoch reichlich Platz war, hatte Nanni sich in der Etage ihrer Großeltern zwei Zimmer und ein eigenes Bad einrichten dürfen, wofür sie sehr dankbar war.
Gustav Burgner mochte seine Enkelin sehr und sie ihren Großvater, das erkannte man auch daran, wie die beiden miteinander umgingen.
»Magst einen Ribiselsaft?« fragte der ehemalige Gärtnermeister Adelsbachs.
Nanni nickte. »Gerne. Am liebsten gemischt mit ein bisserl Mineralwasser.«
Als ihr Großvater zwei Gläser brachte und eines vor die Nanni hinstellte, fragte die unvermittelt: »Sag mal, die Durchlaucht hat so… so nett von dir geredet, so als ob sie in dich verliebt gewesen wär’.«
Gustav Burgner zog die Augenbrauen hoch, lächelte seine Enkelin zuerst lieb an und lachte schließlich. »Sonst ist alles in Ordnung, wie?«
»Ja«, erwiderte Nanni, »aber du hättest miterleben müssen, wie sie von dir geredet hat, die Durchlaucht. Sie hat sogar gesagt, daß ihr Vater froh gewesen wär’, daß du sie nach Adelsbach begleitet hast, weil er dann hätt’ sicher sein können, daß sie sich nicht ganz so allein fühlt.«
Gustl Burgner war, als die Nanni das Thema anschnitt, zuerst ein wenig gerührt gewesen, jetzt hatte er sich zumindest soweit gefangen, daß man ihm nichts mehr anmerkte.
»Der alte Baron von Steinburg war einer, der sehr auf seine Kinder geschaut hat«, sagte er, »und die Johanna war schon immer sein Augenstern. Es mag schon sein, daß er froh gewesen ist, als ich auch nach Adelsbach gegangen bin.«
»Aber dein Überwechseln von Steinburg hierher hat nichts damit zu tun gehabt, daß die Durchlaucht nach Adelsbach geheiratet hat.« Nanni sah ihren Großvater neugierig an.
»So ist es«, antwortete der. »Die Adelsbachsche Gärtnerei hat schon damals einen weithin bekannten Ruf gehabt.«
»Und du hast ihr Weltruf verschafft«, sagte Nanni.
»Oje, Weltruf«, erwiderte der Gustl, »das ist ein großes Wort.«
»Aber über die Grenzen bekannt geworden ist die Adelbachsche Gärtnerei erst, als du dort warst.«
Der Gustl wiegelte seinen Kopf. »Möglich, daß es so war. Aber es war nicht mein Verdienst.«
»Moment.« Nanni war nicht einverstanden. »Immerhin hast du mehrere Orchideen gezüchtet, die deinen Namen tragen. Und eine ist nach der Durchlaucht Johanna benannt.«
»Das mag ja sein«, murmelte der ehemalige Gärtnermeister der Adelbachschen Schloß- und Güterverwaltung, »aber so was Besonderes war das auch wieder nicht. Man hat eine Menge neue Blumen und andere Pflanzen gezüchtet, die den Namen desjenigen tragen, der sich ihre Entwicklung vorher überlegt hat.«
»Wieso bist du so bescheiden, Großvater?« fragte Nanni. »Die Durchlaucht hat da ganz anders geredet.«
Da verzog der alte Gustl sein Gesicht und bedeutete seiner Enkelin, ihre Stimme zu dämpfen.
»Net so laut«, murmelte er, »nachher hört’s noch die Großmutter, und die ist net so gut auf die Johanna zu sprechen.«
»Ist sie etwa eifersüchtig?« Man sah Nanni an, daß sie vorher nie an derartiges gedacht hatte.
»Jetzt hörst aber endgültig auf.« Ihr Großvater stand auf, nahm seine Pfeife, stopfte sie ein wenig umständlich und setzte den Tabak dann in Brand.
»Wieso willst du denn nicht darüber reden?« flüsterte Nanni. »Du und die Fürstin, wenn ihr euch gut verstanden habt, dann…!«
»Hör auf, Nanni«, unterbrach sie ihr Großvater, »das führt zu nix. Und wenn’s doch zu was führt, dann zu unguten Überlegungen. Deine Großmutter bekommt das Thema immer in die falsche Kehle. Und daß sie sich aufregt, das muß nicht sein.«
Nanni zuckte mit den Schultern. »Schad’, ich hätt’ schon noch gern ein bisserl mehr gewußt.« Sie lächelte verträumt. »Wenn ich mir vorstell’, du und die Durchlaucht, es ist wie im Märchen…!«
*
Hans von Adelsbach brachte seinen Umzug aus München immer mehr voran. In weniger als vier Wochen war er wieder in Adelsbach zu Hause, und seine Großmutter ließ Nanni kommen, weil sie sie bitten wollte, einen besonders schönen Blumenstrauß zusammenzustellen.
»Er ist für meinen Enkel Hans«, sagte sie. »Daß er zurück nach Adelsbach kommt, wissen Sie sicher.«
Nanni schüttelte den Kopf. »Nein, das wußte ich nicht.«
»Nun, dann wissen Sie’s jetzt«, erwiderte Fürstin Johanna. »Und ich bitt’ Sie, ihm zum Empfang einen ganz besonders schönen Strauß Blumen zu arrangieren.«
Nanni dachte einen Moment nach. »An was haben S’ da denn gedacht, Durchlaucht?«
»Das überlasse ich Ihnen, Nanni«, sagte Johanna von Adelsbach. »Wenn Sie soviel gärtnerische Phantasie haben wie Ihr Großvater, dann wird Ihnen genau das Richtige einfallen.«
Plötzlich wußte Nanni, was sie tun würde. »Hab’ ich. Hab’ ich völlig freie Hand?«
Die Chefin des Hauses Adelsbach nickte. »Ja, das haben Sie. Aber enttäuschen S’ mich nicht.
»Ich werd’ mein möglichstes versuchen, Durchlaucht«, sagte Nanni. »Wann muß der Blumenstrauß denn wo stehen?«
Die Fürstin sah auf die Uhr. »In zwei Stunden sollte er unten in der Marmorhalle auf dem Marmorpodest stehen. Wenn Sie nicht wissen, was ich meine, dann schauen S’ es sich gleich an. Um diese Zeit sollte der Bub nämlich eintreffen. Und, Nanni…?«
»Ja…?«
»Der Hans ist ein Blumenliebhaber. Er kennt auch was davon. Wenn S’ das Arrangement zusammenstellen, dann denken S’ bitte daran.«
»Ist schon recht, Durchlaucht!«
»Und noch was…!«
»Ja?«
»Der Hans liebt das Natürliche. Der Strauß sollte schon sehr schön, vor allem aber natürlich sein.«
»Ich hab’ schon eine Idee, Durchlaucht!«
»Welche denn?«
Nanni lächelte. »Wenn S’ gestatten, Durchlaucht, dann würd’ ich den Strauß gern aufstellen und vorher nichts verraten.«
Da lachte Fürstin Johanna. »Das sei Ihnen gestattet. Sie haben mich regelrecht neugierig gemacht.«
»Hoffentlich mach’ ich nicht grad’ das Verkehrte«, erwiderte Nanni.
»Also ich bin mir sicher«, sagte Johanna von Adelsbach mit einem freundlichen Lächeln um die Mundwinkel, »daß Ihnen genau das Richtige einfällt. Und denken S’ bitte daran, in spätestens zwei Stunden unten auf dem marmornen Tisch in der Eingangshalle. Dort will ich Hans nämlich begrüßen.«
»Ist schon recht, Durchlaucht…!« Nanni deutete einen Knicks an und verschwand.
Während sie die Marmortreppe hinunter rannte, sich in der Halle kurz den Tisch ansah und dann weiter in die Gärtnerei lief, ging Fürstin Johanna zu ihrem Sekretär, zog eine Schublade auf, nahm ein Foto heraus und sah es lange an. Als sie es wieder weglegte, hatte sie Tränen in den Augen.
Als Hans kam, es war ein wenig vor der in Aussicht gestellten Zeit, stand der Blumenstrauß noch nicht an seinem Platz. Als Fürstin Johanna es bemerkte, zog sie die Augenbrauen zusammen. Sie ließ manches durchgehen, aber Unpünktlichkeit auf gar keinen Fall.
»Wo ist Marianne Burgner mit den Blumen?« fragte sie, während sie sich nach Karl umsah.
»Die Nanni müßt’ jeden Moment da sein, Durchlaucht«, antwortete der. »Ich hab’ sie vorhin auf der Wiese hinter der Gärtnerei gesehen. Da hat sie…!«
»Ja, wenn sie sich auf der Wiese herumtreibt«, fiel Johanna von Adelsbach dem Diener ins Wort, »dann kann sie ja die Blumen nicht rechtzeitig bringen. Ich werd’ Blumen aus meinen Räumen bringen lassen. Diese weiße Marmorhalle verlangt, daß Blumen da sind, wenn man jemand empfangen will. Also, ich bin sehr enttäuscht.«
Im gleichen Moment hörte man den Wagen des Prinzen Hans vorfahren, und nur Augenblicke später betrat Hans von Adelsbach die Marmorhalle des Schlosses.
Er sah seine Großmutter dastehen und dreinschauen, als habe ihr jemand schlechten Wein verkauft.
»Was ist los?« fragte er. »Hast du was?«
»Man hatte mir zu deinem Empfang Blumen versprochen«, antwortete Fürstin Johanna, »aber man hat mich im Stich gelassen. Und das bei einer eigenen Gärtnerei.«
Prinz Hans war nicht der, bei dem alles immer perfekt zu sein hatte. Ganz im Gegenteil, er wußte, daß Improvisationen oft mehr Freude bereiteten. Deshalb lachte er seine Großmutter jetzt auch lieb an.
»Oje«, sagte er, »du weißt, daß ich Blumen lieber im Garten sehe. Und künstlich zusammengestellte Sträuße mag ich schon mal gar nicht. Wer hat dich denn im Stich gelassen?«
»Marianne Burgner…!«
»Oh.« Hans tat erstaunt. »Das muß dich allerdings enttäuschen. Was hast du ihr denn aufgetragen?«
»Daß sie einen Blumenstrauß arrangiert«, antwortete seine Großmutter. »Und zwar einen, der nicht künstlich zusammengestellt ist.«
»Das hat sie versprochen?« Hans lächelte. »Das gibt’s doch gar nicht. Alle Blumensträuße sind mehr oder weniger künstlich arrangiert.«
»Der Gustl hätte einen gebracht«, erwiderte die Fürstin, »der hätt’ nicht künstlich ausgeschaut. Was der versprochen hat, das hat er auch gehalten.«
Im gleichen Augenblick wurde die Tür des Schlosses geöffnet, und Nanni kam herein. Sie hatte rote Wangen, und auf ihrer Stirn glänzten ein paar ganz feine Schweißperlen. Als sie sah, daß Prinz Hans schon da war, erschrak sie und wurde noch dunkelroter im Gesicht.
»Entschuldigen S’, Durchlaucht«, sagte sie dann zu Fürstin Johanna, »aber rascher ging’s wirklich nicht.« Einen Blumenstrauß hatte sie offensichtlich nicht dabei.
Die Chefin des Hauses Adelsbach sah nur noch einen winzigen Augenblick ungnädig drein, dann fragte sie: »Was haben Sie denn mitgebracht? Ich sehe nichts.«
»Ich hab’ einen Strauß Wiesenblumen gepflückt«, antwortete Nanni, »deshalb hat’s auch ein bisserl länger gedauert. Und er sollt’ ja schon ein bisserl was sein.«
»Einen Wiesenblumenstrauß?« Wie die Fürstin das sagte, klang es, als habe Nanni ein Schwerverbrechen begangen. »Aber Sie sollten doch ein Blumenarragement herstellen.«
»Es sollt’ so natürlich wie möglich sein«, murmelte Nanni, die sah, wie wenig Gegenliebe ihre Idee fand.
»Wo sind denn die Blumen?« fragte Prinz Hans, der bis dahin ganz ruhig dabeigestanden war und Nanni fortwährend angesehen hatte.
»Draußen vor der Tür«, murmelte Nanni leise, weil sie meinte, alles falsch gemacht zu haben.
Bevor sie mehr sagen konnte, war Hans bei der Tür, öffnete sie, und Augenblicke später kam er mit einem Strauß Wiesenblumen herein, dessen Anblick einem fast den Atem nahm. Wunderschön arrangiert, waren alle Blumen vertreten, die man auf einer Wiese hier im Tegernseer Tal finden konnte.
Prinz Hans hielt die Blumen von sich, der Strauß war derart üppig, daß er gar nicht alle Blumen auf einmal sehen konnte.
»Er gehört in eine Vase«, sagte Nanni, »der Karli geht grad’ nach einer Vase schauen.«
Gleich darauf kam ein Junge, fünfzehn mochte er sein, brachte die mit Wasser gefüllte Vase und gab sie Nanni. Die stellte sie auf den weißen Marmortisch, stellte die Blumen hinein, dann ordnete sie sie mit raschen Händen. Als sie fertig war, trat sie einen Schritt zurück, zuckte mit den Schultern und sah Fürstin Johanna an.
»Entschuldigen S’, Durchlaucht«, murmelte sie, wobei sie den Tränen nahe war, »aber ich hab’ gemeint…!«
»Ist schon recht«, ließ die Fürstin sie nicht ausreden, »ich hätt’ Ihnen genauere Anweisungen geben müssen.«
»Ich weiß gar nicht, was du hast, Großmutter«, sagte Hans, der abwechselnd die wunderschönen zum Strauß arrangierten Wiesenblumen und Nanni ansah, »das da ist der schönste Strauß Blumen, den ich je gesehen habe.«
*
»Du willst wirklich eine Gesellschaft geben?« Christiane sah ihre Großmutter fragend an.
Die nickte. »Ja, das möchte ich. Es wird eh Zeit, daß wieder mal ein wenig Leben in dies alte Gemäuer kommt. Außerdem können wir aus zwei Anlässen gleichzeitig feiern.«
»Aus welchen?«
»Du hast dein Examen als Tierärztin bestanden«, antwortete die Fürstin, »und Hans besorgt in Zukunft die Geschäfte der Familie. Das sind zwei gute Gründe für einen Empfang.«
»Wieviel Leut’ willst du denn einladen?« fragte Christiane daraufhin.
»Nicht sehr viele«, antwortete ihre Großmutter. »Die engste Familie und ein paar gute Bekannte. Und dann kann jeder von euch beiden auch noch den einen oder anderen Freund oder wen auch immer einladen.«
»Dann könnte ich auch eine Kommilitonin einladen?« Christiane sah ihre Großmutter fragend an.
Die nickte. »Natürlich. Wegen mir auch noch einen Kommilitonen oder sonstwen. Heute sieht man das nimmer so eng.«
»Also je länger ich darüber nachdenke«, sagte Christiane, »desto besser gefällt mir dein Vorschlag.«
»Dann laß uns nicht länger herumstehen«, erwiderte Fürstin Johanna, »sondern mit den Vorbereitungen beginnen. Ich werde eine Gästeliste zusammenstellen, einen Termin heraussuchen und überlegen, was sonst noch zu beachten ist.«
»Und ich werd’ darüber nachdenken, wen ich gern dabei hätte.« Christianes Augen sprühten vor Energie.
Hans hatte nichts dagegen einzuwenden, als Christiane ihn mit der Nachricht überfiel, es würde einen Empfang auf dem Schloß geben.
»Großmutter meint, es gehört ein wenig frischer Wind in die alten Mauern«, sagte die hübsche Prinzessin. »Und wir dürfen einladen, wen wir wollen.«
Hans zeigte sich erstaunt. »Das hat Großmutter gesagt? Da schau her. Früher war das anders. Da hat eine ganz eigene Empfangsetikette gegolten. Die Gäste wurden angesagt und hatten einer nach dem anderen die Halle zu betreten.«
Christiane quietschte vor Vergnügen. »Au ja, das machen wir jetzt auch so. Die werden Augen machen.«
»Wer ist die…?«
»Einige Kommilitonen«, antwortete Christiane.
»Großmutter hat nichts dagegen, daß du Kommilitonen einlädst?« Hans’ Stimme klang noch erstaunter als vorher.
Christiane schüttelte den Kopf. »Nein, gar nichts.«
»Aha…!« Hans schien nachzudenken.
»Was überlegst du?«
»Wen ich einladen könnt’.«
»Ist dir schon jemand eingefallen?«
Hans wiegte den Kopf und lächelte dabei. »Eingefallen ist mir schon jemand.«
»Aber?«
»Da würde Großmutter garantiert streiken.«
»Aber wieso denn? Großmutter hat versprochen, daß man einladen kann, wen man will. Jetzt sag schon, wen du gern einladen würdest.« Christiane sah ihren Bruder überaus neugierig an.
Der schüttelte den Kopf. »Nein, nein, meine Idee war eh der reine Blödsinn.«
»Ist es eine Frau?« wollte Christiane wissen.
Hans lachte. »Willst du mich ausfragen?«
Aber Christiane ließ sich nicht mehr aus dem Konzept bringen. »Sag schon, ist es eine Frau?«
Ihr Bruder schüttelte den Kopf. »Nein, keine Frau.«
Christiane war enttäuscht, das sah man ihr an. »Dann willst du sicher einen deiner Geschäftspartner einladen.«
»Nein, weder einen Geschäftspartner noch eine Frau. Wenn, dann würd’ ich gern ein Mädchen einladen.«
»Ein Mädchen?« Christiane wirkte erschrocken. »Was denn für ein Mädchen.«
»Ein sehr hübsches und sehr liebes Mädchen…!«
»Ein kleines Mädchen, ich meine, ein Kind?«
Hans schüttelte den Kopf. »Nein, kein Kind.«
»Dann also doch eine Frau…!«
»Sie ist noch keine Frau«, murmelte Hans.
»Ich kann mir vorstellen, was du meinst. Du bist aber in sie verliebt?«
»So gut kenne ich sie noch nicht.«
Zwischen Hans und Christiane hatte es schon früher öfter solche Wortgeplänkel gegeben, und beide hatten immer einen Mordsspaß daran gehabt.
»Laß uns mal festhalten, was wir bis jetzt sicher wissen«, sagte die bildhübsche Prinzessin, »sie ist kein Kind mehr, eher Frau, aber noch nicht ganz. Du würdest sie gerne einladen, meinst aber, Großmutter würde da nicht mitmachen. Möglicherweise bist du sogar in sie verliebt, meinst aber, dazu müßtest du sie besser kennenlernen. Ist das exakt ausgedrückt?« Christiane sah ihren Bruder mit ihren großen dunklen Augen fragend an.
Der nickte lachend. »Ja, so könnte man es im Wesentlichen schildern.«
Da atmete Christiane tief durch. »Oje. Mein Bruder wird bald Fürst Adelsbach sein und ist wahrscheinlich verliebt. So ganz sicher ist er sich aber nicht. Das kann ja heiter werden.«
*
Lothar Prinz Adelsbach volontierte bei einer Münchener Bank, um, wie er immer wieder betonte, eines Tages die finanziellen Belange der Familie verantwortlich führen zu können.
Lothar hatte gleich nach dem Abitur, das er auf einem Schweizer Internat mit viel Mühe abgelegt hatte, ein Studium der Betriebswirtschaft begonnen, es aber rasch wieder abgebrochen, um, wie er betonte, praxisnäher ausgebildet zu werden.
Sein Bruder Hans hatte ihm daraufhin bei einer Münchener Privatbank die Volontärstelle besorgt, die Lothar heute noch innehatte. Der Chef der Bank stand mit Adelsbach seit Jahren in geschäftlichen Beziehungen, und Hans war ihm freundschaftlich verbunden.
Lothar bewohnte im Süden Münchens eine sehr schmucke Wohnung, die zum Bestand der Wohnungen gehörte, die im Besitz Adelsbachs waren. Vor wenigen Minuten erst, es war kurz vor Mittag, als das Telefon läutete, war Lothar aufgestanden. Er benötigte dann eine Viertelstunde im Bad, kleidete sich rasch an, verzichtete auf ein Frühstück und fuhr anschließend in die Münchener Innenstadt.
Als er seinen PS-starken Sportwagen vor einem Biergarten parkte, war es halb eins. Er betrat den Biergarten, sah sich suchend um, und als ihm jemand winkte, ging er auf ihn zu, setzte sich wortlos an dessen Tisch und bestellte sich ein Bier.
»Wir haben schon lange nichts mehr von dir gehört«, sagte der Gutgekleidete. »Müssen wir uns Sorgen um unser Geld machen?«
»Quatsch…!« Lothar wischte sich den Schaum des Bieres von den Lippen. »Ihr habt euer Geld noch immer bekommen.«
Der Gutgekleidete, er hieß Hubertus Bogner und ließ Lothar nicht aus den Augen, erwiderte: »Ja, aber bisher hast du auch immer pünktlich gezahlt. Wir mußten dir nie eine Terminverlängerung geben.«
»Das wird auch nicht mehr vorkommen«, sagte Lothar. »In der nächsten Woche habt ihr euer Geld. Wieviel ist es dann genau?«
»Wann nächste Woche…?«
»Freitag.«
Bogner zog einen Taschenrechner aus der Jacke, tippte einige Zahlen ein und antwortete dann: »Zweihundertdreiundvierzigtausend Mark. Inklusive Gebühren Zweihundertfünfzigtausend.«
Prinz Lothar wurde blaß. »Wie bitte? Ich hab’ an dem Abend mal gerade hunderttausend verloren. Nicht mal ganz.«
»Ja«, Bogner nickte, »aber das ist schon annähernd vier Wochen her. Und du weißt, wie Zinsen von Spielschulden berechnet werden, nämlich täglich.«
Lothar war wütend. »Ihr seid…!«
Hubertus Bogner hob eine Hand. »Sei nicht so dumm und sage Dinge, die du später bereust. Du weißt, daß Manni da keinerlei Spaß versteht.«
»Manni, Manni«, erwiderte Lothar aufgebracht, »wieso hat der plötzlich das große Sagen?«
»Tja.« Bogner zuckte mit den Schultern. »So ein Machtwechsel geht oft sehr rasch vonstatten, und Manni war letztendlich derjenige mit dem längsten Atem.«
»Oder hatte er die brutalsten Schläger auf seiner Seite?« Noch immer hatte Lothar von Adelsbach sich nicht beruhigt.
»Laß Manni das nicht hören«, sagte Bogner. »Er kann schon sehr brutal sein, aber das ist in dem Geschäft kein Nachteil, ganz im Gegenteil.« Dann sah er Lothar direkt an. »Ich an deiner Stelle würde ja auf einen seiner Vorschläge eingehen.«
Lothar lachte kurz auf. »Daß ich noch weiter in seine Abhängigkeit gerate?«
Daraufhin zuckte Bogner mit den Schultern. »Du mußt wissen, wie rasch du das Geld beschaffen kannst. Eine Viertelmillion ist keine Riesensumme, aber es sind auch keine Peanuts.«
»Ihr bekommt euer Geld…!«
»Freitag nächster Woche. Eine Viertelmillion. Oder du hörst dir den einen oder anderen Vorschlag Mannis an.«
»Das brauche ich nicht«, brummelte Lothar von Adelsbach, dann bestellte er einen Espresso.
Daraufhin stand Bogner auf. Er lächelte freundlich. »Also, bis Freitag in der nächsten Woche. Du kommst zu uns. Bis siebzehn Uhr muß das Geld da sein, oder…!«
»Willst du mir drohen?« Lothar trank den Espresso in einem Zug aus und zündete sich eine Zigarette an.
Bogner lächelte. »Warum sollte ich dir drohen? Fasse es als gutgemeinten Rat auf. Wenn Manni ärgerlich wird, dann kann er sehr unangenehm werden, das war alles, was ich dir sagen wollte.«
*
Robert Schwartz hatte Landschaftsarchitektur studiert und sich anschließend auf Gartenbau spezialisiert. Er war zweiunddreißig Jahre alt und seit anderthalb Jahren Chef der Adelsbachschen Gärtnereien und Baumschulen.
Die Gärtnereien und Baumschulen lieferten seltene Züchtungen in alle Welt, hatten seit Gustav Burgners Zeiten einen festen Kundenstamm, der von den Produkten aus Adelsbach überzeugt war, und wie es aussah, war Robert Schwartz genau der Mann, der die Erfolge der Betriebe weiterzuführen imstande war.
Robert war ein großer und sportlich aussehender Mann, zweiunddreißig Jahre alt und immer in Bewegung. Er verstand es, seine Mitarbeiter zu motivieren, und wenn er einmal Zeit hatte, dann schrieb er sehr beachtliche Fachartikel in Gartenbauzeitschriften oder bereitete Vorträge vor.
An jenem Tag saß er in seinem Büro, das im Verwaltungstrakt der Adelsbachschen Verwaltung untergebracht war, als es an seine Tür klopfte und gleich darauf Prinzessin Christiane bei ihm eintrat.
Robert war so erschrocken, daß er beim Aufstehen den Stuhl umstieß und zuerst keinen Ton herausbekam. Schließlich mühte er sich doch ein »Grüß Gott, Hoheit« ab.
»Grüß Grott, Herr Ingenieur«, erwiderte Christiane. Sie nannte Robert immer dann mit seinem Titel, wenn er sie mit ›Hoheit‹ anredete.
Sie setzte sich auf die Kante seines Schreibtischs und lachte ihn sehr freundlich an.
»Ich hab’ einen Anschlag auf Sie vor«, fuhr sie dann fort.
»Ja bitte?« Robert sah die hübsche Prinzessin fragend an.
»Ich würd’ Sie gern zu einem Empfang hier bei uns auf Schloß Adelsbach einladen«, antwortete diese. »Zu meinem Examen und zu meines Bruders Rückkehr möchte meine Großmutter einladen. Zu diesem Empfang kommen auch einige Kommilitoninnen, und wir haben einen Mann zu wenig. Kurzum, ich möcht’ Sie bitten, Tischherr für meine Kollegin Monika Herbst zu sein.«
In Robert Schwartz’ Gesicht spiegelte sich dessen Seelenzustand schon immer sehr deutlich wider, auch jetzt sah man, wie sehr ihn berührte, was die Prinzessin zu ihm gesagt hatte. Als sie sagte, daß sie ihn einlade, spiegelte sein Gesicht seine Freude deutlich wider, um im gleichen Moment, als sie sagte, daß er den Tischherrn für eine ihrer Kolleginnen spielen solle, deutlich zu machen, wie enttäuscht er war.
»Was ist, Herr Ingenieur?« fragte Christiane, »kann ich mit Ihnen rechnen?«
Robert Schwartz deutete eine Verbeugung an und nickte.
»Selbstverständlich dürfen Sie mit mir rechnen, Hoheit.«
»Können S’ das nicht weglassen?«
»Was?«
»Die Anrede Hoheit.«
Robert schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß das passend wäre.«
»Aha, dann eben nicht.« Christiane stand auf und ging zur Tür.
Robert folgte ihr, einen kurzen Moment sahen sie sich aus kurzer Entfernung in die Augen.
»Sie bekommen eine schriftliche Einladung, Herr Ingenieur«, sagte die Prinzessin, »und üben S’ bis dahin noch ein bisserl Tanzen. Es kann nämlich sein, daß ich Sie mal auffordere, und dann wollen S’ sich doch nicht blamieren, oder?«
*
»Also, Sonnabend in vierzehn Tagen wird der Empfang stattfinden«, sagte Fürstin Johanna ein paar Tage später zu Hans, als der nachmittags bei ihr im Salon auftauchte. »Wen möchtest du eigentlich einladen? Ich frage, weil ich die Einladungen verschicken lassen will.«
»Das steht noch nicht fest«, antwortete Hans ausweichend.
»Was heißt das?« Die Fürstin sah ihren ältesten Enkel fragend an.
»Das heißt, daß ich die Dame noch nicht gefragt habe, ob sie der Einladung auch Folge leisten würde.«
»Wie bitte?« Fürstin Johanna starrte ihren Enkel an, als sei der nicht ganz bei Trost. »Willst du etwa andeuten, daß irgendwer die Einladung des designierten Fürsten Adelsbach nicht annehmen könnte?«
»Wieso sollte das nicht einmal passieren?«
»Es ist bisher noch nie passiert, mein Junge.«
»Na ja, es ist ja auch nicht gesagt, daß… daß sie absagen würde«, erwiderte Hans. »Außerdem fürchte ich weniger ihre Absage als das, was du dazu sagen würdest, wenn ich sie einlade.«
Wie in Zeitlupe drehte Fürstin Johanna den Kopf so, daß sie Hans geradewegs ansehen konnte.
»Was heißt denn das schon wieder?« fragte sie. »Willst du sagen, daß ich was gegen die Frau hätte, die du einladen willst?«
»Das weiß ich eben nicht«, antwortete Hans.
»Wen willst du denn einladen?« fragte daraufhin seine Großmutter. »Wenn du befürchtest, ich könne was dagegen haben, dann muß ich sie ja kennen.«
»Sicher kennst du sie, besser als ich.«
»Dann red nicht um den heißen Brei herum. Wer ist das Madel?«
Hans lächelte. »Du ahnst es also schon?«
»Was ahne ich?«
»Weil du Madel gesagt hast, sie ist nämlich eher noch ein Madel. Jedenfalls eher ein Madel als eine Frau.«
»Herrschaftszeiten, Bub«, sagte daraufhin Fürstin Johanna. »Wen um Himmels willen willst du mir da präsentieren? Jutta von Illen ist es sicher nicht. Die ist nämlich meilenweit davon entfernt, noch ein Madel zu sein.«
»Nein«, Prinz Hans schüttelte lachend den Kopf, »Jutta von Illen ist es nicht.«
»Wer ist es dann?«
»Marianne Burgner…!«
Daraufhin war es eine ganze Weile mucksmäuschenstill im Salon der Fürstin. Bis Hans sich räusperte und wissen wollte, warum seine Großmutter nichts sage.
»Nach der Vorrede hätte ich zwar mit einigem gerechnet«, antwortete die, »aber damit nicht. Du willst allen Ernstes die Nanni einladen?«
Hans nickte. »Ja, ich bin fest entschlossen.«
»Warum, um alles in der Welt, willst du denn Nanni Burgner einladen?«
»Tja«, Hans zuckte mit den Schultern, »warum will ich dieses Mädchen einladen? Daß sie noch ein Mädchen ist, darin sind wir beide uns doch einig, oder?«
Die Fürstin nickte. »Ja, da sind wir einig. Aber beantworte bitte meine Frage. Was bewegt dich, Nanni einzuladen?«
»Sie hat mir einen so schönen Strauß Wiesenblumen…!«
»Hans, bitte«, murmelte die Fürstin, »es ist beileibe keine Sache, über die wir scherzen sollten. Es ist immer eine wenig dankbare Sache, wenn man mit Bediensteten auch privat verkehrt. Das bringt nur ganz selten den gewünschten Erfolg.«
»Ich scherze nicht, Großmutter«, erwiderte Hans.
»Was soll dann die Idee, die Nanni einladen zu wollen?«
Fürstin Johanna sah ärgerlich drein.
»Gefällt sie dir etwa? Erwägst du ernsthaft, sie zur Frau zu nehmen?«
»Aber, Großmutter…!« Hans schüttelte den Kopf. »Was ist denn schlimm daran, wenn ich Marianne einlade? Deswegen muß ich sie doch nicht gleich zur Frau zu nehmen. Sie ist ein sehr nettes und sympathisches Mädchen ohne Allüren.«
»Die du ihr möglicherweise in den Kopf setzt.«
»Glaubst du das wirklich?« Hans sah seine Großmutter fragend an.
Die nickte sofort, um gleich darauf abzuwägen. »Nein, das glaube ich eigentlich nicht. Aber wenn ein Prinz Adelsbach ein Mädchen zu einem Empfang einlädt, dann wird dieses Mädchen andere Vorstellungen entwickeln, als wenn sie mit irgendeinem Burschen zu einer Kirchweih geht.«
»Du meinst«, erwiderte Hans, »Marianne würde nicht darauf schauen, ob sie jemand liebt, sondern sie würde ihre Gunst danach verschenken, wer wer ist? Meinst du das?«
Fürstin Johanna atmete tief durch, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, das meine ich natürlich auch nicht. Ich glaube nicht, daß die Nanni derartig denken würde. Ich glaube, sie wird eher nach ihrem Gefühl gehen.«
»Dann werde ich sie einladen«, erwiderte Hans.
»Du erhoffst dir was, oder?« fragte seine Großmutter.
Prinz Hans nickte. »Ja, ich erhoffe mir was.«
»Und was?«
»Einen gelungenen Empfang.«
*
An jenem Abend, als der Empfang stattfand, strahlte Schloß Adelsbach im Schein vieler Lichter. Weithin konnte man sehen, daß auf Schloß Adelsbach wieder mal ein Empfang war. Früher, zu des alten Fürsten Zeiten, hatte es in jeder Saison mehrere Empfänge und Bälle gegeben, denn Fürst Franz war ein sehr lebenslustiger Mensch gewesen.
Als er jedoch verstarb und später dann auch noch sein Sohn und seine Schwiegertochter bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen, wurde es stiller auf Adelsbach, Feste wurden nicht mehr gefeiert. Fürstin Johanna war der Ansicht, nach den Schicksalsschlägen gäbe es keinen Anlaß mehr.
Geladen waren an jenem Abend etwa hundert Gäste. Prinz Hans hatte seine Einladung Marianne selbst überbracht. Er war in die Gärtnerei gegangen, hatte Nanni gesucht und sie weiter hinten bei einem großen Blumenbeet gefunden. Sie sah auch jetzt wunderschön aus, und Hans wunderte sich, warum sie nicht längst einen Freund hatte. Seine Großmutter hatte ihm nämlich verraten, daß Nanni noch solo sei.
»Hallo, schöne Gärtnerin«, hatte er sie begrüßt.
Nanni war herumgefahren und hätte, als sie Hans sah, vor Schreck fast den kleinen Handrechen fallen lassen. Sie war puterrot geworden und hatte gesagt: »Jetzt haben S’ mich aber erschreckt, Hoheit.«
»Das tut mir leid.«
»Es braucht Ihnen nicht leid zu tun.« Nanni hatte zaghaft gelächelt. »Wollen S’ Blumen holen, Hoheit? Vielleicht noch mal einen Strauß bunter Wiesenblumen?«
Prinz Hans hatte den Kopf geschüttelt. »Ich wollt’ Sie zu einem kleinen Empfang einladen. Meine Großmutter ist der Ansicht, daß sie zum bestandenen Examen meiner Schwester ein kleines Fest geben sollte. Und da würde ich Sie gerne einladen.«
Nanni hatte Hans angestarrt, als hätte er ihr ein unanständiges Angebot unterbreitet.
»Sie… Sie wollen mich einladen? Zu einem Empfang im Schloß? Aber… aber das geht doch nicht.«
»Sie wollen also nicht?«
»Doch, ich will schon.« Plötzlich war Nanni mit roten Wangen dagestanden.
Hans hatte sie angelächelt, die schriftliche Einladung aus der Tasche gezogen und sie ihr gegeben.
»Bitte«, hatte er gesagt, »ich würde mich riesig freuen, wenn Sie kommen würden. Meine Großmutter läßt Sie herzlich grüßen, und auch sie freut sich, Sie auf unserem kleinen Empfang zu sehen.«
Nanni war, auch als Prinz Hans die Gärtnerei schon wieder verlassen hatte, mit der Einladung in Händen dagestanden. Es hatte lange gedauert, bis sie den Umschlag geöffnet, den Bogen herausgenommen und die persönlich gehaltene Einladung gelesen hatte.
Als sie abends nach Hause gekommen war, hatte sie die Einladung zuerst ihren Eltern gezeigt. Wortlos hatte sie ihnen den Umschlag hingehalten, ihre Mutter hatte ihn geöffnet und gelesen.
»Deine Tochter ist auf Schloß Adelsbach eingeladen«, hatte Anni Grubner gesagt und die Einladung Nannis Vater gegeben.
Der hatte sie durchgelesen, Nanni angesehen und gefragt: »Hast du denn was Gescheites zum Anziehen? In Jeans kannst du da nämlich nicht hingehen.«
Nannis Vater Werner, er war für seinen trockenen Humor bekannt, hatte vorgeschlagen, sie solle die Einladung ihrem Großvater zeigen. »Mal sehen, was der sagt.«
Gustl Burgner hatte die Augenbrauen hochgezogen und den Kopf geschüttelt.
»Komische Sitten sind das«, hatte er gesagt, »früher hätt’s etwas derartiges nicht gegeben.« Dann hatte er Nanni den Umschlag zurückgegeben und keinen Ton mehr dazu gesagt.
An jenem Abend, als das Fest dann stattfand, war Nanni derart aufgeregt, daß sie am liebsten abgesagt hätte. Sie hatte lange überlegt, was sie anziehen sollte, und sich entschieden, ein ganz schlicht gehaltenes Kleid anzuziehen, zumal Hans ihr gesagt hatte, daß man keine Abendkleidung vorschreibe. Auch seine Schwester verzichtete auf eine spezielle Abendgarderobe.
Als Nanni Hans noch mal begegnet war und von ihm wissen wollte, ob er keine Idee habe, was sie anziehen könnte, hatte er geantwortet, wer einen solch schönen Wiesenblumenstrauß zusammenstelle, der habe genug Phantasie, um sich selbst um seine Garderobe zu kümmern. Dann hatte er noch hinzugefügt, daß er ihr einen Wagen schicken werde, um sie abzuholen.
»Aber ich kann doch selbst mit meinem Wagen fahren«, hatte Nanni geantwortet.
»Sie sind mein persönlicher Gast, Marianne«, hatte Hans mit einem Lächeln um die Mundwinkel geantwortet, »ich werde Ihnen einen Wagen schicken.«
Nannis Eltern und ihr Bruder Jens standen hinter den Fenstern, als der Wagen kam, nur ihr Großvater begleitete Nanni bis zum Wagen. Er hatte sie lange angesehen, als sie sich ihm in ihrem Kleid, das sie selbst geschneidert hatte, präsentierte, und hatte sie schließlich sehr lieb angelächelt.
»Ich hab’ nie ein hübscheres Madel als dich gesehen«, sagte er. »Paß gut auf dich auf, Nanni…!«
An diese Worte mußte sie denken, als der Wagen vor dem Portal des Schlosses vorfuhr, und der Fahrer, sie kannte ihn nicht, ihr die Tür aufhielt, um sie aussteigen zu lassen. Es standen schon einige Wagen auf dem Platz vor der Freitreppe, und plötzlich hatte Nanni Angst, sich zu weit vorgewagt zu haben.
Doch gerade, als sie überlegte, wie sie noch mal davonkommen konnte, stand Prinz Hans vor ihr. Er strahlte sie an und sagte: »Ohne die anderen gesehen zu haben, möchte ich behaupten, Nanni, Sie sind ganz bestimmt die schönste Frau des Abends.«
Nanni bekam rote Wangen und war nicht imstande, irgendwas zu antworten. Sie hatte einiges fragen wollen, doch nun war sie wie gelähmt.
Hans nahm ihren Arm und schritt mit ihr die Treppe hinauf. Als sie die Marmorhalle betraten, stand auf dem weiß-marmornen Tisch wieder ein Wiesenblumenstrauß.
»Ihrer damals war zwar viel schöner«, raunte Hans ihr zu. »Ich hab’ jedoch gemeint, ich müßt’ was präsentieren, das Sie kennen. Daß Sie sich nicht gar so einsam fühlen.«
Plötzlich hatte Nanni das Gefühl, an der Nase herumgeführt zu werden. Sie meinte, Hans wollte sich auf ihre Kosten amüsieren. Sie blickte ihn von der Seite an, aber sein Gesicht sah aus wie immer: Neutrale Mimik, ohne etwas von seinen Gemütsregungen zu verraten.
»Hallo, Großmutter…!« Prinz Hans stand mit Nanni plötzlich vor der Fürstin. »Marianne Burgner kennst du ja.«
»Mein liebes Kind.« Die Fürstin sah Nanni erstaunt an. »Wo haben S’ denn dieses wunderschöne Kleid her? Es muß sündhaft teuer gewesen sein.«
»Würdest du uns entschuldigen?« fragte Hans.
»Du wirst dich noch einen Augenblick gedulden müssen, mein Junge«, erwiderte seine Großmutter, »zuerst möchte ich ein paar Worte mit Nanni reden.« Dann nahm sie Nannis Arm und ging mit ihr ein paar Schritte weiter.
»Kind«, sagte sie dann zu Nanni, »ich weiß nicht, was Hans zu Ihnen gesagt hat, aber Sie sind als seine Begleiterin hier. Und als diese werden Sie neben mir und Hans stehen, um die anderen Gäste zu begrüßen. Es tut mir leid…!«
Nanni meinte in dem Moment, es kippe ihr jemand einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf.
»Geben S’ den Leuten einfach die Hand«, fuhr die Fürstin fort, »und lächeln S’. Sagen S’ am besten gar nichts. Wenn es was zu reden gibt, dann tu’ ich das.«
»Durchlaucht, ich…!«
»Lassen S’ die Durchlaucht mal weg, Kindchen«, sagte Fürstin Johanna, »zumindest heute abend.« Dann lächelte sie zuversichtlich. »Also Sie schauen hinreißend aus. Sie werden sich höchstens mit Christiane um die Schönste des Empfangs streiten müssen.«
Dann kam Hans, lächelte seine Großmutter freundlich an und sagte: »Ich vermute, daß du Marianne instruiert hast. Das wäre nicht nötig gewesen.«
»Du hast offensichtlich keinerlei Ahnung von der Psyche einer Frau«, erwiderte seine Großmutter. Dann drückte sie nochmals Nannis Hans und lächelte sie überaus freundlich an. »Es wird schon werden, Kindchen, machen Sie sich mal keine Sorgen. Wenn Ihr Großvater Sie so sehen könnt, oje, Gustl…!«
Dann betrat Nanni an Hans von Adelsbachs Seite den großen Salon und nahm an der Kopfseite zwischen ihm und der Fürstin Aufstellung. Sie meinte in dem Moment, sie müsse sterben. Noch nie in ihrem Leben hatte ihr Herz so rasch geschlagen, und noch nie hatte sie sich vor den nächsten Minuten derart gefürchtet wie gerade in dem Augenblick.
»Graf und Gräfin von Rodegg«, meldete in dem Moment der Diener Karl die ersten Gäste. Ein mittelaltes Paar kam zur Tür herein, begrüßte zuerst Fürstin Johanna, dann Nanni und
Hans.
Der Graf hatte Nanni die Hand geküßt, während seine Frau das Mädchen an Hans’ Seite mit unverhohlener Neugierde ansah.
»Graf Holderbach und Baronin von Steinheim«, meldete Karl die nächsten Gäste.
So ging es weiter, bis ganz zum Schluß Christianes Kommilitonin Monika Herbst und Robert Schwartz, der Gartenbauingenieur, gemeldet wurden. Als er Nanni zwischen Fürstin Johanna und Prinz Hans die Gäste begrüßen sah, wäre ihm fast das Herz stehen geblieben.
»Nanni«, murmelte er, nachdem er die Fürstin und deren Enkel begrüßt hatte, »was um alles in der Welt machst du denn hier?«
»Das könnt’ ich dich auch fragen«, erwiderte das hübsche Mädchen. Just in dem Moment kam als Ehrengast des Abends Christiane die Treppe herunter. Sie sah hinreißend aus, und Fürstin Johanna hatte recht gehabt, nur sie oder Nanni Burgner kamen als Schönste des Abends in Frage. Dies war zwar kein offizieller Titel, aber kein Ball oder Empfang war gegeben worden, bei dem sich die Gäste nicht über die Schönste des Abends einig gewesen wären.
Dann begann die Kapelle zu spielen, und Christiane eröffnete den Abend, indem sie mit Graf Rodegg tanzte. Der fühlte sich geschmeichelt, als er darum gebeten wurde, mit dem Ehrengast des Abends den gemütlichen Teil des Empfangs zu eröffnen.
Hans wich Nanni nicht von der Seite. Als er sie um den ersten Tanz bat, zögerte sie einen Augenblick, doch bevor sie ablehnen konnte sagte Hans: »Bitte… ich habe mich so darauf gefreut, mit Ihnen zu tanzen.«
Das kam so ehrlich und freundlich heraus, daß Nanni, die immer noch das Gefühl hatte, als ob Hans sich über sie lustig machte, die Bedenken über Bord warf und mit ihm tanzte.
Als Hans seinen Arm um ihre Schultern legte und sie die ersten Takte mit ihm tanzte, meinte Nanni, in einem Film zu sein. Sie spürte die Blicke der anderen, und sie spürte, wie Hans sie an sich zog und wie sie mit ihm über das Parkett glitt.
Als der Tanz zu Ende war, bedankte Hans sich bei ihr und sagte, er wolle sie jemand vorstellen.
Nannis Herz schlug heftiger als sonst, als sie fragte: »Wem denn?«
»Meiner Tante Sophie«, antwortete Hans. »Sie haben Sie vorhin beim Empfang schon kennengelernt, aber Sie möchte das hübsche Mädel an meiner Seite, so hat sie zu mir gesagt, ein bisserl näher anschauen.«
Nanni blieb stehen und atmete tief durch. »Ich kann das alles gar nicht glauben«, murmelte sie.
»Was denn?«
»Das hier alles.« Nanni sah sich rasch um. »Ich bin ein Gärtnermädchen und gehöre nicht in eine solche Gesellschaft. Ich hab’ das Gefühl, daß ich mir was nehm’, was mir nicht zusteht. Vor allem, daß das böse Erwachen noch kommen wird.«
Hans blieb mitten im Salon stehen. Um sie herum wurde getanzt und gescherzt, doch er sah Nanni plötzlich mit ernstem Blick an.
»Wissen Sie«, fragte er, »daß Sie mich faszinieren, seit ich Sie zum ersten Mal im Salon meiner Großmutter gesehen hab’? Und wenn Sie träumen, dann träum’ ich auch. Aber anders als Sie.«
»Was soll das denn heißen?« Nanni schluckte, plötzlich hatte sie einen trockenen Mund.
»Verzeihen Sie, Marianne«, murmelte Hans von Adelsbach, »aber ich glaub’, ich hab’ mich in Sie verliebt.«
*
Als Prinzessin Christiane die Treppe herunter in den großen Salon ging, sahen ihr alle entgegen, und einen Moment lang hatte sie ein flaues Gefühl im Magen, doch als sie die freundlich lächelnden Gesichter sah, atmete sie durch und ging auch die letzten Stufen hinunter in den großen Salon. Tanten und sonstige Verwandte kamen auf sie zu und beglückwünschten sie zu ihrem bestandenen Examen, und ihre Großmutter sagte, sie solle den Abend eröffnen, indem sie mit Graf Rodegg tanze. Der stand gleich daneben, fühlte sich sehr geschmeichelt und tat, was Fürstin Johanna vorgeschlagen hatte. Er verbeugte sich vor Christiane und bat sie um den Tanz.
Nachdem sie mit Graf Rodegg getanzt hatte, tanzte sie mit Ludwig von Schall, einem entfernten Cousin, dem man nachsagte, er habe ein Auge auf sie geworfen. Christiane hatte Ludwig schon lange nicht mehr gesehen und nach dem Tanz wußte sie, daß sie nicht viel versäumt hatte.
Dann sah sie sich nach ihrer Kommilitonin Monika um. Seit dem ersten Tag des gemeinsamen Studiums waren sie unzertrennlich gewesen. Monika war noch nie auf Schloß Adelsbach gewesen, doch nun stand sie mit Robert Schwartz in der Nähe des Ausgangs in den Park. Die beiden schienen sich gut zu amüsieren, denn sie lachten.
»Haben Sie geübt?« fragte Christiane, als sie zu den beiden trat und Robert ansah.
Der bekam rote Wangen und sah sie fast ein wenig fassungslos an.
»Haben Sie vergessen, daß ich zu Ihnen gesagt hab’, Sie sollten üben, weil ich mit Ihnen tanzen möcht’?« Christiane sah Robert mit amüsiertem Blick an.
Monika Herbst grinste plötzlich übers ganze Gesicht. Sie war am Vortag angereist, und Christiane hatte ihr eröffnet, daß sie den Adelsbachschen Gartenbauingenieur als ihren Begleiter eingeladen habe.
»Du hast ihn nur für mich eingeladen?« Monika hatte es gar nicht glauben wollen.
Christiane hatte gelächelt und geantwortet: »Wenn du nichts verrätst, dann gestehe ich dir, daß ich Robert hauptsächlich für mich eingeladen habe. Du bist eine derartig gute Tarnung, daß ich nicht widerstehen konnte.«
»Hast du was mit diesem Robert im Sinn?« hatte Monika wissen wollen.
Da hatte Christiane von Adelsbach tief durchgeatmet und dann mit den Schultern gezuckt.
»Ich finde Robert total süß«, hatte sie gesagt, »aber er erstickt so in Normen und Formen, daß man kaum ein gescheites Wort mit ihm reden kann. Ich hab’ schon ein paarmal versucht, ihm auszureden, daß er mich mit Hoheit anredet. Aber das kann er wohl nicht sein lassen. Ich versuch’, der Sache dann die Spannung zu nehmen, indem ich ihn mit Herr Ingenieur anred’, aber das ist ihm wohl wurscht.«
»Vielleicht kann ich ihn ja für dich ein wenig locker machen«, hatte Monika gesagt.
»Kommen Sie«, forderte Christiane Robert auf, »der nächste Tanz gehört uns beiden.«
Als Christiane seine Hand nahm, schien Robert sich für einen winzigen Augenblick zu sträuben. Doch die hübsche Prinzessin nahm dies zum Anlaß, zu spötteln.
»Geben S’ jeden Widerstand auf, Herr Ingenieur«, sagte sie, »nachher geben S’ mir die Schuld, was versäumt zu haben.«
Robert mocht Christiane sehr, um es deutlich zu sagen, er war in sie verliebt, seit er sie vor anderthalb Jahren zum erstenmal gesehen hatte. Um so härter traf ihn ihr Spott, der jedoch nicht spöttisch gemeint, sondern aus einer Verlegenheit heraus geboren war.
Robert folgte Christiane zu jenem Teil des großen Salons, in dem getanzt wurde. Dann legte er einen Arm um sie und begann mit ihr zu tanzen.
»Sie dürfen mich ruhig ein bisserl fester in die Arme nehmen, Herr Schwartz«, murmelte Christiane, »ich bin nicht aus Zuckerguß und auch nicht zerbrechlich. Ich bin aus Fleisch und Blut. Fassen S’ mal zu, dann werden S’ es merken.«
Dann trafen sich einen langen Augenblick lang ihre Blicke, und Christiane lächelte Robert sehr lieb an.
»Wenn Sie mir versprechen, daß Sie mich in Zukunft nicht mehr mit Hoheit anreden, sondern mit meinem Vornamen, dann verrat’ ich Ihnen was.« Christiane sah Robert Schwartz an.
»Aber das geht doch nicht…!«
»Wenn ich es dir sag’«, ließ Christiane Robert nicht ausreden, »dann geht es. Also…? Und wenn wir schon mal dabei sind, dann könnten wir uns auch duzen. Das ginge dann sozusagen in einem Aufwasch, und wir könnten endlich beginnen, ein bisserl gescheiter miteinander zu reden.«
»Ich soll Christiane und du zu Ihnen sagen?« Robert schüttelte den Kopf. »Also, daß ich die Hoheit weglaß’, das fällt mir schon nicht leicht, und mit Müh’ und Not würd’ ich mich dran gewöhnen, Sie mit Ihrem Vornamen…!«
»Wenn du mich nicht ab sofort duzt«, unterbrach Christiane die Erklärung Roberts, »dann küsse ich dich jetzt vor allen Leuten. Also? Du oder…?«
Zuerst schien Robert geschockt, dann huschte ein amüsiertes Lächeln um seine Mundwinkel.
»Was ist?« wollte Christiane wissen.
»Wenn ich jetzt wollte, daß Sie… daß du mich küßt«, erwiderte er, »dann braucht ich jetzt nur…!«
Der große Salon bestand aus einem größeren und mehreren kleineren Teilen, die aber durch Öffnen großer Flügeltüren alle dem großen Teil angegliedert werden konnten. Es war aber auch möglich, bei einer größeren Gesellschaft einigermaßen ungestört zu sein.
Christiane antwortete nicht, sondern tanzte mit Robert in einen der angegliederten kleineren Räume, und als sie sicher sein konnte, daß niemand sie sah, blieb sie abrupt stehen, legte eine Hand um Roberts Kopf und gab dem völlig Überraschten dann einen langen Kuß auf den Mund. Dann strahlte sie ihn an, stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte in sein Ohr: »Nicht reden, Robert, tun…!«
*
Marianne war nach dem Empfang von Prinz Hans persönlich nach Hause chauffiert worden. Sie hatten noch ein paarmal miteinander getanzt, aber nach Hans’ Geständnis, in Nanni verliebt zu sein, hatte die unwillkürlich mehr auf Abstand geachtet, als sie es sonst getan hätte.
Hans hatte seinen Wagen vor dem Haus der Burgners abgestellt, wollte noch was zu Nanni sagen, doch da war die schon aus dem Wagen gestiegen. Draußen blieb sie noch einen Augenblick stehen, bedankte sich förmlich für den schönen Abend, drehte sich dann um und ging zum Haus.
Hans hatte noch was sagen wollen, aber Nanni hatte ihm keine Gelegenheit dazu gegeben.
Als ihr Großvater am nächsten Morgen fragte, wie es denn auf dem Empfang gewesen sei, antwortete seine Enkelin einsilbig.
»Schön«, mehr war nicht aus ihr herauszubringen.
Da der Gustl seine Enkelin gut genug kannte, um zu wissen, daß was passiert sein mußte, fragte er nach, bekam aber ebensowenig eine Antwort wie Nannis Mutter, als die beim Mittagessen wissen wollte, was denn passiert sei, da Nanni so ungewohnt schweigsam sei.
Nannis Eltern und Großeltern sahen sich danach bedeutungsvoll an, fragten aber nicht nach, denn sie wußten, daß sie nichts erfahren würden, wenn Nanni nichts erzählen wollte. Irgendwann würde sie zum Gustl gehen und ihm ihre Sorgen von der Seele reden. So lange, das wußten alle, mußten sie sich gedulden.
Für Nanni war es wie ein Schock gewesen, als Hans zu ihr gesagt hatte, daß er sich in sie verliebt habe. Er hatte danach noch allerhand anderes gesagt, aber sie erinnerte sich an kein Wort, nur daran, daß er gemeint hatte, in sie verliebt zu sein.
Als erstes war Nanni danach jenes Gefühl eingefallen, das sie schon den ganzen Nachmittag in sich gespürt hatte, nämlich daß Hans sich über sie lustig machte. Das hatte spätestens begonnen, als sie den Wiesenblumenstrauß auf dem Marmortischchen in der Eingangshalle gesehen und als Hans erklärt hatte, daß er ihn habe aufstellen lassen, damit sie sich nicht so alleine vorkomme.
Als sie am Montag danach morgens in der Gärtnerei erschien, fühlte Nanni sich nicht wohl in ihrer Haut. Als sie Robert begegnete und der sie neugierig ansah, ging sie ihm tunlichst aus dem Weg, sie wollte auf gar keinen Fall auf den Empfang im Schloß angesprochen werden.
Es war kurz nach Mittag, als Hans plötzlich neben ihr stand.
»Grüß Gott, Marianne«, sagte er. »Kann es sein, daß ich Sie am Sonnabend zu sehr vereinnahmt habe? Ich habe Dinge zu Ihnen gesagt, die ich nicht hätte sagen dürfen. Außerdem bin ich davon ausgegangen, daß Sie alles gutheißen, was ich initiiert hatte, zum Beispiel, daß Sie mit meiner Mutter und mir die Gäste begrüßen. Es tut mir leid…!«
Nanni stand da, wußte einen Augenblick lang nicht, was sie sagen sollte, dann meinte sie, ob Hans sich nicht einfach total vertan habe.
»Wie meinen S’ das?« fragte der.
»Vielleicht haben S’ ja eine andere gemeint, als Sie mich eingeladen haben«, antwortete Nanni.
»Wieso…?«
»Ich bin mir von Anfang an vorgekommen, als sei ich auf der falschen Veranstaltung. Ich kann es auch anders ausdrücken, Hoheit, ich hab’ von dem Augenblick an, als Ihr Wagen mich abgeholt hat, gemeint, jemand wollt’ sich über mich lustig machen.«
»Aber, Nanni…!«
»Die liebe kleine Nanni, dieses dumme Madel, das quasi in der Gärtnerei großgeworden ist, das kann man ja mal beeindrucken. Ein Wagen mit Chauffeur und schon ist sie kirre. Wenn das noch nicht reichen sollt’, dann stellen wir zur Sicherheit noch einen Strauß Wiesenblumen in die Halle. Spätestens das wird sie beeindrucken.«
Hans von Adelsbach starrte die hübsche Gärtnerin betroffen an, die erwiderte seinen Blick. Er suchte nach passenden Worten, fand jedoch keine, was selten genug vorkam. Dann entschuldigte Hans sich und murmelte, er werde Nanni auf gar keinen Fall mehr belästigen, drehte sich auf dem Absatz um und verließ den hinteren Teil der Gärtnerei.
Nanni sah ihm hinterher, und wieder hatte sie das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Dann fing sie unvermittelt an zu weinen, zuerst verhalten, dann immer heftiger. Irgendwann kam Robert zu ihr und fragte, was los sei, ob er ihr helfen könne.
Nanni schüttelte den Kopf, nahm ein Schnupftuch aus der Tasche und wischte sich die Tränen weg. Dann ging sie an Robert vorüber in einen weit draußen liegenden Teil der Außenanlagen der Gärtnerei, wo sie sich den Rest des Tages beschäftigte.
*
»Sagt mal, was ist eigentlich los mit euch?« Fürstin Johanna sah zwei Tage später nach einem weitgehend schweigend eingenommenen Mittagessen Christiane und Hans an. »Euer Bruder erscheint erst gar nicht zu dem Empfang, obwohl er schriftlich und mündlich eingeladen war und zugesagt hatte, und ihr hüllt euch seit dem Empfang in beredtes Schweigen.«
»Ich bin lediglich ein wenig müde«, antwortete Christiane, »deshalb möchte ich mich jetzt zurückziehen, wenn es dir nichts ausmacht.«
»Geh nur, mein Kind«, erwiderte die alte Fürstin, »wir können uns auch später noch unterhalten. Mir ist eh lieber, wenn ich deinen Bruder alleine befragen kann.«
Die Aussage machte deutlich, daß Fürstin Johanna sich auf keine Diskussionen einlassen wollte, sondern Fragen stellen und Antworten bekommen wollte.
»Ich habe eigentlich keine Zeit«, versuchte Hans der Befragung durch seine Großmutter zu entkommen.
Doch die ließ ihn nicht gehen. »Du bleibst«, sagte sie. »Wir müssen ein ausführliches Gespräch führen.«
Hans von Adelsbach hätte jeden anderen, der derart mit ihm geredet hätte, die passende Antwort gegeben, doch seine Großmutter nötigte ihm den Respekt ab, ihrer Bitte um ein Gespräch widerstandslos zu folgen.
»Wir können gleich hier reden«, sagte sie, als Hans Anstalten machte aufzustehen. »Du kannst dir sicher denken, was ich von dir wissen möchte.«
Hans nickte. »Ja, ich kann es mir denken.«
»Dann möchte ich wissen, was du dazu zu sagen hast«, erwiderte die alte Fürstin.
Hans stand auf und ging zu einem Getränkewagen, nahm eine Flasche Gin Tonic herunter und fragte seine Großmutter, ob er ihr auch ein Glas einschenken dürfe.
Fürstin Johanna nickte. »Ja, bitte. Und dann hätte ich gerne einige Antworten.«
»Das ist nicht ganz leicht«, erwiderte Hans.
Da umspielte ein spöttisches Lächeln die Lippen seiner Großmutter. »Das kann ich mir denken.«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Prinz Hans.
»Dann solltest du es mir erklären«, forderte die derzeitige Chefin des Hauses Adelsbach ihren designierten Nachfolger auf.
»Es wird dich schockieren, Großmutter«, antwortet der, »aber ich habe mich bis über beide Ohren in Marianne Burgner verliebt. Ich denke Tag und Nacht an sie, weiß aber nicht, wie ich aus dieser Bredouille herauskommen soll. Ich glaube sogar, daß es nicht nur Verliebtheit ist, sondern daß ich die Nanni liebe.«
Johanna von Adelsbach sah ihren ältesten Enkel eine Weile stumm an, dann nickte sie.
»Weißt du was, mein Junge«, sagte sie, »dies ist die einzige Antwort, die dich vor meinem Donnerwetter rettet. Ich hatte vor, dir gehörig den Kopf zu waschen, weil ich für einen Augenblick gemeint habe, du würdest die Nanni an der Nase herumführen wollen.« Dann lächelte sie. »Aber wenn du verliebt bist, dann ist dir alles verziehen. Weiß die Nanni es?«
Hans nickte. »Ich habe es ihr gesagt.«
»Und was hat sie geantwortet?«
»Sie ist völlig verbittert und meint, ich würd’ sie nicht ernst nehmen«, antwortete Hans.
Johanna von Adelsbach nickte. »Ich kann ihre Reaktion sehr gut nachvollziehen. Ich würde an ihrer Stelle ähnlich reagiert haben. Was du dem armen Madel zugemutet hast, das war einfach zuviel. Sie als deine Dame neben dir zu plazieren und die Gäste empfangen zu lassen. Das Madel muß ja meinen, daß du dich über sie lustig machst.«
»Ich hab’ Marianne von vornherein wissen lassen wollen«, erklärte Hans, »daß ich keiner bin, der mit ihr spielen würde.«
»Du hast also vorausgesetzt, daß sie dich genauso mag, wie du sie magst.« Die alte Fürstin schüttelte lächelnd den Kopf. »Bub’, wie konntest du nur? Kennst du so wenig von der Psyche einer Frau? Selbst wenn sie dich abgöttisch lieben sollte, du hast es ihr fast unmöglich gemacht, dies zuzugeben. Eine Frau will immer erobert werden. Weißt du das etwa nicht?«
Hans nickte. »Doch, ich weiß es. Aber ich bin von meinen eigenen Gefühlen völlig überrumpelt worden.«
»Weiß Nanni, daß du so denkst?« Fürstin Johanna sah ihren Enkel fragend an.
Der schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Im Gegenteil, als ich es ihr erklären wollt’, hab’ ich noch einen draufgesetzt.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich hab’ ihr während des Empfangs gesagt, daß ich mich in sie verliebt habe«, antwortete Hans, »und als ich ihr am Montag danach alles erklären wollte, da hab’ ich gesagt, daß ich es nicht hätte sagen sollen. Jetzt muß sie meinen…!«
»… daß du sie nicht ernst genommen hast«, fuhr Fürstin Johanna fort. »Sie muß sich vorkommen wie ein dummes Mädchen.«
Hans atmete tief durch und nickte. »So ähnlich hat sie es auch ausgedrückt.«
*
Christiane hatte den Empfang auf Schloß Adelsbach besser in Erinnerung als ihr Bruder. Auch wenn Robert nicht jene Lockerheit an den Tag gelegt hatte, die sie sich gewünscht hätte, so war er nach ersten Schrecksekunden doch kein Spielverderber gewesen und war einigermaßen auf Christianes Art eingegangen. Sie hatten ein wenig herumgealbert, ein wenig geschmust, und Christiane hatte festgestellt, daß ihr erstes Gefühl sie nicht getrogen hatte und sie den Gartenbauingenieur sehr mochte.
Am Montag nach dem Empfang hatte sie morgens nach München fahren müssen und kam erst am Mittwoch zurück. Ihr erster Weg, als sie den Wagen auf den Hof stellte, führte sie in die Gärtnerei, weil sie von Robert wissen wollte, ob er sie bei einem Berggang begleiten würde. Aber Robert war in einer der zu Adelsbach gehörenden Baumschulen und würde erst am nächsten Tag zurück sein.
Schon vor dem Frühstück war Christiane am nächsten Tag in der Gärtnerei. Sie fragte einen der Mitarbeiter nach Robert, und der meinte, der Chef sei im Freiland.
Christiane ging in die angegebene Richtung und sah Robert mit einem Mädchen zusammenstehen. Zuerst erkannte sie das Mädchen nicht, dann sah sie, daß es Marianne Burgner war. Die beiden standen ganz alleine dort hinten und schienen sich angeregt zu unterhalten.
Christiane hätte es zwar nie zugegeben, aber sie war eifersüchtig. Nach kurzem Zögern entschloß sie sich, doch hinüber zu gehen, um mit Robert zu sprechen.
Als sie zu ihm kam, war Marianne verschwunden, und Christiane fragte, ob sie gestört habe.
Robert schüttelte den Kopf. »Wir hatten was zu besprechen, aber das ist erledigt.«
»Ich wollt’ dich fragen, ob du dir einen Tag frei nehmen könntest«, sagte Christiane daraufhin. »Ich würd’ mich riesig freuen, wenn du mich zu einem Gang über die Traun-Alm begleiten würdest. Früher bin ich dort öfter gewesen und ich hab’s immer sehr schön gefunden. Ich würd’ gern feststellen, ob’s auch heut’ noch so ist.«
Robert sah die hübsche Prinzessin lange stumm an, dann räusperte er sich.
»Ich glaub’, das lassen wir besser«, erwiderte er dann mit rauh klingender Stimme.
»Aber warum denn?« Christiane war total enttäuscht. Sie hatte zum Schluß des Empfangs gemeint, bei Robert zumindest Sympathie zu spüren.
»Ich möcht’ nicht aus einem Traum erwachen müssen«, murmelte Robert. »Und genau darauf läuft es hinaus.«
Die hübsche Prinzessin hatte zwar gehört, was Robert gesagt hatte, aber den Sinn seiner Worte nicht verstanden, deshalb fragte sie nach.
»Wie meinst du das? Aus welchem Traum meinst du erwachen zu müssen?«
Robert atmete tief durch. Er ließ Christiane nicht aus den Augen.
»Ist das eine ernst gemeinte Frage?« wollte er dann wissen.
»Aber natürlich.«
»Ich will mal versuchen, es zu umschreiben«, sagte Robert daraufhin, »es fällt mir immer noch sehr schwer, du zu Ihnen zu sagen, Christiane. Das Hoheit geht mir viel leichter von den Lippen.« Mit verliebtem Blick sah Robert die hübsche Prinzessin an.
»Aber…!« Im gleichen Moment schien sie seine Bedenken zu begreifen und zu wissen, was er gemeint hatte, als er von Träumen gesprochen hatte, aus denen er würde erwachen müssen.
Christiane ging zu ihm, nahm seine Hand und sah ihn fragend an. »Hast du dich etwa in mich verliebt?«
Robert zuckte mit den Schultern. »Ich glaub’ schon.«
Christiane nahm nun auch seine zweite Hand. »Ich hab’ mich auch in dich verliebt. Meinst du nicht, ich könnte auch aus Träumen geweckt werden? Nicht nur du träumst.«
»Aber die Voraussetzungen sind doch derart ungleich…!«
»Nicht wirklich«, erwiderte die hübsche Prinzessin. »Nur in deinem Kopf. Was ich fühle, fühle ich als Frau, nicht als Ableger eines alten Adelsgeschlechts. Wieso läßt du uns nicht herausfinden, was bei der Sache herauskommt?« Dann lächelte sie ihn zärtlich an. »Robert, ich würd’ so gern mit dir zusammen erleben, wie es mit einem Mann ist. Ich bin noch unerfahren und hab’ keinerlei Ahnung, was da auf mich zukommt.«
Robert schien nicht glauben zu können, was Christiane zu ihm gesagt hatte, er konnte sie nur mit großen Augen ansehen.
»Und du meinst wirklich, was du gesagt hast?« fragte er nach einer Weile.
Die hübsche Prinzessin schmiegte sich in seine Arme und legte ihren Kopf gegen seine Brust.
»Warum lassen wir nicht das Reden?« fragte sie. »Kannst du dir einen Tag freimachen, oder ist das zu aufwendig? Die Traun-Alm ist wirklich wunderschön. Jedenfalls war sie’s früher.«
Robert legte nach langen Sekunden ganz behutsam seine Arme um Christianes schmale Schultern. Er fühlte sich in diesem Moment, als könnte er im Leben alles erreichen.
»Du hast recht«, hauchte er in ihr Ohr, »laß uns herausfinden, was es ist, was uns so nervös macht…!«
*
Lothar von Adelsbach hatte die Einladung zum Empfang schlicht vergessen. Was er bei keinem anderen hätte durchgehen lassen, nahm er selbstredend für sich in Anspruch. Als ihm der verpatzte Termin einen Tag später einfiel, zuckte er lediglich mit den Schultern und ging wieder zur Tagesordnung über, indem er zu Bett ging.
Seit er wußte, daß ihn Schulden von einer Viertelmillion Mark quälten, hatte er seine Wohnung nur mehr einmal verlassen. Er hatte von seinen Konten knapp fünfzigtausend Mark abheben können, mehr war nicht zu bekommen gewesen. Mit diesem Geld in der Tasche war er in ein illegales Tiroler Spielcasino gefahren und hatte es binnen weniger Stunden verloren. Seitdem lag er meistens im Bett und dachte an Hubertus Bogner, der ihm irgendwo auflauerte, noch mehr dachte er allerdings an Manni Becker, dessen Brutalität bekannt war.
Lothar fürchtete sich vor Gewalt, er verabscheute sie geradezu, aber, dessen war er sich bewußt, er würde mit ihr über kurz oder lang konfrontiert werden, wenn es ihm nicht sehr rasch gelingen würde, das geforderte Geld aufzutreiben.
Seit Tagen schon dachte er daran, nach Adelsbach zu fahren, um mit seiner Großmutter zu reden und sie unter irgendeinem Vorwand um das Geld zu bitten. Doch gleichzeitig fürchtete er sich davor, weil er ahnte, daß seine Großmutter bei dem Betrag zu allererst einmal fragen würde, wofür er das Geld benötigte.
Es war schon Nachmittag, Lothar überlegte gerade, ob er aufstehen sollte, als es an der Tür läutete. Viermal nacheinander läutete es, aber er rührte sich nicht von der Stelle.
Dann, unmittelbar nach dem letzten Türläuten, klingelte das Telefon. Robert nahm, wie schon seit Tagen, nicht ab und wartete, bis der Anrufer auf den Anrufbeantworter sprach, was der dann auch tat.
»Hallo, Lothar«, sagte Manni Becker. »Wir stehen vor deiner Tür und ich rede über mein Handy mit dir. Wir wissen, daß du da bist. Wenn du die Tür nicht binnen dreißig Sekunden öffnest, dann schlagen wir sie ein. Hubertus steht mit einer Axt in seinen Händen da und freut sich schon, dich noch im Bett zu überraschen. Die Zeit beginnt jetzt zu laufen.« Dann war das Gespräch beendet.
Zehn Sekunden benötigte Lothar, um sich klarzumachen, daß Manni nicht bluffen würde, weitere zehn Sekunden, um aus dem Bett zu kommen, dann suchte er den Schlüssel zur Wohnungstür, und als er den gefunden hatte, traf die gut gesicherte Wohnungstür der erste Axthieb.
Lothar rannte zur Tür, fingerte den Schlüssel ins Schloß, und gerade als Hubertus zum zweiten Schlag ausholte, öffnete Lothar die Wohnungstür.
»Du bist ein kluger Mann«, sagte Manni Becker, während er die Sonnenbrille von der Nase nahm und in die Wohnung ging.
Hubert Bogner betrat die Wohnung, während er übers ganze Gesicht grinste und dann, wie um Entschuldigung bittend, mit den Schultern zuckte.
»Wenn du mir die Wohnung überschreiben würdest«, sagte Manni Becker gutgelaunt währenddessen zu Lothar, »dann
würde ich dir die Viertelmillion
noch einen weiteren Monat stunden.«
»Wieso?« Fast hätte Lothar Manni Becker einen Vogel gezeigt. »Die Wohnung ist gut und gern eine halbe Million wert.«
»Dann paßt es ja«, erwiderte Manni, »du schuldest uns nämlich inzwischen eine Dreiviertelmillion.«
Jetzt wurde Lothar von Adelsbach blaß. Er wußte, daß die Zinsen bei Leihgeschäften, wie er sie getätigt hatte, mehr oder weniger ins Uferlose stiegen, doch daß sich der Betrag verdreifachte, nur weil er eine weitere Woche nicht bezahlt hatte, damit hatte er nicht gerechnet.
»Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, deine Schulden zu zahlen.« Becker lächelte spöttisch. »Du könntest mir zum Beispiel Aktien im Wert von einer Million der Unternehmungen Adelsbachs überschreiben lassen. Du bist in der Bank beschäftigt, die sie im Depot hat. Es wäre eine Kleinigkeit für dich. Ich würde dir sogar noch ein wenig Bargeld geben können, wenn du die Sache mit den Aktien für mich regeln würdest.«
»Spinnst du?« jetzt konnte Lothar sich nicht länger zurückhalten. »Aktien für eine Million…!«
»Nennwert natürlich«, sagte Manni Becker, der blendender Laune war. Doch plötzlich änderte sich sein Stimmungsbild von einer Sekunde zur anderen. Er griff nach Lothars Haarschopf, riß ihn zu sich heran und starrte in die ängstlich aufgerissenen Augen des jungen Prinzen. »Wenn du noch einmal so respektlos bist und fragst, ob ich spinne, schlägt Hubert dir mit der Axt einen Finger ab. Und hoffe nicht auf sein Mitleid, denn er wartet nur darauf, dir weh zu tun.«
Hubert Bogner stand dabei und nickte grinsend.
»Also«, Manni Becker drückte Lothars Kopf weit in den Nacken, »wenn du wieder einigermaßen in Ruhe leben willst, dann besorg mir, was ich haben will.« Dann ließ er den jungen Prinzen los. »Und komm nicht auf die Idee, irgendwen benachrichtigen zu wollen, ich würde dann Hubert schicken müssen.«
Dann gingen Becker und sein Begleiter, in dessen Händen die große Axt eher wie ein Spielzeug wirkte. An der Tür blieb Becker jedoch noch mal stehen.
»Jeder Tag kostet dich jetzt fünfzigtausend«, sagte er, »vergiß das nicht. Bekomme ich bis morgen eine erste Rate Aktien, vor allem Aktien dieser Augsburger Software-Firma will ich haben, dann gelten die heutigen Bedingungen. Ansonsten kannst du dein Testament machen.« Dann lachte er. »Fast hätt’ ich ja was vergessen. Das hier unterschreibst du jetzt.«
Lothar war derart eingeschüchtert, daß er gar nicht genau hinsah, sondern unterschrieb, was Becker ihm hinlegte.
»Damit hast du einen Einemillion-Schuldschein unterschrieben«, sagte er grinsend. »Den werde ich gelegentlich deiner Großmutter oder deinem Bruder vorlegen. Ich bin mal gespannt, was die dazu sagen.«
Lothar wußte inzwischen, wie tief er im Schlamassel saß. Am liebsten hätte er alles rückgängig gemacht, doch so einfach war das nicht.
»Also, kleiner Prinz, bis morgen zwanzig Uhr bekomme ich Nachricht«, sagte Manni Becker. »Bis dahin gelten die heutigen Bedingungen. Und vergiß nicht, daß Hubert ein sehr brutaler Mensch sein kann, er bricht auch Knochen.«
»Das ist meine Spezialität«, fügte Hubert Bogner hinzu.
Gleich darauf waren sie verschwunden. Lothar saß auf seinem Bett und versuchte, seine Gedanken zu ordnen, was ihm jedoch nur sehr schwer gelang. Nur eines war ihm klar, alleine konnte er der Angelegenheit nicht mehr Herr werden. Er nahm sich vor, noch am selben Abend nach Schloß Adelsbach zu fahren, irgendwie würde er seiner Großmutter und seinem Bruder schon klarmachen, daß er Hilfe benötigte, und man würde sie ihm nicht verweigern, da war er sich ganz sicher.
*
Christiane hatte niemandem etwas davon gesagt, daß sie mit dem Leiter der Adelsbachschen Gartenbaubetriebe einen Gang über die Traun-Alm machen wollte. Und zwar hatte sie deswegen nichts gesagt, weil sie keine Kommentare besonderer Art hören wollte, und die hätte sie gehört, da war sie sicher.
Als sie zeitig am Morgen, es war noch nicht mal sechs Uhr, aus dem hinteren Schloßportal schlich, schlief das Schloß noch, nur der alte Karl hatte die Prinzessin Adelsbach verlassen sehen.
Robert wartete einen halben Kilometer weiter, und als sie plötzlich neben ihm stand, wußte er wieder nicht, wie er sich benehmen sollte.
Robert Schwartz war beileibe kein weltfremder Mensch, dessen Phantasie nicht ausreichte, ein Techtelmechtel mit einer leibhaftigen Prinzessin zu beginnen, aber der Chef der Adelsbachschen Gärtnerei war ein eher ernsthafter Mensch, der sich nicht so ohne weiteres auf ein Abenteuer einließ.
Das war auch der Hauptgrund, daß er sich zuerst mit Händen und Füßen gegen eine Beziehung zu Prinzessin Christiane gewehrt hatte. Und noch immer tat er sich schwer bei dem Gedanken, daß Christiane sich tatsächlich in ihn verliebt haben sollte.
Er bewunderte die bildschöne Prinzessin, seit er sie zum erstenmal gesehen hatte, und je länger er sie ab und zu aus der Ferne beobachtete, desto mehr hatte er sich zu ihr hingezogen gefühlt. Seine Phantasie hatte ihm die schönsten Dinge vorgegaukelt, doch er war sich der bestehenden Realität sehr wohl bewußt geblieben.
Als Christiane dann mehr oder weniger unbeschwert und offen zu erkennen gab, daß sie sich in ihn verliebt hatte, war Robert zunächst derart überrascht gewesen, daß er annahm, sie wollte ihn foppen.
Erst später war Robert Christianes Ernsthaftigkeit aufgefallen, und ihm wurde allmählich bewußt, daß seine eigenen Träume nicht unbedingt zum plötzlichen schmerzhaften Erwachen führen mußten.
Als er Christiane vom Schloß her kommen sah, ging er ihr ein paar Schritte entgegen, achtete aber peinlich darauf, daß man ihn vom Schloß aus nicht sehen konnte.
»Hallo…!« Die bildhübsche Prinzessin strahlte übers ganze Gesicht.
»Guten Morgen«, erwiderte Robert. Am liebsten hätte er sie mit einem Kuß begrüßt, aber er zögerte.
Christiane spürte das, ging zu ihm, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte Robert auf beide Mundwinkel, dann schloß sie die Augen, spitzte die Lippen und hielt sie ihm erwartungsvoll entgegen.
Roberts Kuß war zärtlich und behutsam zugleich. Als sie die Augen öffnete, sah er sie verliebt an, und Christiane spürte in dem Moment sehr deutlich, daß Robert sich nicht nur einbildete, in sie verliebt zu sein.
»Ich möcht’ dich um was bitten«, sagte sie, als sie sich mit zärtlichen Blicken ansahen.
»Um was?« Roberts Stimme klang belegt.
»Daß wir«, antwortete Christiane, »gleich was kommt, immer ganz ehrlich zueinander sind. Man will zwar immer ehrlich sein, aber manchmal gibt’s Momente, wo es schwerer fällt als sonst. Doch wenn es so einen Moment mal geben sollte, dann bitt’ ich dich, ihn sehr rasch aufzuklären und zu sagen, was du wirklich gedacht oder empfunden hast.«
Robert sah sie lange an, ohne ein Wort zu sagen. Irgendwann räusperte er sich und murmelte dann: »Du bist das außergewöhnlichste Mädchen, dem ich je begegnet bin.«
Christiane lachte. »Das will ich hoffen.« Dann zögerte sie, um gleich darauf zu fragen: »Bist du vielen Mädchen begegnet…?«
Robert wußte sofort, was sie meinte, doch er tat so, als hätte er nichts verstanden, denn er sah sie fragend an.
»Warst du mit vielen Frauen bekannt?« wollte Christiane schließlich wissen.
»Oje«, erwiderte Robert, »ich kenn’ heute noch jede Menge Frauen.«
»Antworte doch bitte ernsthaft«, murmelte Christiane, »ich würd’s gerne wissen.
»Es hat zwei Frauen in meinem Leben gegeben«, antwortete Robert darauf, »die mir wirklich wichtig waren. Die eine war meine Großmutter und die andere war Ulla, meine Kindergärtnerin. Ulla ist längst verheiratet, hat selbst vier Kinder, und meine Großmutter gibt es schon lange nicht mehr. Ist damit deine Frage beantwortet?«
Zuerst wollte Christiane sich damit nicht zufriedengeben, doch dann fiel sie Robert um den Hals.
»Du bist so lieb«, hauchte sie ihm dann ins Ohr, »ich weiß gar nicht, was ich tun soll vor lauter Glück.«
»Vielleicht könnten wir langsam losgehen«, schlug Robert vor, »zur Traun-Alm ist’s noch weit, und gar so wohl fühl’ ich mich da hinter dem Schloß auch nicht.«
»Du meinst, man könnte uns entdecken?« Christiane lachte vergnügt, dann nahm sie Roberts Hand, und die beiden gingen los. »Was, meinst du denn, würde passieren, wenn man uns zusammen sieht?«
»Man wird annehmen, ich würde dich gerade entführen«, antwortete Robert.
»Wieso denn das?«
»Weil kein normal denkender Mensch annehmen würde, daß die wunderschönste aller Prinzessinnen mit einem alten Kerl wie mir freiwillig durch den Bergwald in Richtung Alm geht.«
Christiane lachte. »Und was wird passieren, wenn man uns sieht und denkt, wie du es beschrieben hast?«
»Man wird Polizei, Feuerwehr und Bergwacht verständigen, man wird die Täler abriegeln und uns auflauern.« Robert atmete tief durch. »Dann wird man dich aus meinen Klauen befreien, dich zurück ins Schloß und mich in den Kerker bringen.«
Da blieb Christiane stehen, stellte sich wieder auf die Zehenspitzen und küßte Robert sehr zärtlich auf die Lippen.
Diesmal ließ er es nicht dabei bewenden, Christianes Lippen zu spüren, sondern er legte seine Arme um ihre Schultern und erwiderte den Kuß. Als sie sich schließlich trennten, atmeten beide heftig, und als Robert Christiane ansah, wich sie seinem Blick verlegen aus.
Bevor sie weitergingen, nahm sie wieder seine Hand, stellte sich noch mal auf die Zehenspitzen und flüsterte in sein Ohr: »Davon kann’s ruhig mehr geben…!«
Den Weg durch den Bergwald in Richtung Traun-Alm erlebten die beiden wie in einem Traum. Immer wieder blieben sie stehen, taten verliebt miteinander, doch irgendwann, kurz bevor sie hinaus auf die Alm traten, blieb die hübsche Prinzessin stehen und sah Robert plötzlich sehr ernst an.
»Ich glaub’«, sagte sie, »ich bin auf dem besten Weg, mich nicht nur zu verlieben. Ich weiß es nicht besser zu beschreiben, aber ich glaub’, daß ich dich nie mehr loslassen möcht’.«
»Du kennst mich doch gar nicht«, erwiderte Robert. »Vielleicht reagierst du in ein paar Tagen ganz anders auf mich.«
Da nickte Christiane. »Das kann schon sein. Aber wenn ich anders reagier’, dann nur so, daß ich dich sofort will, mit allem, was du hast und bist.«
*
Als Prinz Lothar Schloß Adelsbach am selben Vormittag betrat, sah er mißmutig drein. Der Diener Karl begrüßte ihn freundlich, doch Lothar hatte nicht einen Blick für ihn übrig.
Er ging gleich in den Salon seiner Großmutter, doch Fürstin Johanna war ebensowenig da wie sein Bruder Hans. Lothar war nur einen Moment unschlüssig, was er tun sollte, dann fielen ihm die Bilder ein, die in mehreren Räumen im Ostflügel hingen. Vor Tagen schon hatte er darüber nachgedacht, ob er nicht ein paar Bilder mitnehmen und zu Geld machen sollte, um damit seine Schulden zu bezahlen. Die Gemälde hingen eh nur herum, kaum einer sah sie an, doch ihm würden sie aus ärgsten Nöten helfen.
Kurz entschlossen ging Lothar in den Ostflügel, wobei er immer darauf bedacht war, nicht gesehen zu werden. Im Ostflügel angekommen, suchte er Bilder, deren Maler einen Namen hatten, den er kannte und von denen er wußte, daß die Bilder dieses Malers wertvoll waren. Drei Bilder nahm er von der Wand, löste die Leinwand aus dem Rahmen und vom Spannrahmen, rollte die Leinwände dann zusammen und verließ gleich darauf das Schloß, ging zu seinem Wagen und verstaute die Bilder im Kofferraum.
Dann atmete er tief durch und ging in Richtung Stall, wo er seinen Bruder vermutete, denn Hans mochte Pferde. Seine Schwester war auch eine Pferdenärrin, doch er selbst machte sich nichts aus den Rössern, wie er die Pferde stets abfällig nannte.
»Was machst du denn hier?« Plötzlich stand seine Großmutter hinter ihm. »Karl hat mir gesagt, daß du da bist, ich wollte es gar nicht glauben. Nachdem du letztens den Empfang versäumt hast und es nicht mal für nötig hieltest, dich dafür zu entschuldigen, habe ich angenommen, daß du Adelsbach zumindest so lange meiden würdest, bis ich die Sache vergessen hätte.«
Lothar nahm seine übliche straffe Haltung an und antwortete: »Es tut mir leid, daß ich den Empfang versäumt habe, aber als ich wußte, daß auch Dienstpersonal teilnehmen würde, habe ich nicht mehr große Lust gehabt, Gast auf demselben Empfang zu sein.«
»Dienstpersonal…?« Fürstin Johanna wußte zuerst nicht, was Lothar meinte.
»Du selbst hast mir doch gesagt«, erwiderte der, »daß Hans die Enkelin unseres früheren Gärtnermeisters eingeladen habe.«
»Was hast du dagegen einzuwenden?« fragte seine Großmutter.
»Nichts«, antwortete Lothar, »solange ich an derartigen Empfängen nicht teilnehmen muß. Wenn Großvater wüßte, wie sehr sich auf Schloß Adelsbach die Gepflogenheiten geändert haben, dann würde er zurückkommen, um die Sache wieder ins Lot zu rücken.«
»Dein Großvater, mein Junge«, entgegnete Fürstin Johanna, »hat es mit dem Personal auf andere Art gehalten. Er hat sich sehr wohl mit ihnen vergnügt, ohne…!«
»Was willst du damit sagen?« Lothar starrte seine Großmutter überaus zornig an.
»Ich will damit nichts sagen, sondern stelle lediglich fest. Und zwar, daß…!«
»Ich möchte nicht, daß du schlecht über Großvater redest!«
»Und ich möchte nicht, daß du mich noch mal unterbrichst«, erwiderte Fürstin Johanna in scharfem Ton. »Wenn du nicht weißt, was sich gehört, dann solltest du einen Benimmkurs belegen oder aber fernbleiben. Außerdem wüßte ich gerne, was dein Volontariat bei der Bank macht. Du bist nun schon im zweiten Jahr dort, aber es läßt sich nicht erkennen, was du anstrebst.«
Die Fürstin kannte ihres Enkels Schwachstelle, und zielsicher hatte sie sie berührt.
»Ich werde dir demnächst berichten«, antwortete Lothar und hoffte, mit der dürftigen Antwort bei seiner Großmutter durchzukommen.
Aber die spielte dabei nicht mit.
»Das wird nicht nötig sein«, sagte sie, »Herr Eßer kommt uns nächste Woche besuchen. Er ist«, Johanna von Adelsbach lächelte, »zwar auch ein Bediensteter, aber ich möchte mich mit ihm über dich unterhalten. Was du zu berichten hast, ist mir zu vage, oder aber ich bekomme überhaupt keine Informationen von dir.«
»Du… du hast Eßer herbestellt?« Lothar war deutlich blaß geworden.
Da schüttelte seine Großmutter den Kopf. »Ich bestelle niemand, mein Junge. Das ist dir vorbehalten. Falls du jemals eine Position bekleiden solltest, die dir dies gestattet, was ich jedoch bezweifle.«
»Was willst du von Eßer?« fragte Lothar. Noch immer war er blaß, und der Blick, mit dem er seine Großmutter ansah, war unstet.
»Unter anderem wissen, was an den Gerüchten ist, du würdest mit fragwürdigen Gestalten verkehren«, erwiderte diese prompt.
Jetzt wechselte Lothars Gesichtsfarbe noch mal, denn er war plötzlich knallrot. »Wie bitte? Du forschst mir nach?«
»Wenn du mir keine andere Wahl läßt, forsche ich dir auch nach«, antwortete Fürstin Johanna.
»Dann bin ich hier wohl überflüssig…!«
Lothar spielte nicht den Beleidigten, er war es.
»Das mußt du entscheiden, mein Junge«, kommentierte seine Großmutter, »aber solange du den Namen Adelsbach trägst und dich seiner nicht würdig zeigst, solange werde ich darauf achten, daß du nicht zu viel Unheil anrichtest.«
Johanna von Adelsbach und Prinz Lothar standen auf der Freitreppe vor dem Schloß, die Unterhaltung fand nicht gerade in leisem Ton statt, und die Fürstin befürchtete, daß man sie würde hören können, deshalb schlug sie vor, in ihren Salon zu gehen.
»Du hast doch was auf dem Herzen«, sagte sie. »Du bist doch nicht gekommen, um deinen Standpunkt wegen des Empfangs deutlich zu machen.«
Einen Moment sah es so aus, als würde Lothar seine Empörung noch deutlicher werden lassen, doch dann nickte er und folgte seiner Großmutter in deren Salon.
»Magst du eine Erfrischung?« fragte sie.
Lothar schüttelte den Kopf.
»Dann solltest du mir sagen, wo dich der Schuh drückt«, sagte Fürstin Johanna. »Möglicherweise erübrigt sich der Besuch Eßers ja. Steckst du in Schwierigkeiten, mein Junge? Gleich welcher Art sie sein sollten, du solltest dir alles von der Seele reden, das befreit. Und daß dich einiges bedrückt, ist mir schon bei deinem letzten Besuch aufgefallen.«
Lothar war einen Moment versucht zu erzählen, daß er in den Klauen von üblen Zeitgenossen saß, die inzwischen eine Million Mark von ihm wollten. Daß er einen Schuldschein in dieser Höhe unterschrieben hatte, obwohl er sich gerade mal hunderttausend Mark geliehen hatte. Und daß sich seine Zinsen täglich um den Betrag von fünfzigtausend Mark erhöhen würden, und daß man an die Aktien der mehrheitlich in Adelsbachschem Besitz befindliche und in München angesiedelte Softwarefirma heranwollte. Nennwert eine Million bedeutete nach gegenwärtigem Aktienkurs einen realen Verkehrswert von dreißig Millionen. Als Lothar daran dachte, lief es ihm eiskalt den Rücken herunter.
Er schwieg eine Weile, dachte nach, und seine Großmutter ließ ihn nachdenken und schwieg ebenfalls. Eines kleinen Anstoßes hätte es noch bedurft, um Lothar alles gestehen zu lassen, als Hans den Salon seiner Großmutter betrat.
Seit dem totalen Mißverständnis zwischen ihm und Marianne Burgner war der designierte Nachfolger des Fürsten noch stiller als sonst, und seinen Bruder begrüßte er auch ohne großes Gehabe.
»Guten Tag, Lothar«, sagte er, »schön, daß du wieder mal da bist. Wie geht’s in der Bank?«
Lothar, der Sekunden vorher noch nahe dran gewesen war, sich im Sinne seiner Großmutter alles von der Seele zu reden, wurde im gleichen Augenblick verstockt, und keine zehn Pferde hätten ihn in dem Moment dazu gebracht, seine Schuldenaffäre einzugestehen, weder Großmutter noch Bruder.
Deshalb antwortete er knapp mit »gut« und wollte sich dann von seiner Großmutter verabschieden. Doch die ignorierte die Geste und sagte, Lothar solle bitte Platz nehmen.
»Ja«, fügte Hans hinzu, »vor allem, da Christiane bald zurück sein sollte. Sie hat dich auf dem Empfang vermißt, wie wir alle.«
»Wo ist Christiane denn?« wollte Lothar wissen. Nicht weil es ihn interessiert hätte, sondern einmal, weil er sich interessiert am Familiengeschehen zeigen wollte, und zum anderen, um ein wenig Zeit zu gewinnen.
»Es kann sein«, antwortete Fürstin Johanna, »daß sich deine Schwester verliebt hat.«
»Ach, da schau her.« Lothar lächelte gönnerhaft. »Wer ist denn der Glückliche?«
»Robert«, antwortete seine Großmutter.
»Welcher Robert?« Lothar sah die Fürstin fragend an.
»Robert Schwartz…!«
»Wer ist das denn?« Lothars Stimme war deutlich anzuhören, daß ihm gar nicht gefiel, was seine Großmutter ihm offenbart hatte.
»Unser Gartenbauingenieur«, antwortete die, »du kennst ihn doch. Er ist der nette junge Mann, der immer so freundlich…!«
»Sag mal«, reagierte Prinz Lothar daraufhin zornig, »seid ihr denn inzwischen alle völlig verrückt geworden? Ihr scheint euch quasi zu freuen, daß sich eine Prinzessin Adelsbach an einen dahergelaufenen Gärtner verschwendet.«
»Robert Schwartz ist ein rechtschaffener und überaus netter junger Mann«, erwiderte Fürstin Johanna. »Außerdem hat er…!«
»Es ist mir wurscht, was er hat«, schnitt Lothar seiner Großmutter erneut das Wort ab, obwohl die ihn erst kürzlich ermahnt hatte, dies nicht zu tun.
Dementsprechend fiel die Reaktion aus.
»Bei all deinen Ansprüchen an deine Familie, sich in deinem Sinn adlig zu benehmen«, sagte sie mit einer Stimme, die mehr als kühl war, »solltest du zuerst einmal darauf achten, Benimmregeln zu befolgen, die auch beim deiner Ansicht nach gemeinen Volk beachtet werden. Solltest du mich noch einmal unterbrechen, dann werde ich dich eigenhändig hinauswerfen. Und du wirst erst wieder nach Adelsbach kommen dürfen, wenn du dich gebührend entschuldigt hast.«
Daraufhin war es still im Salon der Fürstin, die berühmte Stecknadel hätte man fallen gehört. Lothar zögerte einen Moment, dann stand er auf, drehte sich um und verließ den Salon, ohne seine Großmutter oder seinen Bruder eines Blickes zu würdigen.
*
Als Christiane eine Stunde später von der Traun-Alm zurückkam, betrat sie den Salon ihrer Großmutter und fragte diese: »Darf ich Robert auf einen Moment mitbringen?«
»Ist er draußen?« wollte Fürstin Johanna wissen.
Christiane nickte.
»Aber natürlich darfst du Robert mitbringen«, antwortete ihre Großmutter, »draußen stehen lassen darfst du ihn dagegen nie wieder, hörst du? Das gehört sich nicht.«
»Ich weiß«, erwiderte Christiane, »aber Robert wollte, daß ich frage, ob er willkommen ist.« Sie lächelte. »So ist er nun mal, Großmutter. Aber vor allem ist er sehr süß und lieb.«
»Oje, Kind«, murmelte die alte Fürstin, »bist du tatsächlich derart verliebt?«
»Christiane fiel ihrer Großmutter um den Hals. »Mehr als verliebt. Ich bin ganz und gar aufgelöst. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Die Schmetterlinge im Bauch beschreiben meinen Zustand nämlich nur unzureichend.«
»Und Robert? Wie steht er zu dir?«
»Er ist total lieb und…«, Christiane bekam rote Wangen, »er ist auf eine so liebe Art in mich verliebt. Er traut sich nur nicht. Er meint, er würd’ irgendwann aus einem Traum erwachen und dann würd’ er ernüchtert dastehen.«
Fürstin Johanna nickte. »Er ist sehr sensibel, das ist mir schon aufgefallen. Aber jetzt hol ihn rasch, sonst meint er noch, wir würden über ihn reden.«
Kurz darauf betrat Robert Schwartz an der Seite der hübschen Prinzessin den Salon ihrer Großmutter. Die stand auf und ging Robert entgegen, um es ihm leichter zu machen, nicht länger so befangen zu sein.
»Seien Sie willkommen, Robert«, sagte sie, »wie war der Tag auf der Traun-Alm? Früher, als Christianes Eltern noch lebten, sind wir oft dort gewesen. Manchmal haben wir den ganzen Tag auf der Alm verbracht.«
Robert tat sich auch jetzt schwer, erst als Fürstin Johanna sagte, er solle sich zu ihr ans Fenster setzen, warf er Christiane einen kurzen Blick zu, die ihn aufmunternd anlächelte.
»Soll ich Tee und Kuchen kommen lassen?« fragte sie ihre Großmutter.
»Tu das, mein Kind«, sagte die, »und laß dir ruhig Zeit dabei.«
Als Christiane den Salon verlassen hatte, wartete Robert, bis Fürstin Johanna auf dem Stuhl am Fenster Platz genommen hatte, erst dann nahm er ihr gegenüber Platz.
»Sicher finden Sie die Situation recht ungewöhnlich«, sagte sie dann zu ihm. »Aber beruhigen Sie sich, ich bin derartige Situationen auch nicht gewohnt. Im Gegenteil, die Situation ist mir ebenso fremd wie Ihnen. Aber wissen Sie was? Ich empfinde keine Hemmnisse, ganz im Gegenteil, ich freue mich, daß Sie hier sind. Vor allem freue ich mich, daß Sie und Christiane sich so gut verstehen.«
Nachdem er sich geräuspert hatte, wäre Robert fast aufgestanden, um zu antworten.
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, Durchlaucht«, murmelte er schließlich.
»Das ist am allerbesten, mein Junge«, erwiderte Johanna von Adelsbach, »die jungen Männer, die auf alles eine Antwort wissen, möglichst eine druckreife, sind eh nicht mein Geschmack. War es denn ein schöner Tag auf der Alm?«
Robert nickte sofort. »Ein sehr schöner. Daß es in der näheren Umgebung eine derart urige Alm gibt, hätte ich nie für möglich gehalten.«
»Und daß es eine leibhaftige Prinzessin gibt, in die Sie sich verlieben könnten, das hätten Sie auch nicht für möglich gehalten, oder?«
Robert bekam keinen Ton heraus, konnte nur mit dem Kopf schütteln.
»Seien Sie nicht zu bescheiden, mein Junge«, erwiderte Fürstin Johanna, »niemand ist mehr als der andere, auch wenn man Ihnen das vielleicht einzureden versucht. Das, was Sie und Christiane heute füreinander empfinden, ist das beste Beispiel dafür. Liebe und alles, was mit Gefühlen zu tun hat, läßt sich nun mal nicht auf einen bestimmten Stand beschränken. Und wissen Sie was, ich finde es einfach wunderbar.«
Im gleichen Augenblick kam Christiane zurück. Sie sah sofort Robert an, um zu sehen, wie es ihm ohne sie ergangen war. Aber da er sie verliebt anlächelte, atmete sie auf und sagte, Kuchen, Tee und Kaffee würden gleich da sein.
»Stell dir vor«, sagte sie zu ihrer Großmutter, »das Almgasthaus gibt’s noch. Und der Wirt ist immer noch der gleiche. Es ist doch über zehn Jahre her, daß ich das letzte Mal dort gewesen bin. Und weißt du was? Er hat mich tatsächlich wiedererkannt. Ich hab’s gar nicht begreifen können.«
Fürstin Johanna lächelte amüsiert, dann sah sie Robert an und wollte wissen, was er dazu zu sagen habe.
»Wer Christiane einmal gesehen hat«, antwortete er prompt, »der vergißt sie nie mehr…!«
*
Marianne Burgner war drei Wochen nicht in der Adelsbachschen Gärtnerei gewesen, weil sie Urlaub eingereicht hatte, und als Hans von Robert wissen wollte, wann Nanni zurückkomme, hatte der geantwortet, daß sie noch eine Woche bleibe.
Hans hatte genickt und wollte gehen, da rief Robert hinter ihm her, ob er ihm irgendwie behilflich sein könne.
Hans bedankte sich und antwortete, ihm könne keiner helfen, es sei denn, Robert habe Einfluß auf andere Menschen.
»Dann könnten Sie der Marianne zu verstehen geben, daß ich ihr nur was sagen möchte.« Hans von Adelsbach lächelte. »Aber wenn sie meinen Namen hört, wird sie auch einem anderen nicht zuhören. Schade, es hätte so schön sein können.«
»Vielleicht kann ich der Nanni ja sagen«, schlug Robert vor, »daß Sie zu einem bestimmten Zeitpunkt da oder dort auf sie warten.«
»Wie meinen Sie das?« Prinz Hans sah den Gartenbauingenieur fragend an.
»Ich könnt’ der Nanni bestellen, daß Sie, sagen wir, heut’ um neunzehn Uhr im Hütterl droben bei den Felsen auf sie warten. Kommt sie, müssen Sie sehen, was Sie aus der Sache machen. Ansonsten ist die Sach’ für beide ausgestanden. Die Nanni hätte aber eine Chance, etwas zu tun, was Sie selbst entscheiden kann. Und zwar hinzugehen oder fern zu bleiben.«
Hans dachte einen Moment nach, dann lächelte er Robert an. »Sie scheinen Erfahrung mit solchen Angelegenheiten zu haben.«
Robert schüttelte lächelnd den Kopf. »Eigentlich nicht, Hoheit. Das ist mir eben so durch den Kopf gegangen.«
»Lassen Sie die Hoheit zukünftig bitte weg«, sagte Robert. »Und wenn Sie den Vorschlag eben ernst gemeint haben, dann seien Sie so lieb und bestellen Sie der Nanni, ich würde morgen um achtzehn Uhr hinterm Schloß auf den Felsbänken auf sie warten. Man kann von dort den Schliersee liegen sehen, sie weiß sicher, wo das ist.«
Robert nickte. »Ich werd’s ausrichten. Wenn ich sie nicht antreff’ oder wenn sie total nein sagt…?«
»… dann bin ich trotzdem dort und warte«, erwiderte Hans. »So wie man spontan absagt, kann man es sich auch wieder überlegen.« Er lächelte Robert unglücklich an. »Es ist so was wie die letzte Chance für mich. Drücken Sie mir die Daumen.«
»Das werd’ ich tun, Hoh…!« Robert räusperte sich. »Ich bin sicher, daß die Nanni kommen wird.«
»Sie haben einen gesunden Optimismus«, erwiderte Hans, dann verschwand er.
Robert sah auf die Uhr. Da er eh noch zu den beiden Adelsbachschen Baumschulen wollte und dabei ganz in der Nähe von Nannis Elternhaus vorbeikam, machte er sich augenblicklich auf den Weg.
Als er den Wagen vor dem sehr schön gelegenen Haus der Burgners abstellte, zeigte er plötzlich doch Nerven, vor allem, als plötzlich Nannis Großvater vor ihm stand. Er hatte großen Respekt vor dem ehemaligen Gärtnermeister Adelsbachs, nicht nur, weil die Nanni stets in den höchsten Tönen von ihm sprach, nein, auch weil er täglich mit den Leistungen Gustl Burgners als Chef der Adelsbachschen Gartenbaubetriebe konfrontiert wurde.
»Da schau her, der Herr Ingenieur«, wurde Robert von Nannis Großvater begrüßt, »was treibt Sie denn her zu uns?«
»Ich such’ die Nanni…!«
»Die hat doch Urlaub.«
»Ich muß sie was fragen.«
»Was denn?« Gustl merkte zuerst nicht, daß er zu weit vorgeprescht war. Und als er es merkte, lächelte er verlegen. »Sie ist hinten im Garten beim Gartenteich und versucht, den Bewuchs ein bisserl zu reduzieren.«
Robert bedankte sich und ging nach hinten in den Garten.
Das hübsche Mädchen zuckte regelrecht zusammen, als sie unvermittelt angesprochen wurde.
»Herrschaftszeiten«, sagte sie, »jetzt hast mich aber erschreckt. Was tust du denn hier?« Sie legte einen kleinen Kescher zur Seite, stand auf und sah Robert fragend an.
»Ich bin auf dem Weg zu den beiden Baumschulen«, antwortete der, »und hab’ gemeint, ich könnt’ dich mal besuchen.«
»Magst eine Erfrischung?« Nanni schüttelte die Haare und band sie zusammen.
»Eine Saftmischung, wenn du eine hast«, antwortete Robert, dann nahm er auf einem Gartenstuhl Platz, der in einer kleinen Sitzgruppe neben dem Teich stand.
Als Nanni mit den Getränken kam, stellte sie sie wortlos auf den Tisch, nahm auch Platz und sah Robert dann aufmerksam an.
»Warum bist du wirklich hier?« fragte sie. »Ich kenn’ dich zu gut, um nicht zu wissen, daß du auf dem Weg zu den Baumschulen keine privaten Besuche absolvieren würdest.«
Robert grinste. »So leicht bin ich also auszurechnen?«
»Hat Prinz Hans dich geschickt?« wollte Nanni wissen.
Robert schüttelte den Kopf. »Nein, er hat mich nicht geschickt. Ich hab’ ihm angeboten, mit dir zu reden.«
»Es gibt nichts zu reden.«
»Es gibt doch was zu reden«, widersprach Robert.
»Ich lasse mich nicht unter Druck setzen«, setzte Nanni dagegen. »Weder von einem Prinzen noch von dir.«
»Nanni, ich bitte dich nur um eines«, erwiderte Robert, »hör mir mal einige Augenblick zu. Dann kannst du immer noch tun und lassen, was du willst. Und in diesem Fall schon mal gar.«
Nanni sah Robert erwartungsvoll an, offensichtlich wollte sie seiner Bitte nachkommen und zuhören.
Robert erzählte von seiner Begegnung mit Hans von Adelsbach und daß der völlig neben der Spur sei. Auch von seinem Vorschlag erzählte er, schließlich sagte er: »Letztendlich hat er gemeint, ich könnt’ dir ja ausrichten, daß er morgen gegen achtzehn Uhr hinterm Schloß bei den Felsen wär’. Da, wo man den Schliersee liegen sehen kann.«
»Und was will er von mir?« Nanni spürte, daß ihr Herz rascher schlug.
»Wenn du das wissen willst, dann mußt du hingehen«, erwiderte Robert.
»Und wenn ich das nicht möcht’?«
»Dann wirst nicht erfahren, was Hans dir sagen wollte.« Robert atmete tief durch. »Er leidet sehr, das steht fest. Ich hab’ nie einen niedergeschlageneren Menschen gesehen als Prinz Hans.«
Da lachte Nanni. »Das glaub’ ich dir nicht. Wieso sollte ein Prinz von Adelsbach niedergeschlagen sein? Der nimmt sich, was er will, und meistens bekommt er es auch.«
»Ich weiß nicht, woher du diese Weisheit hast«, erwiderte Robert, »aber auf Hans von Adelsbach trifft sie nicht zu. Für andere mag es gelten, für ihn am allerwenigsten.«
»Wieso denn das?« Nanni schien irritiert. »Prinz Hans hat die gleichen Allüren wie alle anderen Adligen auch. Er versteht es nur, sie geschickt zu verbergen. Er ist sogar noch schlimmer als die meisten. Er ist wie ein Wolf im Schafspelz. Tut lieb und nett, dabei ist er gar nicht so.«
»Was soll der Quatsch?« Robert schüttelte heftig den Kopf. »Hans ist ganz das Gegenteil. Du…!«
»Hör auf«, ließ Nanni Robert gar nicht erst ausreden. »Ich bin mir vorgekommen wie ein Waschlappen, den man erst in kaltes, dann in heißes Wasser gelegt, dann mit Seife eingerieben und wieder in kaltes Wasser geworfen hat.«
»Du redest Blödsinn«, sagte Robert.
»Was ich denk’ und tu’, das ist meine Sach’«, entgegnete Nanni. »Ich werd’ nicht hingehen. Das kannst du ihm ausrichten. Und die Adelsbachsche Gärtnerei werd’ ich auch über kurz oder lang verlassen.« Trotzig wie ein kleines Mädchen, dem man die Puppe genommen hatte, stand sie da. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und demonstrierte Selbstbewußtsein.
*
»Wieso quälst du dich so, mein Junge?« Fürstin Johanna sah Hans fragend an, als er am nächsten Nachmittag ständig auf die Uhr sah. »Du bist entweder nervös oder du bist gedanklich vollkommen abwesend. Beides ist schlecht für einen jungen Menschen, dessen Leben gerade erst richtig begonnen hat.«
»Ich muß dich gleich verlassen«, erwiderte Hans. Es war kurz nach siebzehn Uhr, und er dachte an nichts anderes als an das Treffen mit Nanni eine Stunde später. Ob es ein Treffen geben würde, wußte er nicht, aber er hatte kein gutes Gefühl, vor allem, weil Robert ihm nicht gesagt hatte, wie es bei Nanni gewesen war. Wenn Nanni quasi darauf gewartet hätte, daß er, Hans, sich mit ihr wie auch immer in Verbindung setzen würde, hätte Robert berichtet, da war er sicher.
»Junge, bist du wirklich so sehr in die Nanni verliebt?« fragte Fürstin Johanna.
Hans zog die Augenbrauen zusammen und stand auf. Er wollte mit seiner Großmutter das Thema nicht weiter erörtern.
»Bitte stell keine Fragen mehr zu Nanni«, sagte er, »ich bin sehr wohl in der Lage, meine Dinge selbst zu ordnen.«
Fürstin Johanna zog die Augenbrauen in die Höhe, solche Antworten war sie gerade von Hans nicht gewohnt. Doch sie akzeptierte seine Bitte und fragte nicht weiter, zumal er es offensichtlich wirklich eilig hatte.
»Du entschuldigst mich bitte«, sagte er da auch schon, nachdem er zum wievielten Mal in der letzten halben Stunde auf die Uhr gesehen hatte, »ich kann noch nicht sagen, ob ich zum Abendessen da sein werde.«
Fürstin Johanna sah ihrem Enkel hinterher. Niemals hätte sie für möglich gehalten, daß er sich binnen kurzer Zeit derart wandeln würde. Aus einem sehr selbstbewußten jungen Menschen, der in der freien Wirtschaft seinen Mann gestanden hatte, war ein eher scheuer Bursch geworden, dessen Gedanken sich mehr oder weniger mit einem jungen Mädchen beschäftigten, das ihm völlig den Kopf verdreht zu haben schien.
Während seine Großmutter sich über diesen Umstand Gedanken machte, ging Hans um das Schloß herum zu der kleinen Felspartie, wo man einen wunderschönen Blick hinüber zum Schliersee hatte.
Hans hatte zwar nicht damit gerechnet, daß Nanni da sein würde, aber enttäuscht war er doch, als er die Felsgruppe verlassen vorfand. Er sah auf die Uhr, bis sechs waren es noch reichlich zehn Minuten, kommen konnte Nanni also noch.
Er stieg einen schmalen Pfad empor, gewann noch etwas an Höhe, und als er kurz darauf endgültig die Schneid erreicht hatte, sah er nicht nur den Schliersee unter sich liegen, sondern auch die Schlierseer Berge bis hinüber nach Bayrischzell, Oberaudorf und Kiefersfelden.
Hans setzte sich auf einen Felsblock und begann wieder zu sinnieren. Niemals hätte er für möglich gehalten, daß ihn mal die Bekanntschaft eines Mädchens so würde aus der Bahn werfen können.
Er war der Nanni früher auch schon mal begegnet. Sie war als Kind hin und wieder zu ihrem Großvater in die Gärtnerei gekommen, aber oft war das nicht der Fall gewesen. Als er sie jetzt im Salon seiner Großmutter beim Tee gesehen hatte, hatten sie und ihre Art ihn so sehr beeindruckt, daß er bis heute fast keinen gescheiten Gedanken mehr hatte fassen können.
Was hatte Nanni, was andere Frauen nicht hatten? War es ihre natürliche und offene Art, mit den Dingen umzugehen? Immer mehr wurde Hans bewußt, daß er Nanni überrumpelt hatte. Er hatte vorausgesetzt, daß sie ähnlich fühlte wie er, und da er sie gleich in alles hatte einbeziehen wollen, was mit Adelsbach zu tun hatte, war ihm der Empfang gerade recht gekommen. Für Nanni mußte es dagegen ein Alptraum gewesen sein.
Über eine Stunde saß Hans da oben, und immer neue Dinge gingen ihm durch den Kopf. Daß Nanni sich vorgekommen sein mußte, als habe er sie einvernahmt und ihr Leben bereits verplant, wurde ihm immer bewußter. Und da Nanni ein sensibler Mensch war, hatte sie ihn nicht zur Ordnung gerufen.
Als Hans auf die Uhr sah, erschrak er, denn es war fast sieben, und wenn Nanni unten bei den Felsbänken gewesen wäre, er hätte nichts davon mitbekommen.
So rasch er konnte, rannte er den felsigen Steig herunter, und noch bevor er bei den Felsbänken war, sah er, daß niemand dort war und auf ihn wartete.
Prinz Hans blieb bei den Bänken stehen, und als er tief durchatmete, meinte er, der Duft eines sehr feinen Parfüms hinge in der Luft. War Nanni dagewesen, während er oben auf der Schneid vor sich hingeträumt hatte?
Gerade als er weggehen wollte, sah er eine lachsfarbene Rose auf einer der Felsbänke liegen. Hans nahm sie auf und schloß noch einmal die Augen. Nanni war also dagewesen. Sie dachte an ihn, und zwar nicht nur negativ, sonst wäre sie nicht gekommen.
Obwohl er Nanni verpaßt hatte, war Hans plötzlich guten Mutes. Er rannte hinüber zum Portal des Schlosses, vielleicht war Nanni ja noch da. Aber dort stand ihr Wagen nicht.
Wieder ein wenig ernüchtert, betrat Hans das Schloß. Er bewohnte den gesamten Südflügel, und dorthin wollte er, als Karl ihn ansprach.
»Entschuldigung, Hoheit«, sagte er, »die Durchlaucht bittet Sie zu sich.«
Hans wollte Karl schon ausrichten lassen, daß er keine Zeit habe, doch dann nickte er und ging in Richtung des Salons seiner Großmutter und auch hier hing wieder der Duft des Parfüms in der Luft, den er schon bei den Felsbänken wahrgenommen hatte.
Hans betrat den Salon und sah sich auch hier suchend um, aber er sah nur seine Großmutter am Fenster sitzen.
»Da bist du ja«, sagte sie, dann zeigte sie auf die Rose in seinen Händen. »Ist die für mich?«
Hans schüttelte den Kopf. Jede andere Rose hätte er seiner Großmutter überlassen, diese würde er um nichts in der Welt hergeben.
»Nein«, antwortete er, »ich hoffe, daß sie für mich sein sollte.«
»Dann bist du Nanni begegnet?«
Hans schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hab’ oben bei den Felsen gewartet, möglicherweise ist sie unten gewesen und ich hab’ sie verpaßt.«
»Daß dich ein Madel mal so aus dem Geschehen nimmt«, sagte Fürstin Johanna daraufhin mit einem amüsiertem Lächeln um die Lippen, »das hätt’ ich nie für möglich gehalten.«
»Ich auch nicht…!«
»Was willst du denn jetzt tun?« Fürstin Johanna sah zum wiederholten Mal hinüber in einer von Hans nicht einsehbaren Ecke ihres Salons.
Der zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Alles ist derart verfahren. Ich weiß nur, daß ich nie wieder einem Mädchen begegnen werde, das meinem Bild einer Frau so entspricht wie die Nanni.«
Erneut sah die Fürstin in jene Nische, dann wandte sie sich wieder ihrem Enkel zu.
»Wieso gehst du denn nicht zu Nanni nach Hause und sagst ihr klipp und klar, wie es um dich bestellt ist?« wollte sie dann wissen.
»Nanni weiß, daß ich sie liebe«, erwiderte Hans. »Aber sie läßt mich nicht mehr sagen, was ich ihr gegenüber empfinde. Wenn sie mich wenigstens mal anhören würde.«
»Was würdest du ihr dann sagen?«
Hans atmete tief durch. »Ich würd’ ihr sagen, daß ich weiß, daß sie die Frau ist, die ich liebe. Und daß nur mein übergroßer Wunsch, sie von Anfang an in die Belange Adelsbachs einzubinden, mich beim Empfang so ungeschickt hat handeln lassen.«
»Du liebst Nanni wirklich…?«
»Aber, Großmutter.« Hans hob beide Arme und ließ sie wieder fallen. »Das weißt du doch. Ich bin mir nie einer Sache derart sicher gewesen. Nanni ist die Frau meines Lebens. Ich weiß, daß wir beide glücklich miteinander werden würden. Ich müßt’ nur die Gelegenheit haben, es ihr zu sagen. Aber…!«
Wieder sah Fürstin Johanna in die für Hans nicht einsehbare Nische ihres Salons. Diesmal dauerte es länger, bis sie sich wieder Hans zuwandte, und diesmal war es ihm aufgefallen.
»Was hast du?« fragte er.
»Komm schon«, sagte Fürstin Johanna daraufhin. Sie stand auf, verschwand in jener Nische und kam gleich darauf mit Marianne an der Hand zurück.
»Nanni… du…?« Hans starrte das hübsche Mädchen benommen an. »Was…?«
»Ihr habt euch in der Tat bei den Felsbänken verpaßt«, sagte Fürstin Johanna. »Da ist die Nanni zu mir gekommen. Sie hat mir von der Rose erzählt, die du dann mitgebracht hast, und daß sie sie als Zeichen für dich hat liegen lassen.«
Nanni stand da, blaß wie die Wand, und versuchte, Hans’ Blicken auszuweichen. Da ging er einfach zu ihr hin, legte ganz behutsam seine Arme um ihre Schultern und drückte sie ganz leicht an sich.
»Hast du gehört, was ich gesagt hab’?« murmelte er leise in ihr Ohr.
Nanni nickte.
»Dann muß ich gar nichts mehr sagen?« fragte Hans.
»Doch«, ganz leise klang Nannis Stimme, »du mußt es mir immer wieder sagen. Immer wieder, ich kann’s nämlich gar nicht glauben. Es ist so… so unwahrscheinlich, daß ich es immer wieder hören muß und ich möcht’s hören, weil’s so schön ist…!«
*
Lothar wußte, daß er sich mehr als dumm verhalten hatte, als er letztens auf Schloß Adelsbach den Beleidigten gespielt hatte und einfach verschwunden war. Er wußte auch, daß die Situation, in der er sich befand, immer prekärer wurde, und daß er schleunigst zusehen mußte, zu Geld zu kommen, sonst würde er auf Manni Beckers Bedingungen eingehen müssen.
Dann erinnerte er sich an die Bilder im Kofferraum seines Wagens und er meinte wieder mal, damit seien seine Probleme gelöst. Er atmete auf, kleidete sich sorgfältig an, ging hinunter in die Tiefgarage, warf einen Blick in den Kofferraum und atmete auf, als die Leinwände dort zusammengerollt lagen.
Er setzte sich in den Wagen und fuhr aus der Tiefgarage in Richtung Innenstadt. Unterwegs nahm er sein Handy und wählte eine Nummer. Als sich der Teilnehmer meldete, sagte er: »Ich hab’ was für Sie…!«
»Wer spricht da?« fragte der Teilnehmer.
»Prinz Adelsbach. Ich bin in zehn Minuten bei Ihnen… privat.« Lothar legte auf. Plötzlich hatte er wieder Oberwasser. Die drei Bilder hatten einen Wert von mindestens drei Millionen. Eine Million war jedes Bild wert, eher viel mehr. Immerhin waren es Bilder berühmter Maler.
Als Lothar zur privaten Stadtwohnung des renommierten Kunsthändlers kam, öffnete der ihm persönlich die Tür.
»Es ist mir eine Ehre, Hoheit«, begrüßte der seinen Besucher.
Der war heute nicht auf Konversation aus, sondern wollte rasch Geld haben. Deshalb legte er die aus den Rahmen genommenen Leinwände auf den Tisch und sah den Kunsthändler erwartungsvoll an.
»Oh«, sagte der, »was ist damit?«
»Die möcht’ ich verkaufen.«
»Verkaufen?« Des Kunsthändlers Stimme klang sehr erstaunt. »Seit wann verkauft Adelsbach Bilder?«
»Ich verkaufe«, sagte Lothar, »nicht Adelsbach. Die Bilder gehören mir. Mit was kann ich rechnen?«
»Also das geht alles ein wenig rasch«, antwortete der Kunsthändler. »Ich bin momentan nicht darauf eingerichtet, daß mir Bilder dieser Qualität angeboten werden. Ich könnte Sie mit einem potentiellen Käufer zusammenbringen, ich selbst kaufe nicht an.«
»Ich möchte nicht als Verkäufer in Erscheinung treten«, sagte Lothar.
»Tja…!« Der Kunsthändler dachte nach. »Würden Sie mir die Bilder denn ein paar Tage dalassen können?«
»Einen Tag«, sagte Lothar, »morgen mittag muß ich das Geld haben. Drei Millionen. Alles, was Sie darüber hinaus erzielen, dürfen Sie als Ihr Honorar betrachten.«
»Oh«, der Kunsthändler zog die Augenbrauen in die Höhe, »das ist sehr großzügig.«
»Kann ich morgen mit dem Geld rechnen?« Lothar wollte so rasch wie möglich weg. Er würde von da ins Werdenfelsische fahren, sich für eine Nacht einquartieren und abwarten, was passieren würde.
Jedenfalls wollte er nicht Manni Becker oder dessen Schläger Hubert Bogner in die Hände fallen. Deshalb würde er sich an Ort und Stelle einen Leihwagen nehmen, weil sein Sportflitzer einfach zu auffällig war, dann würde er morgen wieder herkommen, das Geld kassieren, Manni bezahlen und das war’s dann. Daß er nicht schon früher auf die Idee mit den Bilden gekommen war.
Der Kunsthändler zuckte mit den Schultern. »Ich werde mein möglichstes tun…!«
Gleich darauf war Lothar verschwunden. In der Tiefgarage des Hauses stieg er in seinen Wagen, dann fuhr er aus der Ausfahrt des Gebäudekomplexes in der Innenstadt.
»Er ist wieder da«, sagte Hubert Bogner in dem Moment. Er saß im Wagen und sprach über Handy mit Manni Becker. Er war Lothar von dessen Wohnung gefolgt und hatte ihn in der Tiefgaragen-Einfahrt verschwinden sehen.
»Wo er war, weißt du nicht?« fragte Becker.
»Nein…!«
»Dann folge ihm.«
Während Bogner dem Wagen Lothars nach Süden folgte, griff der Kunsthändler nach dem Telefon und wählte die Nummer Adelsbachs. Ohne sich lange bei der Vorrede aufzuhalten, sagte er zu Hans, weshalb er anrief.
»Ihr Bruder hat mir einige Bilder aus Ihrem Bestand angeboten. Ich bin mir nicht sicher, ob die Bilder ihm gehören, wie er gesagt hat. Falls doch, dann tun wir so, als hätte ich nie angerufen…!«
Hans war einen Augenblick geschockt. Dann wollte er wissen, welche Bilder es seien.
Der Kunsthändler sagte es, und Hans meinte, ihm bleibe die Luft weg.
»Das… das glaube ich nicht«, erwiderte er.
»Die Bilder liegen vor mir«, antwortete der Kunsthändler. »Sie sind ein wenig hastig aus den Rahmen genommen worden. Ihr Bruder will sie weit unter Wert verkaufen. Aber morgen will er das Geld haben. Kann es sein, daß er in Schwierigkeiten steckt?«
»Das wäre eine Erklärung«, sagte Hans. Dann wollte er wissen, wann Lothar morgen kommen würde.
»Um sechzehn Uhr«, antwortete der Kunsthändler.
Hans bedankte sich mehrfach, daß der Kunsthändler ihn angerufen hatte, legte auf und ging dorthin, wo die Bilder hängen mußten. Noch immer hoffte er auf einen Irrtum. Doch bald wußte er, daß es kein Irrtum war, die drei Bilder fehlten, die leeren Rahmen standen auf dem Boden.
Hans überlegte lange, was zu tun war, ob er seine Großmutter informieren sollte oder ob er die Angelegenheit auch allein regeln konnte. Schließlich kam er zu dem Schluß, seine Großmutter erst mal nicht in Kenntnis zu setzen, sondern am nächsten Tag allein zu jenem Kunsthändler zu fahren, um zu sehen, was hinter der Angelegenheit steckte.
Am nächsten Tag war Hans schon zeitig am Nachmittag bei dem Kunsthändler. Er war in Begleitung eines Studienkollegen erschienen, denn Hans rechnete damit, daß Probleme auftauchen würden, ohne daß er hätte sagen können, welcher Art die Probleme sein würden.
Den Bekannten stellte Hans dem Kunsthändler lediglich mit Namen vor, daß er Oberstaatsanwalt war, sagte er nicht. Er wollte seinen Bruder nicht in was hineinreißen, und falls es wirklich nur um die Bilder gehen sollte, würde sein Bekannter nicht tätig werden. Aber falls mehr dahintersteckte, konnte es nur von Vorteil sein, wenn ein Staatsanwalt dabei war.
Gegen halb vier läutete es, und Lothar erschien. Er war nervös wie selten, ging, als der Kunsthändler ihm geöffnet hatte, gleich zum Fenster und sah hinaus.
»Erwarten Sie noch jemand?« fragte der Kunsthändler. Hans und der Staatsanwalt waren noch nicht in Erscheinung getreten.
Lothar stand noch am Fenster, schüttelte gerade den Kopf, da läutete es an der Tür.
»Nicht öffnen«, sagte er hastig und mit ängstlich vibrierender Stimme.
»Wieso nicht?« fragte der Kunsthändler, dann war er bei der Tür und öffnete sie.
»Ist Lothar von Adelsbach bei Ihnen?« Manni Becker lächelte freundlich.
Der Kunsthändler nickte. »Ja, Prinz Lothar ist da. Was…!«
Da kam Hubert Bogner um die Ecke, schob den erschrockenen Kunsthändler beiseite und betrat mit Manni Becker die Wohnung. Rasch ging Bogner durch alle Räume und kam dann zurück. »Es ist niemand da.« Dann grinste er. »Nur Lothar. Er hat versucht, sich zu verstecken.«
»Was will Lothar hier bei Ihnen?« Manni sah den Kunsthändler fragend an.
»Ich wüßte nicht, was Sie das angeht«, antwortete der. Da griff Bogner nach dem Jackettkragen des Kunsthändlers und zog ihn zu sich heran.
»Nicht frech werden«, sagte er. »Was will Lothar hier?«
»Bitte verlassen Sie meine Wohnung!« Der Kunsthändler verlor nicht mal die Fassung. »Die Polizei…!«
»Willst du uns drohen?« Bogner holte tief Atem. »Ich werde dir deine Wohnung demolieren, wenn du nicht sofort antwortest.«
Manni grinste. »Hubert ist ein wenig gewalttätig. Ich kann ihn nicht bändigen.« Entschuldigend zuckte er mit den Schultern.
Lothar stand da, und man sah ihm an, wie ängstlich er war.
»Ich… ich habe ihm einige Bilder zum Ankauf angeboten«, sagte er. »Schließlich wollt ihr ja Geld von mir haben.«
Da verzog Manni sein Gesicht. Er ging auf Lothar zu, griff in dessen Haarschopf und zog den Kopf herunter.
»Ich will Aktien«, schrie er, »hast du das vergessen? Aktien des Softwareunternehmens, bei dem deine Familie die Mehrheit hat. Aktien im Nennwert von einer Million Mark. Wenn du sie bis morgen nicht vorweisen kannst, dann breche ich dir persönlich die Knochen beider Hände.«
»Und ich die beider Füße«, ergänzte Hubert Bogner.
Im gleichen Moment standen Hans und der Oberstaatsanwalt im Raum.
»Ich nehme Sie beide fest«, sagte er zu Hubert und Manni, »ich bin Oberstaatsanwalt Schneider.«
Die beiden Ganoven waren einen Augenblick total überrumpelt, doch dann kam Leben in sie.
»Schnapp dir Lothar«, sagte Manni, »und dann raus hier.«
»Bitte bleiben Sie, wo Sie sind.« Plötzlich standen Polizisten im Raum und hatten Pistolen in Händen.
Dann kamen noch weitere Polizisten und legten den beiden Betrügern Handschellen an.
Lothar stand dabei, starrte seinen Bruder an und bekam vor lauter Staunen den Mund nicht zu. Der erklärte ihm, daß er vom Kunsthändler benachrichtig worden sei und den Oberstaatsanwalt mitgebracht habe.
»Als der eine Gauner die Räume durchsucht hat«, sagte Hans, »standen wir auf dem Balkon. Von dort haben wir per Handy die Polizei benachrichtigt, und als ihr euch gestritten habt, die Wohnungstür geöffnet.«
Lothar war plötzlich sehr kleinlaut. Er vermied es, seinen Bruder anzusehen, und suchte nach Worten, um zu erklären, was passiert war.
»Ich habe Spielschulden«, sagte er, »knapp hunderttausend Mark. Jetzt wollen sie Aktien im Nennwert von einer Million. Das sind dreißig Millionen wirklicher Wert. Ich weiß nicht, wie ich da herauskommen soll.«
»Wenn du gestattest«, erwiderte Hans, »dann möchte ich dir helfen. Der Oberstaatsanwalt kennt die beiden schon lange. Die kommen hinter Schloß und Riegel.«
»Ich hab’ aber einen Schuldschein unterschrieben«, sagte Lothar, »über eine Million.«
»Wenn man dich dabei unter Druck gesetzt hat«, erklärte Hans, »dann zählt das eh nicht. Du kommst da wieder raus, Bruder, das verspreche ich dir.«
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen und wie ich dir danken soll.« Man sah deutlich, welch schlechtes Gewissen Lothar hatte.
»Ich wüßte schon, wie du dich dankbar zeigen könntest«, erwiderte Hans.
»Wie…?«
»Ich habe mich verliebt und gedenke bald zu heiraten«, antwortete Hans von Adelsbach.
»Du willst heiraten?« Erstaunt sah Lothar seinen Bruder an.
Der nickte. »Ja. Und da ich deine Einstellung zu gewissen Dingen kenne, bitte ich dich, Marianne gegenüber nicht den erhabenen Adligen zu spielen.«
»Marianne…?«
»Ja, ich werde Marianne Burgner heiraten«, antwortete Hans.
»Die Enkelin unseres ehemaligen Gärtners?« Lothar sah seinen Bruder mit großen Augen an.
Der nickte. »Ja, die Nanni ist die Enkelin des alten Gustl.«
Da atmete Lothar tief durch, dann lächelte er. »Du hast einen guten Geschmack, sie ist ein sehr hübsches Mädchen. Liebst du sie denn?«
»Mehr als alles andere…!«
»Dann wünsche ich dir und deiner hübschen Frau alles Gute.«
Lothar lächelte. »Ich schätze, ich muß meine Einstellung auch vielen anderen Dingen gegenüber ändern.«
»Falls du es noch nicht wissen solltest«, fügte Hans noch hinzu, »auch deine Schwester wird bald heiraten.«
Lothar nickte. »Diesen Robert?«
»Ja, sie wird Robert Schwartz heiraten«, antwortete Hans. »Die beiden sind sehr verliebt und, wie es aussieht, auch sehr glücklich miteinander.«
Lothar stand einen Moment ganz still da. »Seit ich weiß, daß du und Christiane, wie es aussieht, bürgerlich heiraten werdet und dabei auch noch glücklich seid, frage ich mich, ob ich nicht eine Entwicklung verpaßt habe.«
Jetzt lachte Prinz Hans. »Das zu prüfen, lieber Bruder, könnte unter Umständen sehr reizvoll sein.«
*
Nanni war aufgeregt wie nie. Immer wieder lief sie zum Fenster und sah hinaus. Hans hatte sich für den Abend zu Besuch bei ihren Eltern und Großeltern angesagt.
»Was will er denn?« hatte ihr Großvater gefragt. »Nur so wird er ja nicht kommen.«
Nanni hatte mit den Schultern gezuckt und gesagt, genau wisse sie es auch nicht. Als dann der Wagen vorfuhr, stieg Hans aus und kam zum Haus, in seinen Händen hielt er zwei große und einen kleinen Blumenstrauß. Einen Strauß überreichte er Nannis Großmutter und einen Nannis Mutter.
»Für dich«, sagte er zu Nanni, »hab’ ich heute Wiesenblumen gepflückt. Ich bin nicht so geschickt im Umgang mit Blumen wie du, aber sie kommen von Herzen.«
Nanni bekam einen roten Kopf, wußte einen Augenblick lang nicht, wie sie reagieren sollte, dann flog sie Hans um den Hals. Ihrem Großvater wäre fast die Pfeife aus dem Mund gefallen, und ihre Eltern sahen verlegen zur Seite.
Gustl Burgner räusperte sich, und wer ihn kannte, der wußte, daß er was sagen wollte.
»Lassen S’ mich erst was loswerden«, sagte Hans. »Mein Besuch heute hat nämlich einen ganz besonderen Grund.«
Daraufhin starrten ihn alle an. »Und?« sagte schließlich Gustl Burgner. »Was ist der Grund?«
Da zog Hans ein kleines Kästchen aus der Tasche seiner Weste, öffnete es, nahm einen Brillantring heraus und sagte: »Ich wollte Marianne bitten, meine Frau zu werden.«
Es war mucksmäuschenstill im Wohnzimmer der alten Burgners, denn dort hatten sich alle versammelt.
»Mach dich nicht lustig über mein Mädchen, Hoheit…!« Der Gustl hatte seine Sprache wiedergefunden.
»Mir war nie was so ernst wie dieser Moment«, murmelte Hans, dann steckte er den Ring Marianne an den Finger. »Diesen Ring haben alle Adelsbacher Fürstinnen getragen. Meine Großmutter läßt ganz herzlich grüßen.« Dann sah er Marianne verliebt an. »Sie hat gesagt, sie wüßt’ keine Frau, der sie den Ring eher gönnen würd’ als dir…!«