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1 KAPITEL

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Walter Littlewood stand im Eingangsbereich seines Stadthauses in einer Gegend, wo man ansonsten Botschafter, Bankdirektoren und die verstädterte Aristokratie, aus der ganzen Welt mit ihren Dienstboten vorfand. Das Gaslicht brannte und er war Hin und hergerissen zwischen Pflicht und Eitelkeit und warf wieder einen schnellen Blick auf die silberne Taschenuhr in seiner Hand. Er besah prüfend sein Spiegelbild im Kristallglas. Die schwere von Douglas Wright gebaute Standuhr aus Tropenholz tickte leise vor sich hin in den Abend. Die Schwierigkeit bei seiner Neigung zum buschigen Bartwuchs war, dass die Spitzen seines Schnurrbarts abknickten oder, wenn das Bartwachs getrocknet war, sie auseinander sprangen wie Borsten. Und sein rotbrauner Schnauzer ihm das Aussehen eines Walrosses verlieh. So kam er sich jetzt auch vor, wie ein Meerestier mit rosigen und prallen Wangen, nur eben zweibeinig und nicht kriechend. Und er war in seiner Abendkleidung und in wenigen Minuten mit passender Kopfbedeckung, einen Bowler. Er gab es selber zu, er war kein Adonis, er ging nicht einmal in der eigenen Meinung, als passabel durch. Er hatte alle Möglichkeiten ausprobiert, einmal einen Backenbart getragen, einen Vollbart, oder sich nach spanischer Mode rasiert. Egal was er tat, er war nicht für einen gemacht und außerdem war er zu dick. Er war nicht in dem Alter, wo die Gesellschaft einem Gentlemen gestattete Fett anzusetzen. Würde man nur keinen Bart brauchen, um eine Karriere im Dienst zu machen, aber das war eine reine Illusion. Als Constable, als Türklopfer wurde einem höchstens ein kleiner Schnauzer gestattet, aber je weiter man die Treppe der Ränge emporstieg, umso wichtiger wurde der eigene Bart. Ein Inspektor mit glatt rasiertem Gesicht machte nicht nur sich, sondern auch seine Polizeiinspektion lächerlich. Was half es, er musste eben als Walross mit hellroten Schnauzborsten durchs Leben gehen. Er sah in den Schrank aus argentinischem Zitronenholz. Im obersten Fach ruhten für diese Woche vier Hüte. Einer passte einzig für Ausritte auf Land, der andere bei einem Ritt im Hyde Park. Ein Reithut war ein absolutes Muss, sobald man von gewisser Stellung war und einen Sattel unterm Hintern hatte. Es kam nicht einmal auf das Reiten an, der Hut machte eine fehlerhafte Haltung mehr als weg. Sein Diener, legte ihm die Sachen heraus und auf ihn war immer verlass. Vier Hüte die Woche, nur einer mehr und er wirkte wie einer der Stutzer. Littlewood hielt inne und betrachtete skeptisch den silbernen Bartkamm in seiner Hand und rief nach Beistand.

»Joseph!« Er wartete und nichts geschah. Er rief ein Zweites mal, etwas drängender und so laut das seine Stimme durch das feine Haus am King's Crescent in Pimlico schallte. »Joseph! Komm eine Minute her, es ist wirklich lebenswichtig!«

»Moment, Sir!«, erwiderte jemand mit vollem Mund aus Richtung der großen Küche. Am Morgen kam Misses Grenger und bereitete das Essen vor, die Köchin verschwand pünktlich gegen Nachmittag. Walter hatte ihr, Angeboten in einem der leeren Zimmer zu wohnen, doch sie weigerte sich bei einem Junggesellen über die schickliche Zeit zu bleiben. Walter Littlewood wusste nicht, ob er geschmeichelt oder gekränkt seine sollte, Mrs Grenger war, um die sechzig und eine famose Köchin, was man ihm und seinem Butler ansah. Walter Littlewood, der illegitimer Sohn aus erlesensten Samen, er konnte die Queen Verwandte nennen, sah auf die Taschenuhr. Joseph kam nicht in der gebotenen Eile. Was, wenn es um eine wichtige Angelegenheit ginge? Er hier mit einem Meuchelmörder rang, oder schlimmer seine Halbgeschwister zu Besuch kamen, um hier Tee zu trinken und ihn auf seine Zukunftsaussichten auszufragen, und es hier aussah, als hätte in seinem Haus ein Sturm aus Orgien getobt. Er schmunzelte selber, die einzigen Orgien, die hier stattfanden, galten dem Lucullus und hin und wieder einem Glas Wein und einem guten Buch. Die nötige Aufregung, den Nervenkitzel in einer fatalistischen Seele, verschaffte ihm sein Beruf. Einer mit dem man nur im Mittelstand und mit blutrünstigen Anekdoten punkten konnte.

Joseph kam gemütlich aus der Küche getrottet, seine gestreifte Weste und die Hose wiesen ihn als Butler aus, das Gesicht allerdings gehörte einem Müßiggänger. Er ähnelte einem Amerikaner, der hier Tourismus machte. Joseph war es gewohnt, dass Littlewood ihn um Rat fragte, was er anziehen soll, obwohl es ihn nicht die Bohne interessierte und das Stück Rhabarbertorte und ein Schluck Bier viel verlockender waren.

»Sie und der Bart finden nie zusammen.« Er betrachtete das Problem aus verschiedenen Blickwinkeln, aber es war aussichtslos. »Ich muss mich wiederholen, Boss. Da hilft alles nichts, der Bart muss weg und setzen Sie einen Hut auf, wenn sie zum Barbier gehen, es soll Aale regnen, steht in der Times und die haben angeblich einen Kerl im Wetterballon oben am Himmel der die Wolken beobachtet. Himmel was würde ich für seine Arbeit geben!« Er bemerkte Littlewoods skeptischen Blick und das kränkte ihn. »Sir, es ist die London Times und es ist die Wissenschaft. Die holen den Heißluftballon alle paar Stunden hinunter und fragen, aus welcher Richtung die Wolken kommen und nach einem etwaigen Wetterleuchten. Deshalb ist auf den Wetterbericht in der Times immer verlass.«

»Ja aber … ab?«, antwortete Walter deprimiert, ihn interessierte das Wetter nicht mehr, als zur Einleitung einer Unterhaltung, wie einem Verhör zum Beispiel. Und was sollte sich jemals daran ändern, man war von Wasser umgeben. Es kam von links, rechts und von oben.

»Ich sollte es wissen müssen, ab ... einfach so und was ist mit meiner Karriere? Ein Polizeiinspektor ihrer Königin muss Lesen und Schreiben können, gute Augen haben und wenigstens 167 Zentimeter Körpergröße besitzen. Und das steht zwar nicht, in der Dienstvorschrift ist, aber selbstverständlich hat einen respektablen Bart zu besitzen. In London wird der Backenbart nie aussterben, solange gute Polizisten ihn tragen.«

»Dichter macht sich doch auch ohne guten Bartwuchs gut, Sie können feurige Liebesgedichte oder anti moralische Sachen unter Pseudonym veröffentlichen. Und wir könnten reisen. Das bildet, sagt man und ist das A und O eines Dichters.« Joseph trat zurück und betrachtete Littlewood kritisch. »Warum wollen Sie das überhaupt? Es ist mir total schleierhaft, wir könnten uns die ganze Welt ansehen ein Vermögen beim Spielen in Baden Baden oder in St. Petersburg verlieren und stattdessen machen Sie auf Greifer hier.« Er kniff das linke Auge zu und peilte mit dem Daumen, als vermesse er eine Tapete. »Hilf nichts, mit dem Gestrüpp am Kinn sehen wir aus, wie ein entflohener Sträfling. Wir leiden unter dem runden Kopf und das Gesicht macht es auch nicht besser, als hätten Sie einen Gartenkürbis auf dem Hals. Dasselbe Problem hatte mein Onkel Charlie. Einfach kein echtes Kinn der gute Mann, eine Schande dabei ist der Rest passabel.«

»Und was hat Onkel Charles gemacht?«, fragte Littlewood. Er wollte es nicht zugeben, aber er und Josephs Onkel, ein Altkleiderhändler aus irgendeinem der ….shires am Ende hatten eine Menge gemeinsam.

»Das ist eine wirklich sehr traurige Geschichte und hat uns arm wie die Kirchenmäuse gemacht. Er dachte, dass es ihm helfen wird, bei seinem Problem.«

»Aber was?« Littlewood wusste, dass in London gerade Mord und Totschlag herrschte, aber das musste alles bis nach der Antwort warten. Joseph arbeitete nun seit drei Jahren für ihn und mittlerweile war sein Onkel Charles ein echter Halbgott für Littlewood geworden. Joseph’s Figur, er sah aus wie ein großes Bierfass versteckte eine ungewöhnliche Verzagtheit und eine ungewöhnlichere Hingabe zum Essen. Auch jetzt kaute er auf irgendetwas herum, dass er aus der Tasche seiner Weste gezogen hatte. Es roch nach Mrs. Grengers kaltem Braten. Littlewood hatte einige Vorträge zum Gebiet der Physiogeometrie in der Akademie besucht, brachte dem aber absolut kein Vertrauen entgegen. Demnach hätte so manche Verdachtsparade im Gefängnis, eine Audienz bei Hofe sein müssen und jeder wusste, englische Aristokraten steckte man nicht ins Gefängnis, man ließ sie leise verschwinden.

»Also raus mit der Sprache oder willst du es mir nicht sagen?«

»Weil er jedem lausigen Scharlatan der Haarwuchsmittel anpries, auf den Leim gekrochen ist. So ging es immer weiter bergab mit ihm und unseren Finanzen. Vergiftete sich in all den Jahren an den Haarwuchs Arzneien und brachte uns an den Bettelstab. Meine Meinung ist, ein Butler soll in Bartdingen oder seiner Kleidung nicht mit seinen Herren konkurrieren, deswegen bin ich glatt, wie ein Babypopo.« Joseph sah Littlewood mit etwas vorwurfsvollen Augen an. Joseph war eine goldene Seele, wo bekam man so einen echten Prachtkerl von Dienstboten her? Littlewood hatte ihn aus dem Gefängnis und vor dem Galgen gerettet. Natürlich bezahlte er ihn besser und erlaubte ihm Freiheiten, die Diener anderer Herren nicht bekamen, aber der Goldkerl rasierte sich extra wegen ihn. Und Joseph hatte kräftiges Haar, mit einem Vollbart würden die Kadetten vom Tower automatisch vor ihm salutieren, er brauchte nicht einmal eine Uniform dazu.

»Wieso findet jeder, dass ein Mann mit Bart respektabler ist?«, seufzte Littlewood die Mode verfluchend. Vielleicht hatte Joseph recht und er sollte seine Laufbahn als Theaterdichter verfolgen. Nur über was sollte er schon groß schreiben, das gab es nur eine freudlose Kindheit und die blutige Niedertracht von der er jetzt umgeben war. Anständige Leute machten hin und wieder eine Besichtigungstour in den Slums, aber er hatte einen Beruf daraus gemacht. Obwohl sein H-Polizeibezirk nur etwa zu 30 Prozent aus Armut gemacht war. Es waren diese 30 Prozent an Gassen und Häusern rund um Lehmann Street, die ihnen 99 Prozent der Arbeit machten. Was ihn wieder zum Problem brachte, Verbrecher reagierten unterwürfiger gegenüber einem vollbärtigen Polizisten.

»Es kommt auf den Bart an«, philosophierte Joseph. »Der Herzog von York hat einen schönen Knebelbart weiß und buschig, er hat das richtige Alter. Aber keine Sorge ich werde mir keinen Bart wachsen lassen, ich will schließlich nicht das die Leute über uns reden. Die meisten halten uns für den Hausverwalter der Lordschaft, die hier lebt.«

»Mit dem schmucken Haus hat mir mein angeblicher Onkel, was Feines vermacht. Und zu unseren Nachbarn, genau das sollen sie auch tun! Du weisst ich will kein Aufsehen erregen. Die Aussichten meines Halbbruders Charles jemals Innenminister zu werden würden mit der Geschichte meiner Erzeugung schwinden!« Littlewood setzte den blauen Bowlerhut auf, er bemerkte das entsetzte Kopfschütteln seines Dieners, der auf den braunen Hut zeigte.

»Nicht blau?«

»Blau können Sie an einem Freitagabend doch nicht tragen! Und noch, wo man ins Eastend muss. Blau ist einfach nicht respektabel.«

»Das stimmt. Ich bin schon wieder hinter der Zeit zurück, wo verliere ich immer die Minuten, tropfen die mir aus den Taschen? Warum ist mir die Idee von Pieke auf zu Dienen nicht schon am Eaton College töricht vorgekommen? Warum bist du nicht schon damals in Verdacht geraten der Teufel von Westminster zu sein? Ich hätte dich gerettet und im Gegenzug hättest du mir meine dumme Idee Abenteuer in der Polizei zu suchen ausgeredet.«

»Das fragen wir uns alle! Der Mörder, der die Kerle aus der piekfeinen Gegend murkste, ist immer noch auf freiem Fuß. Bei seinen Einbrüchen hat er bestimmt genug zusammengerafft, um jetzt sorgenlos zu leben.« Joseph beobachtete das Zifferblatt der Standuhr, alle Stunde schoss ein kleiner, goldener Kuckuck heraus der nur Krächzen, aber nicht Singen konnte. So begierig wie sein Diener dahin sah, würde es Littlewood nicht überraschen, wenn der goldene Vogel bei seiner Heimkehr fehlte. Nein der goldene Vogel wäre wohl noch da, Mrs Grengers kalter Braten war komplett in seinem Schlund verschwunden.

»Sie sind spät so, wie üblich. Sicherer ist, wir nehmen eine Kutsche und nicht den Pferdeomnibus«, meinte Joseph, der in Bezug auf seinen Herren in der Wir-Form sprach. Das war es, was Inspektor Littlewood an seinen Diener schätzte. Der Mann besaß als zweiter Garderobenmann der Royal Opera das Auge für Stil, er hatte die Seele des Theatermanns und vor allem war er verschwiegen. Diener wissen viel mehr über ihre Herrschaft als diese vermuten. Hausangestellte werden aus derselben Vogelperspektive betrachtet, wie der Teppich im Besuchersalon, dessen Anwesenheit keine besondere Pflege oder Rücksichtnahme erforderte, da man sich selten in diesem Raum aufhielt. Die meisten Einbrecher, die Littlewood verhörte bezogen Informationen von frustrierten Dienern.

»Ich sollte mir eine Kutsche anschaffen!« Littlewood zog hastig seinen Überrock an, stülpte den Hut auf den Kopf, griff nach dem Schirm und rannte zur Haustür. Er sprang die Vortreppe hinunter und lief bis zur nächsten Straßenecke, erreichte die Holborn Avenue und kein einziger Pferdeomnibus war zu erblicken. Schade er mochte die Fahrt mit dem Omnibus. Drei Männer, wie er auch am Abend geschäftlich unterwegs, warteten im Nieselregen auf eine Droschke, oder den gelben Fleet Street Pferdeomnibus. Marktkarren mit Gemüse und eine baufällige Kutsche waren ansonsten zu sehen. Am Droschkenstand kaufte Walter sich die Times bei einem Zeitungsjungen, England spielte gegen Australien, und fuhr mit einer altmodischen Kastenkutsche, von Pimlico die Fitzroy hinunter nach Whitechapel. Sie bewegten sich in gleichmäßigem Tempo Richtung Osten durch die Stadt, das Geklapper der Pferdehufe hatte etwas Einschläferndes und Beruhigendes. Er sah aus dem beschlagenen Fenster. Die Straßen wurden schmaler und mehr Leute drängten sich in ihnen. Die Hausfassaden waren vom Kohlestaub dunkler, die Fenster kleiner, und der Gestank aus den grossen Schlachthöfen Whitechapels durchdringender. Nach dem penetranten Geruch zu urteilen herrschte gerade Nordostwind. Das Abwasser stand hoch in der Gosse, die Kanalgitter waren von Papier, Laub und Unrat verstopft. Die wenigen Straßenkehrer waren von dem Regen überfordert, sie hätten eben die Times lesen sollen. Der Geruch und die Kälte weckte die Erinnerungen an Tatorte. Verstörende Bilder zogen auf der gemütlichen Kutschfahrt in seinem Hirn vorbei. Er hatte sich an die Bilder gewöhnt, genauso wie an die Dummheit. Es war eine Laterna magica Vorstellung, so grausam und blutrünstig, dass er mit den Bildern in seinem Kopf, als fahrender Schausteller ein Vermögen verdiente. Die Fahrt ging durch die kleinen Abzweigungen, die nur ein guter Kutscher kennt, in die Lehman Street zu der Adresse, die auf seiner Carte de Visite gedruckt stand. Insp. Walter Littlewood CID Lehman Street. Diese Polizeiwache befand sich im Zentrum schmaler und schmutziger Straßen, und wenn der Westwind blies, drang der Gestank des Flusses durch die Fenster. Im Hochsommer war es an manchen Tagen, nicht auszuhalten und sie verbrannten wie im Leichenschauhaus Kräuter und Essenzen im Ofen. Zum Glück war November und sein Dienst fing vor einer Stunde an. Es war nur gut, das er ein brauchbarer Inspektor war und ihn außerdem die Drohung mit Entlassung nicht erschreckte, weshalb es sein Vorgesetzter bei einer Drohung belassen hatte.

***

Die Konstabler hatten wissen können, dass die beiden Männer nicht in einen Raum gehörten. Es war, als sperrte man einen aufgeputschten Tiger zu einem satten Wolf, in diesem Fall waren es ein vom Gin aufgeputschter Irrer zu einem Totschläger. Erfahrene Konstabler sahen es an den aufgerissenen Augen immer Sekunden, bevor es passierte. Der Totschläger war jung, der andere uralt. Der eine hatte blonde Haare, der andere lange, braune obwohl kreisrunde Löcher in die Kopfbehaarung gerissen waren. Der Junge hatte den untersetzten, wuchtigen Körper eines Hafenarbeiters, weil er seitdem er 12 Jahre war, unten an den West India Docks in Poplar schuftete. Der andere Mann, der in die Zelle geführt wurde, war mager wie ein Skelett. Die Arme waren Knochen, seine Rippen stachen vor, das man darauf Xylophon spielen konnte. Der eine saß dort, weil er einen Sandwichstand Besitzer, vor dem Bahnhof Mile end niedergestochen hatte, der ihm auf Teufel komm raus, nicht das Geld hatte geben wollen, das er sich hart und fleißig erarbeitet hatte. Der andere Mann, der gerade in die Zelle geführt wurde, war geschnappt worden, als er aus dem Liquor Shop am White Lion Square mit zwei Flaschen Gilbeys Old Tom Gin unter dem Arm geklemmt türmte. Abgesehen von einem Verbrechen begangen am 12. November 1888 in Londons Polizeibezirk H hatten die beiden Gentlemen nicht das geringste gemeinsam. Man muss auf die Schmächtigen achtgeben vor allem auf die Feinschmecker mit dem Inhalt einer Pulle Gin im Blut. Das Skelett hatte eine Flasche auf die verfolger geworfen und die andere auf der Flucht vor der Polizei im Flitzen getrunken. Ein normaler Mensch wäre davon tot umgefallen, aber er hatte den Constablern ein Rennen geliefert.

»Rein mit dir, mach schon Alter«, sagte Sergeant Peter Kidney und stieß den alten Mann brutal in die Zelle. Drei Zellen gab es auf der Wache und nur noch in der einen im Wachraum waren Plätze frei. Nur bei Hochbetrieb sperrte man die Galgenvögel auch noch in Sichtweite ein. Normalerweise pferchte man sie in der Kellerzelle, bis sie aus allen Nähten platzte. Kidney war davon ausgegangen, dass die Konstabler Williams und Burke, die die Festnahme vorgenommen hatten, den Täter am Tatort durchsucht hätten. Woher sollte er wissen, dass er ein Messer im Stiefel hatte? Kidney bezog sich auf die mit Schnüren umwickelten Lederfetzen an den Füßen. Aus diesem Aufbewahrungsort, der des üblen Geruchs wegen nicht kontrolliert worden war, hatte der Dieb in dem Augenblick, als er den Hafenarbeiter erblickte, der wütend in der hinteren Ecke der Zelle auf einer Pritsche hockte ein langes, schmales und rostiges Messer gezogen. Ein Messer mit dem man einen erstechen und eine Blutvergiftung beibringen konnte. Als Kidney sah, dass der Gindieb, ein Messer aus seinem Stiefel zog, trat er ihn in den Hintern und knallte die Zellentür zu und drehte den Schlüssel blitzschnell um und schnaufte tief durch. Dann ertappte er sich nach begangener Dummheit und machte ein betretenes Gesicht. Just in diesem Augenblick öffnete sich die schwere Tür und Straßenlärm brandete ein. Die Inspektoren vom Dienst, Littlewood und Nichols führten drei Krawallmacher in Handspangen herein. Beide rochen sofort den Ärger, der darin bestand, dass der Messer schwingende Hysteriker in der Zelle gerade dabei war, jemanden zu ermorden. Der Hafenarbeiter mit den Augen eines Mörders befand sich in Polizeigewahrsam und damit stand er unter dem Schutz von Justiz und Königin. Jeder Constable im Wachhaus Lehman Street wusste, dass es Probleme machen würde, wenn die Londoner Polizei zusehen würde, wie schon wieder ein Mann in einer Zelle abgestochen wurde.

»Die Leute würden bezahlen, um das zu sehen«, sagte Nichols.

Der mit dem Messer zerfetzte die Luft und schrie. »Lass mich in Ruhe Wilson! Lass mich in Ruhe Wilson! Lass mich in Ruhe, du bist tot!«

Littlewood rannte erstaunlich flink zur Zelle und schlug zur Warnung mit seinem Schlagstock gegen die Gitterstäbe. »Sir!«, rief Littlewood und versuchte den Schlüssel zur Zelle umzudrehen, ohne das der sabbernde Irre ihm die Hand zerstach. Littlewood machte deshalb Geräusche, als beruhige er einen bissigen Hund. Himmel diese Augen, die Glupscher des Irren waren knallrot. Rotz und Speichel sabberte aus seinem Mund. Es sah aus als tanze die Marionette eines Knochengerüstes den Danse macabre für ihn.

»Ich bitte Sie Gentlemen. Es wäre ein wirklich riskanter und sehr unreifer Gedanke, das augenblickliche Chaos zur Flucht ausnutzen zu wollen«, warnte Inspektor Nichols die Krawallbrüder, die zwar keine höhere Schule - wenn überhaupt - von innen gesehen hatten, dennoch von Magna Charter schwafelten, von Bürgerrechten als Untertanen der Krone. Für den Fall, dass einer von ihnen taub für Ratschläge war, zog Nichols seine Dienstwaffe, den Schlagstock und baute sich drohend zwischen den Radaumachern und der Tür auf.

»Ach, ja Wilson? Willst noch eins?«, kreischte der Messerstecher in der Zelle zu einem unsichtbaren Gefährten und attackierte die Wesen in der Luft.

»Messer fallen lassen! Lass es fallen und ich geb dir Gin!«, lockte Littlewood, als spreche er mit einem dummen, aber besonders bissigen Köter.

Der Hafenarbeiter sprang auf und wich zur Wand zurück. Die Hände, die das Messer hielten, kreisten durch die Luft vor ihm, als dirigierten sie ein Ballett aus betrunkenen Dämonen. Der Hafenarbeiter hatte schon einige Messerstechereien in seinem jungen Leben mitgemacht und er hatte persönlich keine Lust zu enden wie sein Opfer vom frühen Abend.

»Ach, ja Wilson?«, schrie der Wahnsinnige im Staccato, während er mit der scharfen Messerklinge wahre Tänze aufführte.

»Sir, haben Sie meine Anweisung das Messer fallenzulassen gehört?«, fragte Littlewood freundlich. »Sir, Lassen Sie das Messer fallen! Sofort!«

»Geh doch rein in die Zelle, und hau ihn auf den Kopf!«, rief einer der Krawallmacher, vom Spektakel das ihm geboten wurde mit fiebernden Blut. Unter diesen Umständen hätte es Littlewood auch nicht weiter verwundert, hätte man Geld auf den Ausgang des Kampfes zwischen Irren und den Hafenarbeiter gewettet.

»Ach, ja wirklich Wilson?«, schrie der dünne, alte Mann und hieb zu. Vermutlich galt sein Zorn diesem unsichtbaren Mister Wilson, dachte Littlewood und das, dass bedauerliche Schwein von Hafenarbeiter diesem Wilson wohl ähnlich sah.

»Du dreckiger Säufer!« Der junge Mann riss die Hand zurück, als habe ihm Schwefelsäure die Hand verbrannt. Genauso brennend hatte es sich angefühlt. Sein Gesicht wurde aschfahl, als er sich Hand und den tiefen Schnitt besah, aus dem vom Mittelfinger bis zum Handballen Blut floss. Und jetzt holte der Gin Trinker zum finalen Stoß aus. Gegen den Mann, den er für den ominösen Wilson hielt. Kidney stand mit dem Schlagstock in der Faust und der trillernden Polizeipfeife im Mund vor dem Gitter. Alle Polizisten verstanden ihn sehr gut, keiner würde dort hinein wollen. Littlewood stand neben ihm, hielt ebenfalls den Dienstknüppel in der Hand und musste sich entscheiden, abwarten und eine langweilige Anhörung zur Todesursache des Dockers vor dem übergenauen Coroner Baxter durchstehen oder den Gin Trinker schlafen legen.

»Lassen Sie das Messer fallen, jetzt!«

»Sie verstoßen gegen das Gesetz!«, Kidney machte eine Pause, nach der er den Satz weiter spann, »Zweimal und das an einem Tag Sir, meinen wir nicht es reicht?«

Der alte Dieb ließ weder das Messer fallen, noch hörte er auf, in der Zelle herumzuhüpfen, als tanze er ein Fandango und zu kreischen.

»Lass mich in Ruhe Wilson, lass mich in Ruhe Wilson ich hab dich tot gemacht!«

Das Aha schien den Polizisten gleichzeitig aus dem Mund zu strömen. Jetzt brauchte man ihm nur noch ein Opfer namens Wilson auf die Augen drücken. Littlewood sah hinter sich zu dem diensthabenden Sergeanten erster Klasse, der gelassen am Empfangstisch saß und die Papiere vor sich weiter bearbeitete und die Krawallmacher hin und wieder mit väterlichem Blick zur Ordnung rief. Hin und wieder hüstelte Sergeant Hutt, wenn ein Krawallbruder auf der Holzbank zu auffällig zur Tür schielte.

»Hat es nicht vor einer Woche diesen Mord an einem Hopfenpflücker unten in Mcginnis Lodging House in der Dorset Street gegeben? Sehen Sie nach, ob der Mann zufällig Wilson hieß, wenn die Zeit es zulässt, Hutt«, bat Nichols.

»Der hiess Swanson, wie unser Chef. Wilson war der Fuhrwerker aus dem Albert Way. Wir fanden ihn mit 40 Stichen abgemetzelt in seiner Wohnung.«

Die über ihn schwebende Galgenschlinge schien den Kerl nicht zu interessieren. Der Dieb mit der Vorliebe für dem im Londoner Bezirk Finsbury gebrannten Old Tom Gin drang weiter auf den fluchenden Hafenarbeiter ein, aus dessen Hand immer noch besorgniserregend viel Blut herausschoss und eine Pfütze auf den Zellenboden gebildet hatte. Das lebende Skelett ließ die scharfe Messerklinge durch die Luft zischen und krähte: »Lass mich in Ruhe Wilson du bist tot!«

»Du verdammter Mistkerl gehörst in die Irrenanstalt? Oh Gott, wenn ich mein Scheiß Messer hätte«, rief der Junge, platt an die Zellenwand gepresst.

»Habt ihr alle das mitgehört Mister Patrick gibt aus freien Stücken zu im Besitz eines Messers gewesen zu sein. Ihr könnts bezeugen, so schreib ichs ins Protokoll.« Hutt nickte zufrieden.

Der Trinker dachte nicht, für eine Sekunde daran seinen wilden Tanz zu unterbrechen, und drang weiter unbarmherzig wie der Sensenmann nach vorn, er schwang das Messer wie ein Pendel von der rechten zur linken Seite und krähte: »Lass mich in Ruhe, lass mich in Ruhe!«

»Verdammter Gin!«, fluchte Kidney und er fluchte fast nie.

Littlewood drehte den Schlüssel um. Öffnete die Gittertür einen Spalt und schlich sich in die Zelle, solange der Tänzer mit dem Rücken zu ihm stand und schlug hart zu. Er traf den Säufer wuchtig an dessen rechter Schläfe. Das brachte ihn auf die Knie. Sergeant Thomas Kidney haute ihm keine Sekunde später den Knüppel auf den Hinterkopf, so das sein Messer kraftlos aus seinen Händen fiel und es scheppernd auf den steinernen Zellenboden prallte und durch die Blutpfütze schlitterte. Der Alte kippte, ohne jedes Geräusch zu machen, auf sein Gesicht. Der Ire – Hand kaputt oder nicht – machte einen langen Satz, um sich das Messer zu schnappen, und sich den Weg in die Freiheit, in seinem Falle der King Albert Pub an der Ecke Whitchap Road freizukämpfen.

»Sir, ich an deiner Stelle würde mir das nicht antun«, sagte Littlewood zufrieden. Die Gelassenheit des verdammten Peelers in seinem Cutaway Mantel und seinem verdammten Bowler Hut auf dem Schädel war es nicht, die den Hafenarbeiter abrupt in seiner Bewegung innehalten ließ. Es war der Knüppel in der behandschuhten Hand des Inspektors. Der Schnösel hatte darauf “Schlafen wir gut Liebling” gravieren lassen. Nur Knochenbrecher, Hautabzieher, Menschenfresser, die aller wildesten unter den Polizisten hatten die Unart ihren Schlagstock mir erbaulichen Sinnsprüchen zu verzieren. Manchmal war es auch die Nummer, von den Leuten die damit ernsthaft Bekanntschaft gemacht hatten.

Schlechtes Blut

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