Читать книгу Schlechtes Blut - A Bexhill - Страница 4

2 KAPITEL

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Es befanden sich die drei Krawallmacher im Vernehmungsraum, weil der Vierte und das war, der Grund warum sie hier waren, eines unnatürlichen Todes gestorben war, als er gerade einen großen Stein auf jemandes Schädel schlagen wollte. Da hatte einer der restlichen drei Gentlemen mit einem abgerissenen Lattenzaun, dummerweise ohne den weit herausstehenden Zimmermannsnagel zu entfernen, reagiert und ihn gegen dessen Hinterkopf geschlagen. Da die Auseinandersetzung der beiden Gruppen auf der schlecht beleuchteten George Alley stattfand, einer üblen Gasse gab es keine Zeugen, obwohl der Kampf der fast fünfzig Personen nicht ohne sein mitfieberndes Publikum gewesen sein dürfte. Trotz der Kälte und des Regens reagierten die beiden Konstabler, in der vorgeschriebenen Geschwindigkeit von 2,5 Meilen die Stunde, sofort auf den Schlachtenlärm, der in dieser Gegend üblich war. Wenn Musik die Straßen von Kensington erfüllte, schallte Streit aus den Gassen und Straßen der Gegend. Oft bei Dunkelheit und an Feiertagen. An einem Freitag, wenn die Leute Geld hatten um es mit Bier, Rum und Kartenspiel auszugeben konnte ein dummer Streit schnell ausufern. Die Polizisten trillern nach Verstärkung und sperrten die Ein- und Ausgänge der George Alley ab und konnten drei Jugendlichen fangen. Der Rest der Kampfhähne war über alle Berge, als die Verstärkung aus den Wachen Commercial und Lehmann eingetroffen war. Die jungen Gentlemen waren zwischen vierzehn und neunzehn Jahre alt und alle trugen karierte Hosen und rote Halstücher, einer von ihnen trug zudem einen eingedellten Zylinder. Das gegnerische Aufgebot aus einer anderen Straße des Eastend trug blaue Halstücher um den Hals, wie der tote Junge mit dem rostigen Nagel im Hinterkopf. Die Konstabler fanden eine Stelle, von wo die Tatwaffe herausgerissen war, ein schiefer Lattenzaun, der einen verwahrlosten Hof säumte. Keiner der drei jungen Herren dieser Gegend konnte irgendetwas sagen oder kannte Mister William Baster oder konnte erklären, wie es der 16-jährige Akrobat es geschafft haben mochte, sich mit dem unhandlichen Lattenzaun von hinten selbst zu ermorden. Das Einzige, was sie den Polizisten an Informationen zu billigten, war, sie sind harmlose Spaziergänger und anständige Leute, zusammengetrieben und auf die Polizeiwache geschleift, weil sie Eastender seien. Littlewood und Nichols hatten um acht Uhr an diesem Abend den Dienst angetreten und saßen Stunden später noch immer hier. Um diese Zeit war auf der Lehman Polizeiwache nichts los. Abgesehen von dem üblichen Geschrei oder Gesinge von Betrunkenen in der Ausnüchterungszelle. Dem Hafenarbeiter hatte Littlewood einen Verband um die Hand gewickelt ohne sich die Mühe zu machen nach einem Arzt zu schicken. Der Gin Trinker war in einen tiefen Schlaf gesunken, sein Schädel hatte nach Minuten aufgehört zu bluten und seine Rippen hoben und senkten sich. gegen zwei Uhr Morgens kam der Handwerker Mister Tibbitts vorbei und erledigte die Reparaturen an der altersschwachen Gasbeleuchtung. Trotz der vielen betrunkenen Menschen und den Radau und den in die Wache torkelnden Opfern von Gewalt, Diebstahl und Raub herrschte Gelassenheit auf der Lehman Wache. Es waren alte Hasen, die ihren Seelenfrieden mit einem Schluck Alkohol im Dienst auffrischten und ein Auge zudrückten und die Hand auf. Wen zum Teufel scherte es hier. Das Wachhaus in der Lehman Street war ständig unter- und die Zellen chronisch überbesetzt. Es war eine von der Polizeiverwaltung ignorierte Welt. Ideal, um Sünden im Dienst zu bestrafen und gute Polizisten nach Canossa gehen zu lassen. Nichts ließ einen Polizisten aus Mayfair oder Paddington schneller auf den Pfad der Tugend zurückfinden, als die Drohung H-Abteilung Lehman Street.

Detektive Lawend und Constable Purkiss kamen von einem Pfandleiher zurück, den sie wegen eines Einbrechers verhört hatten, dem sie den Spitznamen “Goulston” gaben, weil er ausschließlich in den Häusern in der Nähe der Goulston Street einbrach. Der Pfandleiher war dieses mal erstaunlicherweise das Opfer.

»Scheißt in die Wohnungen, der Mistkerl«, sagte Purkiss und wärmte sich die Hände am Kohleofen in der Wachstube.

»Was viele Einbrecher, aus purer Bosheit tun«, bestätigte Lawend, der den Spitznamen unser Prinz trug, weil er wie aus dem Ei gepellt aussah und es als Einziger wagte, allein auf Patrouille durch die Flower and Dean Street nach Mitternacht zu gehen.

»Ihr habt hier den ganzen Spaß verpasst«, sagte Littlewood fröhlich. Er saß im Schneidersitz an seinem Schreibtisch und studierte das Cricket Ergebnis in der Times. England führte gegen Australien mit 78 runs. Die Partie wurde wegen Dunkelheit unterbrochen. Von draußen drangen die Geräusche der Nacht. Das Klappern der Fuhrwerke und der Droschken. Die Regentropfen, die gegen die Fensterscheiben prasselten. Er lauschte dem Gelächter aus der Ausnüchterungszelle der Frauen. Er wusste nicht, wie lange es her war, dass er hier drinnen ein schönes Lachen vernommen hatte und dieses Lachen klang fröhlich und klang jung. Er konnte sich dieses Lachen gut auf einem Ruderboot vorstellen, ein junger Galan, der seine Angebetete von Kingston nach Marylebone rudert und dem dieses fröhliche Lachen das Herz schneller schlagen ließ. Littlewood zog seine Taschenuhr aus der Weste und suchte nach einem Vorwand sich davon zu machen. 3 Uhr, er könnte in ein Theater gehen und den letzten Akt der letzten Vorstellung mitbekommen, oder in eines der Restaurants am The Strand etwas gutes essen und warten wenn die feiernden Schauspieler kamen. Die Tür von Chief Inspector Connellys Büro wurde geöffnet.

»Littlewood und Nichols«, rief er. »Ich weiß es war ein anstrengender Arbeitstag, und wie sich gerade eben erst herausgestellt hat, ist er noch nicht beendet, sondern hat eben angefangen. Ein Telegramm ist gerade eingetroffen meine Herren.«

Littlewood sah zu Nichols, der ihm gegenüber saß. Beide wussten ein Telegramm war nie gut. Entweder man hatte bei einem einflussreichen Mann etwas mitgehen lassen, oder es ging um eine Leiche.

»Ihr braucht keine Kutsche ihr könnt laufen«, rief Connelly,

»Bewegung wird mir guttun«, sagte Nichols und erhob sich.

***

Das tote Mädchen lag ausgestreckt in der nassen Gasse, ihre linke Hand ruhte in einer Pfütze. Sie war zierlich mit dunklen Haaren, die sich in einem Katarakt nun nasser Locken um ihr hübsches, schmales Gesicht ringelten. Es waren zwanzig Meter, von der Whitechapel Street und keine dreihundert Meter von der Wache entfernt. Sie lag an der Grenze zwischen den Revieren Lehman und Commercial. Der erste Polizist vor Ort war ein Commercial Mann gewesen. Er hatte den Fund als einen Lehman Street Fall eingetragen, aber es sah nicht so aus, als hätte er sie bewegt. Aber genauso hätte es auch ein Lehman Polizist gemacht und den Mord der CID Abteilung Commercial zugeschoben. Ein ungelöster Mord war schlecht für die Statistik und die Moral der Truppe. Das Mädchen trug eine weisse Haube und eine lange schwarze Jacke, einen dunkelgrünen, weiten Rock, braunen Petticoat und schwarze Strümpfe. Ihre Schnürstiefel waren an den Sohlen etwas abgenutzt und ansonsten spiegelblank geputzt. Im Stiefelschaft reflektierten sich die angezündeten Polizeilaternen. Wenigstens zehn Constable machten sich daran nach Spuren zu suchen. Zufrieden bemerkte Littlewood das seine Constabler schon unterwegs waren, um die Gaffer zu befragen. Die Tote lag auf dem Rücken, die Finger waren geballt. Die Kleidung war sauber und von guter Qualität, nichts Extravagantes, aber waren mit einem sicherem Auge ausgewählt worden. Sie war auf keinen Fall eine Hure, die man hier oft an die Mauern gelehnt auf Kunden warten sah. Ihr Kleid war nicht in Unordnung gebracht worden. Nirgendwo fand sich eine Spur von Blut oder das jemand sie geschlagen hatte, nur die Blut Einsprengsel in ihren weit aufgerissenen Augen. Man brauchte keinen Polizeichirurgen, um zu sehen, dass das Mädchen erwürgt worden war. Die blauen Flecken am Hals bestätigten seine Vermutung später vermutlich. Littlewood konnte sie nicht länger ansehen, er drehte sich kurz zur Hausfassade um durchzuatmen.

»Etwas angefasst?«, fragte Littlewood, dankbar das Joseph an seine Handschuhe gedacht hatte.

»Nein, Sir!«, antwortete der Constable aus der Commercial Street und zwirbelte seinen Schnurrbart. Er klang beleidigt, als unterstelle ihm der Inspektor Dummheit.

»Genauso haben Sie sie gefunden?« Nichols hatte nirgendwo ihren Schirm gesehen, was sonderbar war und ihm keine Ruhe ließ. Keine Frau verließ ihr Haus ohne die Kopfbedeckung und einen Regenschirm. Das war als wäre man nackt. Nichols sah sich weiter die Schaulustigen an, die sich hier versammelt hatten, aber er bezweifelte, dass jemand so dumm war, ihn ausgerechnet hier zu benutzen.

Die beiden Inspektors standen nebeneinander im gelben flackernden Licht einer Gaslaterne die an der Hausfassade angebracht war. Nichols Hautfarbe wechselte in diesem Licht zu einem kränklichen Gelb; er war groß gewachsen knapp eins achtzig und war, als Sprössling von Generationen von Bauern, wie ein kretischer Stier gebaut. Aber auch sein Magen verkrampfte beim Anblick der Leiche und des eingetretenen Drecks, der sich mit dem beißenden Gestank des Regenwassers und der Abwässer, die aus den Fenstern und Türen auf die Gasse gekippt wurden vermischten. In der Pfütze in der die Hand der Toten lag schwammen Kartoffelschalen.

Littlewood war einen Meter siebzig groß und in einer anstrengenden Woche mit viel Haus zu Haus Befragungen 90 Kilo schwer. Im Winter, vor allem nach dem Weihnachtsfest, das er mit seinen Halbgeschwistern verbrachte, legte er rasend schnell an Gewicht zu. Die beiden waren seit einiger Zeit auf der Lehman Polizeiwache ein Team. Nichols hatte aus Versehen die wirklich falsche Person verhaftet, einen Trunkenbold, der obszöne Lieder singend durch Kensington zog und der ein Vetter des Freundes des Lord Mayors von London war. Littlewood hatte man nichts nachweisen können, doch seine Geldausgaben ließen Gerüchte von Korruption innerhalb der Paddington Abteilung entstehen und so versetzte man ihn vorsorglich in den H-Bezirk. Aber Littlewood hätte sich eher die Zunge abgebissen, als Vorgesetzte über seine finanzielle Situation aufzuklären.

»Das arme Ding.« Nichols seufzte. »Ich frage mich auf wen sie hier gewartet hat? Es ist keine Gegend für sie gewesen.«

Der Polizeichirurg der Gegend traf fünfzehn Minuten nach ihnen in seiner schnellen Kutsche ein und beschwerte sich über das fürchterliche Wetter jeden Freitag. Er begrüßte die Inspektoren und machte sich an die Arbeit, während Constables die neu angekommenen Schaulustigen zurückhielten. Im Handbuch stand man sollte wenigstens im Umkreis von 15 Schritten für Freiheit sorgen, aber die Angel Alley war vielleicht vier Meter breit und hatte mindestens 15 Hauseingänge. Leute kamen aus dem Pub nach Hause oder gingen aus ihren Wohnungen in einen. Die Bewohner von London wussten jedenfalls eine kostenlose Unterhaltung zu schätzen. Aber bei dem Anblick des jungen Mädchens hielten sich auch die Hartgesottenen unter ihnen mit Kommentaren und Witzen zurück. Littlewood sah das viele Gaffer sich bekreuzigen und lautlos ein Gebet für die arme Seele sprachen.

Nichols befragte wieder den Constable, wie er die Leiche entdeckt hatte. Es war ein junger Polizist in tadelloser Uniform, dem der Stolz es in die Truppe geschafft zu haben deutlich ins Gesicht geschrieben stand.

»Eine weibliche Person Sir, hat mich hier her gewunken. Sie sagte mir, eine junge Frau läge hier auf der Straße. Sie ist entweder betrunken, in Ohnmacht gegangen oder mausetot.«

»Haben Sie die Zeugin hier behalten, bis ihre Angaben überprüft werden konnten?«

Er zeigte in einen dunklen Hausflur in Nummer drei. »Natürlich. Sie steht da drüben.«

»Hat sie noch etwas gesagt?«, fragte Littlewood, »hat sie oder hast du jemanden davon rennen sehen oder jemanden herumlungern?«

»Nein, Sir. Sie sagte mir, sie ging spazieren und hat dabei das Opfer entdeckt.« Spazierengehen war eine Umschreibung für Prostitution. In Whitechapel, Spitalsfield den armen Teilen der Stadt wurden Frauen, die nach 6 Uhr abends zu lange an einem Fleck verharren aus diesem Grund verhaftet. Weshalb die Prostituierten auf und ab wanderten und nur in den Pubs verschnaufen und bei Bier und Rum vergessen konnten.

Littlewood schaute zur Frau hinüber, die im Schatten in einem Hauseingang vor dem Nieselregen Unterschlupf suchte.

»Wie sagt sie, dass sie heißt?«

»Ms Fiddy … Moment bitte, das ist ein schwieriger Name«, sagte er und holte sein Dienstbuch hervor, »Fiddymont mit Doppel-D.«

»War eine sehr gute Arbeit, Constable«, lobte Littlewood.

»Danke, Sir!« Der Constable strahlte.

Littlewood sah zum Hauseingang. Die Zeugin schien fünfzig zu sein, graues Kleid, weiße Schürze und dunkle Haube. Sie war eine große, schlanke Frau, sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, als wolle sie mit all dem nichts zu tun haben. Die Inspektoren der CID Abteilung H setzten sich in Bewegung.

»Miss Fiddymont, schrecklicher Abend«, sagte Littlewood und zog vor ihr seinen Hut.

Sie zuckte mit den Achseln. »Ja und, sind sie es nicht alle?« Es war kein hübsches Gesicht und schien in Teilnahmslosigkeit erstarrt zu sein. Der einzige Ausdruck in ihren Augen war Wut, als habe man sie absichtlich das Mädchen finden lassen, um ihr die Zeit zu rauben und die Kunden. Littlewood hatte diesen Blick oft gesehen. Er nahm nicht an, dass Miss oder Misses Fiddymont in dieser Nacht noch zum Schlafen kommen würde. Sie würde die verlorene Zeit aufholen müssen. Geld für Tee, Geld für Zucker, Geld für ein Bett in einer Gemeinschaftsunterkunft.

»Ma'am, ich habe ein paar Fragen«, sagte Littlewood.

»Wenn es sein muss«, sagte sie und ihre Stimme war kalt wie Schnee.

»Können Sie mir sagen, wann Sie die Leiche gefunden haben, Ma‘am?«

»Die St. Margareth schlug zu halb neun«, sagte sie und deutete zum Kirchturm der die Gegend wie ein schlechtes Ohmen überschattete.

»Halb neun abends«, notierte sich Nichols.

»Ich war im King Albert Pub auf der lehmann Street auf ein Bier und bin dann spazieren gegangen.«

»Hier?« Nichols hatte die Augenbrauen vor Verwunderung gehoben. Es schien ihm kein guter Ort zu sein um Kunden anzusprechen. Aber was wusste er schon davon, in welche dunklen Ecken eine Polizeivorschrift gefallene Frauen und ihre Freier verdrängten.

»Warum nicht hier? Hier ist genauso gut, wie überall.« Sie zeigte zu dem mehretagigen Gebäuden, mit den Fenstern und Türen zur Gasse.

»Hier hört man zumindest, wenn man schreit.«

»Und Sie haben sie entdeckt, wie sie da auf der Straße lag?«, fragte Littlewood sanft.

»Ja ich dachte – Susan heute ist dein Glückstag, ich habe gedacht, es sei ein Bündel weggeworfene Kleidung. Als ich nachsehen wollte, ob es was Brauchbares ist, habe ich sie gesehen, die Augen weit aufgerissen, das arme Ding. Ich hoffe, Sie erwischen den Mistkerl.«

Littlewood lächelte, »Daran besteht kein Zweifel! Was haben Sie dann getan?«

»Ich bin auf die Suche nach einem Polizisten gegangen.« Sie zeigte mit dem Finger zur Whitechapel Street. Aus dieser Gasse betrachtet, wirkte sie hell und edel wie The Strand.

»Und?«

»Als ich den Constable sah, habe ich ihm gewunken und ihm die Tote gezeigt.«

»Haben Sie da jemanden in der Nähe gesehen?«

»Nein nichts. Ich habe auch nicht, dass Geringste gehört.«

»Ein Türenschlagen vielleicht?«

»Nein nichts.«

»Schritte oder Hufe oder Wagenräder?«

»Nichts dergleichen es war nur totenstill«, sie überlegte, »Bis auf den üblichen Lärm eben. Betrunkene. Hier gibt es Pubs und die Betrunkenen nehmen diesen Weg, wenn sie von einem Bier zum nächsten gehen.«

»Als Sie spazieren gingen, ist Ihnen auf dem Weg, jemand verdächtig vorgekommen, oder entfernte sich schnell aus der Gegend? Irgendetwas komisch gewesen?«

Mrs. Fiddymont schüttelte den Kopf, »Nein, das habe ich doch schon gesagt.«

»Wie viel Zeit ist etwa vergangen, als die Kirchturmuhr schlug und Sie hier angekommen sind?«

»Fünf Minuten, ich bin nicht schnell gelaufen.«

»Und Sie haben niemanden gesehen?«

»Keine Menschenseele.«

»Vielen Dank«, sagte Littlewood und nahm ihre Hand und drückte ein Pfund hinein. »Wenn Ihnen etwas einfällt, kommen sie in die Lehmann Wache und fragen nach Littlewood. Egal worüber und egal von wem verbrochen.«

»Hat der Constable Ihre Adresse aufgeschrieben?«, fragte Nichols.

»Wir brauchen noch ihre Unterschrift, wenn sie nicht zu uns aufs Lehman wollen, komme ich gerne bei ihnen vorbei, Ma'am.«

»Ich komme schon selber«, sagte sie und schenkte Littlewood einen kameradschaftlichen Blick und ging mit einem Ziel davon.

Sie drehten sich um und beobachteten den vor der Leiche knienden Henriksen, den Polizeichirurgen aus der Whitechapel Street, wie er seine Hand unter die Kleider des toten Mädchens schob, um ihr Herzschlag zu fühlen.

»Was denken Sie, Doktor. Wie alt war sie, achtzehn, neunzehn?«, fragte Littlewood und ging auf die Tote zu und betrachtete das Mädchen.

»Auf den ersten Blick würde ich sagen in dem Dreh. Sie wurde erwürgt. Aber genaueres Bekommen Sie in meinem Bericht.«

»Wurde sie unsittlich berührt?«, fragte Nichols.

»Kann ich Ihnen erst sagen, wenn wir sie in der Leichenhalle des Arbeitshauses in der Old Montague Street haben und ich sie mir genau ansehen konnte, aber es macht nicht den Eindruck.«

»Old Montague«, wiederholte Littlewood. Whitechapel besaß keine eigene Leichenhalle und Polizisten mussten ihre ungeklärten Todesfälle in einen mit Eisblöcken gekühlten Schuppen des Arbeitshauses Old Montague Street schaffen. Es war eine Bruchbude ohne genügend Licht oder qualifiziertes Personal. Es brach Littlewood das Herz, das man sie ausgerechnet dahin brachte.

»Für wie alt schätzen Sie sie denn?«, fragte Nichols.

»Anfang zwanzig«, sagte der Polizeiarzt.

»Papiere, Schmuck oder Einnäher in der Kleidung?«

»Dazu kommen wir, wenn ich offiziell ihren Tod durch verdächtige Umstände erkläre, was ich jetzt gerade tue«, sagte der Polizeichirurg.

»Haben Sie mit der Hand ein Geburtsmal berührt oder eine Narbe, womit wir die Constables an die Türen klopfen lassen können?«

»Nein meine Herren fragen Sie mich in etwa vier Stunden«, er sah auf seine goldene Taschenuhr.

»Wie wollen wir die Akten nennen«, fragte Nichols.

»Miranda, ich mag den Namen«, sagte Littlewood.

Der Polizeichirurg seufzte, klappte seine Tasche zu und erhob sich. »Ich bin hier fertig«, sagte er. »Bringt sie mir in die Old Montague Street und lasst mir einen eurer Constables dort, der die Tote bewacht. Sie ist ungewöhnlich hübsch.«

»Warum denken Sie immer das Schlechteste von uns Menschen«, fragte Littlewood. Der Doktor war ein interessanter Philosoph.

»Das macht die Arbeit meine Lieben. Und Sie wissen doch selber, der Mensch der niedrigsten Klasse, ist kaum mehr als eine Bestie«, sagte der Polizeichirurg und stand auf und spazierte zu seiner Kutsche, an der sein Fahrer im gummierten Regenmantel und einer Pfeife im Mund lehnte. Littlewood fragte sich wie viel Leichen der Gehilfe des Chirurgen gesehen hatte, waren es Hundert? Littlewood kniete sich neben die Tote. Behutsam band er ihr die Haube ab, und hielt sich die Innenseite der Kopfbedeckung vors Gesicht. Er entdeckte einen weißen Aufnäher mit dem Namen: Lady Manning Gold. »Sie ist in einem Haushalt beschäftigt gewesen, vermute ich.« Littlewoods Stimme klang sachlich. Lady Manning Gold, er las und sah diesen Namen nicht zum ersten mal, es stand immer etwas in den Zeitungen über die Manning Golds. Sie unterstützte die Suffragetten Bewegung mit Geld und Anwälten und ihr Sohn ließ kein Fettnäpfchen aus. Ihre gesellschaftlichen Empfänge waren einer der Höhepunkte der Londoner Saison, die im Juni begann und im September endete. Ihm war klar, dass die Frau, die tot auf der Straße lag, eine Angestellte der Lady sein konnte, wie anders war zu erklären, dass sie eine ihrer Hauben trug. Oft schenkte die Herrschaften ihrem hervorragendem Personal etwas ihrer schäbigsten und ältesten Kleidung, was das Personal wie eine Art Ritterschlag verstand und auch so gemeint war. Littlewood dachte an Joseph und an dessen Gesicht, gebe er ihm etwas alte Kleidung. Joseph hätte seinen Koffer gepackt wäre es nicht nagelneu. Und er umgab sich gerne mit ihm. Es beruhigte seine Nerven, wenn er ihn in seiner Nähe wusste.

Nichols pfiff anerkennend. »Was wollte sie hier nur?«

Beide sahen sich um, es war ein etwas weniger gespenstischer Ort. Vom Alter und Kohlenstaub geschwärzte Häuser, vernagelte Fenster, schiefe Zäune und kaum Licht, aber es war die zweite Klasse.

»Keine Besorgungen für ihre Herrschaften machen, nehme ich an«, meinte Littlewood. »Aber ich werde im Haus fragen.«

***

Littlewood nahm die gebügelte Morgenzeitung und nippte an der chinesischen Teetasse auf dem Tisch. Er räusperte sich.

»Ah da ist es ja, Seite drei«, sagte er und las er vor. »Ein anderer Mord der sch,mimmsten Art. In den frühen Stunden des gestrigen abends das Wer, Wieso und warum bleibt ein Rätsel.«

Joseph sah sich mit spitzem Mund in der Küche um. »Sir, es sind die Wahnsinnigen, London scheint voll davon zu sein!«

Littlewood sah lächelnd über der Zeitung hervor. »Du liest zu viel schauerromane, mein Lieber. Jedes Verbrechen hat ein Motiv.«

Joseph runzelte die Stirn. »Sir, Sie übertreiben, schlimmer als Peter.«

»Ich will nicht fragen, aber ich kann einfach nicht anders. Wer ist das?«

»Peter, Sie wissen schon!«

»Nein, diesmal muss ich dich enttäuschen. Ich stehe auf dem Bahnsteig der Neugier und warte auf die Ankunft des Zuges zum Wissen.«

»Peter Nichols, ihr guter Freund von der Wache. Ich sollte mich nicht einmischen, wer ihre Freundschaft wert ist und wer nicht. Aber der stupide Mann behauptet Verbrechen werden zu 80 Prozent aus Not und zu 20 Prozent aus Gelegenheit begangen.«

»Und damit hat er recht. Ach ja ich werde ihn und seine Familie im Sommer auf unser Boot einladen. Eine Segelpartie auf der Themse. Du musst dann zum Haus nach Marlowe vorfahren und alles für Gäste herrichten.«

»Ich fahr mit dem Zug. Ich segel nicht von London bis Marlowe und bin dann mit den Nerven runter. Warum lassen Sie sich nicht von richtigen Flussschiffern nach Marlowe bringen. Ich denke, das Themse Segeln ist die einzige unwürdige Betätigung für einen Gentleman.«

»Das bildest du dir ein, weil du nicht Schwimmen kannst und die ganze Bootspartie unter Panikattacken leidest.«

»Ich sollte ein leeres Fass mitnehmen und umklammert halten, aber bis Marlowe ist es ein Tag!«

»Das Boot war wirklich das beste Geburtstagsgeschenk meines Lebens! Meine Geschwister haben sich etwas einfallen lassen.«

»Das war kurz nach dem tod ihres Vaters. Sie hofften du ertrinkst, wegen dem Erbe.«

»Bist du sarkastisch?« Littlewoods dunkle Augenbrauen hoben sich zu elegante Halbbögen über seinen grünen Augen.

»Ich würde mir nie einen Hauch Sarkasmus wagen, nicht seit ich alle Stücke von Oscar Wilde gesehen habe. Und lösen Sie das Rätsel um die tote krankenschwester?«

Littlewood nickte freundlich. »Das erklärt sich von selbst. Vermutlich ist es simpel, wie Eifersucht. Nichols tippt auf einen verschmähten Liebhaber.«

»Heute ist Samstag, Sir.«

»Na und?«

Joseph deutete auf den Brief, den der Morgen Postbote gebracht hatte.

»Sie wollen sich doch nicht heute dieser schrecklichen Sache widmen. Vielleicht lädt uns ihr Freund Hester Bannings ein.«

»Du bist ja ganz angetan von Bannings.«

»Warum nicht, er ist ein Abenteurer.«

Mit sentimentalen Gedanken betrachtete er seinen Diener und den Tisch. Das am Morgen volle Glas selbstgemachter Marmelade war leer und eine geradezu unsinnige Anzahl Krümel bedeckten die Tischplatte in seiner Nähe. Bei all dem Zucker, den er verschlang, musste er Honig pinkeln.

»Ich muss trotzdem gehen. Und warum soll ich nicht gehen? Wer weiss wie lange ich noch Gefallen daran finde Mörder zu jagen?« Littlewood nahm den Brief und hielt ihn Joseph vor die Nase.

»Lese ihn mir vor, dann hast du etwas anderes zu tun, als mir alles vor der Nase wegzuessen.«

Joseph öffnete den Kuvert mit dem Buttermesser. Er räusperte sich. »Mein lieber Sportsfreund. Ich hoffe, du stehst auf dem “T”. Sportfreund und alter Haudegen du bist doch immer auf der Suche nach einem Menschen den du aus der patsche retten kannst, anstatt das Geld deines Vaters mit vollen Händen aus dem Fenster zu werfen. Also mein lieber Freund, wenn du ein Herz hast lass einen alten Kameraden nicht hängen und schicke mir postalisch 50 Pfund. Ich stehe auf dem Trockenen wie die Wüste Sinai. Das Darlehen dürfte mich, bei meinen bescheidenen Bedürfnissen, eine Weile über Wasser halten. Die Adresse des Gasthofes in Marlowe steht unten. Ach ja alter Dragoner, was hältst du davon mir den Schlüssel für dein Haus dort zu senden, wenn ich es mir bei dir gemütlich mache dürften mir deine 60 Pfund eine bessere Hilfe sein. Sei so gut und setzte zehn Pfund von den 80, die du mir leihst auf unser Cricket Team wenn wir gegen Australien spielen. Wenn du einen meiner Bekannten siehst, sage den Verbrecher Fratzen, ich bin in den Kolonialdienst getreten und in Bombay! Sportsfreund verrate bloß niemanden, dass ich in Marlowe in deinem Haus stecke, sonst schlafe ich in der Themse bei den Fischen.«

»Ich gehen nachher zur Post und schicke ihm ihren Hausschlüssel und das Geld.«

»Ja bevor wir ihn ganz aus den Augen verlieren. Er ist ein guter Bursche. Du kennst die Kombination des Tresors, nimm 100 Pfund heraus und schicke ihm 80. 20 setzte bei Mister Green auf unser Cricket Team.«

»Also Sie machen sich auch heute auf die Suche nach dem Mörder.«

Littlewood nahm einen Schluck Tee, um sich die Stimmbänder zu befeuchten. »Vielleicht ist ein gemeingefährlicher Irrer auf freiem Fuss. Ich halte es für meine Pflicht ihn an den Galgen zu bringen!«

»Ganz ehrlich, wenn man schon Leute aufhängen muss, dann sind Mörder ideal dazu«, stimmte Joseph zu. »Heute ist Samstag da passt der blaue Hut!«

»Kannst du mir den Dickens almanach bringen?«

Joseph stand auf, »natürlich, Sir.«

***

Littlewoods Ausgabe vom aktuellen Dickens Verzeichnis der Stadt London 1884 nannte Lady Manning Golds Adresse mit Tavisstocke Square No 34 und lobte den geschmackvollen Bau der Manning Golds, als eine der hervorragendsten Arbeiten des Architekten Thomas Cubitt der den Square 1820 angelegt hatte. Am ersten Morgen stieg Littlewood aus dem zweisitzigen Hansom Cab und gab dem Kutscher ein großzügiges Trinkgeld und im Licht der hellen Straßenbeleuchtungen, die Laternen brannten hier heller, als anderswo, ging er über den regenfeuchten und bis auf Novemberlaub sauberen Bürgersteig zu Lady Manning Golds Haus. Es war ein nettes Anwesen, mit dem typischen Vordach getragen von grauen Säulen, eckigen Fenstern die sich gleichmäßig auf drei Etagen verteilten. Es hatte wenigstens zehn rauchende Schornsteine auf dem Dach. Littlewood umrundete es von der schlichten Eleganz beeindruckt und folgte dem diskreten Hinweis zum Dienstboten und Lieferanteneingang. Walter beeindruckten weder Adelstitel noch Geld, aber guter Geschmack tat es hin und wieder. Es war eine lebhafte Gegend mit einer überaus ehrbaren Nachbarschaft. Walter zögerte nicht die Türglocke herunter zu ziehen. Er straffte seine Schultern und zog den Klingelzug. Nach einigen Sekunden schwang die Tür lautlos auf und ein Butler mit unbewegter Miene sah ihn an.

»Guten Tag, mein Herr. Womit kann ich dienen, mir wurde kein Kommen gemeldet?«

»Polizei.« Littlewood hielt ihm seine Marke entgegen. Walter redete gerne mit Hausangestellten.

»Es gibt hier keine Hausierer oder Bettler, oder?«

Littlewood lachte gutmütig. »Ich bin nicht hinter armen Teufeln her.«

Der Diener hörte sich Walters Fragen an. Er zwinkerte mehrmals und sah nur etwas verstimmt aus, es mit der Polizei zu tun zu haben. Er erklärte anschließend, er habe nicht die geringste Ahnung, ob in einer anderen Besitzung ihrer Ladyschaft Personal vermisst werde, hier in dem Stadthaus am Tavisstocke Square jedenfalls nicht. Er schlug vor, er werde diskret Erkundigungen einziehen und es dem Inspektor wissen lassen. »Sie wissen bestimmt, Sir«, sagte der Butler.

»Was sollte ich wissen?«

»In diesen Zeiten beschäftigen wir auch Personal, das außer Haus lebt. Lady Manning Gold hat liberale Ansichten zur Haushaltsführung und unser Personal wechselt.«

»Gibt es einen anderen Grund, warum die Tote eine Haube der Lady auf dem Kopf trug?«, fragte Littlewood.

»Wie bitte?«

»In der Haube war der Name Lady Manning Gold gestickt.«

»Nun das lässt sich mit dem gütigen Herz ihrer Herrschaft erklären. Vor einer Woche ließ sie der Heilsarmee Teile ihrer tadellosen Kleidung bringen. Fragen Sie am besten die Heilsarmee in Whitechapel.«

Littlewood dankte dem Hausangestellten. Mit einer Droschke fuhr er vom Tavistock Square zurück bis ans Ende der Commercial Road, von wo aus er zu Fuß weiterging. Er wusste, dass es anstrengend sein würde, Zeugen zu finden. Keine Menschenseele schien interessiert daran zu sein, mit ihm ein Gespräch zu führen. Er sah nicht aus, wie einer von ihnen und er sprach nicht, wie einer von ihnen, kurzum er sah aus, wie einer mit dem Reden Ärger bringt. Er versuchte noch den ganzen Tag über den Namen der Toten, herauszufinden. Klapperte Pubs ab, besuchte die Lodging Häuser, die Herbergen und die kleinen Läden und zeigte jedem die im Leichenschauhaus angefertigte Zeichnung der Toten. Er ging in einen Krämerladen, in dem Tee, Konserven, Wolle, Pasteten, Mehl, Zucker und Kerzen verkauft wurden. Der Laden war dämmrig und roch nach kaltem Staub und Pfeifentabak. Er holte die Zeichnung hervor und erntete wieder einen kalten und abweisenden Blick. Hier redete man nicht mit Polizisten. Man grüßte und man behandelte sie höflich, aber was in der Gegend an Gerüchten im Umlauf war, blieb unter ihnen. Walter versuchte es noch bei einem Pfandleiher. Die Leute starrten nur seine teure Kleidung, und wussten sofort, dass er niemand ist, mit dem man reden durfte. Er versuchte sein Glück lange. Mit hochgestelltem Kragen und nassen, kalten Füßen, roter Nase und entschlossenem Gesichtsausdruck. Er würde einen finden der die Tote kannte und wenn er jede Hütte und jedes Haus, selbst den Grund des Flusses ablaufen musste. Er würde auch ihren Namen herausfinden, wenn er jeden verfallenen, mit feuchtem Schimmel bedeckten Keller, absuchen musste. Er würde fragen, oder drohen oder bestechen einer würde reden, einer mit Dreck am Stecken, für den eine Drohung mit Verstärkung wiederzukommen eine ernste Angelegenheit darstellte. Gegen fünf Uhr war es dunkel geworden und schneidend frostig, sodass sich auf dem mit Unrat bedeckten Straßenpflaster eine dünne Schicht Eis gebildet hatte. Er ging schnell mit gesenktem Kopf von der Dorset Street mit ihren 60 Lodging Häusern zur Commercial Road, wo Straßenlaternen, Pasteten Verkäufer und die Tube auf ihn warteten, die ihn wieder zur Wache brachte. Nach zwei Tagen in denen er und seine Kollegen jedes Arbeitshaus, jeden Pub und die Heilsarmee abgeklappert hatten gab es immer noch keinen Tipp, der zur Identifikation der Frau beigetragen hätte. Littlewood entschied sich für die Londoner Methode. Er spazierte mit der Zeichnung des Mädchens und der Beschreibung ihrer Kleidung zur Fleet Street zu einer der Presseagenturen. Eine Million Menschen lasen die Times, einer von denen kannte hoffentlich das Mädchen Miranda.

Schlechtes Blut

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