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Kapitel 3

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Melisse – Samstag, 22:50 Uhr

Mein Weg führt mich durch einen dunklen Tunnel. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Nachdem ich Kiandra meine Entscheidung mitgeteilt habe, ist sie so plötzlich verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Dann wurde es schwarz um mich herum und nun befinde ich mich hier: Inmitten einer drängelnden und drückenden Menschenmasse, die mich vorwärts schiebt. Vorwärts in meine unbekannte Zukunft. Ich kann weder nach vorne, noch nach hinten oder zur Seite sehen. Alles was ich ausmachen kann, sind gedrängte Körper, die sich anrempeln und unaufhaltsam nach vorne preschen. Ich habe Angst, stehen zu bleiben. Sie würden mich einfach überrennen. Bestimmt. Ich bemühe mich, das Gleichgewicht zu halten und mich gleichzeitig etwas größer zu machen, indem ich mich auf meinen Zehenspitzen fortbewege. Die Luft hier unten ist viel zu stickig. Leider macht das bei meiner Größe von 1,60 Meter nicht viel Sinn. Ich kneife kurz meine Augen zusammen, als ich direkt in einen der wenigen Lichtkegel sehe, die vergebens versuchen, den runden Tunnel zu erhellen. Immer wieder zucke ich zusammen, weil mich ständig fremde Körper berühren. Ein kalter Schauer schießt mir über den Rücken und ich beginne allmählich zu schwitzen. Hier drin ist es unerträglich schwül. Mir wird übel. Auf was habe ich mich eingelassen? Ich komme mir vor wie ein Lamm zur Schlachtbank. Ich schlage wärmend meine Arme um meinen zitternden Körper und stolpere mit der dichten Masse weiter. Die Angst keimt in mir auf und breitet sich rasend schnell wie ein bedrohlicher Virus aus. Was passiert mit mir? Wer sind all diese Menschen? Wo werde ich hingebracht? Muss ich jetzt sterben? Ist dies das Ende meines bisher nutzlosen Lebens? Das möchte ich nicht! Ich habe doch noch nichts erreicht, noch gar nichts bewirkt oder getan, was meine Existenz gerechtfertigt hätte …

Meine Augen werden wässrig, ohne dass ich es verhindern kann. Schnell beiße ich mir auf die Zunge, um weinerliche Laute zu unterdrücken, obgleich ich mir sicher bin, dass die Masse sie nicht wahrnehmen würde. Denn die hallenden Schritte sind viel zu laut, gleich einem Gewitterhagel. Doch ich möchte mich selbst nicht hören. Ich möchte nicht weinen. Weinen ist ein Zeichen von Schwäche. Schwäche ist etwas für Verlierer und ich möchte keiner sein. Daran bin ich selbst schuld. Ich habe mich für diesen Weg entschieden, deshalb darf ich nicht jammern. Es bringt nichts. Dadurch wird das Ganze auch nicht rückgängig gemacht.

Auf einmal geht ein erfreutes Raunen durch die Menge. Eine frische Brise weht durch den Tunnel und nur nach wenigen Schritten wird es plötzlich hell. Die Masse zerlegt sich in viele Menschen. Ich blinzle und werfe einen Blick an die Decke und meine Augen weiten sich vor Erstaunen. Über mir befindet sich nun nicht mehr die dunkle Tunnelwand, sondern eine transparente Decke, durch die man direkt in das Meer blickt. Ein Schwarm bunter Fische schwimmt eilig vorbei und ich erfreue mich während des Laufens an ihrem Farbenspiel. Von kindlicher Neugier getrieben versuche ich, einen Blick auf die rechte Seite zu erhaschen. Nach einigen Versuchen habe ich Erfolg und kann meine Position nach rechts verlegen, sodass mich nur zwei Menschen von der transparenten Wand trennen. Ich bin vom tiefblauen Meer in all seiner Pracht umgeben. Meine Angst flaut augenblicklich ab, so als hätte ich ein wirksames Medikament gegen das Virus eingenommen. Aufgeregtes Flüstern liegt in der Luft und es riecht angenehm nach Salzwasser. Ein inneres Gefühl bedeutet mir, die Leute um mich herum zu betrachten, doch ich kann nicht. Viel zu faszinierend erstreckt sich das sanfte Blau um mich herum, das nach dem dunklen Gang wie eine Befreiung wirkt. Immer wieder schwimmen vereinzelt oder in ganzen Schwärmen farbenfrohe Fische vorüber und merkwürdige Algen wiegen sich tänzelnd in den Wogen des Wassers. Meine Begeisterung flaut nicht ab. Nur eine drängelnde Stimme hinter mir lässt mich kurz aufhorchen.

„Mami, wann sind wir denn endlich da?“

„Noch ungefähr 30 Minuten, mein Schatz. Jetzt sei brav und lauf artig weiter.“

Das Kind gibt einen protestierenden Laut von sich, folgt jedoch der Aufforderung seiner Mutter. Ich gebe meinem inneren Drang nach und lasse meinen Blick wieder umherschweifen, um die Schönheit, die mich umgibt zu genießen. 30 Minuten können verdammt kurz sein.

*

Meine Füße tänzeln nervös hin und her, während ich alles neugierig erkunde. Der Gang endete schließlich in einen großen, runden Raum, den ich gemeinsam mit der freudig aufgeregten Menschenmasse betreten habe. Nun sitze ich inmitten des großen Zimmers, das einer Kuppel ähnelt, auf einem der unzähligen Stühle, die nebeneinander aufgereiht sind. Auch hier sind die Wände durchsichtig und ich habe das Gefühl, ganz von dem Wasser umgeben zu sein wie von einer kuscheligen Decke. Ich gluckse erfreut auf, als ich ein Seepferdchen über mir erkenne. Noch nie zuvor habe ich ein echtes gesehen. Die Freudensprünge, die mein Herz vollführt, sind unglaublich. Schon lange habe ich mich nicht mehr so gefühlt. Befreit, aufgeregt und irgendwie ausgelassen. Mein Blick wandert zu einer Gruppe von Kindern, die vergnügt umherspringt und Fangen spielt. Zugleich wird mir wieder der Ernst der Lage bewusst. Es ist wunderschön hier, doch diese Leute sind alle in Gefahr. Unter ihnen ist ein Attentäter. Prüfend suchen meine Augen nach etwas oder jemand Auffälligem. Doch das ist schwerer als gedacht. Befinde ich mich eigentlich schon auf dem Schiff? Wahrscheinlich nicht. Doch wo genau bin ich nun? Fragen über Fragen und vorerst keine Antwort in Sicht. Ich werde mich wohl etwas gedulden müssen. Stattdessen versuche ich zu schätzen, wie viele Menschen sich im Raum befinden. Zum Zählen sind es zu viele, doch ich bin mir sicher, dass es über 300 Leute sind. Ich schlucke. Das ist wie eine Nadel im Heuhaufen zu suchen. Zweifel steigen in mir auf. Habe ich mir zu viel zugemutet? Nachdenklich senke ich meinen Kopf und starre auf den Fußboden, der mir perlmuttfarben entgegenschimmert, als wären unzählige Muscheln darin verarbeitet worden. Für die übrigen Anwesenden scheint dies nichts Ungewöhnliches zu sein. Ich bin die Einzige im Raum, die so fasziniert davon ist. Hoffentlich falle ich nicht zu sehr auf, doch meine Zweifel scheinen unbegründet, wie ich nach einem erneuten Rundblick feststelle. Familien sitzen beisammen und versuchen, ihre Kinder zu zügeln. Junge Frauen und Männer sind vertieft in eine mir fremde Zeitschrift und in Büchern. Kleine Gruppen unterhalten sich angeregt miteinander. Es ist ein buntes Treiben von unterschiedlichsten Leuten an einem Fleck. Es gibt vornehme Herrschaften in Anzügen und schicken Kleidern, aber auch schlicht gekleidete Passagiere, wie ich erleichtert feststelle, denn so falle ich mit meinen zerschlissenen Jeans und meinem lilafarbenen Sweatshirt nicht auf. Die Mode unterscheidet sich vom Stil nicht sonderlich von dem mir bekannten und in der Tat nimmt niemand richtig Notiz von mir. Meine Augen wandern erneut durch die Halle und bleiben an den seltsamen Pflanzen hängen, die vereinzelt an den transparenten Wänden in großen, ovalen Vasen stehen. Ich war noch nie sehr interessiert in Botanik, doch die grünen Ranken, die sich spielerisch ineinander verknoten, wecken meine Neugier, doch ich traue mich nicht, aufzustehen und sie von der Nähe aus zu betrachten. Mein Verhalten würde auffallen und somit ich. Das sollte ich verhindern. Fasziniert fahren meine Blicke die Ranken und die vereinzelten Blüten ab, die sternenförmig in den unterschiedlichsten Farben leuchten. Wie gerne würde ich sie berühren. Ob ich es nicht doch wagen soll, aufzustehen? Die Entscheidung wird mir abgenommen, als ein Rauschen erklingt. Erst ganz leise, dann immer lauter werdend. Beunruhigt sehe ich mich um, doch von den anderen Menschen erfolgt keinerlei Reaktion. Ich bin die Einzige, die nicht begreift, was nun passiert und nervös wird. Das Rauschen schwillt an – ich kann kaum noch etwas hören. Ich beginne, auf meiner Unterlippe zu kauen, und blicke mich langsam um. Meine Augen weiten sich vor Erstaunen und mein Herz setzt für einen Schlag aus. Eingeschüchtert sacke ich in meinem Stuhl zusammen und starre auf das riesige Geschöpf, das sich uns nähert. Ich bin unfähig, auch nur eine Bewegung zu tätigen. Meine Gedanken rasen kreuz und quer und ich kann nicht einen einzigen davon fassen. Mein Pulsschlag beschleunigt auf höchste Stufe und mir wird unglaublich heiß. Ich kann nicht sagen, was lauter ist: das Rauschen von dem Ungetüm oder mein Herzschlag. Dröhnend und anmutig schwimmt es auf die Kuppel zu. Seine Flossen, die viel zu klein für seinen kugelförmigen Körper scheinen, bewegen sich ebenmäßig im Wasser, fast zu gleichmäßig und monoton. Irgendwie nicht natürlich. Kurz vor dem Aufprall kommt es majestätisch zum Stehen und treibt beobachtend auf und ab. Mit einem Mal verstummt das Rauschen und seine Glubschaugen stieren in den Raum, als würde es vor einem Becken voller Königskrebse stehen und sich überlegen, welchen von uns es zuerst verspeisen möchte. Mein Körper zittert wie Espenlaub, doch ich kann den Blick nicht von dem gewaltigen Monstrum abwenden. Viele kleine Ausbuchtungen übersähen seinen Körper wie Beulen. Meine Finger krallen sich in mein Sweatshirt und ich bin vor Angst wie gelähmt. Viel zu spät erkenne ich in den Ausbeulungen des übergroßen Kugelfisches transparentes Glas und dahinter Tische, Betten, Schränke. Mein Mund klappt nach unten und mein beschleunigter Atem, wie auch mein Puls, beruhigen sich wieder. Eine kurze, glockenähnliche Melodie hallt durch den Raum, gefolgt von einer Durchsage.

„Meine Damen und Herren, wir bitten um Ihre Aufmerksamkeit. Die Teirish Dominion ist soeben eingetroffen. Bitte halten Sie Ihre Fahrkarten bereit und melden Sie sich beim Ausrufen der Nummern an unseren Schaltern zum Einchecken. Ihr Gepäck befindet sich selbstverständlich schon an Board und in den jeweiligen gebuchten Zimmern des Schiffes. Wir wünschen Ihnen einen schönen Aufenthalt. Genießen Sie die Reise.“

*

Das Einchecken dauert ermüdend lange. Schon seit über 40 Minuten sitze ich da, warte und beobachte die Leute, deren Nummer ausgerufen wurde. Eifrig eilen sie nach vorne und zeigen den grün uniformierten Damen an den zehn Schaltern, die aussehen wie hölzerne Podeste aus einer Kirche, ihre Karten. Ich kann nicht erkennen, was genau geprüft wird, doch nach ein paar Minuten dürfen die Leute dann passieren und betreten eine große Säule. Sobald sich die geschlossen hat wird Wasser hineingelassen, das sofort anfängt zu blubbern und etliche Blasen entstehen, sodass die Person darin nicht mehr zu erkennen ist. Nach wenigen Augenblicken ist es vorbei und die Säule wieder leer. Ein mulmiges Gefühl durchzieht meine Magengegend und lässt eine leichte Übelkeit in mir aufsteigen. Unsicher fahren meine Finger in jede einzelne Tasche meiner Jeans, auf der Suche nach einem Ticket. Was soll ich tun, wenn ich als Letztes sitzenbleibe und man mich anspricht? Wie kann ich auf die Teirish Dominion kommen?

„Nummer 82 bitte an Schalter fünf.“

Ich unterbreche meine verzweifelte Suche kurz, um aufzublicken. Ein Mädchen, das nicht viel älter sein kann als ich, steht fünf Sitzplätze von mir entfernt auf und läuft zielstrebig zu dem fünften Schalter. Ihre kirschroten, hüftlangen Haare sind zu zwei Zöpfen geflochten und wippen emsig im Takt ihrer beschwingten Schritte hin und her. Als sie an mir vorbeigeht, treffen sich für einen flüchtigen Moment unsere Blicke. Noch nie habe ich Augen so leuchten sehen. Sie lächelt mir leicht zu, dann wendet sie ihren Blick geradeaus und ihre türkisfarbenen Augen von mir ab. Ein leichter Schauer flutet meinen Körper und ich starre ihr wie gebannt hinterher. Auch als sie am Schalter steht und sich kurz mit der Empfangsdame unterhält, kann ich mich nicht abwenden. Mir fällt auf, dass wir fast den gleichen Kleidungsstil haben. Die Frau hinter dem Schalter nickt ihr zu und die Rothaarige betritt zielstrebig die durchsichtige Säule. In Sekundenschnelle wird sie von Wasser umschlungen, das sie brodelnd vor meinen Blicken verbirgt. Dann ist sie verschwunden und das Rohr leer. In diesem Moment treffen meine Finger auf etwas Festes und Flaches. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Die Geräusche um mich herum verbinden sich zu einem dröhnenden Zischen, als ich meine Finger langsam aus meiner Jeans ziehe und eine Fahrkarte in der Hand halte. Egal wo die auf einmal herkommt, sie ist meine Rettung.

„Ich wiederhole: Nummer 85 bitte zum Schalter neun!“

Wie in Trance drehe ich das handliche Ticket um und meine Vermutung bestätigt sich. Ruckartig stehe ich auf und schleppe mich mit wackeligen Beinen nach vorne. Der Boden unter mir scheint zu schwanken und erschwert meinen Weg, der mir viel zu kurz vorkommt. Woher kommt diese große Angst? Was soll schon passieren? Die Säule und das blubbernde Wasser werden mich nicht töten, sondern nur an Board der gewaltigen Teirish Dominion bringen. Mut. Ich brauche nur etwas Mut. Meine Augen gleiten noch einmal zu dem großen Unterwasserboot, das königlich im Wasser treibt, als würde ihm alles gehören. Ein aufgeregtes Kribbeln durchzieht meine Fingerspitzen und ich streiche mir gedankenverloren durch die Haare. Auf einmal breitet sich eine ungeheure Neugierde in mir aus und vertreibt die Angst. Ich muss unbedingt an Board dieses riesigen Ungetüms. Was verbirgt sich dahinter? Wie mag es da drin aussehen? Ich muss es einfach wissen. Etwas vorschnell schießt meine Hand nach vorne, um der Frau am Schalter das Ticket zu reichen. Diese mustert mich mit einem einstudierten Lächeln und nimmt mir dann nachsichtig die Fahrkarte ab, bevor sie in ihren Unterlagen zu blättern beginnt. Nervös kaue ich an meiner Unterlippe herum und bete, dass alles gut läuft.

„Ihr Name ist Melisse Quam?“, fragt sie mich mit heller Stimme, ohne von ihren Unterlagen aufzusehen.

„Ja, das ist korrekt“, gebe ich zurück und versuche, meiner zittrigen Stimme einen selbstbewussten Klang zu verleihen, was mir allerdings nur halbwegs gelingt. Das war noch nie eine meiner Stärken gewesen.

„Sie sind wie alt und wann geboren?“

„Ich bin 16 und am neunten März geboren.“

„Gut. Ihre Zimmernummer ist die 224. Bitte betreten Sie den Lift. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“

„V… vielen Dank.“

Angespannt nehme ich mein Ticket wieder entgegen und wanke unsicher zur Säule. Unaufhaltsam kämpft sich die Angst in meinen Körper zurück. Als ich auf das Rohr zutrete, flammt in mir das Bild von einem Sarg auf. Ich schlucke und bleibe für einen Bruchteil einer Sekunde vor dem unheimlichen Lift stehen. Ein letztes Mal atme ich tief ein. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Die Säule schließt sich hinter mir und ich schließe lieber meine Augen. Noch bevor ich einen weiteren Gedanken an meine Furcht vor dem jetzt bevorstehenden Ereignis verschwenden kann, spüre ich, wie mich das Wasser sprudelnd umhüllt und meine Haut mit einem seltsamen Kribbeln überzieht. Für einen kurzen Moment bekomme ich keine Luft, dann ist es schon vorbei.

Teirish Dominion

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