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Kapitel 4

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Tailor – Sonntag, 14:35 Uhr

„Verdammt! Tailor, merkst du noch was?!“

Niklas rennt genervt an mir vorbei zu der überkochenden Suppe, während ich perplex im Weg stehe. War das mein Topf? Ach ja, in der Tat. Gedanklich knalle ich mir eine, doch das Resultat bleibt dasselbe. Schnell hievt er den Pott auf die Seite und dreht den Herd ab. Ich brauche nicht näherkommen und mir die Misere ansehen. Ich ahne das fatale Ergebnis und Niklas schlägt es mir eine Sekunde später ins Gesicht wie einen kalten Lappen.

„Die Suppe ist völlig angebrannt! Die können wir unmöglich unseren Gästen vorsetzen! Könntest du mal deinen Kopf anschalten und anfangen zu arbeiten, anstatt in der Gegend herumzustehen und zu träumen?! Selbst meine Tochter wäre momentan nützlicher als du und die ist fünf!“

„Ja, es tut mir leid. Ehrlich …“, murmle ich geknickt und mache mich sofort daran, eine neue Suppe zu zubereiten. Dass meine Haltung geduckt ist wie bei einem Hund, der Angst vor Schläge hat, fällt mir zwar auf, doch ändern kann ich es momentan nicht. Niklas meckert ununterbrochen weiter, während er sich daranmacht, die Salate anzurichten. Ich kann ihm nicht mal widersprechen. Er hat ja recht. Dennoch kann ich es heute nur schwer ertragen. Vielleicht liegt es daran, dass der mangelnde Schlaf schwer an meinen Knochen zieht. Ich bekomme meinen Kopf einfach nicht frei. Normalerweise lenkt mich das Kochen ab. Ich gebe mich einer Sache gerne ganz hin, doch es gelingt mir zurzeit nicht mehr. Die Sorge um meine Schwester bringt mich um den Verstand. Wie kann ich hierstehen und arbeiten, während sie um ihr Leben kämpft? Wenn sie denn kämpft. Ich habe keine Ahnung, was Leute ohne Bewusstsein tun oder nicht tun. Ach verdammt! So komme ich nicht weiter. Ich kann niemandem helfen. Nutzlos … Ja, ich bin so nutzlos.

Gedankenverloren gehe ich zu den Brettern, wo ich mir eines davon nehme und ein Messer zücke, um die Lauchzwiebeln zu schneiden. Nochmals versuche ich, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, doch vergebens. Das Bild von Melisse, wie sie sich morgens von mir verabschiedet, gefolgt von dem, wie sie bewusstlos im Krankenhaus liegt, schleicht sich immer wieder in meinen Kopf wie ein Einbrecher in die Wohnung. Gab es Anzeichen dafür? Was habe ich übersehen? Sie sah an diesem Morgen bedrückt aus. Doch das hat sie öfter getan. Seit unser Vater ausgerissen ist. Anfangs habe ich es nicht ganz begriffen. Okay, ich war auch erst sechs Jahre alt und ziemlich mit der Situation überfordert gewesen. Ich konnte damals nicht verstehen, warum mein Vater uns alle zurückgelassen hatte. Nicht ein Wort der Verabschiedung hatte er uns gelassen. Er war einfach gegangen. Still und heimlich. Die Freude und den Familienfrieden hatte er mitgenommen. Selbst heute begreife ich es noch nicht. Wahrscheinlich werde ich das nie. Ich würde ihn gerne danach fragen. Warum er uns verlassen hat. Was wir ihm getan haben. Wie er uns das antun konnte. Ob er sich bewusst war, wie furchtbar es Mutter und uns danach ergangen war. Wie sehr wir alle gelitten haben, besonders Melisse. Kein einziges Mal hat er sich bei uns gemeldet oder sich gar nach uns erkundet. Wir sind ihm wohl schlichtweg egal. Das ist einfach nicht fair. Auch wenn es meine Schwester nie breitgetreten hat, ich weiß, dass sie ihn vermisst und ihn gern wiedersehen würde. Ich bin mir nicht sicher, ob ein Teil von mir das ebenso gerne würde, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ihm als Dankeschön meine Faust in sein Gesicht rammen würde. Für die unzähligen Tränen meiner Mutter, die ich nicht zu trösten vermochte. Für die Leiden meiner Schwester, die ich nicht mindern oder gar verhindern konnte. Und für mich, da mein einziges Vorbild, das ich jemals hatte, an diesem Tag gestorben ist. Ein brennender Schmerz reißt mich unsanft aus den trüben Gedanken und ich lasse das Messer zu Boden fallen. Es dauert einige Sekunden, bis ich begreife, dass der Schmerz von meinem Finger kommt, in dem nun eine tiefrote Wunde klafft. Gebannt starre ich auf meinen pochenden Finger, aus dem das Blut in Sturzbächen zu Boden fließt.

„Ach du Scheiße, Tailor!“

Thomas' überschlagende Stimme reißt mich aus meiner Starre. Hektisch springt er zu mir rüber und zieht mich zum Verbandskasten, wo er nach einem Desinfektionsspray und etlichen Tüchern greift. Ich bin wie hypnotisiert und nicht in der Lage zu sprechen. Ich verstehe mich gerade selber nicht.

„Okay, das war's. Wir bringen deinen Finger halbwegs in Ordnung und dann gehst du heim!“

Seine Stimme klingt wieder ruhig, jedoch sehr bestimmend und keine Widerrede duldend.

„Das geht nicht … es ist noch so viel zu tun“, stammle ich kaum verständlich vor mich hin, doch Thomas winkt sofort ab. In diesem Moment tritt auch Niklas hinzu.

„Ach du Schande! Was machst du nur? Schöne Sauerei. So wird das heute nix. Sieh zu, dass du Land gewinnst und komm zurück, wenn du wieder du selbst bist!“

Ich seufze ergeben auf. Sieht so aus, als habe ich keine andere Wahl.

*

Mein Weg hat mich natürlich nicht nach Hause geführt. Der Schnitt war nur halb so wild. Ich habe Glück gehabt. Etwas Wasser, Desinfektionsmittel und ein Pflaster genügen. Trotzdem haben meine Kollegen darauf bestanden, dass ich gehen sollte. Wohl ist mir dabei nicht, ich habe jetzt bestimmt ein völlig schlechtes Bild von mir hinterlassen. Ich muss mich endlich fangen und es wiedergutmachen, auf jeden Fall. Doch zuerst muss ich zu Melisse. Das ist mir im Augenblick das Wichtigste. Die Schwester von der Intensivstation vertröstet mich allerdings. Melisse wäre auf ein anderes Zimmer verlegt worden und ich solle eine Kollegin im Schwesternzimmer der Station fragen. Schnell eile ich zu besagtem Ort. Ist das ein gutes Zeichen? Bedeutet das, dass sie wieder aufgewacht ist? Es muss ein gutes Zeichen sein. Doch ich werde enttäuscht. Der Zustand meiner Schwester sei stabil, doch aufgewacht ist sie noch nicht. Auch ist es ungewiss wann und ob sie jemals wieder erwachen wird.

„Weiß man, wie es dazu kommen konnte? Was sie hat?“, frage ich die hagere Frau und meine Stimme klingt ungewohnt monoton und rau. Die Schwester sieht mich mit unbewegter Miene an, mustert mich kurz von oben bis unten. Dann schüttelt sie den Kopf.

„Nein, soweit aus der Akte hervorgeht nicht. Aber das kann Ihnen ein Arzt oder Ihre Mutter genauer erklären.“

Ich möchte mich schon abwenden, um das Krankenzimmer aufzusuchen, doch dann halte ich ruckartig in meiner Bewegung inne. Ihre Worte hallen in meinen Kopf wider und ich sehe sie verwundert an.

„Was meinen Sie damit, dass meine Mutter mir das genauer erklären soll? Hat man mit ihr schon darüber gesprochen?“

Ihre ausdruckslose Miene wandelt sich. Sie sieht mich an, als wäre ich ein Fall für die Irrenanstalt. Na, danke schön auch!

„Natürlich wurde Ihre Mutter heute Morgen angerufen und in Kenntnis gesetzt, dass Ihre Schwester auf eine andere Station verlegt wurde und sicherlich auch über Ihren Zustand wurde sie informiert. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich habe noch viel zu tun.“

Ruppig schiebt sie mich zur Seite wie eine lästige Fliege und stapft an mir vorbei, um mir bewusst zu machen, dass ich ihr unheimlich viel von ihrer kostbaren Zeit geraubt habe. Ich starre ihr nach, bis sie im nächsten Zimmer verschwunden ist und meine Gedanken kreisen um ihre Worte. Wenn meine Mutter Neuigkeiten hatte, wieso hat sie mich dann nicht informiert? Ich habe sie doch darum gebeten, mir sofort Bescheid zu geben, wenn es etwas Neues gibt. Vielleicht …

Ich krame mein Handy aus der Hosentasche, doch ich habe keine einzige Nachricht erhalten und nicht einen verpassten Anruf darauf. Nachdenklich stecke ich es wieder ein und wanke wie ein Zombie zu dem Zimmer im vierten Stock. Egal wie ich es drehe oder wende, ich kann mir nicht erklären, warum mir meine Mutter nicht Bescheid gegeben hat. Vielleicht hat der Arzt sie gar nicht erreicht und auf den Anrufbeantworter gesprochen, den sie womöglich noch nicht abgehört hat? Doch ich kann mir nicht vorstellen, dass sie heute nicht daheim ist. Und sie hört immer den Anrufbeantworter ab. Aber wieso sollte sie es mir nicht gesagt haben? Wollte sie mich nicht bei der Arbeit stören? Ich muss sie heute Abend unbedingt darauf ansprechen. Es lässt mir keine Ruhe. Doch dafür ist jetzt keine Zeit. Ich schiebe alle störenden Gedanken beiseite, hole abermals tief Luft und öffne dann die Tür. Große Fenster fluten das kleine Einbettzimmer, das trotz seiner mickrigen Größe für meine Schwester viel zu groß zu sein scheint. Leise, so als könnte ich sie aufwecken, schleiche ich zu ihrem Bett, in dem sie unbewegt liegt. Viel zu steif. Leblos … Von einer inneren Angst gepackt fahren meine Finger vorsichtig zu ihrem Handgelenk, um ihren Puls zu spüren. Zwar verrät mir ein Blick auf den Apparat, dass ihr Herz schlägt, doch ich muss es selbst fühlen. Ich muss sichergehen, dass Leben in ihr steckt. Eine flüchtige Erleichterung flutet meinen Körper und ebbt viel zu schnell wieder ab. Ich streiche ihr über die bleichen Wangen und ziehe mir dann einen Stuhl neben das Bett. Die Stille lastet schwer auf mir. Außer dem maschinellen Klackern der Geräte ist nichts in dem Raum zu hören.

„Hallo Schwesterchen. Ich bin heute früher von der Arbeit gegangen. Ungewöhnlich für mich, nicht wahr? Du wunderst dich bestimmt“, beginne ich zögernd zu sprechen und komme mir mit einem Mal unglaublich blöd, nutzlos und hilflos zugleich vor. Doch von Melisse kommt keine Regung. Ich schließe kurz die Augen und fahre mir dann verlegen durch meinen blonden Schopf.

„Oh Mann, ich bin ein Idiot! Ich habe dir nicht einmal Blumen mitgebracht. Das macht man doch so, oder? Das nächste Mal bringe ich dir einen Strauß Margeriten mit. Deine Lieblingsblumen – ich hab’s nicht vergessen. Obwohl du recht hast: Ich bin viel zu unaufmerksam.“

Ich sitze da und warte auf eine Antwort, jedoch erfolgt keine. Nur das monotone Klackern des Apparates neben dem Bett, versucht mir zu antworten, doch ich verstehe ihn nicht. Abermals drängen sich Tränen in meine Augen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so viel geweint habe. Die Ungewissheit frisst mich von innen auf wie ein Parasit.

„Melisse, wach doch bitte wieder auf. Wir machen uns fürchterliche Sorgen um dich. Was … was soll ich denn ohne dich machen? Du kannst doch jetzt nicht ewig schlafen …“

Meine Stimme wird zittrig und ich hebe mir kurz die Hand vor den Mund, um ein Schluchzen zu verbergen. Mein gesamter Körper zittert und mir wird auf einmal unheimlich heiß. Der unsichtbare Damm bricht und meine Tränen strömen wie Sturzbäche hinaus. Ich schrumpfe im Stuhl zusammen, ziehe die Beine an und vergrabe den Kopf zwischen meinen bebenden Knien. Meine Worte sprudeln unkontrolliert unter Schluchzen aus mir heraus. Unaufhaltsam wie ein Tsunami.

„Wie soll ich mich denn dann entschuldigen? Melisse, ich weiß nicht, was ich ohne dich tun soll … ich hab … total versagt! Was für ein großer Bruder bin ich nur? Ich – ich konnte nicht mal auf dich aufpassen, sonst … sonst wäre das hier jetzt alles nicht! Wenn ich nur wüsste, was ich tun kann. Mir … fällt einfach nichts ein und ich – ich verfluche mich dafür und für jedes Wort, dass dich zum Weinen gebracht hat! Ich … ich will dich doch einfach nur wieder zurück. Melisse, bitte. Bitte, komm zurück!“

Dann hat mein Redefluss ein Ende. Meine Stimme versagt vollends und mein Schluchzen übertönt den ekelhaften Apparat und erfüllt den Raum.

*

Ruhelos wälze ich mich im Bett hin und her. Jedoch der Zustand meiner Schwester und das Gespräch mit meiner Mutter nagen hartnäckig an mir und missgönnen mir den Schlaf. Der Arzt hatte tatsächlich meine Mutter angerufen und ihr die Neuigkeiten verkündet. Auf meine Frage hin, warum sie mir nicht sofort Bescheid gegeben hat, hat sie nur abgewunken und meinte, sie wollte mich nicht bei meiner Arbeit stören. Ich kann mich nicht erinnern, ihr jemals vorher gegenüber laut geworden zu sein. Doch die Aussage, die ihr so selbstverständlich und fast schon gleichgültig über die Lippen kam, hat mir in diesem Augenblick den Verstand vernebelt. Wir sind im Streit auseinandergegangen und jetzt tut es mir leid. Dennoch, wieso hielt sie den Zustand meiner Schwester für derart unwichtig, dass es warten konnte, bis ich es von jemand anderem erfahren habe? Ich möchte ihr zwar verzeihen, doch so schnell werde ich das wohl nicht tun können.

Nach einer weiteren Stunde gebe ich den Kampf mit der Schlaflosigkeit erst einmal auf und wanke in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Dabei fällt mein Blick auf die Medikamente, die mir mein Arzt zur Beruhigung und gegen Insomnie verschrieben hat. Ich wollte sie nicht holen, doch meine Mutter hatte darauf bestanden. Abwertend schnippe ich mit dem Zeigefinger gegen die orangene Verpackung. Ich war noch nie der Tablettenfreund, aber heute werde ich wohl nicht drum herumkommen. Ich seufze ernüchtert auf, bevor ich die Schachtel in die Hand nehme und mir eine Kapsel herausfische. Den Beipackzettel lese ich mir lieber nicht durch. Schnell schlucke ich die weiße Pille mit etwas Wasser herunter. Hoffentlich dauert es nicht zu lange, bis die Arznei zu wirken anfängt. Jedoch sind meine Sorgen unbegründet. Nach nur wenigen Minuten schlafe ich mit etlichen Gedanken und dem Wunsch, dass Melisse endlich wieder aufwacht, ein.

Teirish Dominion

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