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Tod des Vaters

Mein Vater kam in allerbester Laune mit der Abschrift der Urkunde in der Hand nach Hause und freute sich, meiner Mutter die gute Nachricht zu überbringen.

Meine ältere Schwester Dorothea, zu der Zeit sechs Jahre alt, wird nicht müde zu erzählen, was sich an dem Tag zugetragen hatte.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir auch heute wieder die Geschichte in allen Einzelheiten erzählt bekommen werden.

Da ist Dorothea unerbittlich und der Anlass gibt ihr recht:

Jetzt endlich ist das Haus, dessen Wiederaufbau der Herzog damals angeordnet hatte, fertig.

Fast sechzig Jahre und einen Herzog später!

Wenn das kein Grund ist, noch einmal ganz ausführlich jenen denkwürdigen Tag aufleben zu lassen.

Zumal ihr niemand widersprechen kann, denn ich war noch zu klein, mein Bruder Henrich erinnert sich nicht und meine Mutter lebt nicht mehr.

Mein Vater kam also in bester Laune auf den Hof, soll heißen, er war offensichtlich stark angeheitert.

Die beiden Herren dürften wohl doch etwas mehr Port getrunken haben, als ihnen gutgetan hätte.

Er kam zu Fuß, obwohl es schon recht kühl draußen wurde und manchen Tritt musste er zwei Mal setzen, weil seine Füße ihm nicht mehr gehorchen wollten.

Das Gesinde bemerkte den trunkenen Herrn, als er durch das Hoftor trat, und schaute betreten nach unten.

Mein Vater war, wie gesagt, kein Säufer und man war es nicht gewohnt, ihn so zu sehen.

Er war ein gestrenger Herr, der sehr auf Anstand und Sitte hielt.

Und jetzt dieser Auftritt!

Die Weste aus Brokat geöffnet, das Halstuch aufgeknüpft und locker um den Hals geschlungen, das Hemd zum Teil über der Hose und mit Rotweinflecken am Kragen, der Mantel unordentlich und schief über der Schulter hängend und das graue schüttere Haar wirr vom Kopf abstehend.

Ich wünschte, meine Schwester würde nicht immer so ins Detail gehen, aber da ist sie, wie gesagt, hemmungslos.

Wenn ich versuche, sie zu mäßigen, wird sie im schlimmsten Fall noch ausführlicher.

Es war bereits später Nachmittag, als mein Vater in den Hof trat.

Die Trine, unsere Magd, kam in die Küche gelaufen und rief meiner Mutter aufgeregt zu:

„Frau Meisterin, Frau Meisterin, hey hätt in de Kauken pett!"

"Wer hat in den Kuchen getreten, Trine? Wovon redest du da?"

"De Meister selbst, Frau Meisterin. He dacht, dat wär de neue Abpedder!"

Meine Mutter lief zur Hoftür, um nachzusehen, was dort vor sich ging. Und was musste sie sehen?

Ihren Mann, der sich mit der einen Hand am Türpfosten festhielt und dabei sorgfältig seine Stiefel auf dem Kuchenblech abtrat, das Trine mit dem frisch gebackenen Butterkuchen zum Auskühlen vor die Tür gestellt hatte.

"Oh gütiger Himmel" rief sie entsetzt aus.

Welch ein Anblick! Und das vor dem Gesinde!

Im Hof standen die Knechte und taten so, als seien sie sehr beschäftigt, Trine stand in der Flurecke und knetete ihre Schürze, während meine Schwester mit blanken Augen in der Küchentür lehnte und ihren Vater beobachtete, wie er seiner Frau zumurmelte:

"Ich hab den Kontrakt. Davids Zukunft ist gesichert!"

Was er damit meinte, interessierte meine Mutter nicht.

Sie holte Thies, den ältesten der Knechte, und wies ihn an, den Meister in die Schlafstube zu bringen.

Dort wurde er in das Bett gehievt und so gut es ging ausgekleidet.

Er schnarchte schon, kaum dass sein Kopf auf dem Kissen lag.

Da die Stube gleich neben der Küche lag, war es nicht zu überhören. Am hellerlichten Tag! So etwas hatte es in diesem Hause noch nicht gegeben.

Meine Mutter ahnte, dass das Gesinde eine strenge Hand brauchen würde, um wieder einigermaßen zur Räson zu kommen.

Sie ahnte auch, dass sich diese Geschichte in Windeseile herumsprechen würde.

Die Knechte kamen weit herum, wenn sie auf den Dörfern das verendete Vieh einsammelten und die Knechte und Mägde auf den Höfen würden sich eine solche Geschichte über den gestrengen Herrn Scharfrichter nicht entgehen lassen.

Und erst die Frauen im Dorf - ach du lieber Herr Jesus!

Daran mochte sie jetzt noch gar nicht denken.

Der Sonntagskuchen, auf den das Gesinde ein Anrecht hatte, war erst einmal gestrichen.

In ihrer Wut scheuchte meine Mutter die Küchenmagd mit tausend Aufträgen hierhin und dorthin, bis diese mit Tränen in den Augen in der Tür stand und weinerlich klagte, dass es doch nicht ihre Schuld sei, dass der Meister so besoffen sei.

"Sofort in deine Kammer!" brüllte meine Mutter. "Heute will ich dich hier unten nicht mehr sehen!"

Mit einem Aufheulen verschwand Trine nach oben unter das Dach in die Mädchenkammer, die sie sich mit der Großmagd teilte.

Meine Schwester saß in der Küche am Tisch und genoss das Schauspiel.

Sie war Vaters Mädchen und sein erklärter Liebling.

Er hatte sie Lesen und Schreiben gelehrt, wie es sich für ein Mädchen aus gutem Hause gehörte.

Am liebsten hätte er sie auch ein Instrument spielen lassen, wie es seine erste Frau tat, aber dazu hatte er hier in dem verschlafenen Ort keinen Lehrer gefunden.

Meine Schwester war ein verwöhntes Ding, woran sich bis heute nicht viel geändert hat und sie genoss es, wenn sie zuschauen konnte, wie jemand abgekanzelt wurde.

Später hat sie sich gern uns jüngeren Geschwistern gegenüber als Gouvernante aufgespielt und uns herumgescheucht.

Sie mochte auch die kleine Magd nicht, die doppelt so alt wie sie und schon recht gut entwickelt war und bei den Knechten schon den einen oder anderen interessierten Blick auf sich ziehen konnte.

Meine Mutter hatte bereits Überlegungen angestellt, wann es Zeit wäre, die Magd an einen anderen Hof zu geben, bevor es zu Unziemlichkeiten mit den Männern kommen würde.

Mit der Schwägerin in Schöningen hatte sie sich darüber beim letzten Treffen ins Benehmen gesetzt und meine Schwester hatte nichts dagegen, wenn sich der Weggang der Magd nach dem heutigen Erlebnis ein wenig beschleunigen würde.

Ein neues, schüchternes Mädchen, das sie herumkommandieren konnte, wäre sehr nach ihrem Geschmack gewesen.

Am nächsten Morgen war mein Vater zwar aufgestanden, aber noch nicht so richtig "auf dem Damm", wie man bei uns sagt.

Er hatte nach seinem Ausflug im kühlen Frühherbst eine Erkältung bekommen, die nicht besser werden wollte, egal, was meine Mutter ihm verabreichte.

Der Winter kam und immer häufiger lag er zu Bett und musste gepflegt werden.

Die Arbeit übernahm immer mehr sein Großknecht.

Dann kam hohes Fieber hinzu und schließlich eine Lungenentzündung.

Meine Mutter wusste nicht, wo ihr der Kopf stand.

Sie musste eine große Familie ernähren und konnte doch nur das Nötigste beschaffen.

Und dann dieser schrecklich kalte Winter.

Kaum hatte sie genügend Holz gehabt, um wenigstens in der Küche den Herd zu befeuern. Von den anderen Räumen ganz zu schweigen.

Das Haus in Groß Stöckheim, in dem damals die Familie lebte, war zu der Zeit schon ziemlich verkommen.

Die Dachziegel saßen nicht mehr so fest, die Fenster waren undicht und zugig, das Haus war feucht, weil es in Okernähe stand.

Die Abdeckereien mussten weiter betrieben werden, auch wenn der Meister im Bett lag. Und kaum Männer waren zu haben, weil der Krieg so viele von ihnen hingerafft hatte.

Als Frau auf sich allein gestellt zu sein, war nicht einfach.

Natürlich ging es ihr nicht allein so.

Allen im Dorf ging es schlecht. Der Krieg war noch nicht lange vorbei, und das Dorf war in der Folge fast wüst gefallen.

Es gab wenig zu essen und wenig zu heizen und meine Mutter war schon wieder schwanger. Ich war noch keine zwei Jahre alt, da kündigte sich bereits das nächste Kind an.

Meine arme Mutter!

Sie hatte doch schon mehrere Kinder bekommen und dann dieses unwirtliche Haus und der Mangel überall.

Um das Maß voll zu machen, wurde ihr Mann nicht mehr gesund und starb noch im gleichen Frühling.

Das Grab für meinen kleinen Bruder war noch nicht bepflanzt, da rückte schon mein Vater nach.

David Voss - Scharfrichter zu Wolfenbüttel

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