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Die Suche nach dem Gral

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Ich setzte mich ans Ufer. Das Boot hatte gewendet und rauschte führerlos an mir vorbei, und meine flammenden Erinnerungen flogen leise hinterher und sangen tonlos den Sang der Sirenen. Was war es, dieses unbestimmte Etwas, das mich in den Netzen meiner Sehnsucht gefangen hielt? War es die Suche nach Freiheit? Aber was ist schon Freiheit? Wenn alles, selbst die Liebe, wie Akron meinte, ein Spiel meiner Einbildung sei, dann wäre selbst die Liebe zu Gott nur die Sehnsucht des Menschen nach sich selbst. Solche und andere Gedanken rauschten mir ohne Pause durch den Kopf, als ich mit den Wellen spielte und wie ein Perlenfischer nach ihrem tiefen inneren Geheimnis haschte. Das Wasser umspülte meine Beine und vertraute mir die Gabe, Gott in seiner fundamentalen Sehnsucht zu erfahren, wie er seit Milliarden Jahren aus den Tiefen der Meere ans Licht der Ufer strebt, denn ich war wie betrunken von dem Wunsch, das Rätsel zu lösen, um nicht länger die ohnmächtige Beute der ständig auf mich einprasselnden eigenen Fragen zu sein.

«Sei bloß vorsichtig», hörte ich da die Stimme Akrons hinter mir, «daß dich die Urgewässer nicht verschlingen, denn du hältst lebendiges Plankton in der Hand.» Da fragte ich ihn, ob es meine Sehnsucht nach Freiheit sei, die mich zwinge, mich immer über mich hinauszuheben und die Welt in ihrer höchsten spirituellen Ausdehnung zu erfahren, wie sie durch die menschliche Brille gerade noch erahnt werden kann?

«Mach dir keine Sorgen! Du littest schon als Kind an einer Art spirituellem Größenwahn, denn seitdem ich dich kenne, befindest du dich auf einem philosophischen Höhenflug», blies er mir lächelnd den Marsch, «und nun kommt in dieser Hölle zum jupiterhaften Verlangen, dich ins Unermeßliche auszudehnen, auch noch das auflösende Sehnen, dich im Streben nach einem Ganzen aufzugeben, und das katapultiert deinen Geistesanspruch natürlich so hoch in die Wolken, daß er von dir dort oben nur noch schwer zu finden ist.»

«Willst du damit sagen, daß das Streben nach Freiheit gefährlich für mich ist?» wollte ich wissen, nachdem ich mir seine Botschaft angehört hatte.

«Nein, so kann man das nicht sagen, denn innerhalb deiner spirituellen Abgehobenheit bist du ja ein sehr bemühter Esoteriker. Es ist nur so, daß die Sehnsüchte in dieser Hölle so hoch in den Wolken schweben, daß sie für keinen leicht zu gewinnen sind.»

«Dann kann ich sie auch nie erreichen», entgegnete ich matt und zuckte mit den Schultern. Die Fragen waren mir ausgegangen.

«Ganz im Gegenteil, du kannst sie gar nicht verfehlen, denn sie richten sich ja ausschließlich auf dich aus, weil du der einzige bist, der sich von ihnen anziehen läßt, nur wissen das die meisten Seelen nicht», sagte er. «Sehnsüchte sind wie kleine Kinder, die unablässig von der Mutter Aufmerksamkeit fordern. Wenn du sie vergißt und sie in dir nicht festhältst, dann entfalten sie ihre Flügel und breiten sich ins Leben aus. Du kannst sie später als Ziele nutzen, wenn du ihre Energien kontrollierst. Letztlich sind sie es, die dich bedingungslos anziehen und die du niemals verfehlen kannst.»

«Ich darf sie also nur nicht wollen?»

«Du darfst sie schon wollen, du darfst sie nur nicht in dir festhalten. Damit es etwas im Leben gibt, das sich für dich später zu erreichen lohnt.»

«Ich soll sie loslassen?»

«Ja. Benutze dafür deinen Willen, und bau dir deine persönlichen Ziele auf. Ziele sind wie Zugvögel. Sie fliegen durch deine Sehnsüchte hindurch und ziehen ihre Fäden in die Welt hinaus. Wenn du die Ziele in dir zurückbehältst, dann staust du die Sehnsüchte gefährlich ihn dir an.»

«Aber wohin soll ich die Sehnsucht transportieren, wenn ich weiß, daß ich sie sowieso nicht verfehlen kann?»

«Das fragst du mich? Zum Schöpfungsgipfel natürlich! Denn das Werdende strebt nach Zerfall, aber mit dem Zerfall schwillt gleichzeitig das Werden an, das das Zerfallende wieder zu binden sucht: Das unendlich sich Bildende zerstäubt nicht im Grenzenlosen, es formt sich zu immer neuen Schöpfungszielen. Denn erst jenseits aller Vorstellungen ahnst du den Geist, der dein Leben erfüllt; in religiösen und mystischen Bereichen, in denen sich das Ego zugunsten transzendenter Erfahrungen auflöst, kannst du jenen schimmernden Gipfel erreichen, der über den Wassern des Unbewußten thront. Dieser Gipfel ist zwar mehr als die Summe allen Bewußtseins, aber alles Bewußtsein ist auch, was er ist: Nichts!»

«Wo ist dieser Gipfel, Akron?»

«Dort, wo du dich selbst im Licht erblickst! Das Nichts steigt als eine unstillbare himmlische Sehnsucht aus dir empor, eine göttliche Flamme, die schnell auch zum Seelenbrand entarten kann, wenn du deinen spirituellen Rahmen sprengst.»

«Und warum brechen wir nicht auf?»

«In dieser Hölle gibt es kein materielles Ziel», versicherte er mir, «denn dieser Ort verkörpert nicht die sinnvolle Suche, sondern die Suche nach dem Unerreichbaren, die Suche nach dem Gral. Was du auch immer fändest, es dünkte dich gering. Nur der Weise, der den langen Wegen bewußt gefolgt ist, kann ermessen, daß es kein Ziel gibt, zu dem sie hinführen. Das einzige, was du nicht findest, ist das, was du suchst!»

«Gut», antwortete ich ihm, «wenn der innere Sinn dieser Ebene nicht das Finden ist, sondern die Erkenntnis, niemals finden zu können, weil sich in jedem Suchen nur das Finden sucht, bleibe ich hier sitzen, bis mir der Hintern am Boden festwächst.»

«Deine innere Ungeduld und dein ungeheurer Wissensdrang sind es, die mir Sorgen machen. Du hast schon zwei Dinge vollbracht, die mir zuwider sind.»

«Sag mir, Akron, welche?»

«Als wir über die Lethe fuhren, hast du deine destruktiven Energien mutwillig geweckt.»

«Du meinst die Leiche?» fragte ich.

«Ja, die Leiche», fuhr er fort. «Sie war ein Fragment deiner selbst, die Materialisation deiner negativen und aggressiven Gefühle. Du hast die Maske der Sehnsucht auf das Gesicht der Verwesung gepfropft und damit den Tod zu deinem unbewußten Ziel erklärt.»

«Was beunruhigte dich daran, Akron?»

«Durch die Verbindung der Sehnsucht mit dem Tod hast du diesen zum Ziel deiner Sehnsucht erklärt. Und dann hast du dich noch einmal für den Tod entschieden, am Schaltkreis des Energieaustausches, an dem sich die Geschlechter berühren. Damit hast du dich der Todessehnsucht verschrieben, und das mit einer spielerischen Leichtigkeit, die jedem Betrachter den Angstschweiß auf die Stirn treibt.»

«Ist das schlimm?» fragte ich keck.

«Beunruhigend ist deine unverfrorene Naivität», antwortete er, «mit der du diese schrecklichen Kräfte dirigierst. Bis jetzt ist alles gut gegangen. Aber die Gefahr ist noch nicht gebannt. Auf uns wartet noch der Schatten des Planktons, die dunkle Muttermilch deiner unbewußten Perversionsstillung aus den Schattenkammern der Instinktnatur, ein ekelhaftes Gekröse, das jeden angreift, der sich von der Urlust löst und über das Bekannte hinaus nach dem unmenschlichen Unbekannten strebt.»

«Was können wir tun?» Ich hielt einen Moment den Atem an. Die plötzlich aufdämmernde Gefahr bahnte sich plötzlich in meiner Seele Raum.

Akron schaute mich an: «Nichts! Wir müssen warten, bis es dich angreift.»

Mehrere Minuten lang hatte ich kein anderes Empfinden als das Tosen der Brandung in der Bucht. Dann bemerkte ich, wie ein trübes, düsteres Flackern am Horizont aufzog und sich wie ein dunkler Schatten über meine Seele senkte. Mir war, als ob die Wogen des Stromes immer finsterer wurden, die ich ebenfalls in meinem Inneren spürte, und die mich umbrandenden Wasser gleichzeitig auch die giftigen Quellen meiner Seele wären, die da geheimnisvoll um meine Beine spülten. Ich spürte ein Zittern, ein Grollen, ein Pfeifen im Ohr, und als ich die Augen wieder erhob, gefror mir das Blut in den Adern.

«Dieses Gewässer ist eine Brutstätte für deine vampirhaften inneren Empfindungen», sagte Akron plötzlich. «Wenn sie in dein Erleben dringen, dann geschieht dies durch die Visionen ungestillter Wünsche und Begierden, die sich erst zaghaft in den Träumen melden und sich dann langsam ins Bewußtsein schieben.»

Vor mir bewegte sich eine Riesenkrake wie ein den Morästen meiner Seele entflohenes Ungeheuer heran, und ich erkannte in ihr all die prickelnden Ängste und fesselnden Abenteuer eines erhitzten, pubertierenden Knabengehirns. Das Unangenehme an der Geschichte war, daß ich diese chthonische Erinnerung aus pubertärer Urzeit als realistischen Schrecken wahrnahm. Sie erhob sich langsam aus dem dunklen, gräßlichen Abgrund meiner Seele und richtete sich in ihrer ganzen Größe vor mir auf, so daß mir die Knie zu zittern begannen. Einen Augenblick lang voll unaussprechlichen Schreckens blieb sie in ihrer erhobenen Position wie eine düstere, satanische Ausgeburt dieser Hölle vor mir stehen, als berauschte sie sich an ihrer eigenen Majestät, und dann fiel sie mit fuchtelnden Tentakeln über mich her. Blitzschnell stürzte ich zur Seite, um dem vernichtenden Schlag zu entgehen. Ich benutzte den Schwung, packte die Krake am Schopf und knallte ihren Kopf im Fallen mit einer tödlichen Bewegung gegen das Riff. Wie Fontänen schoßen die schwarzen Wasser aus der Mutterbrust meiner pervertierten Trieberfüllung, den aus Freudschen Urbildern inspirierten Schattenkammern der Lust, deren Bilder aus dem Unbewußten auftauchten und sich einen Moment ängstlich vor meinem Erleben drehten, bevor sie wieder zitternd wie Marionetten an unsichtbaren Fäden in den Tiefen der Dunkelgründe versanken. Mit wollüstigem Stolz betrachtete ich den Todeskampf der Riesenkrake. Das Bild der sterbenden Kreatur, die sich mit zuckenden Umarmungen von der Erde löste, stürzte mich in ein wahnsinniges Chaos der Lust. Akron sagte, ich solle versuchen, durch die Lücken meiner höllischen Ekstasen in die Räume jenseits meiner begrifflichen Realität einzudringen, um dort jene Wirklichkeit zu finden, die meinen inneren Träumen angemessen sei. Dann befahl er mir, meine Augen zu schließen und im Geist die Himmelsstufen zu besteigen.

«Aber es gibt hier keine Stufen», erwiderte ich.

«Natürlich gibt es keine materiellen Stufen», sagte er, «weil deine Ziele so hoch in den Wolken schweben, daß kein materieller Weg zu ihnen führt. Du bist daran gewöhnt, mit materiellen Dingen umzugehen, und sobald du über das Konkrete hinausgelangst, erscheint dir das, was du dort erfährst, unwirklich. Doch in dieser Hölle ist die Wahrnehmung nicht auf das Gegenständliche beschränkt, sondern bildet sich aus dem Streben, zu deiner inneren Sehnsucht zurückzukehren, oder aus dem überwältigenden Enthusiasmus, der dich erfüllt, jenen schimmernden Gipfel zu erreichen, der sich über den Wassern des Unbewußten erhebt. Dafür sind imaginäre Stufen doch der adäquate Weg. Sie bilden sich aus deinem spirituellen Sehnen, denn es ist der Archetyp des Sehnens, der dich aufwärtszieht. Oder wäre es dir lieber, auf einer Rolltreppe in die Höhe zu schweben?»

Ich tat so, wie mir aufgetragen war. Sobald ich die Augen schloß und meinen rechten Fuß etwas anhob, fühlte ich einen Widerstand unter der Ferse, als ob mir eine Stufe unter den Absatz geschoben worden wäre. Ich verlagerte mein Gewicht vom linken auf das rechte Bein und begann den linken Fuß zu heben, um die nächste Stufe zu erreichen, und so kletterte ich Stufe um Stufe zum «Homo futurus», dem Menschen der Zukunft, empor, wie mir die Stimme das Ziel meines Aufstiegs erläuterte.

«Langsam näherst du dich der Spitze des Wissens», erläuterte Akrons Stimme, «in der sich das Sagbare mit dem Unsagbaren kreuzt. Das ist exakt der Schnittpunkt beider Welten, an dem das Licht des Grals erscheint. Man nennt diese Stätte auch das Einswerden mit Gott oder das Bewußtsein der Hölle, weil sein Schnittpunkt irgendwo tief in der Erinnerung des Unbewußten liegt. Noch bist du hier, und dein Ziel liegt dort, du befindest dich noch im Zustand des Ich, das sich auf sein Ziel zubewegt, doch dann gelangst du allmählich in das Ziel hinein, so daß du dich immer mehr mit ihm zu identifizieren beginnst, bis du dich schließlich selbst als Teil deines Zieles erkennst, das sich nach sich selbst sehnt und sich mit dem erkannten Größeren im Außen zu verschmelzen beginnt. Doch bevor du in ihm aufgehst, wirst du es bekämpfen, weil du es aus dem Zustand der Dualität zuerst als von dir selbst verschieden ansiehst.»

Seine Stimme erreichte mich aus unendlicher Ferne: «Du stehst jetzt unmittelbar vor dem Gipfel, und es ist Zeit für dich, deine unbewußten Inhalte zu sehen, denn du bist durch die Lücken deiner Ekstase jetzt in die Räume jenseits deiner begrifflichen Realität eingedrungen und kannst dir nun in deinen eigenen Träumen begegnen – hinter der Schwelle, die du überwunden hast!»

Ich spürte einen Schlag, und dieser gebar eine schreckliche Vision, denn plötzlich sah ich mein kleines, gemeines, in den Begrenzungen seiner eigenen Argumente und rationalen Trugschlüsse gefangene Ego vor mir auf dem Gipfel der Erkenntnis tanzen. Mir war seine Absicht klar, das erworbene Wissen seinen egoistischen Zielen einzuverleiben und dadurch den Käfig seiner Ich-Beschränkung zu sprengen und Weltherrschaft zu erreichen. Statt seinen Verstand in seine unendliche Dimensionen hinein auszustrecken und die Erkenntnisse als das Fundament zu nehmen, auf dem sich der Verstand erhob, statt also die Ursachen der Ursachen der Ursachen der Ursachen auszuloten und den Sinn hinter dem Sinn des Sinnes zu erkennen und die Zusammenhänge zu verstehen, tanzte es nur an der Oberfläche des Lebens und dachte darüber nach, zu welchen Vorteilen im Leben ihm dieses Wissen gereichen könnte.

Im nächsten Augenblick, als ob meine Empfindungen vom Himmel erhört worden wären, bemerkte ich ein trübes, düsteres Flackern am Himmelsrand, das einem mächtigen, autoritären Gott gleich sich über ihm ausbreitete. Es war wie der Schein eines finsteren Lichts, das auf mein Alter ego herabströmte und einen inneren Widerhall in ihm auslöste, denn ich erhob mich langsam aus dem dunklen, gräßlichen Abgrund seiner Seele und richtete mich in meiner ganzen Größe vor ihm auf, so daß ihm die Knie zu zittern begannen und ihm das Blut in den Adern erstarrte, als es die Augen erhob und mich erkannte. Ich spürte in mir all die glühenden Angstbilder und Phantasien seines überhitzten Gehirns. Was mich jedoch am meisten erstaunte, war der Umstand, daß ich alle seine Vorstellungen in Handlungen umsetzen und ihm dabei durch alle seine eingebildeten Schrecken hindurch als reale Bedrohung von außen entgegentreten konnte. Einen Augenblick lang blieb ich in meiner erhobenen Position wie eine düstere, satanische Ausgeburt dieser Hölle vor ihm stehen, als berauschte ich mich an meiner eigenen Majestät, dabei war ich nur die Ausgeburt seiner eigenen Ängste, die mich steuerten; dann fiel ich mit fuchtelnden Tentakeln über ihn her und saugte mich mit meinen Fangarmen wie ein Schatten an seinem Körper fest. Gleichzeitig fiel ich in eine höllische Ekstase.

Akron sagte, die Substanz dieser Auseinandersetzung sei von einer unglaublich intensiven gegenseitigen Durchdringung von Geist und Materie. Solange ich letztere aber nicht verstünde, könne ich auch niemals meinen Schatten in all seinen Auswirkungen akzeptieren, denn aus der Gipfelsicht meiner Perspektive sei er nur Dreck, was wiederum die Auswirkungen dieser Hölle reflektiere. Deshalb sollte ich all meine schrecklichen Bilder, die ich während meines Aufstiegs durchmessen und in denen ich mich eingesperrt habe, wieder vergessen und meinen Schatten loslassen.

«Welchen Schatten?» entgegnete ich und erkannte dabei, daß ich mich an Akron festhielt.

Er lachte und befahl mir, die Augen zu öffnen: «Indem du mich losläßt, versöhnst du dich mit deinem inneren Tier! Durch das Loslassen meines Mantels hast du den Schatten integriert! Damit kannst du den Olymp wieder verlassen, denn du hast alles erkannt, was du erkennen mußtest …»

An seinem Lachen erkannte ich ihn, es war Akron, wie er leibt und lebt: «Das Ganze entwächst jenem Urgrund, der allen Wesen gemeinsam ist. Der Trick dabei ist, dich nicht in einem Bild deiner eigenen Persönlichkeit einzuschliessen und dann zu denken, daß das Vollkommene jenseits des eigenen Bildes ist, sondern zu merken, daß du selbst das Ganze bist. Auch wenn du auf der einen Seite durch deinen ausgelagerten Schatten bekämpft wirst, so bleibst du auf der anderen doch mit Gott verbunden, so daß du dir, wenn du in die Tiefe dringst, des Schöpfers in all seiner Größe bewußt werden kannst, von dem du glaubtest, daß er jenseits des Egos nur in der Höhe existiert. Deshalb erlebst du in der Tiefe deines Schattens das Licht der Erfahrung, die unmöglich war, solange du den Schatten als getrennt von Gott ansahst!»

Ich tat, wie er mir geheißen hatte, und als ich auf Befehl der Stimme die Augen wieder öffnete, saß ich am Strand und spielte mit den Wellen. Wie ein Perlensucher fischte meine Hand am Grund der Fluten, und ich fragte mich, was es war, das mich mit dem Urgrund verband. Das Wasser umspülte meine Beine und verlieh mir die Gabe, den menschlichen Geist in seiner fundamentalen Sehnsucht zu erfahren, wie er seit Milliarden Jahren aus den Tiefen der Urgründe ans Licht der Ufer strebt.

«Das war nicht ungefährlich», sagte Akron lächelnd, «beinahe hätten dich die Urgewässer verschlungen, denn du hattest die Urbausteine des Lebens, lebendiges Plankton in der Hand. Dieser Urstrom, der alle Lebensbereiche zu einem gemeinsamen Eintopf verbindet, produziert unaufhörlich neue Lebensformen und rollt sie wieder auf. Wie in einem magischen Spiegel können sich dann die kollektiven Urängste im Brennpunkt deines inneren Betrachtens monströs vergrößern, genauso wie die Liebe zu Gott, denn Gott kommt noch vor dem Plankton. Er ist der Urimpuls des Sichtbaren. Jetzt ist die Reihe an dir. Für mich ist nichts mehr wichtig, doch diese Erfahrung mußt du selbst machen. Wenn Gott Nichts ist, dann ist nichts das Ziel!»

Er zog mich von der Uferböschung weg: «Nach Erlösung zu streben, ist die einzige Freiheit in dieser Hölle. Die Freiheit, sich in die Erlösung davonzustehlen genauso wie die Suche, die, obwohl sie dem Glanz von Millionen Schätzen gegenübersteht, doch intakt bleibt, weil sie niemals beansprucht, das zu sein, was sie sucht, nämlich den Gral, sondern immer nur das, was sie motiviert, zu finden: sich selbst.»

Dann legte er seinen Arm um mich und sagte: «Der innere Sinn des Suchens ist die Erkenntnis, niemals finden zu können, weil jedes Finden die Suche nur erschwert. Denn jeder Mensch ist auf dem Heimweg und sollte niemals aufhören zu suchen, da es im Prinzip sowieso nichts zu finden gibt. Nur wer in seinem eigenen Leben den langen Wegen bewußt gefolgt ist, kann ermessen, daß es kein Ziel gibt, zu dem sie hinführen. Alles, selbst die Liebe, ist ein Spiel deiner Einbildung, und erst, wenn du das erkennst, kannst du den Menschen die Freiheit bringen, diese furchtbare, unerträgliche, aber letztlich einzige Freiheit.» Ich blickte zu ihm auf. Er lächelte, und seine Augen strahlten heiß und kalt: «Es ist der Wunsch nach Freiheit von sich selbst! Komm», sagte er, «wir müssen weiter. Die Saturn-Hölle wartet!»

Dantes Inferno I

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