Читать книгу Drei große Historical Sagas: Meeresfluch und Hansehaus - Alfred Bekker - Страница 17

Wirrungen

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Lord Donald Cooper schlief tief und fest, aber nicht völlig traumlos. Immer wieder sah er Jeannet. Ihre Begegnung war so intensiv, dass er fest glauben musste, es sei... die Wirklichkeit!

Im Traum holten sie gewissermaßen nach, was das Leben ihnen vorenthielt. Sie hatten sich doch nur so kurz kennenlernen dürfen. Ja, kurz nur, aber unbeschreiblich heftig. Dieses Erlebnis beherrschte seine Sinne und somit... auch seine Träume. In diesen jedoch, obwohl es ihm so real vor kam, war alles ganz anders als in Wirklichkeit. Da gab es keine Beschränkungen, keine Ängste, nichts, was hätte zwischen ihnen stehen können, was ihre Liebe gefährdete: Da waren sie völlig ungezwungen, lagen sich in den Armen, spürten einander, durften sich lieben, ohne Anstoß zu erregen oder gar um ihr Leben bangen zu müssen. Sie gingen Hand in Hand über das Piratenschiff WITCH BURNING, sie scherzten mit Naismith, den der Lord eigentlich im Verdacht hatte, ein Spion der Königin zu sein, sozusagen als deren letzte Kontrolle. Er scherzte mit ihnen, gab sich nett und freundlich wie nie und wünschte ihnen sogar alles Glück der Welt.

Da war auch Königin Elisabeth selber. Sie lächelte wohlwollend und bat das Traumpaar, sich doch endlich zu küssen. Das taten sie dann. Donald Cooper spürte Jeannets aufregenden Körper und es war soviel Glück in seiner Brust, dass er schier zerspringen wollte. Der Kuss hörte gar nicht mehr auf: Endlich, ja, endlich durften sie sich in aller Öffentlichkeit küssen und alle waren begeistert und jubelten ihnen zu: Die Königin, die Piraten, das englische Volk, das spanische, angeführt von Carla...

Nur einer war nicht begeistert: Philipp II. Er schaute im Gegensatz zu allen anderen verbiestert drein und hob sein Zepter, um damit auf die arme Carla einzudreschen. Diese wich geschickt aus, doch das Zepter sauste nieder und pochte hart auf den hölzernen Boden. Immer wieder versuchte es der verbiesterte spanische König. Immer wieder sauste sein Zepter nieder, um hart auf den Boden zu pochen.

Alle waren total aufgeregt ob dieser Szene. Auch Lord Cooper, dessen Geliebte sich plötzlich wie in Nichts auflöste. Er schrie verzweifelt nach ihr, doch nicht nur sie verschwand, sondern darüber hinaus... alles andere um ihn herum. Nur eines blieb: Das hartnäckige Pochen.

Schlagartig erwachte er. Senkrecht stieg er in seinem Bett hoch.

Das Pochen stammte nicht vom Zepter des spanischen Königs, sondern war an der Tür. Er hörte die Stimme des Hofmarschalls: "Mylord, ich bitte Euch inständig um Vergebung, aber ich habe Order, Euch zu wecken."

Lord Donald Cooper brummelte etwas Unverständliches in den Bart. Seine Linke krallte sich in das Nachtgewand vor seiner Brust. Dieser Schmerz, den er im Traum hatte vergessen dürfen und der jetzt mächtiger als zuvor zurückkehrte... Jeannet, geliebte Jeannet! Wann endlich dürfen wir uns in Wirklichkeit wiedersehen, nicht nur im Traum?

Er dachte nicht zum ersten Mal daran, dass er ihr die Adresse jenes Pubs in London gegeben hatte, über dessen Wirt sie ihn erreichen konnte. Noch bevor er ins Bett gegangen war, hatte er einen Kurier seines Vertrauens ausgesendet, um den Wirt entsprechend in Kenntnis zu setzen. Der Kurier war einer aus des Lords Dienerschaft. Er hätte sich eher die Zunge abgebissen oder Schlimmeres über sich ergehen lassen, bevor er seinen Lord verraten hätte. Aber auch der Wirt war Lord Cooper treu ergeben. Es würde keinerlei Risiko bedeuten, wenn sich Jeannet über diesen mit ihm in Verbindung setzte. Das wusste er ganz sicher und es half ihm, ein wenig die brennende Sehnsucht zu unterdrücken und sich auf den Hofmarschall zu konzentrieren: Was fiel diesem denn überhaupt ein, ihn aus den süßesten Träumen so brachial zu wecken?

Lord Cooper sprang aus dem Bett und erreichte mit drei Sätzen die Tür. Er riss sie auf.

Der Hofmarschall erschrak, als der Lord so plötzlich vor ihm erschien. Er verbeugte sich verdattert, anstatt zu salutieren, wie es richtig gewesen wäre.

"Mit Verlaub, Mylord, ich wünsche, wohlgeruht zu haben!"

"Wollt Ihr mich auf den Arm nehmen?", herrschte der ihn an. "Wieso macht Ihr einen solchen Höllenlärm, dass das ganze Schloss schier erbebt?"

"Mit Verlaub, Mylord, aber es ist bereits Mittagszeit und es scheint, als würde Ihre Majestät, die Königin von England, ungeduldig werden."

Lord Cooper schluckte seinen Ärger hinunter. Die Königin wünschte ihn persönlich zu sprechen - und es war bereits Mittag? Wo, um alles in der Welt, war denn die Zeit geblieben? Hatte er denn wirklich so über Gebühr lange geschlafen?

Fast war es beschämend, aber er wusste ja, dass er eine anstrengende Mission hinter sich hatte bringen müssen. Da stand es ihm durchaus zu, sich wenigstens einmal auszuschlafen.

Sein nächster Gedanke jedoch lautete: Was ist denn jetzt noch so überaus dringend, dass es die Königin nicht mehr erwarten kann, mich zu sprechen?

Er musterte den Hofmarschall. Dessen pompöse Uniform konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass er trotz seines fortgeschrittenen Alters ein nicht zu unterschätzender Kämpfer war. Nicht umsonst hatte man ihn zum Hofmarschall bestellt. Lord Cooper wusste durchaus, mit welchen Qualitäten er als Ritter hatte aufwarten können und wie er außerdem wusste, hatte der Hofmarschall sein ständiges Training bis heute nicht vernachlässigt.

Er entspannte sich und sagte zu ihm: "Verzeiht mein aufbrausendes Temperament. Ich hatte ja keine Ahnung, wie spät es bereits ist!"

Der Hofmarschall lächelte flüchtig. Lord Cooper erinnerte sich auch daran, dass er anfangs immerhin sein oberster militärischer Führer hier am Hofe gewesen war. Bis er direkt der Königin unterstellt worden war, um später sogar der Berater der Königin werden zu dürfen. Es tat ihm jetzt ehrlich leid, den ehrwürdigen Mann so behandelt zu haben.

Aber das flüchtige Lächeln des Mannes bewies, dass er nicht nachtragend war. Er salutierte vorschriftsmäßig, was vom Lord erwidert wurde. Dann sagte er: "Ihr braucht nicht sofort zur Königin zu eilen. Sie lässt ausrichten, Ihr solltet Euch zunächst frisch machen - ja, so drückte sie sich tatsächlich aus! - und ein kräftiges Mahl zu sich nehmen. Soviel Zeit müsse auf jeden Fall noch sein."

"Verzeiht noch einmal, Hofmarschall, aber was ist eigentlich mit der Prinzessin von Spanien?"

"Oh, gut, dass Ihr nach ihr fragt, Mylord, aber Carla von Spanien hat sich gestern nach der Audienz bei Ihrer Majestät in die ihr zugewiesenen Gemächer zurückgezogen und ward bis jetzt nicht mehr gesehen. Ich nehme an, mit Verlaub, sie schläft noch."

Dann ist sie besser dran als ich, dachte Lord Cooper in einem Anflug von leichtem Galgenhumor, denn die Tatsache, dass die Königin ihn sprechen wollte, missfiel ihm. Er dachte auch an Jeannet und daran, dass er so sehr gehofft hatte, sie baldmöglichst wiederzusehen. Hoffentlich hatte die Königin nicht ausgerechnet jetzt einen neuen Auftrag parat, der all seine Hoffnungen zunichte machte?

Der Hofmarschall zog sich zurück und Lord Cooper beeilte sich, der Anweisung der Königin Folge zu leisten, sich nämlich frisch zu machen. Das war keine Prozedur, die ihn allzu lange aufhielt, zumal ihm dabei zwei Diener behilflich waren. Andere Diener waren unterdessen angewiesen, eine reiche Tafel zu decken - umfangreich genug jedenfalls, um dem mächtigen Appetit Rechnung zu tragen, den er verspürte.

Aber beim Essen wollte kein rechtes Vergnügen aufkommen. Er genoss nicht die Speisen, weil er viel zuviel über einen möglichen Auftrag der Königin nachdenken musste. Oder wollte sie lediglich mit ihm sprechen, um ihm mitzuteilen, wie das Gespräch mit der Prinzessin verlaufen war? Vielleicht hätte er diesbezüglich den Hofmarschall fragen sollen?

Nun, falls dieser überhaupt etwas von jenem Gespräch mitbekommen hatte: Vielleicht hatte es die Königin ja auch richtiger vorgezogen, mit der Prinzessin unter vier Augen zu sprechen? Das war durchaus möglich: In solchen Dingen war Ihre Majestät unberechenbar.

Als ihm sein Magen meldete, voll zu sein, brach er das Mahl ab und stand auf. Zwei Diener legten seine Oberbekleidung an und vergaßen auch nicht den Degen, währenddessen Lord Cooper mit nachdenklich gefurchter Stirn an Jeannet dachte: Egal, was die Königin vor hat, es bleibt sicher noch genügend Zeit, dich wiederzusehen, Geliebte! Ach, es war doch alles nur so schrecklich kurz. Wir haben uns gefunden und es hat uns überfallen wie eine Sturmböe, aber dann mussten wir uns wieder voneinander los reißen. Wir konnten doch überhaupt nicht auskosten, was uns an Liebe so übermächtig erfüllt. Ach, Jeannet, einerseits verfluche ich es, dass du solche Gefühle in mir erweckt hast, bitte verzeih, aber andererseits weiß ich, dass nichts gewaltiger, mächtiger und auch schöner sein kann als die große, wahre Liebe! Wenn nur die Sehnsucht nicht so schrecklich schmerzen würde...

Danach ging er betont festen Schrittes zum Audienzzimmer der Königin, das eher einem Saal glich als einem Zimmer. Er wirkte sehr beherrscht, zumindest nach außen hin, obwohl sein Inneres aufgewühlt war. Vergeblich versuchte er nämlich, die trüben Gedanken zu bändigen oder zumindest Herr zu werden über den Schmerz in seiner Brust.

Diesmal gab es andere Wachhabende vor dem Eingang zum Audienzzimmer: Schichtwechsel. Aber auch diese kannte er, weil er alle in der Residenz persönlich kannte.

Sie behandelten ihn dennoch wie einen Fremden. Lord Cooper machte sich nichts daraus. An ihrer Stelle hätte er genauso gehandelt: Es gehörte ganz einfach zum Ritual.

Einer trat ein, um ihn anzukündigen. Als er zurückkehrte, nickte er ihm zu.

Lord Donald Cooper salutierte eher lässig, obwohl das normalerweise nicht seine Art war: Entweder er machte es korrekt oder er verzichtete lieber darauf. Es war das äußerste Zeichen von Unsicherheit, das er sich erlaubte. Ansonsten wirkte er nach dem Eintreten im Audienzzimmer völlig gefasst und saß jede Geste des üblichen Rituals vor der Annäherung an Ihre Majestät, Königin Elisabeth von England. Das bedeutete, er stand mit gesenktem Haupt, beinahe wie ein armer Büßer, an der Tür, die sich hinter ihm schloss und wartete auf das Zeichen der Königin.

Sie war nicht allein. Ein anderer Berater war bei ihr, den Lord Cooper zwar kannte, aber nicht sonderlich schätzte. Sie entließ den Mann mit einem Fingerzeig. Dieser eilte rückwärts zu einer anderen Tür und verschwand. Jetzt war die Königin allein mit ihm. Sie winkte ihn näher.

Dass keiner der Wachhabenden mit ihm eingetreten war, zeigte ihm, dass die Königin diese bereits entsprechend angewiesen hatte. Und was war das für ein Gespräch mit dem anderen Berater gewesen? Lord Graham war so etwas wie ein Konkurrent von Lord Cooper. War es bei dem Gespräch um ihn, Cooper, gegangen? Es hätte ihn nicht gewundert, denn die Königin hörte sich gern unterschiedliche Meinungen zu ein und demselben Thema an, um sich daraus ihre eigene Meinung zu bilden.

Oder redete sich Lord Cooper nur etwas ein und die Unterredung hatte in Wahrheit gar nichts mit ihm zu tun?

Er erreichte den Thron und ließ sich vorschriftsmäßig im Sicherheitsabstand auf das rechte Knie fallen.

"Nein!", befahl die Königin mit fester Stimme. Es schwang weder Freundlichkeit, noch Unfreundlichkeit in dieser Stimme mit. Sie klang völlig neutral. Ein gutes Zeichen?

Lord Donald Cooper stockte in der Bewegung.

"Erhebt Euch, Lord, damit ich Euch wieder in die Augen sehen kann. Dies ist ein besonders persönliches Gespräch, Lord Cooper und ich gehe davon aus, dass niemals auch nur ein Wort davon nach draußen dringt. Haben wir uns verstanden?"

Das waren ja ganz neue Töne! Er wagte es nicht nur, sich wieder zu erheben, sondern auch die Augen zu heben. Ihre Blicke kreuzten sich. Die Königin erschien ungewöhnlich ernst.

"Habt Ihr eine Ahnung, wie wichtig Prinzessin Carla von Spanien tatsächlich für uns ist?"

"Jawohl, Majestät, die habe ich."

"Dann ist es ja gut, Lord Cooper. Seid Euch darüber im Klaren, dass uns der Zufall nicht nur die Prinzessin in die Hände gespielt hat, sondern mit ihr eine unglaubliche Chance, die Weltgeschichte in unserem Sinne zu korrigieren. Wie Ihr wisst, ist England im Vergleich zu Spanien eher klein und unbedeutend. Wir sind Spanien und dessen Barmherzigkeit so sehr ausgeliefert, falls es jemals darauf ankommt, wie seinerzeit David dem übermächtigen Goliath. Aber wer hat den Kampf letztlich dennoch bestanden?"

"David!", antwortete er ohne zu zögern.

"Richtig! Und wie hat er es geschafft?"

"Durch eine List!"

"Abermals richtig, Lord Donald Cooper. Genau dieses sind wir bereits dabei zu tun, aber wir müssen bei alledem äußerst vorsichtig sein. Sobald König Philipp von Spanien zu viele Hinweise entdeckt, die auf ein mögliches Bündnis der ihm äußerst lästigen Piraten mit der Krone von England deuten lassen, ist die Sicherheit Englands nachhaltig gefährdet. Wir würden genau das Gegenteil erreichen von dem, was wir erreichen wollen."

"Gewiss, Eure Majestät!"

"Ich weiß sehr wohl, dass wir es nicht auf Dauer verhindern können. Ein Risiko, das wir eingehen müssen. Philipp nimmt nur so lange Rücksicht auf uns, wie wir ihm als wichtige Verbündete erscheinen auch und gerade bei seinen Problemen mit den Niederlanden - und so lange seine Armada mit anderen Problemen beschäftigt ist. Er will unter allen Umständen die Handelsroute in die Neue Welt weiterhin unter seinem Monopol behalten. Das sichert ihm schier unbegrenzten Reichtum und macht sein Land zur unanfechtbaren Weltmacht auf Erden."

Lord Cooper fragte sich vergeblich, was dieser Vortrag nun eigentlich sollte? Das waren doch alles Dinge, die hinlänglich bekannt waren. Es konnte nur so sei, dass die Königin dies als Einführung benutzte für das eigentliche Thema. Aber wieso redete sie so lange um den heißen Brei herum und kam nicht gleich auf den Punkt zu sprechen, um den es ihr ging?

"Wenn Philipp auf die Idee kommt, das Piratenproblem an der Wurzel zu packen, indem er mit seiner Armada England überfällt, verschwindet England nicht nur von der Landkarte, sondern auch aus der Weltgeschichte! Nur mittels Carla von Spanien können wir das Schlimmste verhindern und genügend Zeit herausschinden, um irgendwann gegen einen solchen Überfall vielleicht sogar gefeit zu sein. Eine Niederlage der Armada gegen England würde die Hauptrolle von Spanien als Weltmacht nachhaltig gefährden und darüber hinaus auch anderen den Weg in die Neue Welt öffnen helfen."

Nach dieser ergänzenden Erläuterung der politischen Lage, wie sie diese sah, schaute sie ihn sehr ernst an.

Lord Cooper versuchte, ihre Gedanken zu erraten, die hinter ihrer bewölkten Stirn vorherrschten, aber es misslang ihm. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie nun wirklich von ihm wollte, der er doch hinlänglich in die Problematik eingeführt war. Schließlich war seine letzte Mission genau in diesem Sinne erfolgt.

Es konnte nur sei, dass sie tatsächlich eine neue Mission für ihn vorsah, die sich möglicherweise um dasselbe Thema drehte.

Andere Piraten, die wie Jeannet und ihr Schiff in Ungnade gefallen waren?

Nein, ausgeschlossen, denn das hätte er bereits erfahren.

Es musste um die Prinzessin gehen. Schließlich hatte er sie her gebracht und hatte es am Vorabend eine Unterredung zwischen ihr und der Königin gegeben. Was war dabei herausgekommen?

Die ernste Miene der Königin ließ ihn beinahe vermuten, dass es ganz und gar nicht im ihrem Sinne abgelaufen sein konnte!

"Was empfindet Ihr gegenüber der Prinzessin, Lord Cooper?", schoss sie eine gänzlich unerwartete Frage ab.

Er blinzelte überrascht und hätte beinahe reagiert mit der Äußerung: "Wie bitte?" Im letzten Moment konnte er es unterbinden. Nach ein paar überraschten Sekunden sagte er stattdessen: "Mit Verlaub, Eure Majestät, aber ich verstehe nicht!"

"Was gibt es daran denn misszuverstehen, Lord Cooper? Ich fragte nach Euren Empfindungen gegenüber der Prinzessin. Ihr seid ein Mann und sie ist eine Frau. Wer von uns beiden ist nun naiv?"

Ihm wurde es irgendwie übel. Es war ihm, als würde eine Hand nach seiner Kehle greifen, um ihn zu würgen. Da war etwas in seinem Magen, das wie ein Stein anmutete. Beinahe, als hätte er etwas Falsches gegessen. Doch es war etwas anderes: Eine Ahnung, die sich aus den Tiefen seines Unterbewusstseins empor schwang und ihm ganz und gar missfiel. Mehr noch: Es wurde ihm regelrecht schwindlig darüber.

"Mit Verlaub, Eure Majestät, aber meine Gefühle gegenüber der Prinzessin sind neutral, wie ich Euch versichern darf. Sie ist die Prinzessin von Spanien und ihr gebührt von daher gehöriger Respekt und von meiner Seite ausgehend die rechte Distanz. Bislang habe ich in ihr ganz und gar nicht die Frau gesehen, die sie darüber hinaus durchaus bereits sein mag, trotz ihrer Jugend."

"Ihre Jugend? Na, so alt seid Ihr nun auch wieder nicht, Lord Cooper. Der Altersunterschied kann es kaum sein, der Euch stört."

Er hatte Mühe, seiner Stimme wenigstens einen einigermaßen festen Klang zu verleihen: "Wie gesagt, Eure Majestät, aber die Prinzessin von Spanien ist bei aller Attraktivität nicht die Dame meines Herzens, falls Ihr darauf abzielen wolltet - bei allem Respekt."

Königin Elisabeth lachte auf einmal. Es war kein fröhliches Lachen. Es klang eher belustigt: "Gut formuliert, Lord Cooper. Ihr wollt mir also allen Ernstes einreden, es würde absolut keine Gefühle zwischen Euch und der Prinzessin geben, außer gegenseitigem Respekt und Wohlwollen?"

"Wenn Ihr es so auszudrücken beliebt, Eure Majestät: Ja, gewiss, genau dieses wollte ich zum Ausdruck bringen."

"Ich schaue dabei sehr genau in Eure Augen, Lord Cooper und neige zu der Auffassung, dass Ihr die Wahrheit sagt. Andererseits - einmal davon ausgehend, dass es genauso stimmt, wie Ihr es sagt: Glaubt Ihr denn wirklich, dass Prinzessin Carla von Spanien das genauso neutral betrachtet wie Ihr?"

Da war es wieder: Schwindelgefühle, der Stein im Magen, der beschleunigte Herzschlag, beginnende Übelkeit: Die Ahnung von etwas für ihn schier Ungeheuerlichem!

"Ich hatte bislang keinen Grund, etwas anderes anzunehmen, Eure Majestät!"

Jetzt schüttelte die Königin heftig den Kopf und sie wirkte plötzlich sehr ärgerlich.

"Da hört sich doch alles auf: Ein erwachsener Mann, der keineswegs den Ruf genießt, so etwas wie ein Kostverächter zu sein, wie man mir zutrug - und merkt nichts von der Schwärmerei einer so attraktiven Prinzessin? Carla ist ein Sonnenschein, der die Herzen aller Männer erwärmt, wenn sie nur in ihre Nähe kommt. Ja, sie hat sogar mein eigenes Herz gerührt. Sie ist mir beinahe wie eine Tochter, ich ihr zumindest eine mütterliche Freundin. Dabei steht es in ihren Augen so klar zu lesen, als würde sie es laut aussprechen: 'Ich liebe Lord Cooper!' Und da kommt dieser Lord Cooper daher und erzählt mir so einen banalen Unsinn? Lord Cooper, bei allem Respekt vor Euren unermesslichen Beiträgen zum Wohle und zum Erhalt unseres Vaterlandes England: Wie blind muss denn ein erwachsener Mann sein, um solches zu übersehen? Ist dies denn einem fähigen Diplomaten und kämpferischem Recken für England würdig? Disqualifiziert es denn nicht geradezu Euch, Lord Cooper, eine so wichtige Position zu begleiten?"

Lord Donald Cooper war stocksteif vor Entsetzen. Die Ahnung... Schlimmer noch hätte sie sich nicht bewahrheiten können. Seine Liebe zu Jeannet hatte ihn in der Tat blind und taub gegenüber allem anderen gemacht. Es hatte ihn als Berater und Sonderbeauftragter der Königin nachhaltig disqualifiziert. Da hatte die Königin vollkommen Recht. Doch was bedeutete das in letzter Konsequenz?

Er schloss unwillkürlich die Augen und sank hinab auf sein rechtes Knie, um in Demut vor der Königin nieder zu kauern - trotz gegenteiligem Befehl ihrerseits.

Er hatte versagt, auf der ganzen Linie versagt. Die Zuneigung der Prinzessin war eine wahre Katastrophe. Das Schlimmste daran war auch noch, dass er es absolut nicht bemerkt hatte! Alles war negiert, was er jemals für sein Land, die Krone, für die Königin getan hatte. Er war am Ende. Für ein solches Versagen seinerseits konnte es nur eine einzige Strafe geben, die dies zumindest noch annähernd zu sühnen vermochte: Die Todesstrafe!

Und er kauerte vor dem Thron, um das einzig gerechte Todesurteil zu empfangen. Beinahe hörte er schon, wie sich die Türen öffneten, damit die Häscher eintraten, die ihn erst in den tiefsten Kerker und dann auf das Schafott zerren würden. Es würde seinerseits keinerlei Widerstand geben. Er würde sich willig in das unabwendbare Schicksal fügen, wohl wissend, dass es eben nur allzu gerecht war, wenn jemand so sehr versagt hatte wie er.

Vor seinem geistigen Auge tauchte Jeannet auf. Er sah sie weinen - trauern um seinen Tod. Niemals durften sie sich wiedersehen. Er war des Todes und irgendwie würde seine Geliebte dies verwinden müssen, wollte sie ihm nicht auf dem kürzesten Weg ins Schattenreich der unwürdigen Sünder folgen...

"Aufstehen!", befahl die Königin ärgerlich. "Wer hat Euch erlaubt, sich nieder zu kauern wie ein elender Versager? Ich hatte befohlen, mich in Eure Augen sehen zu lassen. Oder wollt Ihr mir etwas verbergen?"

Er erschrak darüber so sehr, dass er tatsächlich sich wieder erhob und aufrecht hin stellte, ehe es ihm überhaupt bewusst wurde. Er wagte es dann sogar auch noch - trotz alledem! -, sie anzuschauen.

"Was ist denn in Euch gefahren, Lord Cooper? Was sollte diese Reaktion?"

Er wollte etwas sagen, aber die Stimme versagte ihm den Dienst. Bei ihm die absolute Ausnahme: Er war ansonsten niemals auf den Mund gefallen und beileibe kein Hanswurst. Er war der hochwohlgeborene Lord Donald Cooper, der Berater und Sonderbeauftragte der Königin, einer der mächtigsten und einflussreichsten Männer Englands mithin, aber wieso fühlte er sich dann so unbeschreiblich elend?

"Ich mag es kaum glauben, dass es Euch doch tatsächlich die Sprache verschlagen hat!" Die Königin schüttelte mal wieder den Kopf über ihn. "Ja, gewiss, dies alles ist überzeugender als jeglicher Schwur es sein könnte: Ihr hattet tatsächlich nicht die leiseste Ahnung von der heimlichen Schwärmerei der Prinzessin! Egal, wieso, Lord Cooper, aber besinnt Euch endlich! Kommt wieder zu Verstand, ehe es dafür zu spät ist! Wo hat sich der gewiefte Diplomat versteckt - in welchem Winkel Eures Denkens? -, der mit genau demselben überragenden Geschick seine Zunge gebrauchen kann wie er es versteht, mit seinem Degen umzugehen? Ihr seid der geborene Führer. Eure Qualitäten waren bislang stets so unübersehbar, dass ich Euch diesen wichtigen Posten begleiten ließ. Bislang habt Ihr mich nicht nur nie enttäuscht, sondern meine Erwartungen stets erheblich übertroffen. Allein die letzte Mission... Kommt wieder zu Verstand und begreift, dass Ihr damit etwas Einmaliges geschafft habt in der gesamten Geschichte Englands. Dies ist unsere einzige Chance, zu überleben. Mehr noch: Wenn wir keinen Fehler machen, wird England eines Tages sogar diese Weltmacht werden, wie es heute noch Spanien ist! Niemand wird je erfahren, wie es uns wirklich gelang. Euer Name wird vielleicht noch nicht einmal in den Annalen auftauchen, aber Ihr werdet die Schlüsselfigur sein - allein nur deshalb, weil Carla sich in Euch verliebt hat!"

Seine Kinnlade fiel herab. Er schaute die Königin an, als hätte sie sich plötzlich in einen Geist verwandelt. Ihre Worte hallten in seinem Innern nach und vermochten es einfach nicht, bis zu seinem Verstand vorzudringen.

Wovon, um alles in der Welt, hatte sie denn überhaupt gesprochen? Was meinte sie mit alledem? Welche Rolle spielte er in der Weltgeschichte, ohne dass es jemals jemand erfahren sollte?

Es schwindelte ihm noch stärker als vorher bei der Erkenntnis, dass Carla sich in ihn verliebt hatte.

Carla und in ihn verliebt? Apropos: Worin lag denn da der Vorteil für England? Wieso musste er nicht wirklich mit einem Todesurteil wegen unglaublichem Versagen rechnen - sondern galt sogar als Retter der Nation und Wegbereiter in eine glorreiche Zukunft, wie sie glorreicher gar nicht mehr sein konnte?

Ein dumpfer Laut brach sich Bahn, tief in seiner Brust entstanden und sich guttural über Kehle und Lippen Bahn brechend, ohne auch nur im Geringsten verhindert werden zu können. Seine Linke krallte sich in das Wams vor seiner Brust. Mehr unbewusst spürte er, dass ihm das Herz dort schier bis zum Halse pochte.

"Ich - ich verstehe!", behauptete er stammelnd.

"Ihr versteht, Lord Cooper?" Die Königin gönnte sich ein schiefes Lächeln. Wirkte es nicht eine Spur... mitleidig? "Na, dann lasst mal hören, WAS, um alles in der Welt, Ihr wirklich versteht. Erläutert es mir!"

Er schluckte schwer an dem imaginären Kloß, der sich in seiner Kehle gebildet hatte. Nichts wünschte er sich sehnlicher, als vor dem Thron kauern zu dürfen, anstatt aufrecht stehen zu müssen. Dann hätte wenigstens keine Gefahr bestanden, dass er zusammengebrochen wäre.

Aber er bildete sich nur ein, einen Zusammenbruch fürchten zu müssen. Dieses hässliche Gefühl der Minderwertigkeit und Ohnmacht begann sich allmählich zu verwandeln. Da war der Gedanke an seine Geliebte. Ihr Gesicht tauchte vor seinem geistigen Auge auf, wurde jedoch überlagert von dem Antlitz der Prinzessin. Sie lächelte ihn an, mit seltsamen Augen, was er jetzt erst zu deuten wusste. Er wäre von allein niemals darauf gekommen. Kein Wunder, denn all seine Gefühle gehörten Jeannet. Da hatte er gar keine Chance gehabt, die Schwärmereien der Prinzessin als solche zu durchschauen.

"Mit Verlaub, Eure Majestät", kam es endlich über seine Lippen: "Hat die Prinzessin denn etwas in dieser Richtung erwähnt?"

"Natürlich nicht!", tat die Königin beinahe entrüstet. "Ich habe es ihr angemerkt und sie entsprechend dahin gebracht, es indirekt zuzugeben. Wirklich, es ist unübersehbar - außer für Euch, wie mir scheint."

"Ich bitte dafür inständig um Vergebung, Eure Majestät, aber Prinzessin Carla und ein Liebesbündnis mit ihr wäre für mich so abwegig, dass ich nicht im Entferntesten..."

"Erspart Euch diesen Vortrag, Lord Cooper, ich habe durchaus verstanden. Aber jetzt will ich endlich hören, WAS Ihr denn überhaupt verstanden habt, die Bedeutung dieser Lage betreffend."

Er musste abermals schwer schlucken. Und dann sagte er vorsichtig: "Prinzessin Carla soll gezwungen werden, einen ungeliebten, ihr fremden Mann zu heiraten. Mir scheint, ihr Vater, König Philipp II., will damit erreichen, dass sie sozusagen gezähmt wird. Wenn es so kommt allerdings, wird ihre Fürsprache zum Wohle Englands... null und nichtig."

Die Königin lachte leise. Es klang durchaus wohlwollend.

"So weit richtig, Lord Cooper. Doch weiter!"

"Ihr glaubt, Majestät, dass man dem König eine Alternative anbieten sollte, um ihn von diesem Plan abzubringen, was Prinzessin Carla zu einer lebenswichtigen Verbündeten werden ließe. Sie wäre England auf ewig dankbar, dass sich alles nun doch zum Guten wenden würde."

"Und sie würde den Mann erhalten, den sie wirklich liebt!", trumpfte die Königin auf.

Lord Cooper dachte voll Grausen: Ja, nämlich MICH!

Und dann dachte er wieder an Jeannet: Ich liebe dich, Jeannet! Ja, dich, nicht die Prinzessin! Soll ich denn zum Wohle Englands wirklich mit der Prinzessin vermählt werden? Und dann? Werde ich mich für immer verstellen müssen? Die Sehnsucht nach dir verbrennt mich und ich soll Carla bis zum Ende meines Lebens vormachen, ich würde sie genauso lieben wie sie mich? Und wenn ihre Liebe zu mir irgendwann schwindet? Was wird dann aus meinem Opfer für England? Carla ist noch jung. Da kann sich alles noch ändern. Und was dann?

Es war gut, dass die Königin nichts von diesen Gedanken wusste, denn dann hätte sie ihn wohl kaum mit einem nach wie vor wohlwollenden Lächeln bedacht und gesagt: "Wie schon erwähnt, Carla ist mir ans Herz gewachsen. Es darf nicht sein, dass sie gegen ihren Willen nach Spanien zurückgeschickt wird, um diesen Ungeliebten zu heiraten. Nicht nur ihretwegen wäre das falsch, sondern auch im Sinne einer weiterhin guten Beziehung zwischen unseren Völkern. Ich bin die Königin von England und kann nicht anders handeln als im Sinne und zum Wohle meines Volkes! Und wenn ich dabei gleichzeitig einer liebsten Freundin einen Gefallen tun kann..." Sie ließ den Rest des Satzes unausgesprochen.

"Sehr wohl, Majestät!" Lord Cooper deutete eine knappe Verbeugung an. "Zum Wohle Englands, wie es auch mein Schwur ist. Mein Leben dem Vaterland und Eurer Majestät. Alles muss so geschehen, wie Ihr es verlangt."

"Dann seid Ihr also bereit, das Bündnis einzugehen?"

"Was immer Ihr befielt, bin ich Euer zutiefst ergebener Diener."

Die Königin war plötzlich seltsam ruhig.

Er schaute überrascht auf.

Sie musterte sein Gesicht.

"Da ist etwas in Euch, das mir nicht gefällt, Lord Cooper. Ihr liebt die Prinzessin nicht. Es wäre bloß ein Opfer Eurerseits. Glaubt Ihr denn wirklich, das könnt ihr auf Dauer durchhalten? Ihr müsstet der Prinzessin etwas vormachen und sie darf es niemals merken. Ich betone: NIEMALS!"

"Es ist zum Wohle Englands, also wird mir nichts anderes übrig bleiben, als perfekt zu sein."

"Genau daran habe ich so meine Zweifel. Das hatte ich insgeheim sogar befürchtet. Wenn Ihr auch nur im Geringsten versagt, Lord Cooper, war alles umsonst. Das Gegenteil von dem wird eintreten, was wir beabsichtigen: Sie wird sich betrogen vorkommen und Euch genauso wie mich für alles hassen. Euer Leben wäre keinen Pfifferling mehr wert, wenn auch noch ihr Vater dahinter kommen würde, einmal ganz zu schweigen von den Nachteilen für England..."

Seine Gedanken jagten sich: Worauf wollte die Königin denn nun schon wieder hinaus?

Er hatte ehrlich Probleme, seine Gedanken in den Griff zu bekommen. Es war seine Liebe zu Jeannet, die klares Denken behinderte. Ihm ging im Grunde genommen alles dies hier gewaltig gegen den Strich und er wünschte sich, niemals mehr nach England zurückgekehrt zu sein. Wenn er doch bloß bei Jeannet geblieben wäre. Irgendwie hätte es gehen müssen. Jeannet und er... Er wusste perfekt mit dem Degen umzugehen. Er als Pirat an der Seite von Jeannet...

Dieser Gedanke kam ihm von Sekunde zu Sekunde begehrlicher vor.

Zum Wohle Englands? Nein, wenn er wirklich alles tat, was man von ihm verlangte... Die Königin hatte Recht: Das geringste Versagen würde das genaue Gegenteil bewirken. Und dafür sollte er ein solches Risiko eingehen? Mehr noch: Dafür sollte er seine einzige große Liebe für immer aufgeben und sogar verleugnen?

Auf einmal begannen seine Gedanken, sich in geordneteren Bahnen zu bewegen. Die Königin hatte doch mit ihren Worten offensichtlich auch noch etwas anderes angedeutet, oder irrte er sich?

Es käme auf den Versuch an...

Er schaute wieder hoch, mit ruhigem Blick dem ihrigen begegnend.

"Ihr wollt, dass ich mit Prinzessin Carla von Spanien an den Hof in Madrid zurückkehre. Ich soll mehr sein als nur ein Botschafter und Begleiter der Prinzessin. Ich soll König Philipp dazu bringen, Abstand von den Heiratsplänen zu nehmen, damit uns Prinzessin Carla als lebenswichtige Verbündete am Hofe des spanischen Königshauses erhalten bleibt. Wie ich das schaffe, bleibt mir überlassen. Selbst wenn ich dabei die große Liebe vorgaukeln und den König von Spanien überzeugen muss, der einzig wahre Ehemann für seine Tochter zu sein, den sie darüber hinaus auch noch inbrünstig liebt. Falls diese meine Rolle das letzte aller Mittel bleibt, um England vor der spanischen Armada auf lange Dauer zu schützen, darf ich niemals auch nur den geringsten Fehler mir erlauben, um nicht alles Positive schlagartig in das tödliche Gegenteil zu verkehren..."

Die Königin lächelte immer noch ihr wohlwollendes Lächeln, das sich allerdings vertieft hatte. Sie sagte nichts.

Lord Cooper nickte ehrerbietig und dachte dabei: Ein weiterer Auftrag, der mindestens so unerfüllbar ist wie der letzte. Ich habe einmal gesiegt, aber jetzt sieht es so aus, als würde es niemals mehr einen Sieg für mich geben können. Nein, er ist nicht ebenso unerfüllbar, dieser Auftrag, sondern viel schlimmer: Gar niemand wäre jemals in der Lage, eine solche Mission zum Erfolg zu führen!

Die einzige Chance, die er auf Dauer haben würde - und darüber hinaus sogar, ohne für immer auf eine Begegnung mit Jeannet verzichten zu müssen! -, wäre, Carla von ihrer Liebe zu ihm abzubringen und dennoch den König von Spanien dazu zu überreden, die Heirat abzusagen, deretwegen Carla bereits vom Hofe geflohen war...

Beinahe hätte er jetzt schallend gelacht, in einem Anflug von wahrem Galgenhumor: Waren es nicht stets die unmöglich anzunehmenden Herausforderungen gewesen, die ihn im Laufe seines Lebens am besten gelegen hatten? Bislang hatte er damit seine beispiellose Karriere begründet, doch es gab auch ein Sprichwort, das da lautete. "Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht!" Endete nun seine Karriere für immer? Oder war sogar eine Steigerung möglich? Ganz gewiss nicht das Letztere!

"Kümmert Euch jetzt um die Prinzessin, Lord Cooper. Es darf keine erkennbare Eile geben, die Rückkehr der Prinzessin nach Madrid betreffend - eben zumindest keine offizielle. Aber Ihr wisst selber, dass uns gewissermaßen die Zeit unter den Nägeln brennt. Prinzessin Carla muss möglichst von sich aus den unbändigen Wunsch verspüren, die Reise anzutreten - und Ihr werdet sie begleiten - mit einem neuen Geheimauftrag. Ihr dürft versichert sein, dass niemand neugieriger ist als ich, wie Ihr dies zu meistern gedenkt. Ich werde jede Minute in Eurem Sinne fiebern, glaubt mir. Und nun geht, Lord Cooper. Schafft die Grundlage dafür, dass England eines Tages aus der Bedeutungslosigkeit empor steigt zur neuen Weltmacht. Vielleicht werden wir beide es nicht mehr erleben, aber es liegt allein an Euch, den Weg dahin zu bereiten. - Viel Glück!"

Sie streckte die Rechte aus. Nicht, damit er sie ergriff, sondern dass er den höfischen Handkuss übte. Eine Geste ihrerseits, die ihm zeigte, wie sehr sie sich innerlich mit ihm und seinem für England überlebenswichtigen Auftrag verbunden fühlte.

Nun, schließlich vertraute sie ihm in der Tat die Zukunft Englands an.

Jeannet, deine Liebe muss mir die Kraft dafür geben, dies alles auch wirklich zu schaffen, denn wenn ich auch nur im Geringsten versage, wirst du mich niemals mehr lebend wiedersehen dürfen!

*



Prinzessin Carla von Spanien hatte erhebliche Schwierigkeiten, überhaupt erst einmal einzuschlafen. Sie lag trotz der bleiernen Müdigkeit in ihren Gliedern lange wach. All ihr Denken drehte sich um zweierlei: Erstens um Lord Donald Cooper und zweitens um Königin Elisabeth von England. Sie befürchtete, dass diese sie durchschaut hatte, was ihre Gefühle zu dem Lord betraf - und das erschien ihr überaus peinlich. Wenn Lord Cooper selber darauf eingegangen wäre... Das wäre etwas völlig anderes gewesen. So bestand zumindest die Wahrscheinlichkeit, dass die Königin ihn einfach so darauf ansprach: nicht auszudenken!

Beim Gedanken daran, schlug ihr Herz schier bis zum Halse und sie wollte sich einfach nicht mehr beruhigen.

Andererseits stand diesen eher bangen Gedanken die vage Hoffnung entgegen, ein Wort der Königin könnte Lord Cooper klar machen, dass er sich nicht mehr länger so sehr zurückzuhalten brauchte. Vielleicht war es sogar ausschlaggebend, damit sich alles viel früher zum Guten wendete als sie auch nur zu hoffen gewagt hätte?

Ach, wäre es nur schon so weit. Ach, würde er ihr doch endlich seine Liebe offenbaren...

Sie wusste genau, wie sie darauf reagieren würde - zumindest hoffte sie, es zu wissen: Sie würde ihn anlächeln, wie sie noch niemals zuvor jemanden angelächelt hatte. Sie würde ihm tief in die Augen schauen, aber natürlich ihre eigene Liebe zu ihm zunächst nicht gestehen. Alles andere wäre ihr sehr unschicklich vorgekommen. Sie war schließlich die Prinzessin von Spanien und musste in solchen Dingen vor allem Zurückhaltung üben. Aber sie würde ihm ein deutliches Signal setzen - eben mit ihrem alles offenbarenden Lächeln. Dann würde sie ihm zunicken und ihm mit fester Stimme zusichern, seine Offenbarung sei eine besondere Ehre für sie - so wie es eine besondere Ehre für jede Frau gewesen wäre. Ja, vielleicht würde sie die leise Andeutung wagen: "Ihr seid ein sehr attraktiver Mann, Lord Cooper, der sehr wohl das Herz einer Frau zu rühren vermag. Auch das einer Prinzessin. Doch was jene betrifft, so braucht es sicher genügend Zeit, um dergestalt Gefühle zuzulassen!"

Ach, ja, wäre es nur schon soweit!

Sie hoffte so sehr, in diesem ihr ganzes weiteres Leben entscheidenden Augenblick das einzig Richtige zu tun. Oder war das alles etwa völlig falsch, was sie sich jetzt schon zurecht legte?

Sie zweifelte auf einmal wieder - und so war es kein Wunder, dass sie so lange wach im Bett lag und einfach keinen Schlaf finden wollte.

Als der Schlaf dann trotzdem kam, weil sie total übermüdet war, brachte er wilde Träume mit, mit ständig wechselnden Szenen. Einmal fand sie sich in den zärtlichen Armen Lord Coopers und fühlte sich dabei unendlich glücklich und geborgen, ein anderes Mal jedoch überraschte sie ihr Vater und ließ ein schlimmes Donnerwetter los. Er prügelte sogar auf Lord Cooper ein und jagte ihn davon.

Und dann sah sich Carla selbst vor dem Traualtar. Neben ihr stand ein schuppiges Monstrum, das sie mit fauligem Atem angeiferte...

Sie erwachte schlagartig und fand sich schweißgebadet im Bett. Es dauerte eine Weile, um sich zurecht zu finden und zu begreifen, dass alles nur ein Traum gewesen war. Ihr war klar, dass sie sehr viel mehr geträumt hatte, aber sie konnte sich bei aller Mühe nur noch an diese Szenen erinnern.

Ach, Lord Cooper - MEIN Lord -, wäre es nur schon so weit...

Natürlich nicht die Szene mit dem Monstrum vor dem Traualtar, sondern die zärtliche Umarmung des Lords.

Da fiel ihr etwas ein und sie wunderte sich zugleich, wieso ihr das nicht schon vorher eingefallen war: Wenn Lord Cooper sie genauso liebte wie sie ihn... Was war dann mit ihrer Heirat, wie ihr Vater sie haben wollte? Ja, sie hatte diesen Gedanken ein paarmal gestreift, aber damit richtig beschäftigt hatte sie sich bislang nicht. Es war war ja sozusagen ein doppeltes Problem: Sie musste ihrem Vater klar machen, dass die geplante Heirat entfallen musste - und dass es einen neuen Kandidaten gab, nämlich Lord Cooper. Zuvor allerdings musste alles im Vorfeld entschieden sein und sie musste zumindest so lange hier in London verweilen. Doch selbst wenn dann endlich alles im Vorfeld bereinigt war mit dem Lord, konnte sie es nicht wagen, sofort nach Madrid zurückzukehren, ehe sie noch sicher sein konnte, ihr Vater könnte sich eines Besseren belehren lassen.

Ach, wäre dies alles nur schon so weit...

Seufzend öffnete sie die Augen und schaute in Richtung Fenster. Oh, es war ja schon taghell. Wie viel Uhr war es denn überhaupt?

Sie warf die leichte Decke beiseite und sprang aus dem Bett. Es gelang ihr erstaunlich leichtfüßig, zur Tür zu eilen und sie aufzureißen. Erwartungsgemäß stand einer aus der Palastwache davor.

"Wie spät?", fragte Carla knapp.

Er zeigte zuerst seine gelungenste Verbeugung, ehe er antwortete: "Die Mittagszeit ist bereits überschritten, Prinzessin!"

"Wie bitte?", entfuhr es ihr. Sie knallte die Tür vor seiner Nase wieder zu.

Kurz verhielt sie grübelnd, doch dann riss sie die Tür wieder auf: "Benachrichtige Er die Zofen!"

"Sehr wohl, Prinzessin!", versprach er, bevor sie die Tür wieder vor seiner Nase zu knallte.

Sie atmete tief durch und ging zum Fenster. Wieso hatte sie niemand geweckt? Die Königin hatte sie offensichtlich ins Herz geschlossen. Das war am Vorabend klar geworden. Hatte sie einfach nur Rücksicht nehmen wollen? Sie wusste ja, dass die Prinzessin Schlimmes durchgemacht hatte. Da sollte wohl die Ruhe wieder neue Kräfte in ihr wecken.

Leider hatte sie nicht wirklich sich ausgeschlafen. Sie war immer noch müde, jedoch viel zu aufgeregt, um auch nur eine Minute länger im Bett bleiben zu können. Außerdem war sie hier Gast im Palast und wollte nicht gleich am ersten Tag schon damit auffallen, dass sie ihre Zeit am liebsten im Bett verbrachte.

Kaum ausgedacht, pochte es zaghaft an die Tür.

"Herein!", bat die Prinzessin.

Die Zofen kamen, wie gewünscht. Sie näherten sich ihr mit vielen Verbeugungen, bis Carla ihre Wünsche äußerte: "Ich wünsche, für eine Audienz bei der Königin zurecht gemacht zu werden! Außerdem wünsche ich zu frühstücken."

Frühstück? Um diese Zeit? Hatte sie denn überhaupt genügend Appetit nach einer solchen Nacht des Wachens, des Bangens und der wilden Träume?

Ach, egal! Hoffentlich hatte die Königin genügend Zeit für sie übrig. Schließlich hatte sie England zu regieren und konnte es sich nicht leisten, ihre Zeit allein mit der Prinzessin von Spanien zu verschwenden.

Solcherart dachte sie und die geübten Zofen begannen auch schon mit ihrer Arbeit. Jeder einzelne Handgriff saß. Besser hätten es die Zofen am Hofe ihres Vaters auch nicht fertig gebracht.

Als es um die Wahl der Kleidung ging, hielten sie kurz inne, um das Urteil und vor allem eventuelle spezielle Wünsche der Prinzessin zu erfahren, aber diese hatte ausnahmsweise wenig Sinn für Kleidung in ihrer Lage. Ja, ausnahmsweise: Sie dachte viel lieber über Lord Cooper nach und über eine eventuelle gemeinsame Zukunft mit diesem.

Die Zeit verging quälend langsam und nach einem eher bescheidenen Mahl, trotz des reich gedeckten Tisches, das sie mit wenig Appetit und ziemlich lustlos zu sich genommen hatte, war Carla von Spanien bereit für die Audienz bei der Königin. Allein: War diese überhaupt schon bereit für sie?

Carla schickte eine Zofe aus, um dies zu ergründen. Doch kaum war die Zofe draußen, als sie sogleich zurückkehrte. Sie tat einen artigen Knicks und sagte: "Ich bitte untertänig um Vergebung, Prinzessin, aber Lord Donald Cooper hat mich draußen abgefangen und wünscht Euch zu sprechen."

Carla fuhr erschrocken zusammen. Der Lord? Er kam von sich aus zu ihr?

Ihr Herz pochte auf einmal wie wild. Wie sollte sie das denn verkraften, wenn er so unerwartet hier auftauchte? Soeben hatte sie noch vor gehabt, von der Königin empfangen zu werden - und nun dieses? Sollte sie einfach sagen, sie wäre nicht bereit, jemanden zu empfangen? Dann war das alles nicht so aufregend. Andererseits: Der Lord... Sie sehnte sich doch so nach seiner Nähe und jetzt, wo diese Sehnsucht sich erfüllen sollte, verkroch sie sich in den ihr zugewiesenen Gemächern und blieb lieber einsam?

Nein!, beschloss sie trotzig und laut verkündete sie: "Er möge eintreten!"

"Sehr wohl, Prinzessin!" Ein weiterer Hofknicks der Zofe. Sie verschwand nach draußen. Nur für zwei Sekunden, dann trat vor ihr Lord Donald Cooper ein.

Er lächelte freundlich, aber betont neutral und deutete eine Verbeugung an.

"Ich wünsche, wohlgeruht zu haben, Prinzessin!"

"Und Ihr?"

"Zu meinem Bedauern muss ich zugeben, dass ich noch nicht so lange auf den Beinen bin. Ich kam zu Euch in der Hoffnung, Euch nicht in Eurer wohlverdienten Ruhe zu stören."

"Ich denke, wir haben es uns beide verdient, länger zu schlafen als üblich", sagte sie warm und zwang sich ihrerseits zu einem Lächeln. Wieso wollte ihr das nicht so recht gelingen? "Aber was führt Euch eigentlich zu mir?"

"Hatte ich Euch nicht versprochen, nach unserer Ankunft in der Residenz endlich mehr Zeit für Euch zu haben?"

"Warum solltet Ihr?" Herrjeh, was redete sie denn da? Was war denn das für ein Unsinn? Wieso konnte sie nicht einfach etwas anderes sagen? Wenn das so weiter ging, verfing sie sich immer mehr in sinnlose Banalitäten und vertrieb ihn damit nachhaltig...

"War es denn nicht so abgesprochen, Prinzessin? Mit Verlaub, aber Ihr wolltet mich als Euer persönlicher Lehrer und ich habe es genauso Ihrer Majestät, der Königin von England, erklärt. Ihre Majestät war durchaus einverstanden. Soll heißen, sie hat mich bis auf Weiteres Euch zur Verfügung gestellt. Sofern Ihr es überhaupt noch wünscht selbstverständlich!" Er schaute sie erwartungsvoll an.

"Aber natürlich, ja, ich erinnere mich!" Carla, Carla, nimm dich gefälligst zusammen!, ermahnte sie sich selber im Stillen.

"Wie ich sehe, seid Ihr fertig...?"

"Ich wollte um Audienz bei der Königin bitten. Dafür habe ich die Zofe los geschickt."

"Ach, ja, aber zu meinem Bedauern muss ich Euch mitteilen, dass die Königin in dringenden Staatsgeschäften steckt."

"Das soll heißen, sie hat keine Zeit für mich?"

"Ja, sie bedauert es unendlich, aber sie ist die Königin von England, Ihr versteht?"

"Selbstverständlich verstehe ich! Aber es ist auch ohne Belang. Ich war gestern bei ihr und sie hat mich als Gast herzlich willkommen geheißen. Ich soll bis auf Weiteres ihr Gast bleiben."

"Dann ist es ja gerade so, wie wir es erhofft haben!"

"Wir?", echote sie gegen ihren Willen.

"Ja, auch ich wünsche Euch natürlich das Beste. Ihr sollt es es Euch wohlergehen lassen. Der englische Hof soll der Eure werden, so lange Ihr es wünscht."

"Aber meinem Vater, König Philipp II., wird dies nicht gefallen!", bedauerte sie und verzog dabei das Gesicht ein wenig zur Leidensmiene.

"Nun, vielleicht findet sich ja eine Lösung, mit der alle Beteiligten zufrieden sein können?"

"Alle Beteiligten?"

"Ich denke selbstredend in erster Linie an Euch, aber auch an mich selber, wenn Ihr erlaubt: Ich könnte mir keinen schöneren Auftrag vorstellen, als Euch zu dienen. Andererseits denke ich allerdings auch an Euren Vater, der sicher von großen Sorgen um Euer Wohlergehen geplagt wird. Wenn er nun wüsste, dass es Euch gut geht..."

"...würde er sogleich auf meine Rückkehr an den spanischen Hof bestehen, um die geplante Hochzeit durchzusetzen!", ergänzte Carla bitter. "Hatten wir das nicht schon einmal?"

"Ich sagte ja: alle Beteiligten, mit Verlaub, Prinzessin. Also sollte am Ende auch Euer Vater zufrieden sein. Es müsste uns halt gelingen, ihn davon zu überzeugen, dass die geplante Hochzeit ein Fehler wäre."

"Wie sollte das überhaupt jemals jemand schaffen? Habt Ihr auch nur die leiseste Ahnung, wie stur mein Vater sein kann?"

"Er ist der mächtigste Herrscher auf Erden, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Somit ist er gewohnt, seine Wünsche durchzusetzen. Ich würde das - bei allem nötigen Respekt Euch gegenüber - nicht als Sturheit bezeichnen. Aber auch der mächtigste König hat seine Berater, auf die er zuweilen hört. Kein Entschluss kann so unverrückbar sein, dass man ihn nicht aufheben könnte, sobald sich neue Erkenntnisse durchzusetzen vermögen."

"Neue Erkenntnisse?", fragte Carala alarmiert. Was meinte er damit? Gott, kam jetzt der Augenblick, der ihr Denken so sehr bestimmte? Offenbarte er sich ihr jetzt endlich - und so plötzlich und unerwartet, dass sie merkte, wie all ihre entsprechenden Vorsätze wie weggeblasen waren? Sie konnte sich nicht mehr auch nur an ein einziges Wort erinnern, das sie bei dieser Gelegenheit hatte sagen wollen.

Er antwortete auf ihre Frage mit einer Gegenfrage: "Darf ich näher treten, Prinzessin Carla von Spanien?"

"Ich bitte darum!" Sie hörte ihre eigenen Worte und konnte es gar nicht glauben, dass sie tatsächlich ganz von allein über ihre Lippen gekommen waren.

Heftig winkte sie den immer noch abwartend dabei stehenden Zofen zu, sie möchten sofort verschwinden.

Während er gemessenen Schrittes näher kam, um sich vor ihr noch einmal zu verbeugen, liefen die Zofen stumm hinaus. Nicht ohne sich unterwegs immer wieder in ihre Richtung zu verbeugen.

Die Prinzessin bot Lord Cooper ihre Hand an. Eine ganz automatisch erfolgende Geste. Er deutete den höfischen Handkuss an und wurde sodann auf eine der Sitzgelegenheiten gebeten, auf die er sich sehr zögernd nieder ließ.

"Also, was habt Ihr mir Neues zu berichten - oder habe ich da etwas missverstanden?", fragte Prinzessin Carla und wunderte sich schon wieder über ihre eigenen Worte. Als würde sie neben sich selber stehen und erstaunt dabei zusehen, wie sie diese Situation meisterte - trotz der immensen Aufregung, die ihr Inneres beherrschte. War es das Ergebnis vom jahrelangen Einüben der höfischen Verstellung, gegen das sie sich zwar stets gewehrt hatte, was aber trotzdem solche Auswirkungen zeitigte? Oder wie schaffte sie es sonst, diese für sie selber sogar schier unglaubliche Beherrschtheit an den Tag zu legen?

Lord Cooper lächelte unverbindlich.

"Auch ich hatte eine Audienz bei Ihrer Majestät, der Königin von England. Ich darf sagen, sie ist Euch sehr zugetan und möchte alles zu Eurem Wohle beitragen. Sie versteht voll und ganz Eure Situation."

"Aber, das weiß ich doch bereits, Lord Cooper. Das sind für mich keine neuen Erkenntnisse!"

Er blinzelte ob dieser Quasi-Maßregelung überrascht, hatte sich aber sofort wieder im Griff.

"Ich bitte um Vergebung, Prinzessin, zu Eurem Wohle gehört natürlich auch, dass es zu einer Versöhnung kommen sollte mit Eurem Vater. Er liebt Euch, wie auch Ihr ihn liebt. Also muss es doch möglich sein, eine Lösung zu finden, die eben allen Beteiligten dient, Eurem Vater einschließlich und somit natürlich auch einem besten Verhältnis zwischen Euch und Eurem Vater."

"Ja, Ihr habt in der Tat Recht, Lord Cooper, das wäre schön. Es ist ja nicht so, dass ich meinen Vater hasse. Ich bin trotzdem vom Hofe geflohen. Selbst der Tod erschien mir eine bessere Alternative zu sein zu der bevorstehenden Hochzeit."

"Wir dürfen auch den als künftigen Ehemann Geplanten nicht vergessen, Prinzessin. Er kennt Euch genauso wenig wie Ihr ihn. Wer sagt denn, dass er seinerseits glücklich ist über die bevorstehende Hochzeit?"

Sie zog leicht ihre hübsche Stirn kraus. Ja, daran hatte sie keine Sekunde lang gedacht bisher. Geradezu beschämend: Sie hatte nur an sich selber gedacht, um genauer zu sein. Dabei hatte der Lord sicher auch in diesem Punkt Recht: Für ihren zukünftigen Ehegatten war die Hochzeit mit einer Wildfremden möglicherweise genauso schlimm wie für sie?

Das Beste für alle Beteiligten, also auch für ihn?

Sie schüttelte unwillkürlich den Kopf.

"Ich bin Euch sehr dankbar, dass Ihr alles tut, um mich aufzumuntern, Lord Cooper, aber ich kann Euch versichern, es gibt nicht die geringste Chance, dahingehend etwas zu bewirken. Mein Vater wird das nie und nimmer einsehen wollen."

"Es sei denn, es würde sich eine überraschende Alternative ergeben, Prinzessin, nicht wahr?"

"Eine... Alternative?"

"Nun, ich nehme doch an, die Hochzeit wurde von Eurem Herrn Vater nicht nur aus persönlichen Gründen geplant, sondern auch aus politischen. Es geht sicher darum, das Bündnis mit einem befreundeten Land mit der Verheiratung seiner Tochter zu besiegeln. Aber vielleicht gibt es Länder, die Spanien näher liegen und mindestens für Spanien genauso wichtig wären, wenn nicht sogar wichtiger?"

"Ich verstehe nicht, worauf Ihr hinaus wollt, Lord Cooper!", behauptete Carla, obwohl es in ihrem Innern schrie: Tatsächlich, jetzt kommt sie: Seine Offenbarung! Er schlägt sich selber vor als Alternative zu meinem zukünftigen Ehemann, wie mein Vater ihn sich wünscht!

"Es ist erst einmal rein hypothetisch gemeint, Prinzessin. Bitte vergebt mir meine Anmaßung, aber es ist wirklich nur als Beispiel gedacht, glaubt mir. Ihr dürft dem nicht allzu große Bedeutung beimessen..."

"Was wollt Ihr denn sagen? Heraus mit der Sprache!" Das klang heftiger als geplant, doch die Prinzessin konnte jetzt nicht mehr anders.

Lord Cooper hingegen lächelte still. In seinen Augen war nicht zu lesen. Jetzt zeigte er, was er als Diplomat zu vollbringen in der Lage war. Nicht nur, wenn es um große Politik ging, sondern auch... im mehr als gewagten Dialog mit der Prinzessin.

Er wusste ja jetzt, wie diese zu ihm stand - und sie hatte keine Ahnung von dem wahren Inhalt des Gespräches zwischen ihm und der Königin. Er hingegen hatte sich alles ganz genau überlegt, obwohl nur sehr wenig Zeit dafür geblieben war und jetzt ließ er es endlich laut werden:

"Rein hypothetisch den Fall gesetzt, die Königin würde mich selbst als künftigen Ehemann vorschlagen..."

"Euch selbst?", rief die Prinzessin entsetzt aus. Ja, es klang entsetzt, denn sie sah sich in diesem Moment regelrecht demaskiert und sie war fest überzeugt davon: Die Königin hatte ausgeplaudert, was sie ihr als Frau deutlich angesehen hatte! Am liebsten wäre sie nun im Erdboden versunken, aber nichts dergleichen geschah. Der ruhige Blick des Lords war dabei auch noch unverwandt auf sie gerichtet - gnadenlos, wie die Prinzessin es empfand.

"Ich bitte noch einmal um Vergebung, Prinzessin. Es war wirklich nur als Beispiel gedacht und sollte keineswegs anmaßend klingen. Ich bin ja nur ein treuer Diener Ihrer Majestät, der Königin von England und alles andere als ein echter Prinz. Genau das wollte ich ursprünglich zum Ausdruck bringen, Prinzessin - beispielhaft natürlich nur. Es gibt nämlich leider keinen englischen Prinzen, den Ihre Majestät Eurem Herrn Vater als eine Art Alternative vorschlagen könnte. Würde sie hingegen auf den Gedanken kommen, jemanden vorzuschlagen, der dafür so ungeeignet wäre wie ich, wäre es doch kaum möglich, Euren Herrn Vater von seinem Entschluss abzubringen, nicht wahr? Ja, Prinzessin, genau dieses wollte ich zum Ausdruck bringen. Ich hoffe sehr, dass ich mit diesem wohl etwas unglücklich gewählten Beispiel Euch nicht zu nahe getreten bin. Ich wäre andererseits untröstlich darüber und würde Euch bitten, vorzuschlagen, womit ich diesen Fauxpas wieder gut machen könnte..."

Es war eine ziemlich umständliche Rede gewesen, aber diese hätte um kein einziges Wort kürzer oder gar deutlicher sein dürfen, denn die Prinzessin hatte diese Zeit benötigt, um innerlich wieder ausgeglichener zu werden. Als sie erst einmal zu erkennen glaubte, es handele sich wirklich nur um ein Beispiel, das der Lord unglücklicherweise gewählt hatte, ging es ihr sogleich wieder besser. Aber dann fragte sie sich: War es wirklich nur ein unglücklicher Zufall? Hat er in Wahrheit zu diesem Trick gegriffen, um mir indirekt klar zu machen, dass er sein Liebe zu mir nicht offenbaren durfte, weil es nicht gut gewesen wäre für uns beide? Weil es letztlich sowieso keine Chance für unsere Liebe geben durfte?

Zugleich machte sich in ihre große Traurigkeit breit. Am liebsten hätte sie ihn jetzt davon gejagt, weil er Schuld war an dieser Traurigkeit. Er hatte sie mit seinen Worten erzeugt, obwohl oder gerade weil diese der Wahrheit entsprachen.

Doch dann kam ihr eine Idee, beinahe wie ein Blitz. Sie konnte auf einmal sogar lachen.

"Verzeiht dieses Lachen, Lord Cooper. Damit wollte ich Euch keineswegs auslachen ob Eures Beispiels, aber ich musste unwillkürlich daran denken, dass es nicht wirklich eines Prinzen bedürfte, um meinen Vater umzustimmen - falls dieser überhaupt umgestimmt werden könnte."

"Wie meint Ihr das, Prinzessin, wenn Ihr diese Frage erlaubt?" Er betrachtete sie sichtlich irritiert.

"Nun, bleiben wir doch bei diesem Beispiel - wirklich nur als Beispiel, selbstverständlich: Ihre Majestät, die Königin von England, müsste Euch in einem solchen Fall nur entsprechend als möglichen Thronfolger bestimmen!"

"Bitte - was?" Beinahe hätte er die Hand vor den Mund geschlagen, aber er konnte sich gerade noch beherrschen. "Verzeiht, wenn ich das so ausspreche, aber wie meint Ihr das?"

"Ich bin eine Prinzessin von Spanien - irgendeine, Lord Cooper. Das heißt, es gibt mehrere. Das heißt aber auch, dass ich zwar potentielle Thronfolgerin bin, aber trotzdem eines niemals werden kann: Nämlich Königin von Spanien. Ganz einfach, weil ich nicht gleich an der Reihe bin. Es gibt zu viele, die vor mir in Frage kommen."

"Verzeiht noch einmal, Prinzessin, aber ich verstehe jetzt wirklich nicht ganz..."

Es war eine glatte Lüge, denn der Lord wusste sehr wohl, was die Prinzessin zum Ausdruck bringen wollte. Mehr noch: Er hatte seinen Vortrag nur aus diesem Grunde dar gebracht, damit die Prinzessin von selbst auf diese Möglichkeit kam. Mit anderen Worten auch: Es gehörte zu seinem Plan!

Die Prinzessin redete sich geradezu in Begeisterung, ohne dass ihr das bewusst wurde: "Dabei ist es völlig einfach: Ihre Majestät, die Königin von England, ist unverheiratet. Sie ist die jungfräuliche Majestät, über die und ihre unverbrüchliche Haltung an den meisten Höfen Europas voller Bewunderung und Hochachtung gesprochen wird. Meint ihr, ich wüsste das nicht als Prinzessin von Spanien? Aber da es unter solchen Umständen niemals einen Prinzen oder eine Prinzessin von England geben kann, steht es Ihrer Majestät frei, jemanden ihres Vertrauens zum möglichen Thronfolger zu bestimmen. Das ist doch logisch, oder, Lord Cooper?"

Er tat überrascht und immer noch ein wenig skeptisch: "Und Ihr meint, falls sie das mit mir tun würde - nur so als Beispiel selbstverständlich! -, wäre es genauso, als würde Ihre Majestät Eurem Vater einen wahren Prinzen von England vorschlagen. Obwohl es diesen bedauerlicher Weise nicht gibt - wohl niemals geben wird?"

Sie nickte heftig.

"Jetzt habt Ihr es erfasst, Lord Cooper - endlich: So einfach ist das im Grunde genommen."

"Und Ihr meint dabei, dass England Eurem Vater sicherlich wichtiger wäre, als das Land Eures unfreiwilligen Bräutigams?"

"Gibt es daran denn den geringsten Zweifel?"

"Bloß schade, dass es nur ein Beispiel ist - mit Verlaub, Prinzessin!"

"Wie bitte? Soll das etwa heißen, Ihr meint das in Wirklichkeit ernst und sieht es nicht nur als Beispiel, Ihr Unverschämter?", funkelte sie ihn an.

Er fuhr erschrocken zurück.

"Oh, verzeiht, mir ist das nur so entschlüpft. Ihr dürft das wirklich nicht falsch verstehen. Ich bin nun einmal nicht als möglicher Thronfolger bestellt und sicherlich der Letzte, der... nun, wie soll ich es ausdrücken...?"

"...der als mein Ehemann in Frage käme?", half sie ihm auf die Sprünge.

Er schlug die Augen nieder und wagte es nicht mehr, sie anzusehen.

"Ich bitte inbrünstig um Vergebung, Prinzessin, aber ich denke, das Gespräch hat eine ziemlich peinliche Wendung erfahren. Dabei sollte ich Euch doch die perfekte höfische Verstellung beibringen. Nun sieht es ja geradewegs so aus, als müsste ich selber mich erst einmal ordentlich darin üben, um künftig solche oder ähnliche Peinlichkeiten zu vermeiden."

Sie lachte ein helles, mädchenhaftes Lachen.

"Nun beruhigt Euch erst mal wieder, Lord Cooper. Ich darf Euch versichern, dass es sicherlich eine Ehre für mich wäre, würdet Ihr in mir nicht nur die Prinzessin von Spanien sehen, sondern eine Frau, die Euer Herz so sehr berührt wie es in unserem kleinen, rein hypothetischen Beispiel gewissermaßen Bedingung wäre."

"M-meint Ihr, Prinzessin?", erkundigte er sich unsicher und wagte es immer noch nicht, wieder zu ihr aufzusehen.

"Nun, es ist doch wohl klar, dass ich niemals und unter keinen Umständen einen Mann zu heiraten gedenke, den ich nicht liebe und von dem ich nicht ebenfalls geliebt werde! Sonst hätte ich niemals all diese Strapazen auf mich genommen und wäre unter Einsatz meines Lebens vom Hofe meines Vaters geflohen. Die Heirat mit einem anderen Mann, den ich nicht liebe, wäre keinerlei Alternative zu demjenigen, den mein Vater als Ehemann auserkoren hat, sondern ganz im Gegenteil, es wäre vergleichbar mit 'vom Regen in die Traufe geraten'. Sagt man nicht so dazu?"

Er lächelte auf einmal befreit und hob den Kopf.

"Ja, gewiss, Prinzessin, so nennt man es. Wenn Ihr mich nicht lieben könnt und umgekehrt ich Euch auch nicht, wäre ein solcher Vorschlag von Ihrer Majestät, der Königin von England, geradezu sinnlos. Andererseits zeigt uns dieses Beispiel, dass es trotz allem eine Alternative gibt. Vielleicht noch keinen Kandidaten, über den Ihr Euch im Klaren sein könnt, aber wenn es gelänge, Eurem Vater klar zu machen, dass das Warten auf einen geeigneteren Mann zu bevorzugen sei..."

Den gibt es doch schon, du Dummerchen!, dachte Carla verliebt und betrachtete ihn. Dabei hoffte sie, dass er es ihr nicht allzu deutlich ansehen konnte.

Sie forschte in seinem Blick. Darin war kein Erkennen zu bemerken. Aber falls es wirklich noch eines Beweises bedurft hätte: Dass er ausgerechnet sich selber in seinem angeblichen Beispiel erwähnt hatte, zeigte deutlicher als alles zuvor, was er wirklich für sie empfand und das machte sie auf einmal überglücklich.

Sie war eine junge Prinzessin. Sie hatte noch sehr viel Zeit und zunächst einmal galt es, ihrem Vater zu beweisen, die Korrektur seiner Entscheidung sei besser. Wenn dies erst einmal gelungen war, gab es immer noch genügend Gelegenheit für den Lord, ihr näher zu kommen, ohne die Grenzen der Schicklichkeit zu berühren.

Ach, es ist eigentlich längst soweit!, jubelten ihre Gedanken. Wir wissen jetzt beide voneinander, dass wir uns aus ganzem Herzen lieben. Doch die Konventionen verbieten es uns, es jetzt schon zu offenbaren. Wir müssen uns beherrschen. Unsere Liebe muss vorerst heimlich bleiben - so heimlich sogar, dass wir es noch nicht einmal voneinander offen wissen dürfen. Aber ist die Vorfreude auf etwas so unbeschreiblich Schönes wie die wahre, große Liebe nicht das Allerschönste überhaupt? Wir werden an uns denken, gegenseitig. Egal, wieviel Entfernung auch zwischen uns sein wird: Wir werden beide voneinander wissen, dass wir für immer einander gehören. Selbst wenn es Jahre dauern sollte, bis wir uns endlich in die Arme fallen dürfen, Lord Cooper: Wir beide werden lernen müssen, Geduld zu üben und uns währenddessen ganz unseren Gefühlen hingeben. Die große, reine Liebe, ohne Berührung, noch nicht einmal mit einem verstohlenen Blick offenbart... Aber groß und tief und unendlich - lange vor ihrer Erfüllung... Hat es jemals eine Prinzessin gegeben, die glücklicher sein durfte?

Der Lord hingegen dachte: Das Wichtigste ist gesagt - zumindest betreffend die Prinzessin. Es ist die erste und zugleich die leichteste Hürde, die zu nehmen war. Ach, Jeannet, ich danke dir so sehr. Hätte ich nicht deine Liebe gefunden, wäre es mir unmöglich gewesen, soviel Kraft zu schöpfen wie es nötig war, die Prinzessin dergestalt dazu zu bringen, vorerst auf mich zu verzichten. Weitaus schwieriger wird es werden, ihr irgendwann klar zu machen, dass wir niemals ein Ehepaar werden können, weil ich sie nicht wirklich liebe - ohne ihr auch nur im Geringsten weh zu tun. Aber vielleicht befürchte ich zu Unrecht, dass dies schwierig werden würde? Vielleicht ist die Zeit, die inzwischen vergehen wird, meine wichtigste Verbündete? Wir wissen doch beide, dass man in der Jugend sich viel leichter verliebt, aber auch genauso leicht wieder vergisst...

Er lächelte unverbindlich - und Carla erwiderte in ihrer Ahnungslosigkeit dieses Lächeln auf die gleiche Weise. Sie waren sich im Grunde genommen vollkommen einig - jeder auf seine Art allerdings.

Lord Cooper nahm als erster wieder das Gespräch auf, ehe die Pause zu lang wurde: "Nun gilt es nur noch, Euren Vater zu überzeugen und ich denke mal, Ihre Majestät, die Königin, ist völlig auf unserer Seite."

"Das denke ich auch, aber ich hoffe, es nutzt wirklich etwas!", zeigte Carla dennoch ihre Bedenken.

"Ihre Majestät ist durchaus der Meinung, diese schier unmöglich erscheinende Aufgabe könnte niemand anderes als ich selber lösen."

"Wirklich? Aber ich bitte Euch, Lord Cooper, wie sollte es Euch denn gelingen? - Wollt Ihr damit etwa behaupten, allein nach Madrid an den Hof meines Vaters gehen zu wollen?"

"Ich sehe leider keine andere Möglichkeit. Ich muss persönlich bei Eurem Vater um Audienz bitten."

"Und ihm gleich erzählen, dass ich mich hier, am Hofe Englands, befinde?", rief sie alarmiert.

"Nein, natürlich nicht, Prinzessin Carla, zumindest nicht so offen."

"Was soll das denn nun wieder heißen?"

"Es wäre sicher nichts gewonnen, wenn ich einfach so vor Euren Vater hintreten würde, um ihm mitzuteilen: 'Ach ja, ehe ich es vergesse, Majestät, aber da wäre noch die Kleinigkeit, dass es Eurer Tochter Carla recht gut geht inzwischen. Ich muss es wissen, denn ich habe sie persönlich bei Ihrer Majestät, der Königin von England, abgeliefert!' Da werde ich Wohl oder Übel ein wenig diplomatischer vorgehen müssen."

Sie lachte unwillkürlich.

"Das war doch wieder einer Eurer unnachahmlichen Scherze, Lord Cooper!" Carla drohte scherzhaft mit dem Zeigefinger. "Beinahe wäre ich darauf hereingefallen. Wenn Ihr so wirklich vorgehen wolltet, könnte ich ja gleich schon mit Euch reisen."

Er lachte jetzt ebenfalls.

"Da habt Ihr mich aber wirklich durchschaut, Prinzessin. Ich wollte Euch einfach einmal aufmuntern, damit es Eure Laune bessert und Ihr seht, dass nicht alles verloren ist. Es wird sich eine Lösung finden müssen."

"Ja, da habt Ihr sicherlich Recht. Aber es wäre keine Lösung, wenn Ihr allein nach Madrid reisen würdet, glaubt mir. Das sehe ich jetzt in aller Deutlichkeit. Da könntet Ihr einen Vorwand benutzen, wie Ihr wollt: Sobald auch nur im Entferntesten das Gespräch auf mich kommen würde, wäre mein Vater sozusagen sofort in Alarmbereitschaft. Keine Argumente der Welt könnten es schaffen, zu ihm durchzudringen. Wenn er wirklich so in Sorge ist, mich betreffend, würde er Euch eher vierteilen lassen, als Euren Worten Gehör zu schenken."

"Das glaubt Ihr?"

"Ich kenne ihn besser als Ihr, gewiss! Er würde Euch schrecklich dafür bestrafen, dass Ihr mich sozusagen vor ihm versteckt habt. Wenn Ihr mich jetzt auf direktem Wege zu ihm gebracht hättet... Aber erst mich nach London bringen, um danach mit leeren Händen vor ihn zu treten, wie ein gemeiner Entführer, der zur Lösegeldforderung erscheint... Das würde ihn schon sehr gegen Euch aufbringen - und gegen England. Bei allem Respekt vor Eurem diplomatischen Können: Dieses Risiko dürft Ihr nie und nimmer auf Euch nehmen!"

"Aber jemand muss es doch irgendwann Eurem Vater klar machen und dabei alles tun, damit er seine Meinung bezüglich Euch und der bevorstehenden Heirat ändert!", gab er zu bedenken.

"Dafür wäre in der Tat niemand mehr geeignet als Ihr!"

"Ich hatte auch gar nicht vor, es ihm so einfach mitzuteilen. Erst einmal wollte ich von ihm erfahren, wie er denn inzwischen zu seinem Entschluss steht."

"Ihr meint, weil ich vom Hofe geflohen bin, würde es bereits ausreichen, ihn umzustimmen? Da muss ich Euch enttäuschen, Lord Cooper: Auch in dieser Beziehung kennt Ihr meinen Vater schlecht."

Er senkte traurig seinen Kopf und hob in einer hilflos anmutenden Geste die Schultern.

"Dann weiß ich leider auch keinen Rat mehr, Prinzessin und ich bin untröstlich deswegen!"

"Das braucht Ihr gar nicht, Lord Cooper", behauptete sie warm. "Seid Ihr nicht gekommen, um mich aufzumuntern und gemeinsam mit mir zu überlegen, was das Beste für alle Beteiligten wäre? Und was habe ich bislang dazu beigetragen? Nicht viel. Um nicht zu sagen: Beinahe gar nichts! Dabei habe ich vielleicht eine Idee, wie Ihr es dennoch schaffen könntet?"

"Bei allem Respekt, Prinzessin, aber da macht Ihr mich neugierig!" Er musterte sie zurückhaltend neugierig.

"Es gibt kein Erfolgsrezept und letztlich bleibt es Eurem diplomatischen Können überlassen, ob wirklich alles so kommt, dass jeder am Ende zufrieden sein darf - einschließlich die Völker Spaniens und Englands."

"Sagt mir, wie Ihr es Euch denkt, Prinzessin und ich werde Euch versprechen, alles zu tun, was in meiner Macht steht, um es zum Gelingen zu bringen. Dabei könnt Ihr zusätzlich versichert sein, dass Ihre Majestät, die Königin von England, auf unserer Seite sein wird und gleichermaßen alles in ihrer Macht Stehende tun wird."

Sie lächelte flüchtig. Aber dann sagte sie ernst: "Ihr dürft niemals allein nach Madrid! Das könnte einem Todesurteil gleich kommen! War es denn nicht schon im Altertum so, dass die Überbringer von guten Nachrichten reich beschenkt und die Überbringer schlechter Nachrichten dagegen sogar hingerichtet wurden?"

"Worauf wollt Ihr hinaus, Prinzessin, mit Verlaub?"

"Nun, Lord Cooper, was wollt Ihr sein: Der Überbringer einer guten Nachricht oder der einer schlechten?"

"Selbstverständlich der Überbringer der guten!" Er runzelte die Stirn und schaute sie an, als wollte er ihre Gedanken lesen. Dabei wusste er längst, was sie ihm vorschlagen würde, weil er alles getan hatte, dass sie von selbst darauf kam. Im Stillen bat er sie dafür inbrünstig um Vergebung, dass er es als notwendig ansah, solche Tricks anzuwenden. Die Prinzessin kannte er zwar noch nicht allzu lange, aber sie war ihm sehr an das Herz gewachsen. Das war keine Liebe, also nicht vergleichbar mit den Gefühlen, die er gegenüber Jeannet empfand, aber sie war eine wunderschöne und liebenswerte Prinzessin, die es wahrlich verdient hatte, nur einen Mann heiraten zu müssen, den sie auch wirklich liebte.

Er beruhigte sein überaus schlechtes Gewissen ihr gegenüber mit dem Gedanken: Glaubt mir, Prinzessin, aber es dient wirklich nur Eurem Besten! Ich würde nie etwas zu Eurem Schaden tun, auch wenn ich jetzt lügen muss und Euch gegenüber solche eigentlich miesen Tricks anzuwenden gezwungen bin: Es dient wirklich nur Eurem Besten!

Die ahnungslose Prinzessin hingegen sagte mit einem spitzbübischen Lächeln:

"Dann sind wir uns ja völlig einig, Lord Cooper: Nehmt mich einfach mit! Dann seid Ihr mein Held, weil mein Befreier - und selbstverständlich der Überbringer der besonders guten Nachricht, dass es mir prima geht! Dass Ihr mich nicht auf direktem Wege nach Spanien, sondern erst nach London gebracht habt, diente nur meinem Wohle, denn Ihr wolltet erst sicher sei, dass ich gesund bin und dass sich mein Vater wirklich nicht länger zu sorgen braucht."

"Nein!", rief der Lord gespielt erschrocken. "Das darf nicht Euer Ernst sein, Prinzessin. So bedenkt doch, bei allem Respekt, welches Wagnis Ihr einzugehen bereit wärt: Euer Vater wird vielleicht ein Fest veranstalten, um Eure Heimkehr zu feiern, doch das nächste Fest wird dann Eure Vermählung sein."

"Das sagt derjenige, der im Ruf steht, der Welt bester Diplomat zu sein?", fragte sie vorwurfsvoll. "Aber, Lord Cooper, da hätte ich Euch doch wirklich mehr Selbstbewusstsein zugetraut!"

Er senkte beschämt den Blick. "Sicher, Ihr habt ja Recht, aber ich denke dabei nur an Euch: Ihr seid extra geflohen, seid dabei nur mit knapper Not dem Tode entronnen - und dies alles wäre umsonst gewesen, falls ich versage. Ich sehe mich selber nicht gerade als der weltbeste Diplomat und bin vor allem natürlich nicht unfehlbar: Vielen Dank für Eure wohltuenden Worte, Prinzessin, aber ich kenne Euch jetzt persönlich, wenn Ihr mir diese Bemerkung erlaubt und weiß, welch ein wertvoller Mensch Ihr seid. Ich würde niemals etwas tun können, was Euch in Gefahr bringt. Wenn auch nur das geringste Risiko für Euer Wohlergehen besteht..."

"Ach was, kein Wort mehr weiter!", unterbrach sie ihn energisch. "Ich weiß Euch sehr wohl im gleichen Maße zu schätzen. Deshalb darf es andererseits nicht das geringste Risiko für Euch geben. Jegliches Risiko ist sogar völlig ausgeschlossen, sobald ich Euch persönlich begleite. Dann wird alles offensichtlich werden - vor allem Eure überaus positive Rolle, was meine Rettung betrifft. Wir werden meinem Vater sagen, was sich ereignete auf dem Meer. Es wird ihn sicher rühren."

"Obwohl es ihn nicht genügend überzeugen wird, was die bevorstehende Vermählung betrifft!", gab er noch einmal zu bedenken.

"Es kommt ganz einfach auf den Versuch an, Lord Cooper!"

"Aber, bei allem Respekt..."

"Nichts aber, Lord Cooper! Bitte, bereitet Euch auf Eure Abreise vor, gemeinsam mit mir. Ich werde um Audienz bei Ihrer Majestät ersuchen und sie von meinem Entschluss in Kenntnis setzen. Wir dürfen keinerlei Zeit verlieren, sonst werden unsere Argumente meinem Vater gegenüber unglaubwürdig!"

Lord Cooper erhob sich tatsächlich, weil ihm jetzt nichts mehr anderes übrig blieb.

Er hatte das einzig Richtige getan, aber das schlechte Gewissen plagte ihn dennoch. Er verbeugte sich mehrmals auf dem Weg zur Tür und bat insgeheim jedesmal die Prinzessin um Vergebung, weil er sich nicht wirklich sicher sein konnte, dass er sein hochgestecktes Ziel, König Philipp II. zu überzeugen, erreichen konnte. Egal, wie gut er als Diplomat auch sein mochte: Eine Garantie für das Gelingen gab es dennoch nicht.

Sobald er den Raum verlassen hatte, lehnte er sich mit dem Rücken dagegen und schloss ergeben die Augen.

Alles wird gut!, versuchte er sich einzureden. Die Zweifel jedoch blieben: Hoffentlich!

Den irritierten Blick der Wache übersah er einfach, als er sich wieder in Bewegung setzte und in Richtung seiner eigenen Gemächer davon schritt. Mit der Königin brauchte er sich nicht mehr zu unterhalten. Das würde Prinzessin Carla schon tun.

Alles würde ohnedies im Sinne der Königin geschehen, vorerst. Freude wollte trotzdem nicht in ihm aufkommen und er dachte wieder an Jeannet: Ach, Geliebte, es ist alles so kompliziert - viel komplizierter sogar, als du es wahrscheinlich erahnst. Und wenn ich erst einmal in Richtung Madrid unterwegs bin, können wir uns nicht mehr wiedersehen. Wo bist du inzwischen? Bitte, verzeih, wenn du nach London kommen solltest und mich nicht mehr antreffen kannst. Ich werde zurückkehren, gewiss so schnell wie nur irgend möglich - versprochen! - und dann wird es vielleicht doch nicht mehr lange dauern, bis wir uns wieder in die Arme schließen können - endlich!

Selber so recht daran glauben konnte er indessen zur Zeit ganz und gar nicht...

*



Gewissermaßen auf getrennten Wegen und zu unterschiedlichen Zeiten erreichten Prinzessin Carla von Spanien und Lord Donald Cooper die SWORD FISH. Das lag nicht daran, weil der Lord der Prinzessin aus dem Weg gehen wollte. Es hätte auch wenig genützt, denn anschließend würden sie trotzdem zusammen an Bord sein - und dann musste er sich durchaus mit ihr beschäftigen. Alles andere wäre auf wenig Verständnis gestoßen.

Nein, es lag allein daran, weil er weit früher an Bord gehen musste, um die Überfahrt nach Spanien vorzubereiten und alles Weitere mit seiner Crew zu besprechen. Natürlich in erster Linie mit den ranghöchsten Offizieren an Bord Geoffrey Naismith und John Kane.

Sogar der Zweite Offizier Geoffrey Naismith schien nichts von der bevorstehenden Mission auch nur zu ahnen, obwohl ihn der Lord im Verdacht hatte, eine Art Spion der Königin zu sein, die seiner Kenntnis nach niemals etwas bloß dem Zufall überließ. Jedenfalls war ihm nichts anzumerken. Die Besprechung fand statt in der Offiziersmesse. Sie schienen beide gleichermaßen überrascht zu sein, dass es schon so bald wieder los gehen würde.

Aber der Lord hatte noch ein paar weitere Überraschungen in Petto: "Die Prinzessin wünscht so schnell wie möglich zurückzukehren an den Hof ihres Vaters. Also müssten wir eigentlich in Bilbao anlanden."

"Und das werden wir trotzdem nicht tun?", wunderte sich Naismith.

John Kane enthielt sich seiner Meinung, aber er runzelte nachdenklich die Stirn, als würde er selber über einer Antwort grübeln.

"Unser Ziel ist Vigo!", sagte ihr Captain.

"Aber das liegt an der südwestspanischen Küste, in der Provinz Galicien", wunderte sich Naismith nur noch mehr.

Der Lord lehnte sich zurück und betrachtete die beiden nach ihm wichtigsten Männer an Bord. Am liebsten hätte er die wahren Gründe für sich behalten, aber er musste die beiden einweihen - zumindest in den wichtigsten Punkten.

"Vigo ist nicht nur der größte Fischereihafen Spaniens, sondern vor allem... hier werden die meisten Schiffe gebaut, um in die sogenannte Neue Welt zu fahren. Mit anderen Worten: Vigo ist von den wichtigsten Häfen Spaniens, was den transatlantischen Handelsverkehr betrifft, der uns am nächsten Liegende."

Jetzt machte Kane ebenfalls den Mund auf: "Aber ich dachte, es ginge darum, die Prinzessin nach Hause zu bringen? Wie wollt Ihr es ihr erklären, dass wir einen solchen Umweg machen?"

"Von Vigo nach Madrid ist es zumindest auf dem Landweg nur unwesentlich weiter als von Bilbao. Aber nur in Vigo gibt es einen Verbindungsmann der Krone von England."

Die beiden Offiziere tauschten einen Blick aus. Zwar mochten sie sich ganz und gar nicht, aber sie respektierten gegenseitig ihre seemännische Kompetenz. Nicht nur das: In beider Gesichter war deutlich die Frage zu lesen: Was habt Ihr wirklich vor, Sire?

Nun hätte der Lord niemals zugeben können, was sozusagen sein Hauptnebengrund war: Er würde mit seinem Schiff auf dieser Route zwangsläufig in die Nähe der Kanalinseln kommen und hatte den begründeten Verdacht, dass sich dort irgendwo das Piratennest von Jeannet befand. Wenn es überhaupt eine Chance gab, sich auf See zufällig zu begegnen, dann nur auf dieser Route...

Aber er zog es vor, den fast genauso geheimen Grund vorzutäuschen:

"Um es noch deutlicher zu sagen: In Vigo haben wir einen englischen Spion, meine Herren. Jetzt verstanden?"

"Ich verstehe nicht...", entfuhr es Naismith dennoch, aber er winkte sogleich ab und korrigierte sich selber: "Ich meine, zwar verstehe ich, dass wir in Vigo einen Spion zu treffen gedenken, aber hat DAS wirklich etwas mit der Prinzessin zu tun?"

"Selbstverständlich nicht", half ihm der Lord auf die Sprünge. "Die Lage ist doch klar: Spanien hütet sein Geheimnis der Atlantikroute, über die man die Neue Welt erreichen kann. Außerdem wissen wir Engländer noch nicht einmal, wie es denn nun in der sogenannten Neuen Welt aussieht. Das heißt, keiner von uns hat jemals eine Beschreibung davon, geschweige denn eine Seekarte zu Gesicht bekommen."

"Aber dieses Wissen würde uns doch nur dann etwas nutzen, wenn wir heimlich ebenfalls dieser Route folgen würden, trotz der Präsenz der Armada!", gab Kane sogleich zu bedenken.

Wenigstens einer hat es begriffen, dachte Lord Cooper. Laut sagte er: "Die englische Krone muss es einfach erfahren. Ich war aus diesem Grund schon mehrmals in Vigo - auch mit der SWORD FISH, erinnert Euch! Nur wusstet Ihr nicht den wahren Grund. Jetzt habe ich das Versäumte sozusagen nachgeholt und Euch darüber informiert. Wir müssen jede Gelegenheit nutzen, um in Vigo an Land zu gehen. Bisher gelang es mir nicht, neue Erkenntnisse mit nach Hause zu bringen, aber irgendwann und vielleicht schon diesmal...?"

"Und was wird die Krone von England mit dem neuen Wissen anfangen?", stellte Kane die entscheidende Frage.

"Vorerst selbstverständlich gar nichts. Aber England wird nicht mehr länger im Dunkeln tappen. Eines Tages könnte uns dieses Wissen von großem Nutzen sein - und wir werden vor allem niemanden mehr darum betteln müssen, uns die Gnade einer Auskunft zu gewähren."

"Gut formuliert, Mylord!", lobte ihn Naismith. Er zeigte sich auf einmal regelrecht begeistert: "Also, auf nach Vigo!"

"Und was sagen wir der Prinzessin?", erkundigte sich Kane.

"Sie wird vollstes Verständnis haben, denn sie ist von Vigo weg gefahren, in Richtung Neue Welt. Was daraus wurde, wissen wir ja. Aber sie hat ihre eigenen von ihr entsprechend bestochenen Verbindungsleute in Vigo, ohne die sie schon gar nicht an Bord eines Schiffes gekommen wäre."

"Erwähnte sie das tatsächlich einmal?", wunderte sich Naismith.

"Nein, mit keinem Wort. Aber ich werde sie unterwegs darauf ansprechen. Sie muss ihre Verbindungen in Vigo spielen lassen, um den Weg nach Madrid zu bereiten. In Bilbao hätte sie diese Verbindungen erst gar nicht!"

"Ach, jetzt verstehe ich!", behauptete Naismith: "Auf diese Weise wird König Philipp rechtzeitig erfahren, dass seine Tochter kommen wird - und die Verbindungsleute, die von der Prinzessin bestochen wurden, haben eine Gelegenheit, ihre Treue zur Krone zu beweisen, ehe der König doch noch auf die Idee kommt, sie wegen ihrer Fluchthilfe an den Galgen zu liefern. Ein sehr weiser Entschluss."

"Finde ich auch!", schloss sich John Kane an.

Wenn ihr wüsstet, dachte der Lord indessen. Ach, Jeannet, wo steckst du? Werden wir uns unterwegs tatsächlich begegnen? Es gab nichts, was er sich sehnlicher wünschte.

Es waren anschließend noch einige weitere Details zu klären, auch was den Proviant für unterwegs betraf und dann gingen die beiden Offiziere an die Arbeit. Alle an Bord würden aus ihrem Munde erfahren, dass die Fahrt nach Vigo gehen würden. Allerdings würden die beiden Offiziere das nicht mit der Wahrheit begründen, sondern beiläufig erwähnen, dass dies dem Wunsch der Prinzessin entspräche.

Dann lag es nur noch an ihm, diesen Wunsch auch wirklich in der Prinzessin zu erzeugen.

Bis zur Ankunft der Prinzessin waren alle an Bord vollauf beschäftigt, der Lord einschließlich. Schließlich war er der Captain und alles sollte dem Wohle der Prinzessin dienen. Sie sollte sich an Bord gewissermaßen wie zu Hause fühlen dürfen.

*



Prinzessin Carla von Spanien war indessen sehr enttäuscht, als sie erfuhr, dass Lord Cooper lange vor ihr bereits die Residenz verlassen hatte, um sich an Bord der SWORD FISH zu begeben. Aber der Hofmarschall, der ihr dies mitteilte, lieferte sogleich die Begründung dafür:

"Lord Cooper lässt sich in aller Form entschuldigen, Prinzessin, aber er musste dringend die nötigen Vorbereitungen treffen. Er erwartet Euch jedoch und will vorher alles tun, um Euch schon im Vorfeld den Aufenthalt an Bord so bequem wie möglich zu gestalten."

Sie musste über diese Formulierung lächeln. Nein, sie brauchte nicht wirklich eine solche Bequemlichkeit. Es genügte schon, wenn er nur in ihrer Nähe war. Das allein würde sämtliche Unbilden ausgleichen, die sie ansonsten erwarten mochten.

Außerdem war sie schließlich nicht das erste Mal an Bord der SWORD FISH und sie hatte sich auch beim letzten Mal wohlgefühlt, Dank dem Lord!

Natürlich ließ sie nichts dergleichen verlauten und wurde sodann von dem Hofmarschall, begleitet von einem kleinen Tross von Zofen, zur eskortierten Kutsche geführt. Die Zofen verstauten den Rest ihres Gepäcks in einem zusätzlich dafür eingesetzten Kutschenwagen. Allerdings wurde alles sorgfältig zugedeckt, damit niemand sehen konnte, was sich auf dem Wagen befand. Schließlich war Carla inoffiziell in London. Niemand sollte vorerst überhaupt etwas von ihrem Aufenthalt wissen. Sie würde aus London verschwinden, ohne dass jemand außerhalb des Palastes davon Notiz nehmen sollte. So erschien es nicht nur ihr am besten.

Die Zofen verabschiedeten Carla von Spanien mit einem artigen Knicks. Der Hofmarschall bot ihr indessen seinen Arm an, um ihr beim Einstieg in die Kutsche behilflich zu sein.

Während sie die Kutsche bestieg, nahm sie die Umgebung nur unbewusst wahr, denn sie dachte ganz intensiv an Lord Cooper, mit dem sie bald die gemeinsame Reise antreten würde. Es würde eine Weile dauern, bis sie in Madrid anlangten. So lange würden sie zusammen sein.

Und dann erschrak sie: Was war dann?

Außerdem: Wie gedachte er eigentlich, vorzugehen? Darüber war noch kein Wort gesprochen worden. Er konnte ja nicht so ohne Weiteres mit einem englischen Kriegsschiff einen x-beliebigen spanischen Hafen anlaufen und dort sozusagen als einzige Fracht Prinzessin Carla von Spanien deklarieren...

Ja, was gedachte er zu tun?

Sie konnte es kaum erwarten, ihn persönlich darauf anzusprechen. Dem Hofmarschall nickte sie wohlwollend zu.

Er verbeugte sich höfisch, scheuchte anschließend die Zofen beiseite, damit die beiden Kutschen, von bewaffneten Reitern eskortiert, los fahren konnten und Carla wandte sich ab. Sie starrte auf die gegenüber liegende Wand der Fahrgastkabine und wünschte sich, Lord Cooper wäre nicht vorher an Bord gegangen, sondern jetzt bei ihr. Obwohl sie sich gut genug daran erinnern konnte, dass es das letzte Mal eher eine Tortur für sie gewesen war als das reine Vergnügen. Nicht, weil die Anwesenheit des Lords ihr nicht angenehm gewesen wäre, sondern nur deshalb, weil sie sich so sehr hatte zurückhalten und ihre wahren Gefühle verbergen müssen.

Egal!, dachte sie: Immer noch besser, sich beherrschen zu müssen, als auf seine Anwesenheit zu verzichten!

Es war nicht das erste Mal, dass ihr das in aller Deutlichkeit klar wurde.

Unterwegs schaute sie eher gelangweilt aus dem Fenster. Zwar hatte London einiges zu bieten für einen neugierigen Blick, aber sie hatte zur Zeit keinerlei Sinn für Bauwerke und andere Sehenswürdigkeiten. Selbst die Menschen interessierten sie nicht. Der einzige Mensch, der überhaupt noch für sie von Interesse war, hieß Lord Donald Cooper. Sie konnte es nicht ändern. Ihre Gefühle waren einfach stärker als jeglicher Wunsch, doch zu größerer Vernunft zurückzukehren.

Ja, was war, wenn der Lord seine Mission in Madrid erfüllte? Blieb er dann bei ihr oder reiste er danach wieder ohne sie ab? Wenn er Madrid und somit ihr den Rücken kehrte: Wie lange würde sie danach auf ihn warten müssen?

Sie schalt sich prompt eine Närrin, denn schließlich war sie auf dem Weg zu ihm. Sie hatten eine ganze Reihe schöner Tage vor sich. Davon durfte sie überzeugt sein. Wieso freute sie sich nicht einfach darauf, anstatt in Trübsal zu verfallen ob einer möglicherweise unsicheren gemeinsamen Zukunft?

Dieser Appell an sich selber zeitigte Wirkung: Sie wurde wieder ruhiger und vor allem zuversichtlicher und konnte sogar lächeln, weil sie sich ehrlich auf die Überfahrt mit der SWORD FISH freute.

Über solcherlei Vorfreude verflog die Zeit, die sie mit der Kutsche unterwegs war, beinahe wie im Flug. Schon war sie am Hafen und dann erblickte sie das stolze englische Kriegsschiff mit Namen SWORD FISH. Die fünf mächtigen Masten waren in der Tat beeindruckend - und die Prinzessin wurde bereits erwartet. Das Fallreep war ausgelegt und dreifach gesichert. Die Begleiteskorte schwärmte aus, während Matrosen von Bord eilten, um sich zum Spalier aufzustellen.

Lord Cooper persönlich kam von Bord und öffnete die Kutschentür, um die Prinzessin mit einer Verbeugung zu begrüßen und ihr anschließend seinen Arm für den Ausstieg anzubieten.

Sie strahlte ihn regelrecht an, was er diesmal durchaus richtig einschätzte, ohne sich jedoch etwas anmerken zu lassen.

"Es freut mich, Euch zu sehen, Mylord!", sagte sie zur Begrüßung. "Auch wenn ich ein wenig enttäuscht war, weil Ihr schon vor mir den Palast verlassen habt, wie ich zugeben muss."

Er deutete prompt eine weitere Verbeugung an.

"Ich bitte um Vergebung, Prinzessin, aber meine Anwesenheit an Bord war dringend vonnöten."

"Gewiss doch, ich habe vollstes Verständnis dafür. Schließlich seid Ihr der Captain."

Endlich nahm sie seine Hilfe in Anspruch und stieg aus. Anschließend hakte sie sich beim Lord unter und ließ sich von ihm durch das Spalier und über das Fallreep an Bord führen.

Sie atmete tief durch, sobald ihre Füße die blank geputzten Schiffsplanken berührten. Es war ein Gefühl, als würde sie mit dem Betreten des Schiffes nach Hause zurückkehren. Es erfüllte sie mit Glück und sie brachte dies mit einem langen Seitenblick auf ihren Begleiter zum Ausdruck.

Auch dieses entging ihm diesmal keineswegs, obwohl er so tat, als würde er es nicht sehen. Die Prinzessin war ihm allerdings dankbar darum.

"Dieselbe Kabine wie letztes Mal?", erkundigte sie sich fröhlich.

Er nickte lächelnd. "Ja, gewiss, Prinzessin: Dieselbe Kabine. Diesmal jedoch sind wir besser vorbereitet, wie ich Euch versichern darf."

Die Prinzessin brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass hinter ihrem Rücken jetzt eilig ihr Gepäck verladen wurde, damit es ihr unterwegs an nichts fehlte. Aber es war nicht das, was sie am meisten interessierte. Am liebsten hätte sie ihn ununterbrochen angestarrt, obwohl das den Matrosen an Bord sicherlich sehr seltsam vorgekommen wäre. Nein, sie musste sich weiterhin eisern beherrschen und durfte sich möglichst nichts anmerken lassen, so schwer es ihr auch fallen mochte.

Die beiden sprachen unterwegs kein Wort mehr, bis sie die Kabine erreichten.

"Ihr wollt doch wohl nicht gleich wieder gehen, Mylord?", erkundigt sich Carla bang.

Er schüttelte lächelnd den Kopf.

"Aber nein, Prinzessin, falls Ihr gestattet, würde ich Euch gern Gesellschaft leisten. Alles ist vorbereitet. Die Besatzung braucht mich nicht, wenn das Schiff ablegt."

"Und wann soll es ablegen?"

"In den nächsten Minuten, Prinzessin."

"Ich habe noch niemals gesehen, wie ein Schiff ausläuft, während ich mich selber an Bord und an der Seite des Captains befinde."

"Noch niemals?", zweifelte er unentwegt lächelnd.

"Als ich von Vigo los fuhr, musste ich unter Deck bleiben. Niemand sollte wissen, dass eine Prinzessin mit an Bord war, außer dem Captain und ein paar eingeweihten Offizieren."

"Oh, ich nehme an, das hat Euch einiges gekostet - falls ich mir diese Bemerkung erlauben darf?"

"Dürft Ihr, Mylord und in der Tat, es war ziemlich teuer. Es ist nur gut, dass der Rest meines mitgeführten Vermögens anschließend gesichert werden konnte. Der Zorn meines Vaters wäre bei meiner Heimkehr ansonsten sicherlich unermesslich größer."

"Das bliebe zu befürchten, Prinzessin, obwohl ich eher zu der Annahme neige, dass er sich vor allem über Euer gutes Wohlbefinden freuen wird, wenn Ihr erlaubt."

"Charmant gesagt, Mylord, aber wenn ich mir meinerseits einmal eine Bemerkung erlauben darf: Wollt Ihr Euch um die Beantwortung meiner Frage drücken? Zwar habe ich nur eine Andeutung gemacht, aber sie war durchaus ernst gemeint gewesen."

Er musste lachen.

"Mitnichten, Prinzessin, keineswegs wollte ich mich um eine Antwort drücken und ich kann Euch versichern, dass es mir eine Ehre ist, gemeinsam mit Euch auf der Kommandobrücke zu stehen, wenn die SWORD FISH ausläuft!"

"Tatsächlich?", rief sie unkonventionell.

"In der Tat, Prinzessin", unterstrich er.

"Und... wann?"

"Sofort, wenn Ihr es wünscht."

"Also gut: Ich wünsche!" Sie lächelte ihr fröhlichstes Lächeln, blieb bei ihm untergehakt und ließ sich zur Kommandobrücke führen anstatt in die Kabine.

Unterwegs dämpfte Lord Cooper auf einmal die Stimme und fragte in einer Art Verschwörerton: "Ihr seid von Vigo aus in Richtung Neue Welt gefahren? Warum nicht von Barcelona oder einem anderen großen Hafen?"

"Wollt Ihr das wirklich wissen?"

"Ja, Prinzessin, denn es gibt dafür einen Grund."

"Der wäre?"

"Nun, ich will nicht darum herum reden, aber ich denke mir, es wäre schwierig, einfach so in einen spanischen Hafen einzulaufen, um Euch von dort auf dem kürzesten Weg zu Eurem Vater zurück zu bringen. Das kann ungeahnte Probleme bereiten, wenn ich es einmal so ausdrücken darf. Ihr seid schließlich nicht irgendwer, sondern die Prinzessin von Spanien."

"Und auch Ihr seid nicht irgendwer, sondern der Sonderbeauftragte der Königin von England!", sagte sie mit fester Stimme. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie bedachte ihn mit einem seltsamen Blick.

Dieser erschrak unwillkürlich, obwohl er sich nichts anmerken ließ und dachte dabei: Ahnt sie etwas? Ahnt sie von meiner besonderen Rolle? Er überlegte blitzschnell hin und her und kam zu einem raschen Ergebnis: Nein, nicht wirklich. Ihre Äußerung bezieht sich auf den Auftrag der Königin, sie zurück nach Madrid zu bringen.

Laut sagte er: "Umso wichtiger wäre es, keinen Fehler zu begehen. Wir dürfen nicht riskieren, dass wir getrennt werden."

"Getrennt?", echote sie erschrocken, dämpfte jedoch sofort wieder ihre Stimme: "Wieso befürchtet Ihr das?"

"Es liegt doch auf der Hand, Prinzessin, bei allem Respekt, aber die spanische Behörde ist sicherlich Euretwegen alarmiert und wenn Ihr so unerwartet an Bord eines englischen Kriegsschiffes auftaucht, wird man die Besatzung sofort festnehmen lassen und danach erst die entsprechenden Fragen stellen. In der Zwischenzeit wird man Euch, eskortiert mit einer halben Armee, nach Madrid bringen."

"Das wäre ja schrecklich!" Ja, das war ihr voller Ernst und sie fragte sich, wieso sie nicht selber auf diese naheliegende Möglichkeit gekommen war. "Aber was könnt Ihr dagegen tun?"

Sie hatten ihr Ziel erreicht und Lord Cooper deutete von dem erhöhten Punkt der Kommandobrücke aus mit einer umfassenden Geste auf den Hafen, als würde er ihnen zu Ehren vor ihren Füßen liegen. Erst danach befleißigte er sich einer Antwort. Auch diesmal sprach er mit gedämpfter Stimme, während die ebenfalls auf der Kommandobrücke anwesenden Offiziere sich in Richtung Prinzessin verbeugten und diese ziemlich unkonzentriert ihre Ehrerbietungen mit einem höfischen Knicks quittierte.

"Deshalb meine Frage betreffend Vigo, Prinzessin. Ich wollte Euch fragen, ob Ihr glaubt, noch immer Eure Verbindungen dort spielen lassen zu können."

"Und wozu sollte dies von Nutzen sein?" Begeistert war sie anscheinend von diesem Gedanken ganz und gar nicht. Kein Wunder, denn sie würde mit diesem Vorgehen ihre Verbindungsleute gewissermaßen ans Messer liefern. Doch dann schalt sie sich ob ihres Misstrauens eine Närrin, denn wem könnte sie eher vertrauen als dem Lord?

Bevor dieser ihr noch antworten konnte, winkte sie eilig ab und fügte hinzu: "Vergesst diesen Einwand, Mylord, denn Ihr habt selbstverständlich Recht. Aber wie wollt Ihr dabei vorgehen?"

Sie hörte die laut gebrüllten Befehle, sah, wie sich die Matrosen emsig bemühten, während die Ruderer sich kräftig in die Riemen legten, um das Schiff auf Fahrt zu bringen. Träge nur setzte sich die SWORD FISH in Bewegung. Sie löste sich von der Anlegestelle und strebte auf die Fahrrinne zu.

Dieser Vorgang war in der Tat äußerst interessant und die Prinzessin war schließlich extra auf die Kommandobrücke gekommen, damit es ihr nicht entging, doch das Gespräch hatte Formen angenommen, die sie alles andere beinahe vergessen ließ.

"Ich werde zunächst allein von Bord gehen, Prinzessin, wenn Ihr erlaubt. Ihr müsstet mir allerdings den Namen Eures wichtigsten Verbindungsmannes preisgeben. Habt bitte keine Bange, denn Ihr wisst, dass Ihr mir vertrauen könnt. Es wird nicht zum Schaden dieses Mannes sein. Ganz im Gegenteil."

"Im Gegenteil?"

"Ich habe mir das so gedacht, Prinzessin, Euer Einverständnis voraus gesetzt: Eure Verbindungsleute werden die Rückkehr nach Madrid ermöglichen, am besten an der Hafenbehörde vorbei, falls dies möglich wäre. Eure Verbindungsleute werden ein vitales Interesse daran haben, Euren Wünschen zu entsprechen, denn sie müssen ohnehin den Zorn des Königs fürchten. Wenn es ihnen jedoch gelingt, uns beide sicher nach Madrid zu bringen und vorher vielleicht einen Kurier zum Königspalast zu schicken, um Euren Vater auf Euer Kommen vorzubereiten..."

"Ich verstehe Euren Plan, Mylord!", murmelte sie verdattert. Und dann war sie auf einmal begeistert und es scherte sie überhaupt nicht, dass die anwesenden Offiziere möglicherweise jedes Wort mithören konnten: "Aber, das ist ja sogar genial! Damit wären wir aller Sorgen behoben. Nichts wird geschehen, was nicht in unserem Sinne wäre - und es würde meinen Verbindungsleuten sogar nutzen, denn sie würden mit ihrem Vorgehen beweisen, dass sie treue Diener der spanischen Krone sind. Schließlich bringen sie die Tochter des Königs sicher und wohlbehalten zurück, einschließlich ihrem heldenhaften Retter!"

Es hätte wirklich nicht viel gefehlt und sie wäre in ihrer Begeisterung dem Lord um den Hals gefallen, doch das Studium der höfischen Verstellung siegte und half ihr, sich in letzter Konsequenz doch noch zu beherrschen.

"Dann auf nach Vigo!", befahl Lord Cooper, an seine Offiziere gewendet.

Diese antworteten wie im Chor: "Aye, aye, Sire!"

Prinzessin Carla dämpfte wieder ihre Stimme, damit nur er verstehen konnte, was sie abschließend zu diesem Thema zu sagen hatte: "Mein Hauptverbindungsmann in Vigo... ist der Chef der Zollbehörde! Ich werde Euch ein Beglaubigungsschreiben mitgeben, das Euch als Vertrauten ausweist. In der Tat, Euer Plan ist genial - und das wird er sich wohl ebenfalls denken, denn er wird dabei jeglicher Gefahr für sich und sein Leben vorbeugen. Sein Name ist übrigens Comandante Fernando Garcia!"

Diese Enthüllung war für Lord Cooper eine Überraschung ganz besonderer Art, denn Fernando Garcia... war absolut kein Unbekannter für ihn!

*



Lord Donald Cooper und Prinzessin Carla von Spanien verbrachten während der Überfahrt von London bis zur spanischen Hafenstadt Vigo viel gemeinsame Zeit an Deck. Man konnte schon fast sagen, dass er jede freie Minute der Prinzessin widmete. Dabei freute sie sich besonders darüber, dass sie in der Regel nicht in ihrer Kabine blieben, sondern an der Reling standen und ihre Blicke über das Meer schweifen ließen. Da konnte sie so richtig träumen.

Bisher hatte ihr das Leben als Prinzessin nicht nur nichts bedeutet, sondern sie hatte das stets wie eine Art Strafe empfunden. Doch jetzt erzählte sie von diesem bislang eher verhassten Leben, damit er alles über sie erfuhr, was für ihn wichtig war, wie sie es einschätzte.

Lord Cooper blieb dabei die meiste Zeit stumm und gebärdete sich als aufmerksamer und dankbarer Zuhörer, auch wenn er nicht an ihren Lippen hing, sondern viel lieber über das weite Wasser schaute. Die Prinzessin konnte ja nicht ahnen, wieso er das überhaupt tat: Weil er inbrünstig hoffte, die WITCH BURNING würde ihre Wege kreuzen...

Manchmal erzählte auch er von sich und seiner englischen Heimat. Er ließ die Prinzessin wissen, dass er erst sei wenigen Jahren, also noch nicht allzu lange, am Hofe weilte. Jedenfalls war er schon bei Amtsbeginn von Königin Elisabeth dieser aufgefallen und sie hatte ihn unter ihr unmittelbares Kommando genommen. Als er das erzählte, wählte er sorgfältig seine Worte, um nicht den Eindruck zu erzeugen, die Königin hätte eine Leibgarde, denn das hätte ihrem königlichen Image widersprochen, das sie sich sorgfältig in aller Welt aufgebaut hatte.

Sie war der weibliche Souverän und zwar in jeglicher Beziehung! Kein Mensch sollte daran auch nur einen Augenblick zu zweifeln haben. Nur so lange ging es England gut gegenüber den viel größeren und mächtigeren Nachbarn auf dem Festland. Die Königin tat alles, um ihren quasi Inselstaat nicht nur überleben, sondern immer stärker werden zu lassen. Selbstverständlich erwähnte der Lord auch das nicht gegenüber der Prinzessin.

Erst als Vigo bereits in Sichtweite war, begegneten ihnen die ersten spanischen Kriegsschiffe. Jedenfalls hatte Carla vorher keine gesehen, auch wenn sie noch so sorgfältig den Horizont beobachtet hatte. Zwischendurch hatte Lord Cooper veranlasst, dass die weiße Fahne gehisst wurde. Carla hatte es als reine Vorsichtsmaßnahme angesehen, doch jetzt sagte er: "Sie haben uns die ganze Zeit über beobachtet. Ihnen entging nicht das geringste Manöver. Und jetzt zeigen sie sich, damit wir vorsichtig sind."

"Wirklich?", wunderte sich die Prinzessin. "Aber England ist doch mit Spanien befreundet!"

"Gewiss, Prinzessin, aber es gibt ein uraltes Sprichwort, das da lautet: 'Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser!' Euer Heimatland ist das größte und mächtigste Reich auf Erden, aber nur so lange, wie es sich ausreichend zu schützen weiß - gegen Freunde und Feinde gleichermaßen."

"Dann trifft die Bezeichnung Freund wohl kaum zu", meinte Carla enttäuscht. "Vielleicht sollte man es eher Verbündete nennen? Eine reine Zweckgemeinschaft jedenfalls zwischen England und Spanien ist das, wie mir scheint, zielgerichtet auf ganz bestimmte Dinge."

Wie wahr, wie wahr!, dachte er zerknirscht. Du hast vollkommen Recht, holde Prinzessin, aber durch dich soll sich das ändern. Wenn dein Vater will, kann er morgen schon England überfallen... und vereinnahmen. Das wird vielen anderen nicht gefallen, aber was wollten sie letztlich gegen das mächtige Spanien ausrichten? Zwar ist Philipp II. kein Eroberer, doch das kann sich ändern. Kein König ist unberechenbarer als der mit der größten Macht!

Selbstverständlich behielt er auch diese Gedanken für sich und plauderte sie gegenüber der Prinzessin lieber nicht aus.

Die Prinzessin indessen musterte ihn von der Seite und fragte: "Was denkt Ihr, Mylord? Bedauert Ihr es nicht auch so sehr wie ich, dass es keine echte Freundschaft auf dieser Welt geben kann."

"Oh, verzeiht, wenn ich Euch widerspreche, Prinzessin, aber echte Freundschaft existiert durchaus."

"Ja, zwischen einzelnen Menschen vielleicht, aber niemals zwischen den Völkern!", trumpfte sie auf.

"Das mag wohl sein." Er schaute sie jetzt seinerseits an. Sie hielt seinem tapfer Blick stand, als er hinzu fügte: "Vielleicht hat Gott gewollt, dass Ihr aus dem Palast Eures Königs flieht, um am Ende von einem englischen Lord und persönlichen Berater der Königin von England wohlbehalten zurück gebracht werden zu können? Vielleicht hat er es getan, nur damit aus einem reinen Zweckbündnis, wie Ihr es richtig seht, doch noch so etwas wie Freundschaft entstehen kann."

"Freundschaft... für immer?"

"Sicher wäre es viel zu kühn, solches zu erwarten. Es reichte ja schon, wenn die Freundschaft ein paar Jahre halten würde."

In Gedanken ergänzte er dies noch: Zumindest so lange, bis England endlich stark genug ist, gegen einen eventuellen Angriff der spanischen Armada zu bestehen! Und dann könnten wir weitersehen...

Von solchen Gedanken nichts wissend, meinte die Prinzessin: "Es wäre zu schön, um wahr zu sein."

"Es liegt möglicherweise in unsren Händen, zumindest entscheidend dazu beizutragen."

"Meint Ihr wirklich?", blieb sie skeptisch.

Er deutete mit dem Kinn nach vorn.

"Seht die Kriegsschiffe. Wirken sie nicht - furchteinflößend? Niemand würde sich der spanischen Armada in den Weg stellen, wirklich niemand. Es sei denn als Selbstmörder. Die SWORD FISH ist zwar ebenfalls stolz und kampfstark, aber wenn zwei dieser Kriegsgaleonen sie in die Zange nehmen würden..."

"Das könnten sie nur, wenn Ihr es zulassen würdet!" Sie lachte schelmisch. "Macht mir nichts vor, Lord Cooper. Ich bin nicht das erste Mal auf diesem Schiff. Schließlich habt Ihr sogar die WITCH BURNING in die Knie gezwungen - und dieses Piratenschiff unter dem Kommando von Jeannet gilt als unbesiegbar. Man nennt es nicht umsonst 'Fluch der Meere'."

Jetzt lachte auch der Lord: "Zugegeben, um mein Schiff zu besiegen, bedarf es mehr als nur schierer Kampfkraft. Das liegt ganz einfach daran, weil die SWORD FISH nicht als Angriffsschiff gebaut wurde."

"Gibt es denn da einen Unterschied?", wunderte sich nun die Prinzessin.

Er schielte kurz nach ihr. Hatte er jetzt zuviel ausgeplaudert? Niemand sollte wissen, welche Möglichkeiten die SWORD FISH hatte, auch die Prinzessin nicht. Zwar vertraute er ihr, aber falls sie gegenüber ihrem Vater einmal eine unbedachte Bemerkung fallen lassen würde...?

Nein, er konnte beruhigt sein: Die Prinzessin war nach wie vor ahnungslos, was die englische Strategie der Verteidigungsbereitschaft betraf. Königin Elisabeth hatte auch nur die hohen Militärs in Kenntnis gesetzt und diese arbeiteten nach Kräften an dem Konzept: England würde niemals Spanien angreifen wollen, aber es erschien der Königin als überlebenswichtig, nicht auf den guten Willen der Spanier angewiesen zu sein, sondern alles zu tun, um verteidigungsfähig zu werden. Bis das hohe Ziel erreicht war, würden noch einige Jahre vergehen. Die SWORD FISH war da eine absolute Ausnahme - vorerst.

Deshalb bin ich hier!, dachte er. England braucht Zeit - und die Vertiefung der Freundschaft mit Spanien hilft uns dabei entscheidend!

Die Königin hatte ja sogar angedeutet, dass Lord Cooper mit seiner Mission sogar die gesamte Weltgeschichte entscheidend beeinflussen würde.

So weit wäre er selber zwar nie gegangen, zu behaupten, doch wichtig war seine Mission allemal.

Dass er dabei der von ihm persönlich ganz besonders geschätzten und verehrten Prinzessin Carla von Spanien zusätzlich einen großen Gefallen tun sollte, kam ihm mehr als gelegen. Er war inzwischen sicher, dass er es schaffte, Philipp II. von der bevorstehenden Verheiratung seiner Tochter mit dem von ihm ausgewählten Bräutigam abzubringen. Denn wenn er versagte, stand nicht nur das Glück von Carla und sein eigenes Leben auf dem Spiel, sondern möglicherweise tatsächlich das Schicksal Englands?

Beide schauten über das Wasser und genossen das Schauspiel, als die SWORD FISH in den Hafen von Vigo einlief.

Er war der größte Fischereihafen Spaniens und das zeigte sich deutlich anhand von Tausenden von Masten all jener Schiffe, die das gigantische Hafenbecken füllten.

Dazwischen patrouillierten die beeindruckenden Kriegsgaleonen der spanischen Armada.

Lord Cooper hatte das Gefühl, alle Augen waren allein auf sein Schiff gerichtet und damit lag er gewiss nicht ganz falsch.

Ein Lotsenboot kam auf und zeigte ein Signal, das vom Signaloffizier der SWORD FISH erwidert wurde.

"Woher wusstet Ihr eigentlich, dass wir die ganze Zeit über schon beobachtet wurden?", erkundigte sich die Prinzessin neugierig.

"Zwei Dinge brachten mich darauf: Erstens, es ließ sich kein einziges Kriegsschiff nahe genug blicken. Zweitens..." Der Lord zeigte hinauf zum Ausguck.

Endlich verstand die Prinzessin: "Aha, die Kriegsschiffe blieben dicht hinter der Horizontlinie und beobachteten uns aus ihrem Ausguck. Ein gegenseitiges Beobachten mithin!"

"Genauso, Prinzessin. Aber macht Euch keine Gedanken darüber, denn das ist völlig normal. Diese Schiffe sind dazu da, Spanien zu beschützen. Sie haben einfach nur ihre Arbeit gemacht."

"Wenn Ihr das so sagt..." So richtig überzeugend war es indessen für die Prinzessin nicht. "Ich denke gerade daran, was passieren würde, wenn wir nicht diesen gemeinsamen Plan gefasst hätten... In der Tat, man würde sofort das Schiff beschlagnahmen und alle festnehmen, einschließlich Euch, wenn heraus käme, dass ich mich bei Euch an Bord befinde. Nicht auszudenken, welche Folgen das nicht nur für Euch haben könnte, sondern auch für das Verhältnis zu England."

"Das ist gewiss!", bekräftigte Lord Cooper. "Aber nun brauchen wir uns ja keine Sorgen zu machen. Ihr werdet im entscheidenden Moment unter Deck gehen, damit niemand auch nur ahnt, dass Ihr hier seid und ich werde der Zollbehörde das persönliche Schreiben Ihrer Majestät, der Königin von England, zeigen. Es wird mich als ihren besonderen Beauftragten ausweisen, der in einer hochpolitischen Angelegenheit dringend und ohne Verzug zu König Philipp II. gelassen werden muss. Die Zollbehörde wird sich selbst Bedenkzeit geben. Vielleicht ein paar Stunden, vielleicht sogar einen ganzen Tag? Man wird das Schiff unter strengster Beobachtung halten, aber es würde niemand auf die Idee kommen, es näher zu überprüfen, um das Verhältnis der beiden Königshäuser zueinander nicht zu trüben. Man wird eine Eskorte zusammenstellen in dieser Zeit, die mich nach Madrid begleiten wird."

"Ihr kennt Euch wahrlich gut aus, Mylord!", lobte ihn die Prinzessin.

Er lächelte flüchtig.

"Es gehört zu meinem Beruf, Prinzessin, mit Verlaub gesagt."

"Aber Ihr werdet die Wartezeit auf Eure Weise nutzen und den Mann aufsuchen, den ich Euch genannt habe. Ihm werdet Ihr ein Schreiben von mir zeigen, das Euch als Freund ausweist. Ich bin gespannt, wie es danach weitergehen wird."

"Ich auch!", gab er zu.

"Na, gar so zuversichtlich klingt das ja nicht!", tadelte sie ihn.

"Das mag vielleicht daran liegen, weil ich Euren Vertrauensmann noch nicht kenne", log er.

"Ihr misstraut ihm schon vorher?"

"Nein, kein Misstrauen, sondern man hat keine Ahnung, ob die Schergen des spanischen Königs - Eures Vaters also, mit Verlaub! - nicht schon seiner habhaft wurden. Wenn ich also dort auftauche und..."

"Aber das wäre ja entsetzlich!", unterbrach ihn die Prinzessin. "Nicht auszudenken! Und das sagt Ihr so beiläufig als würde es sich um eine Bemerkung über das aktuelle Wetter handeln?"

"Wäre ich weniger gelassen, würde das unsere Mission nur noch mehr gefährden, Prinzessin."

Sie atmete ein paarmal heftig durch und behauptete dann: "In Ordnung, ich werde auch schon wieder ruhiger. Ihr habt ja Recht. Es nutzt nichts, sich etwas vorzumachen. Was wir zu tun beabsichtigen, bleibt gefährlich, aber die Nerven verlieren wäre das Verkehrteste in unserer Situation."

Wie tapfer sie doch ist!, dachte Lord Cooper anerkennend. Dann richtete er seinen Blick nach vorn. Bald würden sie mehr wissen über das mögliche Risiko, das sie einzugehen beabsichtigten.

*



Es kam wie vom Lord voraus gesagt: Eine nähere Überprüfung der SWORD FISH unterblieb und die Zollbehörde bat ungewöhnlich freundlich um Bedenkzeit.

Und dann kam die Nacht. Nur in ihrem Schutz konnte es dem Lord gelingen, unbemerkt das Schiff zu verlassen, das natürlich heimlich unter Beobachtung gestellt wurde.

Auf der von der Mole abgewandten Seite wurde ein kleines Boot zu Wasser gelassen. Der Lord stieg ein, duckte sich unter den Bootsrand und ließ sich von seinen Männern anschieben.

Sie gingen ziemlich geschickt vor, so dass erst nach einigen Yards Fahrt Lord Cooper das kurze Paddel benutzen musste, um sich von seinem Schiff weiter zu entfernen.

Im Sichtschatten eines großen spanischen Handelsschiffes kehrte er schließlich an die Mole zurück. Stimmengewirr war an Bord. Wieso war die Besatzung eigentlich nicht an Land? War das Schiff erst von großer Fahrt aus der Neuen Welt zurückgekehrt? Lord Cooper durfte das nicht interessieren. Er hatte es eilig, um im Schutz der Nacht sein Ziel zu erreichen.

Das Boot ließ er achtlos an der Mole zurück. Er würde es nicht mehr benötigen, denn nach seiner Unterredung mit dem Comandante würde er wohl bei Tag auf sein Schiff zurückkehren können, ohne dass noch jemand daran Anstoß nehmen würde. Es sei denn, es gelang nicht, was er sich vorgenommen hatte, aber daran mochte er schon gar nicht erst denken...

Zu Fuß ging er weiter, immer wieder nach allen Seiten sichernd. Niemand schien auf ihn aufmerksam geworden zu sein. Das lag daran, dass er sich entsprechend verkleidet hatte. Er sah jetzt aus wie ein typischer spanischer Händler. Sein Gang war leicht schwankend, als hätte er sich bei viel zu vielen Gläsern Wein bei seinen Geschäftspartnern viel zu lange aufgehalten.

Hoffentlich wurde er jetzt nicht von einem Räuber als willkommenes Opfer überfallen!

Nichts dergleichen geschah und so gelangte er ohne Zwischenfälle zur Kommandantur. Diese war auch nachts besetzt, zumal ein Teil des Hafens in Alarmbereitschaft war - nur wegen der SWORD FISH. Doch der Lord wollte nichts von den Diensthabenden, sondern er wollte zu deren oberstem Chef, der im gleichen Haus residierte, wie er wusste.

Nur gut, dass er Comandante Fernando Garcia schon viel länger kannte. Es wäre sonst schwierig, wenn nicht gar unmöglich gewesen, bis zu ihm vorzudringen, ohne aufgehalten zu werden. Das Empfehlungsschreiben der Prinzessin hätte ihm erst bei dem Comandante selbst genutzt, auf keinen Fall vorher.

Der Lord umrundete das herrschaftliche Gebäude, indem nicht nur die Kommandantur, sondern auch die Residenz des Comandante untergebracht war.

So wie immer!, dachte er in einem Anflug von Galgenhumor, sicherte ein letztes Mal nach allen Seiten, nahm Anlauf und sprang nach oben.

Seine Hände krallten sich um den schmalen Absatz. Er ließ seinen Körper zur Seite pendeln, um auszuholen und dann schwang er sich mit artistischer Geschicklichkeit hinauf.

Er musste sich eng an die Wand pressen, um nicht wieder abzustürzen, als er sich auf dem schmalen Absatz entlang bewegte, um das nächstgelegene Fenster zu erreichen.

Es war geschlossen - natürlich!

Vorsichtig beugte er sich vor, um hinein zu spähen. Das Butzenglas war zwar sauber, aber es verzerrte alles, was sich dahinter befand. Doch wäre es klarer gewesen, hätte ihm das wenig genutzt, weil es im Innern stockdunkel war.

Er klopfte trotzdem gegen das Glas.

Erst beim dritten Mal wurde das Fenster geöffnet. Zum Vorschein kam die Spitze eines Vorderladers. Eine Stimme raunzte ihn aus dem Dunkel des Raumes an: "Was soll das?"

"Es lebe das heilige Spanien und seine Freundschaft mit England!", antwortete Lord Cooper mit der verabredeten Formel.

Sofort wurde der Lauf zurückgezogen. Ein Kopf kam zum Vorschein.

"Ihr, Lord Cooper?", wunderte sich der Mann.

Es handelte sich nicht um den Comandante, sondern um einen seiner wichtigsten Vertrauten, der in das besondere Verhältnis mit dem Lord eingeweiht war.

Er machte Platz, damit der Lord einsteigen konnte.

"Ich komme in einer äußerst pikanten Angelegenheit!", sagte er dabei eindringlich.

"Tut Ihr das denn nicht immer?" Der Offizier lachte leise. "Aber gut, ich setze den Comandante in Kenntnis über Euer Kommen."

Er schloss das Fenster und ging durch die Dunkelheit zur Tür. Licht drang von draußen herein, als er diese öffnete. Nach kurzer Zeit kam er mit einer brennenden Kerze zurück, um damit auch Licht in dem Raum anzuzünden, in dem sich Lord Cooper befand.

Erst jetzt konnte man sehen, dass es sich um eine Art Büro handelte. Das Einzige, was dieses Bild störte, war die Ruhestätte in der Ecke. Sie sah benutzt aus. Also hatte der Offizier sich bereits zum Schlafen niedergelegt.

Dem Lord war klar, dass der Offizier so eine Art Bereitschaftsdienst hier versah. Mehrere Vertraute des Comandante wechselten sich dabei ab, also war dieser Raum stets besetzt. Wenn man so wollte: Dies war die Leibgarde des Comandante. Schließlich war er eine der wichtigsten Persönlichkeiten von Vigo.

Für Lord Cooper war er sogar die wichtigste Persönlichkeit von ganz Spanien - nach der Prinzessin.

Damit sie nicht zufällig von draußen beobachtet werden konnten - obwohl das Butzenglas kaum Einzelheiten würde erkennen lassen -, zog er den Sichtschutz vor.

Kaum war das geschehen, kam der Comandante herein.

"Ich habe Euch bereits erwartet!", sagte er zur Begrüßung.

Lord Cooper wunderte das keineswegs, denn der Comandante war sicher der Erste gwesen, dem man gesagt hatte, dass die SWORD FISH in den Hafen einlief.

"Leider habe ich Euch warten lassen, Comandante, aber die Bewachung meines Schiffes ist ziemlich lückenlos."

"Nicht vollkommen, sonst wäret Ihr nicht hier!", schnappte der Comandante.

"Ich nehme an, daran seid Ihr nicht ganz unschuldig? Ihr wisst ja schließlich, wie ich mich stets bemühe, ungesehen an Land zu kommen."

Jetzt lachte der Fernando Garcia und ließ endlich Wiedersehensfreude erkennen.

"Ihr seid mir schon ein besonderer Fuchs, Mylord!" Er trat näher und die beiden ungleichen Männer fielen sich in die Arme.

"Ich freue mich jedesmal aufs Neue, Euch zu begegnen!", gestand Lord Cooper danach und musterte wohlwollend die füllige Gestalt des Comandante.

Dieser nickte ihm lächelnd zu.

"Es beruht bekanntermaßen auf Gegenseitigkeit. Obwohl es leider nicht möglich ist, unsere Freundschaft in aller Öffentlichkeit zu zeigen. Schließlich bin ich der Comandante der spanischen Zollbehörde und Ihr der Sonderbeauftragte der Königin von England."

"Nun, vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit, dies für die Zukunft ein wenig leichter zu gestalten?", stellte Lord Cooper mit einem verschwörerischen Unterton in den Raum.

Der Comandante musterte ihn aus listigen Augen.

"Ihr wisst, Mylord, dass ich ein treuer Untertan der spanischen Krone bin, obwohl ich nicht alles gut zu heißen vermag, was unser König tut. Zum Beispiel diese rigorose Behauptung des Seemonopols betreffend die Neue Welt... Wir beide sind uns darüber einig, dass dies über kurz oder lang nachhaltig den Frieden stört. Spanien wird nur deshalb nicht angegriffen von seinen angeblichen Freunden, weil man die spanische Armada fürchtet. Im Grunde genommen wird mein geliebtes Land von allen anderen aus ganzem Herzen gehasst. Ich finde, falscher kann keine Politik mehr sein als die, mit Angst zu regieren anstatt mit Gerechtigkeit!"

Das wusste Lord Cooper. Er wusste auch, dass der Comandante nicht einfach nur ein gemeiner Spion war, der gemeinsame Sache mit einem Feind machte. Was den Comandante bewegte, waren durchaus edle Motive. Er sorgte sich um den Frieden in Europa und wollte mit dazu beitragen, diesen zu wahren. Seine Methoden allerdings hätten ihn das Leben gekostet, wäre es jemals heraus gekommen.

"Ich will keine Zeit vergeuden und gleich auf den Punkt kommen!", sagte Lord Cooper ernst.

Comandante Fernando Garcia schickte seinen Vertrauten mit einer Handbewegung hinaus. Erst als sich hinter diesem die Tür schloss, griff Lord Cooper in die Tasche und reichte dem Comandante das Empfehlungsschreiben der Prinzessin.

Als dieser die Handschrift erkannte, weiteten sich unwillkürlich die Augen. Als er den Text las, vergaß er sogar für Augenblicke zu atmen.

"Die Prinzessin... lebt?", stammelte er am Ende.

"Mehr noch als das", versicherte ihm der Lord: "Sie befindet sich wohlbehalten an Bord meines Schiffes und möchte zu ihrem Vater zurückkehren!"

"Aber dann..." Den Rest ließ der Comandante unausgesprochen, doch Lord Cooper erkannte die Angst in seinen Augen.

"Keine Bange, sie weiß nichts von uns beiden. Sonst hätte es ja ihres Empfehlungsschreibens nicht bedurft."

"Versteht mich nicht falsch, Mylord, niemand freut sich mehr als ich über die Tatsache, dass die Prinzessin den Überfall auf ihr Schiff überlebt hat, von dem ich übrigens erst vor zwei Tagen erfahren habe. Allerdings..." Abermals brach er ab.

"Es ist alles mit ihr abgesprochen: Es sollte Euch gelingen, sowohl die Prinzessin, als auch mich nach Madrid bringen zu lassen, natürlich mit einer entsprechenden Eskorte. Seht Ihr die Chance für Euch selber? Ihr werdet derjenige sein, der König Philipp die verlorene Tochter zurück gebt, einschließlich ihrem heldenhaften Retter."

"Retter?", echote der Comandante misstrauisch.

Mit knappen Worten erzählte ihm Lord Cooper, wie es dazu gekommen war, dass die Prinzessin sich in seiner Obhut befand.

"Ihr habt Recht!" Comandante Fernando Garcia atmete hörbar erleichtert auf. "Es ist eine einmalige Chance für mich, der Krone meine Ergebenheit zu beweisen." Er zögerte kurz und dann fuhr er fort: "Ihr habt euch sicherlich gewundert, wieso ich der Prinzessin zur Flucht außer Landes verholfen habe?"

Der Lord ging nicht auf die Frage ein, sondern betrachtete den Comandante nur stumm.

Dieser schlug die Augen nieder und sagte: "Ich bin nicht allein, wie Ihr Euch vielleicht denken könnt. Es existiert in Spanien eine Art... heimliche Opposition. Wir sind viel zu schwach, um wirklich unsere Ziele durchzusetzen, doch wir nehmen jede Chance wahr, die sich uns bietet." Er hob den Blick und redete mit fester werdender Stimme weiter: "Meine Verbündeten leiteten die Prinzessin an mich weiter. Das Geld, das sie uns gab, floss in die gemeinsame Sache. Wir halfen ihr aber nicht um des Geldes Willen, sondern weil wir glaubten, das Richtige zu tun. Stellt Euch vor: Die Prinzessin selber in Opposition zu ihrem Vater, Philipp II. Sie anschließend drüben in der Neuen Welt. Welche Verbündete hätte für uns wertvoller sein können?"

Das leuchtete dem Lord voll und ganz ein, schließlich dachte er zu Gunsten der Angelegenheiten Englands genauso! Aber im Gegensatz zu dem Comandante war er nicht der Meinung, die Prinzessin wäre wertvoller in der Neuen Welt! Das sagte er diesem natürlich nicht.

"Die Prinzessin möchte nach diesem schlimmen Erlebnis einfach nur noch zurück zum Palast."

"Um diesen von ihrem Vater ausgesuchten Bräutigam am Ende doch noch zu heiraten etwa?", wunderte sich Fernando Garcia.

"Nein! Sie hofft darauf, dass es wenigstens mir gelingen wird, ihren Vater davon abzubringen."

Fernando Garcia wiegte bedenklich den Kopf. Er schien nicht daran glauben zu können, es könnte jemals jemandem gelingen, den König von einem einmal gefassten Entschluss wieder abzubringen.

"Wie auch immer: Ihr könnt Euch voll und ganz auf mich verlassen, Mylord! Bleibt hier für den Rest der Nacht. Morgen werde ich alles Nötige veranlassen. Das heißt, ich werde unter anderem einen Kurier hinüber schicken, um dem Captain der SWORD FISH den Entschluss der Zollbehörde mitteilen zu lassen: Lord Donald Cooper, Sonderbeauftragter der Königin von England, wird in höchst offizieller diplomatischer Mission in Begleitung seiner holden Gattin nach Madrid gebracht - natürlich entsprechend eskortiert."

"Und wie soll ich in der Zwischenzeit zurück an Bord gelangen?", erkundigte sich der Lord, obwohl er bereits ahnte, welchen Plan der Comandante verfolgte, sonst hätte er dabei nicht gelächelt.

Der Comandante packte ihn an den Schultern und lachte ihm ins Gesicht: "Dieser Kurier werdet natürlich Ihr selber sein - und Eure holde Gattin, mit der Ihr nach dem Umziehen das Schiff wieder verlasst... die Prinzessin!" Sie lachten jetzt beide wie über einen guten Witz. "Inzwischen schicke ich einen Vertrauten als Kurier nach Madrid, damit der König erfährt, dass es seiner Tochter gut geht und sie auf dem Weg zu ihm ist - in Begleitung ihres Retters. Denkt Euch eine gute Geschichte aus unterwegs, die Ihr dem König erzählen wollt, damit alles schlüssig klingt!"

Vielleicht würde sich im Nachhinein jemand wundern, dass ein Kurier an Bord des Schiffes ging, der anscheinend niemals wieder von Bord zurückkehrte, aber die Vorstellung dessen stimmte sie keineswegs bedenklich, sondern erregte nur noch mehr ihre Heiterkeit.

Plötzlich jedoch wurde der Comandante wieder sehr ernst. Er wandte sich vom Lord ab, verschränkte seine Hände hinter dem Rücken und ging ein paarmal unruhig hin und her.

Der Lord wagte nicht zu fragen: Was hatte denn sein spanischer Freund, der Comandante, auf einmal?

Fernando Garcia blieb ruckartig vor ihm stehen und musterte ihn sekundenlang.

"Ihr wart mehrmals bei mir und habt mich nach Informationen über die Neue Welt und vor allem nach der Route gefragt, wie unsere Schiffe dorthin gelangen können. Ich habe Euch stets belogen, Mylord, denn selbstverständlich bin ich nicht nur über alles im Bilde, was das betrifft, sondern besitze Karten und Beschreibungen!"

Unwillkürlich weiteten sich die Augen des Lords. Was würde jetzt kommen?

Der Comandante legte schwer seine Hand auf die Schulter des Lords und betrachtete ihn abermals sekundenlang.

"Ich will euch was sagen, Mylord, ich habe Euch deshalb belogen, weil ich mir einfach nicht gewiss sein konnte, ob es wirklich der Sicherung des Friedens zwischen unseren Ländern dient. Ich wollte ganz einfach kein Risiko eingehen. Jetzt allerdings, nach allem, was geschehen ist und durch die Rückkehr der Prinzessin an den Hof von Spanien geschehen wird... Die Prinzessin ist England sicherlich wohl gesonnen. Sie wird ihren Vater dazu bringen, England weiterhin als befreundete Nation anzusehen, falls es Euch wirklich gelingen sollte, ihn von seinen Heiratsplänen abzubringen. Nur so wird Carla von Spanien nämlich genügend Zeit für ihre Mission als Botschafterin des Friedens haben."

Lord Cooper wusste, dass Fernando Garcia diese lange Vorrede nur brauchte, um sich selber nicht wie ein gemeiner Verräter vorzukommen. Er blieb deshalb stumm und wagte es nicht, die Rede auch nur mit einer Geste, geschweige denn mit einem einzigen Wort zu unterbrechen.

Der Comandante fuhr fort: "Ich werde Euch alle Unterlagen geben, die Ihr benötigt, um nicht länger blind zu bleiben, die Neue Welt betreffend! Ich sehe darin keinerlei Gefahr für Spanien, aber eine zusätzliche Chance für den europäischen Frieden. Schließlich habt Ihr mit allem hinlänglich bewiesen, dass Ihr auf der gleichen Seite seid! Ihr für England und ich für Spanien!"

Er wandte sich abrupt ab und riss die Tür auf. Dann bellte er ein paar Befehle.

Es dauerte nicht lange, bis Lord Cooper alles in Händen hielt, weswegen er vorher mehrmals vergeblich Vigo angefahren hatte. Er konnte nun sagen, dass dieser Teil seiner Mission beinahe triumphal erfolgreich verlaufen war und er spürte dabei, dass seine freundschaftlichen Gefühle, die er dem Comandante gegenüber hegte, sich entscheidend vertieft hatten.

Denn der Comandante hatte Recht: Auf diese Weise wurde dauerhaft Krieg verhindert, der vielen tausend Menschen den Tod gebracht hätte - und Elend über Europa!

Er dachte unwillkürlich an die Bemerkung der Königin, alles dies würde ihn, Lord Cooper, zur derzeit wichtigsten Persönlichkeit in der Weltgeschichte machen - ohne dass es möglicherweise jemals in den Geschichtsbüchern erwähnt werden würde, weil alles in völliger Heimlichkeit erfolgte...

Und er dachte an noch etwas: Mit diesen hochbrisanten Unterlagen würde es zwar kaum englischen Kriegsschiffen gelingen, heimlich die Neue Welt zu erobern, ohne vorher von der Armada vernichtet zu werden, aber wenn Piraten heimlich... Es war völlig klar, an wen er in diesem Zusammenhang dachte: Jeannet und ihre Piraten!

Dabei war außerdem klar, dass irgend jemand schließlich mehr oder weniger engen Kontakt mit den Piraten pflegen musste, wenn sie in solch geheimer Mission unterwegs waren. Logisch, dass dafür niemand anderes in Frage kam als er, Donald Cooper!

Grundbedingung für alles war natürlich das Einverständnis der Königin, doch darüber machte sich der Lord die wenigsten Sorgen. Er kannte die Königin gut genug, um zu wissen, dass sie absolut begeistert darüber sein würde. Es gab seiner Einschätzung nach nur einen einzigen ihrer engsten Berater, der letztlich diese Meinung nicht vertreten würde, allein schon, weil alles von ihm, Lord Cooper, ermöglicht worden war: Lord Graham. Doch bevor dieser Graham wirklich Erfolg mit seiner Beeinflussung haben würde, indem er der Königin vielleicht einredete, mit der Piratenpräsenz in der Neuen Welt könnte England doch noch Gefahr laufen, vor der Zeit das Missfallen Spaniens zu erregen... Ja, bevor dies geschah, würde alles längst in die Wege geleitet sein, ohne dass es noch aufzuhalten war.

Jedenfalls war er davon gänzlich überzeugt! Nun, die Zukunft würde es erweisen...

*



Die Überraschung war auch für die Besatzung der SWORD FISH groß, als ihr eigener Captain als Kurier der örtlichen Zollbehörde von Vigo an Bord kam. Nur die beiden Eingeweihten, John Kane und Geoffrey Naismith, ahnten, wie ihr Captain das geschafft hatte. Die Prinzessin bekam sowieso zunächst nichts davon mit, weil sie sich in ihrer Kabine versteckt hielt.

Bis Lord Cooper sich umgezogen hatte und an ihrer Tür klopfte.

"Ja?", rief sie bang.

Er trat lächelnd ein und verbeugte sich artig. Damit niemand mithören konnte, schloss er hinter sich die Tür.

"Ich habe mit Eurem Verbindungsmann sprechen können und er hatte einen großartigen Plan: Ich gelte als der Sonderbotschafter Ihrer Majestät, der Königin von England, der in dringender Angelegenheit auf dem Weg zu König Philipp II. ist und Ihr werdet mich als meine holde Gattin nach Madrid begleiten! Inzwischen ist bereits ein Kurier unterwegs, um Euren Vater in Kenntnis über Euer Kommen zu setzen. Niemand in Vigo wird auf die Idee kommen, dass Ihr in Wahrheit die Prinzessin seid!"

"Das ist wahrlich genial!", rief die Prinzessin gut gelaunt und entließ den Lord sogleich wieder, damit sie sich in aller Eile zurecht machen konnte.

Sie als holde Gattin des Sonderbotschafters? Die Vorstellung gefiel ihr außerordentlich gut und sie genoss es jetzt schon. Deshalb war sie gewissermaßen in Rekordzeit bereit und verließ ihre Kabine, um nur wenig später am Arm ihres angeblichen Gatten über das Reep an Land zu gehen.

Zwar wurde alles weiträumig abgeriegelt wie bei einem Staatsempfang, aber es hatten sich dennoch genügend Schaulustige eingefunden, die aus sicherem Abstand den beiden begeistert zu jubelten. Es kam ja schließlich nicht alle Tage vor, dass ein so hoher Würdenträger der englischen Krone gemeinsam mit seiner Gattin spanischen Boden betrat - dachten sich die Menschen.

Ach, am liebsten hätte Carla den Arm des Lord niemals mehr los gelassen. Sie fühlte sich an seiner Seite nicht nur sicher und geborgen, sondern einfach rundherum... glücklich!

Als sie in seinem Gesicht forschte, konnte sie allerdings keinerlei Gefühlsregung erkennen. Offensichtlich, weil er sich meisterlich zu beherrschen wusste, wie sie sich einbildete.

Eine große Kutsche wartete auf sie beide. Noch während sie einstiegen, wurde bereits eine zweite Kutsche mit allem beladen, was der Prinzessin gehörte. Aber diese Kutsche musste auch Dinge aufnehmen, die Lord Cooper auf seiner Mission benötigte.

Sie mussten mit der Abfahrt warten, bis alles verladen war und da erschien Comandante Fernando Garcia auch noch persönlich, um sich ehrerbietend vor dem Lord und seiner angeblichen Gattin zu verbeugen und ihnen gute Reise zu wünschen.

Prinzessin Carla lächelte flüchtig, als sie ihn sah und nickte ihm kaum merklich zu, um ihn ihres Wohlwollens zu versichern, während Lord Cooper mit den Gedanken nicht ganz dabei war.

Er dachte nämlich an Jeannet: Alles wird gut!, redete er sich ein. Wir werden immer wieder voneinander getrennt sein, teilweise wahrscheinlich für Monate, aber es wird danach jedesmal ein glückliches Wiedersehen geben. Ja, alles wird gut! Und dann dachte er an die Dokumente und Karten, die ihm der Comandante überlassen und die er an Naismith und Kane weiter gegeben hatte. Das Leuchten in deren Augen war ihm nicht entgangen. Sie hatten begriffen, was für eine großartige Sache das war. Jetzt ließen sie sich allerdings nicht blicken, weil ihnen der Lord befohlen hatte, zurückhaltend zu bleiben. Es durften in der Zeit seiner Abwesenheit immer nur wenige der Besatzung das Schiff verlassen, stets abwechselnd. Er legte Wert darauf, dass die SWORD FISH sofort startklar war, sobald er zurückkehrte. Egal, wie lange er unterwegs sein würde.

Die beiden Offiziere hatten vollstes Verständnis dafür. Sie würden alles Nötige überwachen und die Besatzung war diszipliniert genug, dass keinerlei Zwischenfälle zu befürchten waren. Nicht auszudenken, wenn nur einer der Besatzung sich außerhalb des Schiffes beispielsweise in einen Streit verwickeln ließe und man deshalb vielleicht das Schiff überprüfte, ohne dass der Comandante dies rechtzeitig verhindern konnte. Wenn dabei die geheimen Dokumente und Karten gefunden werden würden...

Lord Cooper richtete im wahrsten Sinne des Wortes seinen Blick nach vorn, um nicht länger über unangenehme oder gar bedrohliche Eventualitäten nachzudenken und sich lieber auf die Begegnung im Königspalast mit Philipp II. zu konzentrieren.

Endlich setzte sich die Kutsche eskortiert von einem schwer bewaffneten Reitertrupp in Bewegung.

Die beiden Fahrgäste in der leicht schwankenden Kutsche sprachen lange Zeit kein einziges Wort. Bis sie die Stadt längst hinter sich hatten und sich in freier Landschaft befanden. Da sagte die Prinzessin auf einmal: "Wie wollen wir meinem Vater alles erklären? Mit der... Wahrheit?"

"Was Eure Rettung und alles danach betrifft... dürfte die Wahrheit sicherlich am besten sein", antwortete er zögerlich. "Andererseits müssen wir uns überlegen, wie wir Eurem Vater glaubhaft machen können, dass Ihr so ohne Weiteres mit einem Siedlerschiff das Land verlassen konntet, obwohl so intensiv nach Euch gesucht wurde."

Sie nickte ernst. "Darüber habe ich mir allerdings ebenfalls bereits Gedanken gemacht. Wollt Ihr das Ergebnis Euch anhören?"

"Ich bitte sogar darum, Prinzessin."

"Nun gut, Mylord: Mein Vater weiß längst, dass ich ein beträchtliches Vermögen mitgenommen habe. Ich berichte ihm, mich als Edelfrau getarnt und Bettler von der Straße bestochen zu haben, die dann als meine Dienerschaft auftraten, ohne auch nur ahnen zu können, wer ich in Wahrheit bin. Sie begleiteten mich unerkannt bis nach Vigo, wo ich mit dem Captain eines Schiffes verhandelte. Hier kann ich dann mit der Wahrheit fortfahren, denn diesen Captain kann niemand mehr zur Rechenschaft ziehen, weil er schon lange nicht mehr lebt. Die angebliche Dienerschaft schickte ich weg und ich weiß selber nicht, um wen es sich handelte. Sicher werden sie nicht mehr länger als Bettler herumlaufen, weil sie von dem leben können, was ich ihnen zum Abschied schenkte. Sie wissen auch jetzt noch nicht, wem sie gedient haben und wer sie so fürstlich dafür belohnte - und werden es nie erfahren."

"Das klingt vortrefflich und es kommt vor allem nicht der geringste Verdacht auf, den Comandante betreffend. Außerdem kann Euer Vater niemandem vorwerfen, nicht aufmerksam genug gewesen zu sein. Ich muss Euch wirklich loben, Prinzessin, für Euren Erfindungsreichtum."

"Vielen Dank, Mylord, aber das Lob gehört ganz Euch. Wenn ich bedanke, dass ich diese Kutsche als Eure Gattin betrat..."

"Oh, wie schon erwähnt, das war nicht meine Idee, sondern die des Comandante."

"Soll ich das so meinem Vater berichten?"

"Ja, denn es wäre ganz im Sinne von Fernando Garcia. Wenn Euer Vater Einzelheiten zu hören wünscht, sagt ihm, ich hätte in meiner Eigenschaft als Sonderbeauftragter der Königin von England persönlich ein entsprechendes Gespräch mit dem Comandante geführt. Ich wiederum berichte auf Befragen, die Empfehlung der Königin von England hätte den Comandante dazu bewogen, sich höchstselbst mit mir Gesandtem zu beschäftigen. Er habe mich zu sich gebeten und dabei hätte ich ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit die Wahrheit gesagt, nämlich dass Ihr Euch bei mir an Bord befinden würdet, um möglichst ohne Aufsehen zurückkehren zu können in den Palast ihres Vaters, dem großherrlichen König von Spanien. Als erfahrener Comandante und treuer Untertan seines Königs habe er sofort gehandelt und das einzig Richtige getan: Ihr seid als meine Gattin ausgegeben worden, damit Eure Heimkehr wie gewünscht inkognito erfolgen konnte. Alles andere hätte zu unnötigen Verzögerungen geführt."

"Ach, ich sehe schon, in welch idealem Maße wir uns ergänzen!", schwärmte die Prinzessin unwillkürlich.

Da glaubte er, der rechte Zeitpunkt sei endlich gekommen, um die Prinzessin allmählich darauf vorzubereiten, dass von einer Liaison mit ihm ihr Vater unmöglich zu überzeugen war: "Diese Auffassung teile ich, Prinzessin, mit Verlaub gesagt!" Seine Stimme klang warm - beinahe zu warm!

Carla hing darum zunächst andächtig an seinen Lippen, als er fortfuhr: "Wahrlich, wenn Ihr mir erlaubt, offener zu sein, Prinzessin: Ich habe selten in meinem Leben eine Hochwohlgeborene kennengelernt mit Eurer Schönheit und... Intelligenz. Dies außerdem gepaart mit einem übervollen Herzen. Es gibt wahrlich auf dieser Welt keinen einzigen Mann, der nicht Euretwegen mit Freuden sein Leben opfern würde, genauso wie ich. Aber Ihr seid die Prinzessin von Spanien, während ich nur ein Emporkömmling bin, der die Gunst der Königin von England erlangte und nur somit zu Ehre und Ansehen kam."

Carla zog unwillkürlich ihre hübsche Stirn ein wenig kraus. Schlagartig war alles Glück aus ihrer Brust verschwunden und hatte eisiger Kälte Platz gemacht. Sie spürte sogar eine Gänsehaut auf ihrem Rücken, als wäre die Temperatur im Innern der Fahrgastkabine schlagartig unterhalb des Gefrierpunktes gesunken.

Gern hätte sie ihren Blick von dem jetzt unnatürlich blass wirkenden Gesicht des Lords abgewendet, aber es gelang ihr einfach nicht, sich auch nur zu regen.

Der Lord hingegen war deshalb so blass, weil er deutlich sah, wie schwer seine Worte die Prinzessin getroffen hatten. Unbarmherzigen Peitschenhieben gleich waren sie offenbar auf diese niedergegangen.

Er hatte sie keineswegs verletzen wollen, doch er hatte lange überlegt, welche Formulierung die Richtige gewesen wäre. Hatte er sich letztlich geirrt und die falsche Strategie gewählt? Oder war es nur der falsche Zeitpunkt?

Seine Lippen bebten vor Furcht, wiederum das Falsche zu sagen, aber Carla glaubte, es sei deshalb, weil er selber darunter litt, niemals ihre Liebe wirklich erwidern zu dürfen:

"Denkt an Eure Stellung - und an Euren Vater! Ihr seid durch die Erlebnisse auf Eurer Flucht zur Frau gereift, die ihren Vater mit großem Stolz erfüllt. Das wird er verstehen und er wird auch verstehen, dass er seine Heiratspläne unter solchen Umständen nicht aufrecht erhalten darf. Er wird mich als Euren Retter ehren und sogar als denjenigen lieben, der ihm seine verlorene Tochter persönlich zurück brachte... Allerdings nur so lange, wie der gebührliche Abstand zwischen der Prinzessin von Spanien und einem im Grunde unbedeutenden Diener der englischen Königin gewahrt bleibt. Wenn auch nur der geringste Verdacht entsteht, ich würde mich gar erdreisten, mehr zu erwarten..."

"Ihr wäret des Todes!", ächzte die Prinzessin mit erstickter Stimme. Sie kämpfte mit ihren Tränen, zunächst erfolgreich, aber dann brachen sie aus ihr heraus wie eine Sturzflut.

Ach, wie gern hätte Lord Cooper sie jetzt tröstend in die Arme genommen und wie gern hätte sie das auch gehabt, aber er hatte vollkommen Recht: Es durfte nicht sein!

Mit tränenverschleiertem Blick schaute sie ihn an. Sie liebte ihn doch so sehr. Er saß direkt vor ihr, aber es war, als würde er in einer völlig anderen Welt sitzen. Dazwischen war ein auf ewige Zeiten unüberwindbares Hindernis.

Der Schmerz in ihrer bebenden Brust war so übermächtig, dass sie befürchten musste, ohnmächtig zu werden. Sie schaffte es nur deshalb, aufrecht sitzen zu bleiben, weil sie sonst befürchtete, den Lord aus den Augen zu verlieren.

Sie zeigte ihm ihr Leid und ihre Tränen und schämte sich keine Sekunde dafür. Sollte er selber sehen, was sie für ihn empfand.

Aber auch seine Tränen entgingen ihr nicht. Obwohl sie nicht wusste, dass er aus einem völlig anderen Grund weinte als dem von ihr vermuteten: Dem Lord tat es unendlich leid, die Prinzessin so leiden zu sehen. Er haderte mit sich selbst im Stillen, obwohl er wusste, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hatte. Auch der Zeitpunkt war genau richtig gewesen. Sie hatten eine lange Fahrt vor sich, in der sie ziemlich eng zusammen waren und keiner dem anderen aus dem Weg gehen konnte. Die Umstände hatten das so bedingt. Schließlich war sie als seine Gattin deklariert worden. Wenn er auch nur eine Sekunde länger gezögert hätte, wäre es hernach nur noch viel schlimmer geworden für sie - und schwieriger für ihn.

Und jetzt weinte er aus tiefstem Mitleid mit der Prinzessin, die es wahrlich nicht verdient hatte, so leiden zu müssen.

Aber die Argumente waren für die Prinzessin einleuchtend. Sie schalt sich selber eine Närrin, dass sie alle Gedanken daran so vehement verdrängt hatte. Ja, sie hatte sich sogar vorgemacht, der Lord könnte gegenüber ihrem Vater eine würdige Alternative zu dem von diesem ausgesuchten Heiratskandidaten sein. Wie hatte sie auch nur eine Sekunde so naiv sein können, dies anzunehmen? Ihr Vater hätte auf der Stelle Lord Cooper vierteilen lassen und sie danach erst recht mit jenem Prinzen verheiratet.

Ja und tausend Mal ja: Er hatte vollkommen Recht!

"Es - es tut mir leid!", weinte die Prinzessin.

"Mir auch, Prinzessin, das dürft Ihr mir glauben."

"Wie konnte ich nur so blind sein? Ist es, weil ich noch so jung bin, Mylord?"

"Gewiss, Prinzessin."

"Ihr seid älter als ich, Mylord und sicherlich ungleich erfahrener, doch Ihr leidet jetzt ebenfalls, wie ich sehe, obwohl Ihr es die ganze Zeit über längst gewusst habt, wie aussichtslos alle Wünsche und Hoffnungen für ein gemeinsames Leben, eine gemeinsame Zukunft bleiben müssen!"

"Auch das ist richtig, Prinzessin!" In Gedanken fügte er hinzu: Ja, ich weiß, wie es ist, zu lieben, ohne dass diese Liebe eine echte Chance bekommt. Es ist schlimm und tut schrecklich weh. Jeannet und ich haben es gegenüber Euch, Prinzessin, sogar noch gut, denn wir dürfen uns in Zukunft wenigstens ab und zu sehen und uns berühren und unseren Gefühlen zumindest für eine kurze Zeit freien Lauf lassen. Während Ihr...

Die Gefühle, die er für die Prinzessin hegte, waren nicht die eines begehrenden Mannes, sondern die eines väterlichen Freundes. Dabei ahnte er, dass er sicher bereit gewesen wäre, mehr für sie zu sein als nur ein väterlicher Freund, wäre sein Herz nicht bereits so übervoll gewesen vor Liebe zu Jeannet. Nein, da hatte niemals mehr eine andere Frau Platz. Es war völlig unmöglich!

Ja, das in tief empfundener Freundschaft geborene Mitgefühl bewegte ihn - für die leidende Prinzessin, der er so wenig helfen konnte -, aber zusätzlich auch noch brennende Sehnsucht zur gleichen Zeit nach Jeannet... Kein Wunder, dass er nicht länger den starken Mann mimen konnte und sich bittere Tränen Bahn brachen...

"Ich bin bloß froh, dass wir noch eine Weile zusammen sein können, Mylord!", sagte die Prinzessin.

Er schaute in ihr verweintes Gesicht und schüttelte den Kopf: "Aber quält es Euch denn nicht noch mehr, mich ansehen zu müssen?"

"Nein, ganz im Gegenteil, Mylord. Eure Nähe tut mir gut - und wie ergeht es Euch? Falls es Euch allerdings zu sehr belastet...?"

"Keineswegs, Prinzessin, denn auch ich genieße Eure Anwesenheit - trotz allem. Ich darf Euch versichern, ich habe viele hochgestellte Persönlichkeiten in meinem Leben gesehen und erlebt, aber keine hat auch nur Ähnlichkeit mit Euch!"

"Auch die Königin von England nicht?"

Er stutzte. Aber dann antwortete er: "Jetzt, wo Ihr es erwähnt, fällt es mir wie Schuppen von den Augen... Darf ich Euch sagen, dass die Ähnlichkeit zu Ihrer Majestät, der Königin von England, sogar verblüffend groß ist? Oder soll ich es anders formulieren: Ihr seid wie eine Schwester von ihr!"

"Ja, sie hat mich zumindest als ihre liebste Freundin bezeichnet!", gab Carla zu. "Es war das Schönste, was ich jemals gehört habe."

"Und es ist das Traurigste, was Ihr aus meinem Munde hören musstet. Ich bin untröstlich dessentwegen, Prinzessin und gleichzeitig völlig hilflos, weil ich nicht weiß, was ich für Euch jetzt noch tun kann."

"Ihr habt schon so unbeschreiblich viel für mich getan, Mylord und tut es weiterhin, indem Ihr einfach nur bei mir seid. Außerdem werdet Ihr mit meinem Vater reden und vielleicht als einziger verhindern können, dass er weiterhin auf dieser unseligen Heirat besteht."

Lord Cooper nickte ihr aufmuntert zu, obwohl er sich ganz und gar nicht danach fühlte, Trost spenden zu können, wo er doch selber eher des Trostes bedurfte. Andererseits hatte sich in seinem Kopf bereits eine Idee festgesetzt, was das entsprechende Gespräch mit dem König von Spanien betraf. Er hatte bisher nur Andeutungen darüber gemacht, denn noch war er sich nicht hundertprozentig sicher. Deshalb wollte er der Prinzessin gegenüber noch nichts Konkretes erwähnen.

Es kam ja auch auf die Situation an, die sie in Madrid vorfanden...

*



Spanien war zu jener Zeit nicht nur das mächtigste, sondern vor allem das reichste Land der Welt gewesen. Das spiegelte sich auch in seiner Hauptstadt wider. Dagegen kamen selbst Metropolen wie London, Paris oder Rom nicht an.

In ganz Madrid gab es keinerlei sichtbare Armut. Zwar lag das in erster Linie daran, weil die Soldaten des Königs in diesem Sinne für "Sauberkeit" sorgten, aber ein Besucher musste schon sehr genau hinsehen, um solche Hintergründe zu erfahren.

Lord Cooper brauchte überhaupt nicht hinzusehen, denn er kannte die Zusammenhänge sowieso. Prunk begegnete einem genauso in anderen spanischen Städten, nicht nur in Madrid, obwohl die Hauptstadt natürlich alles noch bei Weitem überbot und als Berater der englischen Königin war es für ihn lebensnotwendig, alles zu durchschauen und darüber zu wissen, was wichtig war.

Allerdings regierte Philipp II. nicht nur mit Gewalt, sondern er war bekannt dafür, dass er zuweilen sehr großzügig sein konnte, um nicht zu sagen... gütig!

Ein Spötter hätte nun gesagt: "Weil es sich ein so mächtiger König halt leisten kann!" Lord Cooper hingegen war zur Zeit einfach nur neugierig. Zwar würde er Philipp II. nicht zum ersten Mal begegnen, aber bislang hatte es noch niemals für eine private Audienz gereicht - und die würde er sicher bekommen, wenn der König von ihm wissen wollte, wie denn die Zusammenhänge bei der Befreiung seiner Tochter gewesen waren. Und dass ihm seine Tochter wirklich wichtig war, bewies allein schon der immense Aufwand, den er betrieb, um ihrer wieder habhaft zu werden.

Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn dennoch, als die eskortierte Kutsche mit der Prinzessin und ihm den Prachtbau des Königspalastes erreichten. Dass dies überhaupt ohne großen Aufenthalt möglich war, verdankten sie dem voraus geeilten Kurier. Also wusste der König längst Bescheid.

Prinzessin Carla von Spanien und Lord Donald Cooper hatten sich während der restlichen Fahrt immer wieder recht lebhaft unterhalten. Es waren trotzdem eher belanglose Gespräche geblieben - Konversation, um einerseits die Langeweile auf einer solch weiten Fahrt zu vertreiben und andererseits, weil sie diese Zeit als letztes, ungestörtes Zusammensein nutzen wollten.

Lord Cooper hatte es ihr gestanden und es war wirklich sein voller Ernst gewesen: Die Prinzessin war für ihn nicht nur auf Grund ihres hohen Standes etwas ganz Besonderes! Aber... er liebte nun einmal Jeannet. Sonst hätte er sicher Mittel und Wege gefunden, irgendwann der Prinzessin größten Wunsch zu erfüllen und ihr zu gehören! Was wäre gewesen, hätte die Königin von England ihn tatsächlich zum möglichen Thronfolger bestimmt - nur um seine Vermählung mit der Prinzessin zu ermöglichen? Er war heilfroh, dass die Prinzessin mit keinem Wort mehr auf dieses Thema zu sprechen kam. Sie hatte sich offenbar völlig damit abgefunden, dass es niemals eine gemeinsame Zukunft für sie geben durfte.

Oder war sie deshalb so schnell auf seine Argumente eingegangen, weil sie ihren Vater wesentlich besser kannte als er? Schließlich hatte die verschmähte Hochzeit bereits deutlich gezeigt, dass der König von Spanien durchaus seine ganz eigene Meinung über diese Angelegenheit hatte - und diese auch durchzusetzen wünschte.

Kein Wunder, dass mit jedem Yard, den sie ihrem Ziel näher kamen, das mulmige Gefühl in ihm sich verstärkte! Der König war völlig unberechenbar für ihn. Er konnte alles drehen und wenden, wie er wollte, aber es blieb ein unwägbares Risiko, was er vor hatte. Und er musste erfolgreich sein. Dafür war er mit gekommen. Wenn er versagte, würde er bei seiner Königin in Ungnade fallen. Da würden ihm auch die Unterlagen nichts mehr nutzen, die er von dem Comandante erhalten hatte. Geschweige denn, dass sein schöner Plan aufging, von wegen Jeannet mit ihren Piraten auf die Transatlantikroute zu schicken, um sich nach Wochen in der Neuen Welt mit ihr wieder treffen zu können...

Er schob sämtliche pessimistischen Gedanken ärgerlich beiseite und schöpfte tief Atem.

Die Prinzessin bemerkte es durchaus. Sie fragte nämlich prompt: "Nervös, Lord Cooper? Wegen meinem Vater? Es wird sicher nicht leicht sein, ihn zu überzeugen. Wie wollt Ihr es versuchen?"

Bisher hatte sie ihn nicht danach gefragt und er war froh gewesen darüber. Aber jetzt konnte er sich nicht so ohne Weiteres vor einer Antwort drücken.

Er räusperte sich wie verlegen in die hohle Hand, ehe er endlich auf ihre Frage einging: "Ihr Vater wird zornig sein - und erfreut zugleich. Das macht ihn sicher unberechenbar."

"Das ist er sowieso, glaubt mir. Niemand weiß, wie mein Vater entscheiden wird, wann immer eine Entscheidung ansteht. Bislang ist es ihm stets gelungen, noch jeden zu überraschen."

Lord Cooper dachte dabei respektlos: Mag auch daran liegen, dass er alles andere als entscheidungsfreudig ist - und sich am Ende selber mit seinen Entscheidungen überrascht? Er musterte die Prinzessin, als wollte er ihre Gedanken erraten: Wie war der König wirklich?

So, wie er ihn beim Treffen mit der Königin von England erlebt hatte, war er ja nicht wirklich. Das waren alles Rituale gewesen, aneinander gereiht vom Anfang bis zum Ende. Er, der mächtigste König auf Erden - und die Herrscherin über England, was zu jener Zeit nicht mehr Einwohner hatte als eine größere Außenprovinz von Spanien. Es war eine besondere Ehre für England gewesen, solch hohen Besuch empfangen zu dürfen. Genauso war er auch aufgetreten, sicher nur der Etikette entsprechend und nicht, weil er vielleicht wirklich so dachte. Schließlich war bei dieser Gelegenheit vor allem an dem Pakt geschmiedet worden, der die beiden Länder zumindest politisch zu Freunden machte.

"Wir sind da!", sagte die Prinzessin und weckte Lord Cooper damit aus seinen Gedanken, die wieder ziemlich trübe zu werden drohten. Er musste sich wirklich zusammen reißen, sonst verpatzte er allein schon mit seiner schlechten Stimmung seinen Auftritt beim König.

Die Kutsche schwenkte vor der hohen steinernen Treppe ein, die hinauf zum Hauptportal führte. Der Lord betrachtete die mächtigen Säulen dort oben, die keinen anderen Zweck hatten als dem Betrachter Ehrfurcht vor der Größe und der Macht Spaniens einzuflößen - mit Erfolg. Von der Treppe selber war nicht so viel zu erkennen, denn es erwartete sie darauf eine große Menschenmenge. Das mutete beinahe an wie Zuschauer auf den hohen Rängen in einem römischen Amphitheater.

Das sind keine Schaulustigen, korrigierte er sich sogleich, sondern... die Palastwache und jede Menge Diener und Zofen und... Seine Augen weiteten sich unwillkürlich. Er hätte alles vermutet, aber was er jetzt zu sehen bekam, übertraf selbst die kühnsten Erwartungen: Der König höchstselbst, umgeben von einer großen Schar von Dienern und Leibgardisten, aber auch von hohen Würdenträgern, die ihrem Namen alle Ehre machten, indem sie hochnäsig auf alle anderen herab schauten.

"Mein Vater!" Jetzt hatte auch die Prinzessin ihn entdeckt.

Sobald die Kutsche zum Stehen kam, bewegte sich König Philipp II. mit seinem ganzen Tross darauf zu. Vorn öffnete sich eine Lücke, damit der König ungehindert auf die Kutsche blicken konnte.

Er sieht keineswegs zornig aus, sondern... einfach nur beeindruckend. Keinerlei sichtbare Gefühlsregungen. Was wird geschehen, wenn ich jetzt aussteige?, dachte Lord Donald Cooper bang.

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als es darauf ankommen zu lassen. Er konnte sich ja schlecht in der Kutsche verstecken. Es hätte ihm auch recht wenig genutzt.

Vielleicht war es letztlich doch ein tödlicher Fehler gewesen, so vor zu gehen und die Prinzessin bis hierher zu begleiten? Aber er hätte niemals etwas anderes tun dürfen. Schließlich hatte ihm seine Königin recht eindeutige Befehle gegeben.

Er öffnete die Tür der Kutsche und wunderte sich dabei flüchtig, wieso das nicht schon längst von außen geschehen war. Vielleicht waren die eskortierenden Begleiter einfach zu überrascht ob des persönlichen Erscheinens des Königs? Anders konnte es wohl kaum sei. Aber auch die Schar der Bediensteten vom Palast kümmerte sich nicht darum. Überhaupt erschien die Menschenmasse dort draußen eher unruhig und unkontrolliert.

"Ich sehe, Ihr wundert Euch", sagte in diesem Moment die Prinzessin halbwegs amüsiert. "Ihr hättet mehr Diszipliniertheit erwartet - als Engländer. Aber wir sind nicht in London, sondern in Madrid!"

Überrascht wandte er den Blick zu ihr. Ja, sie hatte sogar Recht: Aber wie anders als mit einer wahrlich im gewissen Sinne übertriebenen Disziplin wäre es England bislang möglich gewesen, angesichts seiner schier übermächtigen Nachbarn zu überleben? Solche Sorgen hatten die Spanier in der Tat nicht. Mit anderen Worten: König Philipp II. konnte es sich durchaus leisten, eine solche Masse von Untergebenen um sich und seinen Palast zu scharen, dass man meinen mochte, ein Volksaufstand wäre das und keine wirkliche Begrüßungszeremonie!

Beinahe hätte Lord Cooper jetzt über sich selber gelacht, weil ihm dies alles erst durch die Bemerkung der Prinzessin bewusst geworden war. Doch er sah, dass auch das Amüsement der Prinzessin über sein Verhalten nur von kurzer Dauer gewesen war. Sie wurde schlagartig wieder ernst.

Er stieß die Tür nach draußen und stieg aus.

Der König war nur noch wenige Yards von ihm entfernt und stoppte jetzt.

Erst deutete Lord Cooper eine tiefe, ehrerbietende Verbeugung gegenüber dem König an. Dann verbeugte er sich zur Türöffnung der Kutsche hin und bot seinen Arm an, während er sich wieder aufrichtete.

Prompt erschien die Prinzessin. Sie zeigte die hochnäsigste Miene, zu der sie fähig war, weil dies von ihr erwartet wurde. Dann nahm sie die angebotene Hilfe des Lords an und entstieg sehr anmutig selber der Kutsche.

Der König riss theatralisch beide Arme hoch, als er ihrer ansichtig wurde. Als wäre er erst jetzt und endgültig davon überzeugt, dass es sich wirklich um seine leibliche Tochter handelte.

Es war das Zeichen für den Ausbruch eines solchen Jubels rings herum, wie Lord Cooper ihn selten in seinem Leben erlebt hatte. Und dann überbrückte der König die kurze Entfernung zu ihnen beiden mit schnellen Schritten, packte den Lord an beiden Schultern, schaute ihm kurz und forschend ins Gesicht, küsste ihn spontan auf beide Wangen und am Ende sogar auf den Mund, um ihn dann unter dem tosenden Beifall aller Umstehenden fest in seine Arme zu schließen.

Die Prinzessin stand eine wenig verloren daneben, doch sie ließ sich nichts anmerken.

Bis der König Lord Cooper auf Armlänge von sich drückte und ihn noch einmal ausgiebig musterte.

"Ich werde das Gesicht des Mannes niemals wieder vergessen, der mir meine Tochter zurückgegeben hat! Es ist, als wäre sie soeben ein zweites Mal geboren worden!"

Jetzt erst wandte er sich direkt ihr zu.

Lord Cooper sah überrascht, dass König Philipp II. dicke Tränen in den Augen hatte. Er, der mächtigste Mann seiner Zeit, schämte sich deren ganz und gar nicht und er nahm jetzt Carla in seine Arme.

Sie ließ es nicht nur geschehen, sondern klammerte sich regelrecht an ihn. Auch in ihren Augen sah der Lord Tränen und er wusste jetzt ganz sicher, dass sich Vater und Tochter alles andere als gleichgültig waren. Für den König musste es ganz schlimm gewesen sein, als seine Tochter vor ihm geflohen war.

"Verzeiht mir, Majestät!", murmelte sie, auch für Lord Cooper, der unmittelbar daneben stand, hörbar. Sonst bekam es niemand mit. Kein Wunder, bei dem Jubel ringsherum, der einfach nicht mehr abreißen wollte. Ja, er ebbte noch nicht einmal allmählich ab und Lord Cooper musste bereits um sein gutes Gehör fürchten.

"Du bist wieder bei mir, Carla! Das ist doch jetzt die Hauptsache. Aber du musst mir alles erzählen." Er wandte kurz den Kopf. "Und Ihr, Lord Cooper, werdet mit dabei sein." Er riss seinen Arm hoch und brüllte: "Wein und Spiele! Ein Festmahl. Ein rauschendes Fest. Zeigt England, wie Spanien zu feiern versteht. Zeigt unserem englischen Freund, was spanische Gastfreundschaft bedeutet!"

Das schier Unfassbare geschah: Der Jubel vergrößerte sich sogar noch und der Lord hatte alle Mühe, den Drang zu unterdrücken, sich beide Ohren zuzuhalten. Nein, diese Schwäche durfte er sich nun wirklich nicht leisten.

Und dann wurde er von einer Dienerschar abgedrängt und in Richtung Hauptportal geschoben. Irgendwo in der brodelnden Menge wusste er den König und seine Tochter. Sehen konnte er sie indessen nicht mehr.

*



Bis sich hinter ihm die Türen zur Privataudienz mit dem König von Spanien schlossen und er somit mit Philipp II. und dessen Tochter Carla allein war, war alles für ihn viel anstrengender als die gesamte Fahrt von Vigo hierher. Zwar war Lord Cooper kein Feind rauschender Feste, doch was hier im Königspalast von Madrid geschah, war sogar für ihn wesentlich zu viel. Der König feierte halt mit seinen Untertanen die Heimkehr der verlorenen Tochter. Für die Spanier war die Familie mehr als heilig. Das wusste Lord Cooper und deshalb brachte er für das, was die Spanier unter Feiern verstanden und was für ihn eher einer Tortur für all seine Sinne ähnelte, vollstes Verständnis auf.

Carla lächelte, als sie ihn erblickte, aber dieses Lächeln war distanziert, wie es ihrer Stellung als Prinzessin gebührte.

Der König stand bei ihr und schaute wohlwollend dem Lord entgegen.

"Schreitet näher, mein Freund! Ich kann mich übrigens nicht erinnern, dass ich Euch in London begegnet bin. Ihr wart auch noch nie zuvor hier in Madrid? Ach, egal, Ihr habt mir meine Tochter zurück gebracht. Sie hat mir das Wichtigste bereits erzählt und so weiß ich, dass Ihr ein Held seid und nicht nur der Sonderbeauftragte Eurer Königin."

Als Lord Cooper ihn erreichte und auf das rechte Knie sinken wollte, wie es Vorschrift war, verhinderte er es, indem er nach ihm griff und ihn mit unerwarteter Kraft wieder aufrichtete.

"Nein, mein Freund, Ihr dürft nicht in die Knie gehen vor dem König von Spanien! Ihr seid kein Lakai und auch keiner meiner Soldaten. Für mich seid Ihr etwas Besonderes."

Und doch wäre ich sogleich des Todes, würde ich es wagen, um die Hand Eurer geliebten Tochter anzuhalten!, dachte er indessen. Er ließ es sich aber wohlweislich nicht im Geringsten anmerken, lächelte vielmehr unverbindlich und ließ sich noch einmal von dem König abküssen, in die Arme nehmen und an die Brust drücken wie einen Bruder.

Als der König wieder von ihm abließ, sah Lord Cooper die Tränen in den Augen dieses mächtigen Mannes.

König Philipp wischte mit dem Handrücken kurz darüber und schüttelte den Kopf, dass seine langen, sorgsam ondulierten Haare flogen.

"Ihr seid mein liebster Gast, Lord Cooper, so lange Ihr beliebt! Lasst es Euch wohlergehen."

Der verbeugte sich knapp und es war das erste Mal, dass er etwas sagte seit seiner Ankunft. Zwar hätte die höfische Sitte es verlangt, viel früher damit zu beginnen, aber dafür hatte man ihm keinerlei Chance gelassen. Jetzt glaubte er, der richtige Zeitpunkt sei gekommen.

"Es war mir eine besondere Ehre gewesen, Eurer Tochter und somit Euch dienen zu dürfen!"

Der König stutzte kurz, aber dann lachte er gutmütig.

"Wie ich sehe, habt Ihr eure Lektionen in Sachen höfische Verstellung trefflich gelernt."

"Mehr noch als das, Majestät, Vater: Er ist ein wahrer Meister der höfischen Verstellung und hat mir einiges darüber beigebracht."

"Dir beigebracht?", fragte der König zweifelnd. Er schüttelte ein zweites Mal den Kopf. "Falls ihm das wirklich gelungen ist, dann ist er mehr als ein Held, wahrlich."

"Er gilt als unbesiegbarer Kämpfer und Heerführer. Jeder seiner Männer würde mit Freuden für ihn in den Tod gehen", übertrieb die Prinzessin ihr Lob. Wollte sie damit erreichen, dass der König die Worte des Lords ernster nehmen würde?

Aber der König lachte schon wieder und wandte sich dann entschuldigend an den Lord. "Verzeiht, Lord Cooper, dass ich lachen muss, aber es dient nicht der Verspottung, sondern es ist einfach die übergroße Freude, Carla wieder zu haben. Wisst Ihr, sie ist unser Sorgenkind. Sie ist allein schlimmer als der gesamte Hofstaat zusammen."

"Darf ich mir hierzu eine Bemerkung erlauben?", fragte Lord Cooper vorsichtig.

"Ihr? Aber immer doch!" Der König nickte wie zur Bekräftigung seiner Worte.

"Nun gut, Eure Majestät, aber ich darf behaupten, dass Prinzessin Carla von Spanien nicht mehr dieselbe ist, die Ihr gekannt habt."

Der König runzelte prompt die Stirn und schaute von einem zum anderen.

"Wie soll ich das verstehen, Lord?"

"Sie hat miterlebt, wie ihr Schiff vernichtet wurde und hat es als einzige mit einigermaßen heiler Haut überstanden. Man hat sie danach wie ein Tier eingesperrt, bis die Piratenführerin Jeannet sie aus dieser misslichen Lage befreite."

"Und dann kamt Ihr und habt diese Piraten besiegt, die als 'Fluch der Meere' gelten, weil niemand sie zu bezwingen vermag!", trumpfte Carla auf.

"Weiter!", befahl der König indessen, dem Lord zugewendet.

Der Lord beeilte sich zu sagen: "Es war eine Art Pattsituation auf hoher See. Wir konnten das Piratenschiff nicht versenken, weil die Prinzessin an Bord war."

"Aber woher habt Ihr das überhaupt erfahren?"

"Die Piratenführerin kam persönlich an Bord meines Schiffes - und allein!"

"Wie bitte?"

Der König schien es nicht glauben zu können.

Abermals mischte sich Carla ein: "Diese Jeannet ist eine Persönlichkeit, wie ich sie noch niemals zuvor erlebt habe. Ihre Leute nennen sie treffend die 'Königin der Meere'."

"Da gefällt mir 'Fluch der Meere' ehrlich gesagt viel besser", schnarrte der König und schnaubte auch noch verächtlich.

"Immerhin hat sie mich aus misslicher Lage befreit!", erinnerte ihn Carla.

Der König ignorierte es und nickte Lord Cooper aufmunternd zu.

"Sie kam und ich ging gemeinsam mit ihr auf ihr eigenes Schiff."

"Das wird ja immer verrückter!", entfuhr es dem König.

"Es blieb mir keine andere Wahl, Eure Majestät. Ich konnte doch kein Risiko eingehen, Eure Tochter betreffend."

"Das ist allerdings wahr!" Der König schüttelte erneut den Kopf. "Ihr habt dabei Euer Leben aufs Spiel gesetzt. Was wäre gewesen, hätte es sich um eine reine Finte der Piraten gehandelt?"

"Meine Leute hatten Befehl, in einem solchen Fall sogleich das Feuer zu eröffnen."

"Ihr hättet Euch von Euren eigenen Leuten... umbringen lassen?" Der König schaute auf seine Tochter und dann wieder auf den Lord. "Nur wegen meinem... Kind?"

Lord Cooper senkte nur den Kopf anstatt einer Antwort.

Der König fasste ihn fest im Nacken und zwang ihn, den Blick wieder zu heben.

Lord Cooper erschrak regelrecht, als er sah, dass er König bitterlich weinte. Aber nicht vor Trauer, sondern vor Rührung.

"Ihr seid der größte Held, der mir jemals unter die Augen gekommen ist, Lord Cooper - und werdet mein persönlicher Freund sein, so lange ich lebe", murmelte er mit erstickter Stimme. "Wenn Ihr einen Wunsch habt: Wünscht einfach! Das, was Ihr für meine Tochter und somit für mich getan habt, ist mehr als selbst ein König wie ich einem Mann jemals vergelten kann!"

"Und doch, Majestät, wenn Ihr erlaubt, kann ich nicht allzu lange bleiben. Ich bin der treue Untertan meiner Königin und sie wünscht, dass ich baldmöglichst zu ihr zurückkehre."

"Ja, ja, das verstehe ich! Aber erlaubt dem König von Spanien wenigstens, dass er Euch seine Freundschaft anbietet - und selbstverständlich die Freundschaft der Prinzessin."

"Die hat er bereits", sagte Carla ruhig.

Der Lord bewunderte sie sehr um ihre Selbstbeherrschung.

"Das ist richtig so, Carla", lobte sie der König. Er wandte sich wieder an den Lord und ließ endlich dessen Nacken aus seinem eisernen Griff. "Ihr glaubt wirklich, dass Carla... erwachsener geworden ist?"

"Sie wäre einer Königin würdig, wenn Ihr mir erlaubt, es so auszudrücken!"

König Philipp zeigte sich daraufhin reichlich verdattert.

"Es fällt mir schwer, es zu glauben, aber schon bei unserer ersten Begegnung habe ich bemerkt, dass da etwas Besonderes zwischen euch beiden ist. Sie schaut zu Euch auf, in einem Maße, wie sie es niemals bei mir getan hat. Aber bei dem, was Ihr an Heldenmut bewiesen habt... Ja, da ist es kein Wunder. Wäre ich nicht der König von Spanien, ich würde meinerseits vor Euch auf die Knie fallen, Lord Cooper. Das dürft Ihr mir glauben. Und dabei habt Ihr nicht nur einfach meine Tochter zurück gebracht, sondern sie in der Zwischenzeit auch noch völlig... verwandelt. Sie ist jetzt eine Prinzessin, wie sie würdiger gar nicht mehr sein könnte."

Er überlegte kurz und dann fragte er: "Ihr werdet doch zumindest so lange an meinem Hofe weilen, bis die Hochzeit begangen wurde, nicht wahr, Lord Cooper?"

Der Lord blieb nach außenhin völlig unberührt, desgleichen die Prinzessin. Diese ging sogar noch einen Schritt weiter, indem sie vor ihrem Vater einen artigen Knicks machte und unterwürfig sagte: "Wie immer Ihr es befiehlt, König Philipp von Spanien, mein Vater, wird es geschehen."

"Ihr sagt ja gar nichts, Lord Cooper?", wunderte sich der König.

"Es ist allein Eure Entscheidung, Majestät. Ihr seid der Souverän!"

"Eine Entscheidung, die Ihr mithin voll und ganz... für gut heißt?"

"Um Eure Frage zu beantworten und nur deshalb, Eure Majestät: Eure Tochter ist sehr knapp dem Tode entronnen und hat soviel Schlimmes erlebt, wie es niemand erleben sollte, vor allem nicht die holde Prinzessin von Spanien. Aber Euer Wort ist das Gesetz. Niemand sollte es wagen, sich dagegen zu erheben, noch nicht einmal mit dem geringsten Ansatz zur Kritik."

"Ach?", machte der König und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen.

Lord Cooper musste daran denken, dass ihm noch vor einer Minute die ewige Freundschaft angeboten worden war. Inzwischen hatte er eher den Eindruck, als würde jedes weitere falsche Wort ihn auf dem direkten Wege zum Schafott bringen.

Der König griff sich ans Kinn und kratzte seinen Bart. Das schabende Geräusch war das einzige, was jetzt hörbar war. Weder die Prinzessin noch der Lord wagte auch nur zu atmen.

"Dann seid Ihr, Lord, also tatsächlich der Meinung, es sei ein grober Fehler, weiterhin auf der Heirat zu bestehen? Schließlich hätte die Prinzessin dann ja alles umsonst durchgemacht, nicht wahr?"

"Wenn Ihr mich so direkt fragt, Majestät: Ja - mit Verlaub!"

"Ach, wie ich manchmal solche höfischen Formulierungen hasse!", sagte der König und machte eine wegwerfende Bewegung mit der freien Hand, während die andere Hand immer noch den Bart kratzte. Dann ließ er diese Hand sinken und ballte sie zur Faust.

Ehe sich Lord Cooper versah, flog die Faust auf ihn zu.

Er hätte den Schlag mit seiner kämpferischen Ausbildung leicht parieren können, doch gegen den mächtigsten König auf Erden...?

Der Schlag traf ihn vor der Brust, doch er war kaum mehr als ein Klaps und im nächsten Moment prustete der König laut los vor Lachen. Er wollte sich gar nicht mehr beruhigen und klatschte sich dabei auch noch vergnügt auf die Schenkel.

Zwischendurch gluckste er: "Der Beweis ist erbracht: Ihr seid ein Held, ein wahrer Held, Lord Cooper! Sogar vor mir nehmt Ihr kein Blatt vor den Mund. Ihr habt es gar nicht nötig, vor irgend jemandem zu Kreuze zu kriechen und sei es der König von Spanien höchstselbst."

Schlagartig wurde er wieder ernst.

"Es war so eine Art Test, Lord Cooper, verzeiht! Das war nicht böse gemeint, aber es musste sein. Bedenket, ich habe Euch ewige Freundschaft angeboten. Wie könnte ich das einem Mann, der kein Rückgrat besitzt? Ihr aber habt mehr als nur Rückgrat. Ich darf Euch versichern, dass ich früher ein guter Kämpfer war. Zwar nahm ich inzwischen einige Pfunde zu - mehr jedenfalls als gut wäre für mich, wie ich denke -, aber ich trainiere immer noch, sobald es meine Zeit erlaubt. Gegen Euch jedoch hätte ich in keiner Minute meines Lebens auch nur die geringste Chance gehabt. Ich habe Euren unverbrüchlichen Stolz deutlich genug gespürt. Ihr ehrt mich zwar als den König von Spanien. Dabei seid Ihr mir jedoch haushoch überlegen." Er klopfte ihm kräftig auf die Schulter - nicht zum ersten Mal. "Welcher Mann könnte würdiger sein als Ihr, mein Freund zu sein? Es ist umgekehrt eine besondere Ehre für mich, Euer Freund sein zu dürfen."

"Es sei denn, er hält um meine Hand an, nicht wahr, König Philipp?", fragte Prinzessin Carla und lächelte dabei entwaffnend.

Nun war der König ehrlich irritiert.

Carla machte einen Knicks und fuhr fort, ohne seine Antwort abzuwarten: "Er ist Euer Freund und ich Eure Tochter. Er hat Wünsche frei - und was ist mit mir? Gewiss, ich will heiraten, doch nicht denjenigen, der von Euch dafür vorgesehen wurde, falls ich es vermeiden kann, sondern meinen Retter und Helden Lord Donald Cooper!"

Der König zog den Kopf zwischen die Schultern und schaute seine Tochter an, als würde er sie jetzt zum ersten Mal in seinem Leben sehen. Doch im nächsten Moment brüllte er wieder los vor Lachen. Es dauerte diesmal sogar noch länger, bis er sich wenigstens so weit beruhigt hatte, dass er sagen konnte: "Darauf wäre ich doch beinahe herein gefallen, Carla. Mein Gott, du bist mir wirklich die würdigste aller Töchter! War das die Strafe für den üblen Streich, den ich Euch beiden gespielt habe, als ich andeutete, auch noch weiterhin auf der Heirat zu bestehen? Es ist dir trefflich gelungen, Carla: Meine Gratulation!"

Er ging wieder zum Lord und packte ihn am Arm. "Nein, du kannst mir meine Freundschaft mit ihm nicht verderben, Carla. Und die geplante Heirat wird natürlich nicht mehr stattfinden. Ich werde sie noch heute abblasen, denn dieser Lord hier hat mir endgültig die Augen geöffnet."

Es war gut, dass er dabei nicht in Richtung von Carla schaute, denn dann hätte er die unendliche Trauer in ihrem Gesicht gesehen. Es war für sie keineswegs ein Scherz gewesen. Sie hatte wissen wollen, wie ihr Vater reagieren würde und nun konnte sie völlig sicher sein, dass der Lord recht gehabt hatte mit seinen Bedenken: Sie würden niemals ein Paar werden können.

Aber dann ließ sie endlich die Freude über den Entschluss ihres Vaters zu, die geplante Hochzeit abzublasen. Sie jauchzte herzerfrischend und eilte herbei, um ihren Vater ungestüm zu küssen und zu umarmen.

Er ließ es geschehen und freute sich mit ihr.

Der Lord stand dabei und konnte jetzt auch wieder lächeln.

Am Ende klopfte ihm der König wieder einmal kräftig auf die Schulter und sagte: "Nicht wie der Vater, so der Sohn, sondern in diesem Fall: So die Tochter! Aber Ihr habt Recht, Mylord, sie hat sich sehr zum Positiven verändert - in einem Maße, wie ich es niemals auch nur zu erträumen gewagt hätte. Dies alles Dank Euch. Sie wird die schlimmen Erlebnisse vergessen und eines Tages sicher den Prinzen ihres Herzens finden. Ich jedenfalls werde sie nicht mehr dazu drängen müssen."

Er hielt einen Moment lang inne und fügte dann hinzu: "Wisst Ihr, Lord, die Heirat wäre sowieso nur eine Art Notlösung gewesen. Ich wusste einfach nicht mehr, wie ich Carlas Herr werden sollte. Sie machte mir soviel Kummer, dass ich mich zu dieser Heirat entschloss - in der Hoffnung, ihr künftiger Ehemann würde es eher schaffen, endlich eine würdige Prinzessin aus ihr zu machen. Doch nun, wo dies nicht mehr nötig ist..."

Er lachte. Es klang irgendwie... befreit.

Der Lord indessen dachte an seine Königin: Sie würde mit dem Ergebnis seiner Mission höchst zufrieden sein und mit seinem Vorschlag, Jeannet auf die Atlantikroute zu schicken, mit Sicherheit ohne große Überredungskünste einverstanden sein.

Nur gut, dass König Philipp II. nichts davon ahnte. Mit der Freundschaft wäre es jedenfalls sehr schnell vorbei gewesen...


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