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Die Regie meines eigenen Lebens

30. Mai | Natürlich spüre ich, dass die Eröffnung der documenta näher rückt. Elektrizität ist in der Luft, um mich herum wird hart daran gearbeitet, die Kunst für das Publikum fertig zu stellen. Mit mir wird nicht gearbeitet, ich bin ja schon fertig.

»Vollkommen fertig« würde ich zu mir selbst sagen. Fertig von all den Erwartungen, die ich in den letzten fast fünfzig Jahren erfüllen musste: Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Freund, Ehemann, Kollegen, Mitarbeiter, Vorstandsfeinde, Aktionäre, Pressesprecher. Der Künstler meines Erdhügels, Song Dong, zählt nicht dazu. Er bitte mich um nichts, ist sehr zufrieden über das, was ich hier tue. Oder gerade eben nicht tue. Ich scheine seinem Ideal sehr nahe zu kommen.

Jetzt beobachte ich einen Wurm: Er läuft immer geradeaus. Jetzt kommt er an die Tischkante. Sein Oberkörper beugt sich über diese Kante, weicht zurück, beugt sich wieder vor. Dann läuft er kopfüber unter dem Tisch weiter. Ich schaue nach unten und schubse ihn versehentlich von der Unterseite weg. Er liegt auf dem Boden, bewegt sich nicht, fast wie benommen. Jetzt bewegt er sich, läuft weiter, beschreibt einen leichten Bogen. Rechts neben ihm ein anderer Wurm. Nimmt er ihn wahr? Nein, er biegt ab, der andere Wurm auch. Würmer neigen nicht zur direkten Kommunikation mittels Annäherung.

Dieser Wurm sagt mir eigentlich alles über mein Leben. Ich bin immer sehr straight gelaufen in meiner Karriere. Auch kopfüber. Wenn ich unten lag, habe ich mich geschüttelt und bin weiter gelaufen. Die Anderen neben mir haben mich nicht interessiert. Es ging mir nur um mich.

Am liebsten würde ich ihn zertreten, diesen Wurm, wie mein eigenes, altes Leben zertreten. Doch jetzt bewegt sich sein Kopf ein bisschen nach oben, zu mir hoch. Fast, also wolle er zu mir sprechen, mich bitten, ihn am Leben zu lassen. Ja, ich lasse dich leben. Als ich wieder nach unten schaue, ist er verschwunden.

Verschwindet mein altes Leben, wenn ich nicht mehr nach unten schaue? Wenn ich es am Leben lasse? Fast scheint es mir so. Ist ein Wurm als Metapher überhaupt geeignet? Ist das nicht kindisch für eine Chief Human Resources Officer?

Seit Ende Mai produziert Isabelle Hüter immer mehr Texte in kürzerer Folge. Ich entscheide mich, alle zwei Tage zu unserem Briefkasten zu gehen und nach Neuigkeiten zu schauen.

Kurz vor Eröffnung der dOCUMENTA (13) verrät - und das ist sehr untypisch für eine documenta - die künstlerische Leiterin Carolyn Christov-Barkagiev einige Namen und Kunstwerke auf dem Friedrichsplatz und in der Karlsaue. Auch der »doing-nothing-garden« von Song Dong ist darunter.

In den Medien kursiert der, im Nachhinein falsche, »do-nothing-garden« als Titel des Erdhügels.

Nichts. Tun. Inside documenta.

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