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Kapitel 4

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„Herr Hayenfeldt? Kommen Sie bitte herein!“ waren die leisen Worte, mit denen mich eine sehr elegant aussehende Lady so um Mitte Vierzig an der Eingangstür empfing, nachdem ich den messingfarbenen Türklopfer mehrfach gegen das weißschimmernde Holz geschlagen hatte. Und zwar genau so lang, bis in mir die sichere Erkenntnis herangereift war, daß der Löwenkopf in der Mitte des Türblattes ganz offensichtlich kein Zierobjekt darstellte! Mir gegenüber stand eine Dame, die nach meiner ersten Einschätzung niemand anderes als Lisa Warbs selbst sein konnte. Schon beim ersten ihrer leisen Worte hatte ich die gleiche, symphatisch klingende Stimme wiedererkannt. Es war dieselbe Stimme, mit der ich noch vor wenigen Minuten telefoniert hatte und die mich möglicherweise überhaupt erst hatte hierher kommen lassen. „Guten Abend. Ich bin Lisa Warbs!“ fügte sie nach einer kurzen Pause mit leiser Stimme hinzu. Lisa Warbs machte einen kurzen Schritt zur Seite und gab mir so den Weg ins Innere des Hauses frei. Ihr schlanker Körper befand sich jetzt halb hinter der wuchtigen Eingangstür und von draußen sah es so aus, als ob sie dort Deckung suchte, sich versteckte. Jedenfalls wirkte das mächtige Türblatt wie ein überdimensionaler Schutzschild vor ihrem Körper.Kopfnickend und wortlos folgte ich ihrer Aufforderung und trat mit zwei großen Schritten in den hellgefliesten Vorflur. Mit einer fließenden Bewegung streckte ich ihr meine rechte Hand entgegen, während ich mit der anderen ein wenig unbeholfen nach der Türklinke tastete. „Guten Abend, Frau Warbs!“ murmelte ich -der Situation angemessen- ebenfalls mit leicht gedämpfter Stimme und schob mit meiner Linken die schwere Eingangstür hinter mir ins Schloß. „Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.“ erklärte ich ihr, während ich die Schuhe auf der dunklen Fußmatte abstreifte. „Aber Sie wissen ja, der Verkehr....!“ fügte ich mit einem entschuldigenden Unterton in der Stimme hinzu. Lisa Warbs nickte verständnisvoll und schüttelte wortlos meine Hand. Ihr Händedruck war butterweich und kraftlos, die Handfläche feucht. Ich blickte zu ihr herunter und wartete einen kurzen Moment, während ich ihre rechte Hand weiterhin fest umschlossen hielt. Lisa Warbs trug eine weitgeschnittene weiße Seidenbluse mit eingewebten Rautenmuster, einen wadenlangen, enganliegenden Rock und flache Schuhe. Leicht gewelltes, braunes Haar umrahmte das ebenmäßige Gesicht und fiel mit einem leichten Schwung auf die schmalen Schultern. Sie hatte etwas Zerbrechliches an sich. Das Gesicht war blaß und müde. Und die geröteten Augen, die so gar nicht zu ihrer übrigen Ausstrahlung paßten, verrieten mir, daß sie noch vor kurzer Zeit geweint haben mußte. „Es geht schon.“ sagte sie ein wenig stockend und mit einem plötzlichen Lächeln auf den Lippen. Ein aufgesetztes Lächeln, das mir ganz offensichtlich den Eindruck vermitteln sollte, daß sie sich gut im Griff hatte und daß alles eigentlich halb so schlimm wäre. Ihre verquollenen Augen signalisierten mir allerdings ein völlig anderes Bild! Lisa Warbs wandte sich schnell zur Seite. Ich löste kurzerhand meinen Griff und stopfte die Hände ein wenig verlegen in die Hosentaschen meiner Jeans. Diese emotionsgeladenen Situationen waren nicht so mein Ding, wenn ich mal ehrlich war. Lieber observierte ich da vierundzwanzig Stunden am Stück verschwendungssüchtige Ehefrauen bei einer dieser ausgedehnten und ermüdenden Shopping-Touren in der City. Und das sogar bei sengender Hitze! Aber auch diese zwischenmenschlichen Dinge waren Teil meines Jobs. Der unangenehmere Teil, allerdings.Mit einer fahrig wirkenden Bewegung ihrer linken geleitete mich Lisa Warbs weiter in das Innere des Hauses. Der Weg führte uns durch eine verschwenderisch große Glastür in einen hell erleuchteten Flur, an dessen Seitenwänden unzählige metallgerahmte Grafiken hingen. Einige dieser Bilder hatte ich schon mal zuvor gesehen, in irgendeiner Zeitschrift. Die meisten sagten mir jedoch nicht viel, und ich schenkte ihnen keine weitere Beachtung. Gemälde mit röhrenden Hirschen vor einer schneebedeckten Gebirgslandschaft oder ein weißglänzendes Segelschiff auf hoher See, damit konnte ich ja noch etwas anfangen! Aber diese dreieckigen Farbtupfer -japanisch auf das absolute Minimum reduziert und dann als moderne Kunst deklariert- waren nicht so mein Geschmack. Jedenfalls ging ich davon aus, daß es wohl keine Kopien waren, die mir da in allen Farben der Welt und recht abstrakt von den Wänden entgegenschrien. Kleine punktförmige Scheinwerfer leuchteten von der hellvertäfelten Decke herab und tauchten den Fußboden in ein angenehm warmes Licht. Ich kam mir vor wie unter einem Sternenhimmel im Spätaugust und schaute für einen kurzen Moment nach oben. Das hätte ich besser nicht getan, denn vor meinen Augen schmolzen die einzelnen Lichtpunkte plötzlich zu einem einzigen gleißenden Lichtermeer zusammen. Die Helligkeit war unerträglich und geblendet kniff ich die Augen zusammen. Fast schon blitzartig wandte ich meinen Blick wieder nach unten und entdeckte tausende kleiner tanzender Lichtpunkte auf dem Fliesenboden vor mir. Und es dauerte einige Sekunden, bis ich durch den orange-violetten Punktenebel vor meinen Augen hindurch erkannte, daß Lisa Warbs leicht schwankte, als sie den endlos erscheinenden Flur entlangging. Ich folgte ihr in gebührendem Abstand, noch immer halbblind mit zugekniffenen Augen und schmerzverzerrtem Gesicht. Nur das eintönige Klacken ihrer Absätze hallte durch den Raum und brannte sich förmlich in mein Gehirn. Lisa Warbs stoppte am Ende des Korridors, wandte sich mit einer schnellen Drehung nach links und öffnete eine weißlackierte Zimmertür. Sie blieb im Rahmen stehen und bat mich mit einer einladenden Handbewegung, in den Raum zu gehen. „Bitte nehmen Sie schon einmal Platz. Ich komme sofort.“ entfuhr es ihr mit leiser Stimme, als die Tür nach innen aufschwang. „Ich möchte mir nur rasch ein neues Taschentuch holen!“ Lisa Warbs machte auf dem Absatz kehrt und verschwand schnell in das gegenüberliegende Zimmer. Ich nickte wortlos und trat in den kleinen und schwachbeleuchteten Raum. Das gedämpfte Licht war eine Wohltat für meine arg strapazierten Augen und ich wagte es, sie ganz zu öffnen. Zunächst nur für einen Moment, dann für länger. Das Erste, was ich durch die noch verbliebenen tanzenden Lichtpunkte vor meinem Gesicht erblickte, waren dutzende von Bücherregalen aus dunklem Holz. Sie reichten vom Fußboden bis zur Zimmerdecke hinauf und sie befanden sich an jeder einzelnen Wand des Zimmers. Regale mit vielen quadratischen Fächern und unzähligen Büchern darin. Nicht solche Paperbacks, wie ich sie besaß, sondern richtige Bücher. Mit prunkvollem Einband aus Leder und goldgeprägten Lettern auf dem Buchrücken. Es mußten zigtausende sein und es schien mir nach erster und -zugegeben- sehr grober Schätzung, als beinhaltete dieser Raum die gesamte Literatur der letzten Jahrhunderte. Angefangen von Goethe über Schiller bis hin zu Hemingway und Wilhelm Busch jr.Das nächste, was meine Aufmerksamkeit magisch auf sich zog, war ein brennender Kamin. Ein große, ausladende Feuerstelle aus hellem Marmor, die sich an der Stirnseite des fast quadratischen Raumes befand und in der ein kleines Feuer gemütlich vor sich hin flackerte. Fast schon bedächtig züngelten die vereinzelten Flammen empor und gaben dem Raum etwas Behagliches. In einen solchen Bibliothek würde sogar ich mir die Zeit zum Lesen gönnen, ging es mir durch den Kopf, während ich mich aus dem Türrahmen löste und langsam in Richtung Kamin schlenderte. Allerdings würde ich hier auch regelmäßig nach kürzester Zeit in einen ohnmachttiefen Schlaf fallen. Ich hätte wetten können! Denn das war eines meiner wenigen Probleme: Immer wenn ich Abends im Bett ein Buch zur Hand nahm, schlief ich spätestens nach fünf Minuten ein. Und las ich ein bißchen in meinem Shell-Autoatlas, schon nach zwei Minuten. Langsam beugte ich mich vor, blickte für ein paar Sekunden bedächtig in die knisternden Flammen und breitete dann kurzentschlossen meine Hände über dem Feuer aus. Selbstverständlich in sicherer Entfernung. Das Feuer war bereits am Erlöschen, aber es hatte noch genug Kraft, meine Finger auch aus dieser Entfernung mit wohliger Wärme zu durchfluten. Ich wendete meine Hände mehmals von links nach rechts und irgendwie erinnerte mich diese Situation fatal an den letzten Grillabend im Spätsommer. Nur mit dem kleinen Unterschied, daß es kein Steak war, was da langsam vor sich hin schmorte.Ich entdeckte mehrere messinggerahmte Bilder, die in Höhe meiner Augen auf der linken Seite des breiten Kaminsimses säuberlich aufgereiht standen. Und erst bei genauerem Hinsehen bemerkte ich, daß es sich um Fotografien handelte. Die Bilder zeigten Lisa und Klaus-Dieter Warbs beim Skifahren im Tiefschnee, auf einer weißen Segelyacht und vor einem rotmetallenen Gebilde, das ich innerhalb kürzester Zeit als die Golden Gate Bridge identifiziert hatte. Auf dem größeren Foto in der Mitte war das Portrait einer jungen Dame zu erkennen. Eine Dame, die mir unbekannt war, die aber eine gewisse Änhlickeit mit Lisa Warbs aufwies. Vielleicht ein Foto aus jungen Jahren, ging es mir durch den Kopf, als ich mich kurzentschlossen erhob und umdrehte. Mein Blick fiel wie zufällig auf zwei antik aussehende Ohrensessel, die sich etwa in der Mitte des Raumes befanden und die sogar ich mit meinen -zugegebenermaßen- eher laienhaften Kenntnissen in Sachen Antiquitäten getrost als „wohl Englisch“ einstufen durfte. Ich besaß nur wirklich eine ganze Palette von Talenten. Aber „antike englische Polstermöbel der späteren Gründerzeit“ waren nur wirklich nicht gerade mein Fachgebiet. Jedenfalls schimmerte das Dunkelrot des gesteppten Leders im Schein der kleinen Stehlampe dahinter einladend zu mir herüber. Die beiden Sessel waren um einen niedrigen Tisch postiert, der sich bei näherem Hinsehen als Teewagen entpuppte. Auf der runden Rauchglasplatte erblickte ich eine kleine Tischlampe mit einem grün-gläsernen Lampenschirm sowie einen flachen Aschenbecher aus Messing. Alle Möbel und Gegenstände in diesem Raum schienen mit viel Liebe zum Detail ausgesucht worden zu sein. Dieses Zimmer trug eindeutig Lisa Warbs Handschrift. Das gab mir jedenfalls mein detektivischer Spürsinn zu verstehen. Die anheimelnde Sitzgruppe war im übrigen noch so geschickt placiert, daß man direkt auf das brennende Kaminfeuer blicken konnte, ohne den Kopf auch nur einen Zentimeter zur Seite bewegen zu müssen. Man mußte nur einfach über den Rand des Buches in den Händen hinwegschauen, wenn man den vom Lesen ermüdeten Augen für einen Moment Entspannung gönnen wollte. Aber natürlich nur dann, wenn man nicht bereits eingeschlafen war. Sehr ergonomisch, ging es mir durch den Kopf, als ich mich vom Kamin löste und auf den rechten der beiden Sessel zusteuerte. Zugegeben, die Einrichtung und Möblierung der Bibliothek zeigten zwar Stil und innenarchitektonisches Geschick, waren jedoch ganz und gar nicht mein Geschmack. Ich bevorzugte die klare Linie. Vor allen Dingen aber war es hier viel zu aufgeräumt! „Nehmen Sie doch bitte Platz.“ hörte ich es plötzlich leise hinter mir. Ich drehte mich erschrocken um und blickte in Lisa Warbs Gesicht. Sie hatte den Raum wieder betreten, ohne daß ich es bemerkt hatte und deutete nun mit einer Handbewegung auf den Sessel vor mir. In der linken Hand hielt sie ein gefalltetes Taschentuch. Wir setzten uns und ich lehnte mich bequem in meinem Sessel zurück. Und erst jetzt bemerkte ich die Müdigkeit in mir. Sie lähmte mich und dämpfte meine Wahrnehmung. Es war kein Wunder, denn schließlich war ich ja fast den ganzen Tag in der Stadt umhergelaufen, um Yuppie Tom auf den Fersen zu bleiben. „Stört es Sie, wenn ich rauche?“ fragte ich kurz. „Nein, bitte!“ antwortete Lisa Warbs und schob den Messingaschenbecher in die Mitte des Wagens. „Kann ich bitte auch eine haben?“ „Selbstverständlich!“ antwortete ich ein wenig überrascht und fingerte die Benson & Hedges aus der Seitentsche meiner Lederjacke. Ich war nicht davon ausgegangen, daß sie rauchte. Denn ich hatte in diesem Raum weder Zigaretten noch benutzte Aschenbecher entdeckt. Mit einer schnellen Bewegung hielt ich Lisa Warbs die angeknüllte Schachtel entgegen und suchte mit meiner Linken angestrengt nach einem Feuerzeug. Während ich die Flamme an das hintere Ende ihrer Zigarette hielt, formulierte ich im Geiste bereits meine erste Frage an Lisa Warbs. Von dieser ersten Frage, das hatte mich jahrelange detektivische Erfahrung im Umgang mit Menschen gelehrt, hing sehr viel ab. Man mußte sie so vorsichtig verpacken, daß sie dem Gegenüber einerseits das Gefühl von Verständnis und Vertrauen vermittelte, andererseits aber auch geeignet war, gewisse Informationen zutage zu fördern. Denn darum ging es ja schließlich, Informationen zu bekommen. Bei der ganzen Fragerei mußte man dann auch noch sehr behutsam vorgehen und seinem Klienten den Eindruck vermitteln, daß man ihn verstand und seine Ängste ernstnahm, auch wenn man selbst vielleicht ganz anders über die Sache dachte. Gar nicht so einfach, dies alles unter einen Hut zu bekommen Zeigte man zuviel Mitgefühl, war man zukünftig der seelische Mülleimer des Auftraggebers. Und zeigte man zu wenig, war man spröde oder kaltherzig. Jedenfalls war man den Auftrag im letzteren Fall mit ziemlicher Sicherheit los. „Ich möchte Sie bitten, mir einfach alles der Reihe nach zu erzählen.“ begann ich, nachdem ich auch meine Zigarette angezündet und einen ersten tiefen Zug genommen hatte. „Was genau ist passiert? Warum glauben Sie, daß Ihr Mann entführt worden ist?“ Lisa Warbs Gesichtsausdruck verfinsterte sich zusehends. Sie lehnte sich angespannt vor und zog die Beine bis dicht unter den Sessel. Sie überlegte. Starr und regungslos klebte ihr Blick an der Zimmerdecke. So, als ob sie etwas von ungeheurer Wichtigkeit mitzuteilen hatte und noch nach den richtigen Worten suchte. Zweifellos war Lisa Warbs eine Frau, die immer erst nach den richtigen Worten suchte, bevor sie etwas von sich gab. Egal, wie wichtig es auch war. „Mein Mann und ich waren heute verabredet.“ begann sie leise. „In der Stadt. Zum Essen. Ich fand heute morgen eine Nachricht von ihm. Einen Notizzettel. Er schlug mir vor, gemeinsam mit ihm zu Mittag zu essen. Ich sollte ihn deswegen im Büro anrufen.“ erklärte sie stockend. „Gut. Und haben Sie ihn angerufen?“ bohrte ich nach. „Nein, das heißt ja, aber erst später!“ antwortete sie ein wenig verwirrt. „Mein Mann hatte heute morgen einen sehr wichtigen Termin. Um acht Uhr in seinem Büro. Um viertel nach acht rief mich dann Frau Busch an. Sehr aufgeregt. Sie erkundigte sich bei mir, wo denn mein Mann bleibt!“ Lisa Warbs beugte sich noch ein Stück weiter vor und drückte die halbgerauchte Zigarette in den Aschenbecher. „Frau Busch ist die Sekretärin meines Mannes.“ fügte sie nach einer kurzen Pause erläuternd hinzu, nachdem sie ganz offensichtlich meinen fragenden Gesichtsausdruck bemerkt hatte. „Gut. Was ist dann weiter passiert?“ „Nichts!“ entgegnete sie kurz.„ Ich habe dann nochmal gegen elf Uhr und um kurz nach drei mit Frau Busch telefoniert. Da war er immer noch nicht im Büro!“ „Und er hat sich die ganze Zeit über auch nicht bei Ihnen gemeldet?“ fragte ich ein wenig ungläubig nach. „Nein!“ antwortete Lisa Warbs. „Und ich habe das Haus den ganzen Tag nicht verlassen.“ „Mmh. Kommt es häufiger vor, daß Ihr Mann Ihnen Notizzettel schreibt?“„Ja, schon.“ antwortete sie nachdenklich. „Es ist jedenfalls nicht ungewöhnlich, wenn Sie das meinen!“ Ich überlegte kurz, zog die Beine unter den Sessel und drückte den Zigarettenstummel mit einer drehenden Bewegung meines rechten Daumens in den Aschenbecher neben mir. Dann blickte ich wieder zu Lisa Warbs hinüber. „Könnte es sein, daß Ihr Mann heute eine geschäftliche Verabredung außerhalb hatte und deshalb nicht ins Büro gefahren ist? Ein vielleicht sehr kurzfristig angesetzter Termin? Ein Termin, von dem nicht einmal seine Sekretärin etwas gewußt hat?“ fragte ich vorsichtig nach. „Möglicherweise hatte er diesen Termin ganz einfach vergessen, als er Sie bat, mit ihm zu Mittag zu essen!“ „Ausgeschlossen!“ entgegnete Lisa Warbs, wobei ihre Stimme deutlich an Volumen und Intensität zunahm. Ihr Blick bekam etwas Stechendes. „Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, hatte mein Mann heute morgen um acht einen Termin. Dieser Termin war sehr, sehr wichtig für ihn. Und andere Termine gab es nicht heute morgen. Glauben Sie es mir!“Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und schlug die Beine übereinander. „Es ist außerdem sehr abwegig zu glauben, daß mein Mann einen Termin vergißt, oder seine Sekretärin nicht informiert!“ fuhr sie mit ernster Stimme fort. „Sie können es nicht wissen, Herr Hayenfeldt! Aber gerade in diesen Angelegenheiten ist mein Mann sehr gewissenhaft und absolut genau. Fast schon pedantisch. Und mal angenommen, es wäre tatsächlich ein auswärtiger Termin angesetzt gewesen, für heute morgen, so hätte mein Mann mir gestern Abend davon erzählt.“ „Sie haben also noch gestern Abend mit Ihrem Mann über die Termine für heute gesprochen?“ „Ja. Das machen wir normalerweise so. Mein Mann erzählt mir immer, was er am nächsten Tag so auf dem Terminkalender stehen hat. Bis zur Geburt unserer Tochter war ich seine Sekretärin.“ „Gut. Dann wird mir einiges klar. Sie wissen also über die geschäftlichen Angelegenheiten ihres Mannes gut Bescheid!“ stellte ich fest. „Ja!“ antwortete Lisa Warbs zustimmend. Sie nahm das Taschentuch in die rechte Hand und wischte sich kurz über die Augen. „Natürlich, es kommt hin und wieder schon mal vor, daß sich mein Mann verspätet, weil eine Sitzung länger dauert als erwartet oder er aufgehalten wird.“ fuhr sie mit leicht zitternder Stimme fort. „Aber dann ruft er mich an. Er ruft mich dann an! Es ist jetzt fast elf Uhr und er hat immer noch nichts von sich hören lassen. Nein, Herr Hayenfeldt, es ist etwas passiert. Etwas Schreckliches. Ich weiß es!“ „Gut, nun mal ganz ruhig!“ versuchte ich sie wieder zu beruhigen. „Also schließen wir diese Möglichkeit mal aus!“ Ich überlegte angespannt. „Aber Ihr Mann könnte zum Beispiel einen Verkehrsunfall gehabt haben und in ein Krankenhaus eingeliefert worden sein!“ fuhr ich fort. „Nein!“ antwortete Lisa Warbs energisch und schüttelte dabei ungläubig den Kopf. „Sie verstehen mich nicht, Herr Hayenfeldt! Es ist nicht nur so, daß mein Mann nicht im Büro angekommen ist. Er ist überhaupt nicht weggefahren, heute morgen. Sein Wagen steht in der Garage. Unbenutzt!“„Vielleicht ist der Wagen ihres Mannes heute morgen einfach nicht angesprungen.“ deutete ich vorsichtig an. „Nein!“ entgegnete sie kopfschüttelnd „An diese Möglichkeit habe ich schon gedacht. Aber der Wagen ist völlig in Ordnung! Ich habe es vorhin ausprobiert. Und auch wenn sein Wagen kaputt gewesen wäre, heute morgen, dann hätte er meinen genommen. Er hat die Schlüssel zu meinem Wagen!“ „Er kann aber auch ganz einfach ein Taxi genommen haben.“ versuchte ich einzuwerfen. „Nein, ausgeschlossen. Dazu ist mein Mann einfach zu sparsam. Und warum sollte er ein Taxi nehmen, wenn mein Wagen in der Garage steht?“ „Vielleicht ist Ihr Mann davon ausgegangen, daß Sie ihren Wagen heute selbst benutzen wollen?“ stellte ich in den Raum. „Nein!“ antwortete Lisa Warbs wieder mit einem eindeutigen Gesichtsausdruck. „Ich war heute mit ein paar Freundinnen verabredet. Zum Frühstück, in der Stadt. Das machen wir regelmäßig alle vierzehn Tage. Ellen, meine Nachbarin, wollte mich mitnehmen. Ich habe mit Klaus-Dieter gestern Abend noch über meine Pläne für heute gesprochen und ihm dabei auch gesagt, daß Ellen mich mitnehmen würde. Mein Mann wußte also, daß ich meinen Wagen heute nicht benötigen würde.“ Lisa Warbs senkte den Kopf und blickte starr nach unten. Ich sah eine vereinzelte Träne ihr Gesicht herunterrinnen. „Es gibt keine logische Erklarung, Herr Hayenfeldt. Glauben Sie mir! Den ganzen Tag grübele ich schon hin und her. Da ist etwas passiert. Es ist schon zu lange her. Da ist etwas passiert! Ich weiß es einfach.“ entfuhr es ihr schließlich mit einem verzweifelt klingenden Unterton in der Stimme. Ich wußte, daß Lisa Warbs ihre Fassung vollends verlieren würde, stellte ich ihr jetzt auch nur noch eine einzige Frage. Zwar hatte sie sich die ganze Zeit über sehr beherrscht und ruhig gegeben, doch war ich mir bei ihr ziemlich sicher, daß sie nicht wirklich so fühlte, sondern nur sehr gut schauspielerte. Mit Sicherheit war sie so erzogen worden. Stark zu sein und nicht die Fassung zu verlieren! Es war der richtige Moment, unser Gespräch hier abzubrechen. Ich hatte alle wichtigen Informationen und konnte mir ein erstes Bild machen. Es war -zugegebenermaßen- noch nicht sehr viel, was ich in Erfahrung bringen konnte, aber mehr war für den Moment nicht zu erwarten. Und es war in der Tat ein wenig merkwürdig, daß sich Klaus-Dieter Warbs seit Stunden nicht gemeldet hatte und weder seiner Frau noch seiner Sekretärin bekannt war, wo er sich gerade aufhielt. Und ich war mir auch ganz sicher, daß ich die nicht zu leugnende Möglichkeit, daß Klaus-Dieter Warbs vielleicht „freiwillig“ verschwunden sein könnte, getrost beiseite schieben konnte. Lisa Warbs hatte diese Möglichkeit mit Sicherheit schon vor ihrem Anruf bei mir in Betracht gezogen und durchdacht. Außerdem gab es keinen Anhaltspunkt, der darauf hindeutete, das Klaus-Dieter Warbs einfach „so“ sang- ung klanglos abgetaucht war. „Gut!“ stellte ich nach einer kurzen Pause fest und erhob mich schwerfällig und mit einem knarrenden Geräusch aus dem Ledersessel. Lisa Warbs blickte erwartungsvoll zu mir auf. „Nur, damit ich Sie auch richtig verstehe: Sie haben Ihren Mann heute morgen nicht gesehen, richtig?“ „Richtig!“ wiederholte Lisa Warbs mit einem zustimmenden Kopfnicken. „Ich bin heute ein wenig später aufgestanden als mein Mann. Ich habe noch bis ungefähr drei Uhr geschrieben. An einem neuen Buch. Nachts kann ich am besten arbeiten, wissen Sie. Deswegen hat mich mein Mann heute morgen nicht geweckt. Eigentlich stehen wir gemeinsam auf und frühstücken dann zusammen.“ „Wann verläßt Ihr Mann üblicherweise morgens das Haus?“ „Zwischen sieben und halb acht.“ antwortete Lisa Warbs. „Ich bin eine schlechte Gastgeberin!“ fügte sie plötzlich leicht irritiert hinzu. „Ich haben Ihnen ja überhaupt nichts angeboten!“ „Das ist auch nicht nötig, trotzdem vielen Dank!“ antwortete ich guterzogen und versenkte die Hände in den Seitentaschen meiner Lederjacke. „Ich werde jetzt gehen. Es ist schon spät. Und ich werde Ihnen helfen, Frau Warbs. Allerdings nur unter einer Bedingung!“ Lisa Warbs blickte mich fragend an. Sie drehte den Kopf ein wenig zur Seite und lehnte sich erwartungsvoll nach vorn.„Was für eine Bedingung?“ fragte sie nach einer kurzen Pause. „Ich möchte, daß Sie sich hinlegen und versuchen, ein wenig zu schlafen, wenn ich jetzt gehe.“ Lisa Warbs erhob sich aus ihrem Sessel und ging langsam hinüber zum Kamin. Das Feuer war mittlerweile fast erloschen und nur noch die schwache Glut tief unten in den niedergebrannten Holzscheiten warf einen schwachen Lichtschein auf die gelbschimmernden Schamottsteine. „Ich weiß nicht, ob ich jetzt...“ begann sie. „Ich weiß, was Sie mir jetzt sagen wollen!“ unterbrach ich sie ein wenig unsanft. „Ich möchte auch nur, daß Sie es versuchen, mehr nicht! Verstehen Sie, wir können im Moment nichts weiter tun. Ich werde gleich von meinem Autotelefon aus die Notaufnahmen der Krankenhäuser anrufen und dann noch bei der Taxizentrale nachfragen. Dann wissen wir schon mehr. Ich melde mich dann wieder bei Ihnen. Wir müssen einfach abwarten, bis sich die Entführer Ihres Mannes melden!“ versuchte ich ihr zu erklären.„Ich kann mir vorstellen, daß es Ihnen schwerfällt! Aber wir können im Moment wirklich nichts weiter tun!“ Lisa Warbs schaute gedankenverloren in die schwachleuchtende Glut und nickte dann zustimmend. „In Ordnung!“ sagte sie kurz. „Ich habe es verstanden. Sie haben höchstwahrsacheinlich recht.“ „Okay. Falls irgend etwas passiert oder die Entführer sich melden, dann rufen Sie mich bitte sofort an!“ gab ich ihr zu verstehen. Ich fingerte eine Visitenkarte aus der Innentasche meiner Lederjacke, ging mit ein paar kurzen Schritten hinüber zum Kamin und drückte sie Lisa Warbs in die Hand. „Unter der oberen Nummer können Sie mich rund um die Uhr erreichen!“ Lisa Warbs blickte wortlos auf das Stückchen Karton in ihrer Hand und legte es dann auf den ausladenden Kaminsims. „Und noch etwas: Ich würde mich wirklich besser fühlen, wenn ich die Gewißheit hätte, daß Sie heute Nacht nicht allein sind. Haben Sie jemanden, der sich um Sie kümmern kann?“ fuhr ich fort.„Vielleicht Ihre Freundin Ellen?“ „Nein!“ antwortete Lisa Warbs mit einer abwehrenden Handbewegung. „Ich glaube, ich kann jetzt niemanden ertragen. Ich verspreche Ihnen, daß ich versuchen werde, zu schlafen. Ich werde gleich nur noch kurz meine Tochter Claudia anrufen.“ „Die junge Dame auf dem Foto hier?“ fragte ich sie ein wenig neugierig, während ich mit dem Zeigefinger meiner rechten auf das Portrait in der Mitte des Kaminsimses deutete. „Ja. Sie lebt in München. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Aber wir telefonieren recht häufig.“ Ich nickte zustimmend. Also hatte ich nicht ganz unrecht mit meiner Vermutung. Es war zwar kein Jugendfoto von Lisa Warbs, aber es war ein Foto ihrer Tochter. Immerhin. Die Ähnlichkeit war verblüffend. Und mein detektivischer Spürsinn hatte mich wieder einmal nicht im Stich gelassen. Beinahe. Auf jeden Fall war Claudia Warbs nicht weniger elegant als ihre Mutter! Ich machte auf dem Absatz kehrt, ging dann mit wenigen Schritten in Richtung Zimmertür und trat schließlich in den noch immer hellerleuchteten Flur. Lisa Warbs folgte mir. Diesmal machte ich nicht den Fehler, an die Zimmerdecke zu schauen.Denn einen Fehler zu machen, war nicht weiter schlimm. Das war einfach nur menschlich. Denselben Fehler allerdings zweimal zu machen, war einfach nur noch töricht. Insbesondere in meinem Gewerbe! Ich zog die schwere Eingangstür nach innen, blieb dann stehen und reichte Lisa Warbs zum Abschied die Hand. „Wenn es Ihnen recht ist, werde ich morgen früh gegen zehn zu Ihnen kommen. Wir werden dann alles weitere besprechen. Einverstanden?“ „Heißt das, daß Sie den Auftrag übernehmen?“ fragte sie ein wenig unsicher. „Ja!“ antwortete ich kurz und trat nach draußen. „Aber Sie müssen mir noch eines verraten: Wieso ich? Wie Sie gerade auf mich gekommen?“ „Sie sind uns empfohlen worden. Von einem guten Freund meines Mannes. Johannes Kerlin.“ antwortete Lisa Warbs. „Wir kennen diese unendliche Geschichte mit Sarah und Thomas.“ „Aha!“ entfuhr es mir mit einem erstaunten Unterton in der Stimme. „Herr Kerlin hat sich sehr lobenswert über Ihre Arbeit geäußert. Sie würden einen -wie heißt es in ihrem Detektivjargon wohl- „guten Job“ machen!“ „Das hört man gern!“ antwortete ich ziemlich geschmeichelt. „Gute Nacht und versuchen Sie jetzt zu schlafen.“ „Gute Nacht!“ entgegnete Lisa Warbs leise und drückte die Eingangstür mit einem schnappenden Geräusch ins Schloß. Ich klemmte mich hinter das Lenkrad meines Wagens und griff zum Hörer des Autotelefons. Nacheinander tippte ich die Nummern der Notaufnahmen unserer Stadt in das grünschimmernde Display. Und bereits nach wenigen Sekunden hatte ich die gewünschten Informationen. Es gab keinen Patienten mit dem Namen Klaus-Dieter Warbs. Und es war im Laufe des Tages niemand eingeliefert worden, auf den die von mir durchgegebene Kurzbeschreibung auch nur annährend paßte. Dann wählte ich die Nummer der hiesigen Taxizentrale und lehnte mich bequem in meinem Sitz zurück. Es dauerte nicht lange, bis ich die verraucht klingende Stimme meiner alten Freundin Liz vernahm. Eine Stimme, die immer irgendwie heiser klang. Und zwar auch dann, wenn meiner alte Freundin gerade mal nicht erkältet war! Unmengen von Alkohol, mindestens zwei Päckchen filterlose Zigaretten pro Tag und sieben Nachschichten die Woche waren d i e todsichere Methode, eine angenehm und lieblich klingende Altstimme binnen kürzester Zeit zu etwas mutieren zu lassen, was vom Klang eher Ähnlichkeit mit dem schlechtgeölten Vorderrad eines Kinderwagens hatte.In aller Kürze trug ich Liz mein Anliegen vor und sie versprach mir hoch und heilig, mich schnellstmöglich zurückzurufen. Liz war -wie ich- Anfang vierzig, eingefleischte Singlefrau und recht erfolgreiche Mittelfeldspielerin des örtlichen Handballvereins. Kreisliga! Sie hatte ein Kreuz wie eine dieser mit Anabolika abgefüllten chinesischen Kampfschwimmerinnen und Oberame, die vom Umfang her gesehen eher an Oberschenkel erinnerten. Liz feierte viel und gern, was ihr in Fachkreisen den Spitznamen „Partylizzard“ eingebracht hatte. Meine alte Taxifreundin und ich waren gemeinsam zur Grundschule gegangen und ich hatte mich ungefähr in der dritten Klasse unsterblich in sie verliebt. Sie hatte meine Liebe jedoch nicht erwidert und war mit einem anderen Burschen losgezogen. Ein rothaariger und schwer lungengeschädigter Typ namens Berthold. Schmalbrüstig, immer in kurzen Lederhosen gekleidet und mit Sommersprossen auf der Nase. Der blutarme Berthold hat dann später richtig Karriere gemacht. Und zwar als Trainer einer recht erfolgreichen Mannschaft von Synchronschwimmerinnen. Bei seinem damaligen IQ hätte ich ihm allenfalls eine Tätigkeit als Hilfsweichensteller bei der Bahn zugetraut. Aber so konnte man sich täuschen. Ich hatte diesen ersten heftigen Schlag des Schicksals in meinen noch jungen Leben einigermaßen locker weggesteckt und nach eingehender Rücksprache mit meinem Vater den Entschluß gefaßt, mit den Mädchengeschichten besser ein wenig zu warten und stattdessen lieber noch ein paar Jahre Fußball zu spielen. Jedenfalls konnte ich mich noch gut an die kleine und zierliche Liz erinnern. Liz mit der piepsigen Stimme. Meine alte Freundin hatte vor wenigen Jahren eine eigene Taxizentrale gegründet und war daher unsere Verbindungsfrau in Sachen „Transportwesen“. Will sagen: Sie war immer dann gefragt, wenn Marc und ich Informationen benötigten, die in irgendeiner Form mit dem Bereich „Taxi“ zu tun hatten. Und als Ausgleich für ihre Dienste lud ich sie regelmäßig zum Essen ein, was sich aufgrund ihrer ständigen Nachtschicht allerdings als so gut wie unmöglich herausgestellt hatte. Also trafen wir uns einfach zum Frühstück. Mit einer langsamen Bewegung kurbelte ich die Seitenscheibe meines Wagens herunter und kramte mit der freien Hand nach meinen Benson & Hedges. Und gerade als ich im Begriff war, eine der beiden letzten Zigaretten aus der Schachtel zu schütteln, klingelte das Autotelefon. Ich nahm den Hörer aus der Halterung und meldete mich formvollendet mit einem kurzen und schlichten „Ja“. „Hallo ich bin es, Liz!“ dröhnte es mir rauh vom anderen Ende der Leitung entgegen. „Schieß los, was hast Du herausbekommen?“„Auf den Namen Warbs ist heute den ganzen Tag kein Taxi bestellt worden.“ antwortete sie.„Und in die Straße, die du mir vorhin genannt hast, da war eine Fuhre. Aber erst heute Mittag. Ich hab gerade mit dem Fahrer gesprochen. Er sitzt hier bei mir und trinkt sein Feierabendbier.“ „Habe ich jetzt Grund, eifersüchtig zu werden?“ Liz lachte laut auf. Es klang in meinen Ohren, als ob jemand einen schweren Aluminiumblock mit einer groben Feile bearbeiten würde. „Keine Sorge! Der Fahrer könnte mein Vater sein!“ antwortete sie. „Aber ältere Männer haben es doch bekanntlich faustdick hinter den Ohren, oder?“ „Ja, aber es nützt mir doch gar nichts, wenn sie es nur d a faustdick haben!“ stellte Liz kichernd fest, wobei ihr Lachen bereits nach einer einzigen Sekunde in einen heftigen Hustenanfall überging. Was für eine Marke, die gute Liz, ging es mir durch den Kopf. Äußerst grandlinig, erfrischend ordinär und eine Seele von Mensch! „Nein! Spaß beiseite. Die Beschreibung paßt auch nicht.“ fügte Liz hinzu, nachdem sich ihren Lungen wieder einigermaßen beruhigt hatten. „Was war es denn für ein Fahrgast?“ „Eine ältere Dame mit Zwergpudel!“ antwortete Liz. „Dann laß mich mal raten, wo dein väterlicher Freund sie hingefahren hat. Ich tippe auf Bingo oder Tierarzt.“ „Tierarzt.“ antwortete Liz knapp. „Okay, ich muß Schluß machen. Ich bin ein wenig in Eile! Ich schulde dir ein Essen!“ „Was hältst Du eigentlich von Sushi?“ fragte Liz neugierig und ohne zu Ahnen, was allein schon dieses Wort bei mir bewirkte. Denn da war es plötzlich wieder, diese brodelnde Gefühl unterhalb der Magengegend! Ich schluckte ein paar Mal heftig, bedankte mich brav bei meiner alten Freundin und versprach ihr bei der Ehre meiner Ex-Frau, sie am Wochenende anzurufen. Nachdem ich den Hörer des Telefons wieder auf seinen angestammten Platz an der Mittelkonsole verbannt hatte, wandte mich mich kurz zur Seite und blickte hinüber zu dem Haus mit der Nummer acht. Die Innenbeleuchtung war mittlerweile erloschen und ich hatte die Hoffnung, daß Lisa Warbs meinem gutgemeinten Ratschlag gefolgt war. Sie hatte übermüdet und ziemlich fertig auf mich gewirkt. Verständlich, denn so eine Sache zehrte wirklich an den Nerven und verbrauchte auch noch die allerletzten Energiereserven. Ich entschloß mich, Lisa Warbs heute Abend nicht mehr zu belästigen. Vielleicht war sie schon eingeschlafen und ich würde sie mit meinem Anruf wieder aus dem Schlaf reißen. Zwar konnten wir nun einige Punkte von der Liste streichen, aber sehr viel weiter gekommen waren wir nicht. Wir mußten abwarten. Einfach warten, bis sich die Entführer meldeten. Wenn es denn überhaupt eine Entführung war! Ich schloß das Seitenfenster meines Wagens, startete den Motor und fuhr so schnell es ging und es die Straßenverkehrsordnung gerade eben noch zuließ zu Susann. Mein Magen hatte sich wieder ein wenig beruhigt und ich verspürte nur noch ein leichtes Sodbrennen im Hals. Es waren kaum noch Autos unterwegs und mein Mercedes flog förmlich durch die Straßen. Mit quietschenden Reifen donnerte ich schließlich über den Bordstein hinweg auf die Einfahrt des kleinen Gebäudekomplexes. Ich stoppte meinen Wagen auf der graugepflasterten Parkfläche und blickte erwartungsvoll nach oben. Ich hatte Glück. In dem kleinen Fenster neben dem Balkon brannte noch Licht. Und mit ziemlicher Sicherheit hätte die kleine Lampe in dem rechten der beiden Fenster auch noch gebrannt, wenn ich zwei Stunden später hier angekommen wäre!

Zerrissen

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