Читать книгу Wenn dir das Leben in den Arsch tritt, nutze den Schwung - Anke Precht - Страница 13

EINE KRISE IST EIN WENDEPUNKT – MEISTENS EIN DRAMATISCHER

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Unter einem Sidekick des Lebens verstehe ich nicht den Moment, in dem mir der schöne Parkplatz von diesem arroganten Typen geklaut wird. Klar, das nervt. Aber es tut nicht wirklich weh. Ich kann einen anderen Parkplatz suchen und außer einer Minute Zeit verliere ich nichts. Wer schon solche Situationen einen Arschtritt nennt, hat ein echtes Luxusproblem. In diesem Fall wäre es wichtig, Gelassenheit zu üben. Denn sich bei jeder kleinen Widrigkeit aufzuregen ist pure Energieverschwendung. Das ist, wie beim Schwimmen im Meer zu erwarten, dass es keine Wellen gibt. Unmöglich. Eine Strategie, sich selbst unglücklich zu machen. Aber nicht unser Thema.

Wir sprechen von Krisen. Von Einschnitten im Leben, die ein »Vorher« von einem »Nachher« trennen. Nach einer Krise ist alles anders als vor der Krise. Es gibt kein Zurück mehr.

Eine Krise kann innerhalb weniger Momente, Tage oder Wochen die Lebensumstände so radikal verändern, dass das Leben danach komplett neu ist. Krisen sind also keine quantitativen Veränderungen: Etwas ist hinterher ein bisschen besser oder schlechter als vorher, jemand ist ein bisschen reicher oder ärmer als vorher, er muss ein paar Meter mehr oder weniger bis zum Parkplatz laufen oder fühlt sich etwas mehr oder weniger geliebt. Eine Krise verändert das Leben grundlegend. Du bist danach ein anderer Mensch.

Viele Krisen sind von außen gut erkennbar. Da gerät zum Beispiel eine Beziehung in eine Krise, es knallt, es gibt Tränen, er oder sie zieht aus, das ganze Dorf redet und vielleicht trennen sie sich. Ein politisches System verändert sich innerhalb kürzester Zeit, es gibt einen Umbruch, gravierende Einschnitte und das Leben in dieser Gesellschaft ist nicht mehr das gleiche wie vorher. Es folgt neuen Regeln. Eine Währung gerät in eine Krise und mit dem Gegenwert für das verkaufte Haus bekommt man gerade einmal die Kinder eine Woche lang satt. Alte Werte sind plötzlich nichtig.

Aber auch eine schwere Krankheit oder ein Unfall lösen eine Krise aus, besonders wenn es ums Überleben geht oder wenn schwere körperliche Einschränkungen die Folge sind. Wer früher Marathon gelaufen ist und plötzlich nur noch ein Bein hat, für den verändert sich fast alles. Wer sich mal stolz für einen tollen Aufreißer gehalten hat und impotent wird, muss sich komplett neu definieren. Einfach ist das nicht.

Andere Krisen finden im Innern statt, ohne dass es irgendeinen äußeren Anlass für sie zu geben scheint. Das gilt vor allem für die sogenannten Bilanzkrisen, von denen du gleich noch mehr lesen wirst. Da kann ein Mittvierziger plötzlich nachts nicht mehr gut schlafen, wird von Tag zu Tag unzufriedener und beginnt, sein ganzes bisheriges Leben infrage zu stellen, obwohl von außen gesehen alles in Ordnung scheint: Die Kinder sind gesund, die Partnerschaft ist harmonisch, die Raten für das Haus gesichert, der Job stabil. Und dennoch fühlt sich plötzlich alles falsch an, nichts stimmt mehr und alles scheint durcheinander – obwohl die Tage genau gleich ablaufen wie noch ein Jahr vorher.

Oder eine Frau kriegt plötzlich eine Depression und fängt an, abends ungesunde Mengen Wein zu trinken – obwohl ihre Kinder schon vor zwei Jahren von zu Hause ausgezogen sind und sie eigentlich ganz zufrieden damit ist. Das erscheint sehr rätselhaft. Erklärt sich aber, wenn man verstanden hat, was die Ursache für Krisen ist – und wozu wir sie brauchen. Ich weiß, »brauchen« ist ein hartes Wort. Ganz persönlich würde auch ich Stein auf Bein schwören, dass ich natürlich keine Krise brauche. Als Psychologin jedoch würde ich sagen: Klar, jeder Mensch braucht Krisen. Sogar du, Anke. Das würde mir (persönlich) nicht wirklich gefallen.

Was die alten Griechen unter einer Krise verstanden haben, siehst du >. Das Wort stammt nämlich aus dem Griechischen, wir können also sagen: Die Griechen haben’s erfunden.

DER BEGRIFF »KRISE«

Das Wort »Krise« kommt aus dem Altgriechischen und bedeutete ursprünglich »Meinung«, »Beurteilung« oder »Entscheidung«. Also ein Moment, in dem einer Sache oder einer Situation eine Bedeutung gegeben wurde, die dann Konsequenzen hatte. Im Deutschen taucht das lateinische Wort »crisis« ab dem 16. Jahrhundert in medizinischen Zusammenhängen auf. Als Crisis wird der Moment einer Infektion bezeichnet, in der das Fieber am höchsten ist. Bei einem unglücklichen Verlauf stirbt der Patient im Anschluss an die Crisis. Bei einem glücklichen Verlauf sinkt danach das Fieber stark ab und der Patient kann genesen. In der Crisis entscheidet sich das Schicksal des Kranken. Es geht um alles!

Hier erkennen wir zum ersten Mal den existenziellen Aspekt der Krise. Sie ist nicht nur ein Wendepunkt: In ihr entscheidet sich auch, wie und ob das Leben überhaupt weitergeht. Sie ist der Entscheidungspunkt und bei dieser Entscheidung geht es immer um etwas Grundlegendes. Außerdem gibt es ein klares Vorher und ein klares Nachher.

Auch heute geht es in Krisen manchmal um Leben und Tod. Und selbst wenn nicht, wie bei einer Trennung, fühlt es sich doch immer so an. Krisen treffen da, wo es am meisten wehtut. Wir verwenden deshalb heute den Begriff der Krise für alle existenziellen Momente, in denen sich das Leben von einem Zustand in einen ganz neuen verändert. Sagt also jemand beim Vorbereiten einer Gartenparty: »Ich kriege die Krise«, wenn plötzlich Gewitterwolken aufziehen und unklar ist, ob die Party ins Wasser fällt, mag das in diesem Moment zwar belastend sein. Diesem Menschen dürfen wir jedoch getrost raten, einfach tief durchzuatmen. Eine Krise ist das nicht.

Wenn dir das Leben in den Arsch tritt, nutze den Schwung

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