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Der Entschluss

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Müde von dem Tag machte Valentin sich auf den Weg nach Hause. Während der Fahrt schwirrten ihm Gedanken und Bilder durch den Kopf über die aufregende Zeit, die er mit Hazel verbracht hatte: die überraschende Schwangerschaft, die überstürzte Hochzeit. Valentin fand Hazel hübsch, klar, zu dieser Zeit fand er alle Mädchen hübsch, die bereit waren, mit ihm ins Bett zu gehen. Aber bei Hazel war es von Anfang an etwas Besonderes. Zum ersten Mal war er verliebt, ja, richtig verliebt. Bei ihr hatte es ihn erwischt. Und aus der Verliebtheit wuchs eine intensive, tiefe Leidenschaft. Das Kribbeln war noch immer da. Ein Blick von ihr genügte, um in ihm ein Gefühl von Freude und Sehnsucht zu wecken. Wenn er mit ihr einen Raum betrat, zog sie alle Blicke auf sich. Es war dieses bezaubernde Lächeln, das er immer vor sich hatte, wenn er an sie dachte. Dieses Lächeln, das ihn in seinen Träumen verzauberte, gepaart mit ihren großen, aufmerksamen Augen. Er war wie magnetisiert von ihr, als wäre ein unsichtbares Band um Hazel und ihn gewickelt, das sich nie wieder trennen ließ. Sie war eine willensstarke Frau, eine gute, liebevolle Mutter. Ihre Führungsqualitäten machten sich bemerkbar, als sie ihr Haus bauen ließen. Valentin hatte es zusammen mit dem Architekten entworfen.

Architektur hatte ihn schon immer begeistert. Dabei konnte er sich verwirklichen. Valentin entwarf ein modernes Anwesen mit durchdachtem Wohnkomfort und zukunftsfähigen Details wie aktive Energiesparmaßnahmen, inmitten einer grünen Umgebung. Victoria war gerade erst ein Jahr alt; dennoch beaufsichtigte Hazel die Baustelle, kümmerte sich um alles. Ein Jahr lang war sie täglich auf der Baustelle. Hazel war eine starke Persönlichkeit. Sie hielt Valentin den Rücken frei, damit er sich um seine Arbeit kümmern konnte. Der Bauplatz lag weit oben am Waldfriedhof, eine alte Obstwiese. Sie ließen viele der Bäume stehen und bekamen einen wunderschönen Garten mit vielen Nutzbäumen. Niemand konnte in das Anwesen hineinsehen, denn es lag in einem weitläufigen Wald. Valentin erinnerte sich an den Tag, als eines Morgens (sie wohnten erst ein paar Wochen in dem neuen Haus und es war milder Herbst) zwei Katzen furchtbar schrien. Sie schrien wie weinende Babys. Hazel konnte es nicht anhören. Kurzentschlossen sprang sie aus dem Bett und rannte nackt in den Garten, um nach den Katzen zu sehen. Valentin sah auf die Uhr und fragte sich, wo Hazel blieb. Nach einer Weile stand auch er auf und ging hinunter. Was er im Garten sah, war mehr als ein Traum, es war eine anmutige Schönheit, von zurückhaltender Eleganz: Hazel spazierte nackt im Regen herum, und zarte Tropfen plätscherten auf ihrer Haut.

Er rief ihr schmunzelnd zu: „Hazel, warum kommst du nicht wieder ins Bett? Es ist erst fünf Uhr in der Früh!“

„Hey, komm her, es ist ein so warmer Regen! Es ist wunderbar, hier zu sein!“

Valentin ging auch nackt in den Garten und sie sprangen im warmen Regen umher wie zwei Kinder. Behutsam küssten sie sich unter den mild rieselnden Tropfen, die auf ihre Körper prasselten. Im Morgengrauen liebten sie sich auf der Liege und sahen dabei dem Sonnenaufgang zu. Die Vögel saßen im Baum und sangen so schön, als wollten sie ihnen dazu die passende Melodie liefern. Danach gingen sie unter die Dusche und machten da weiter, wo sie kurz zuvor aufgehört hatten: Sie liebten sich noch einmal.

„So sollten wir jeden Morgen beginnen“, begrüßte Hazel den Tag.

Es waren schöne Momente, emotionale Bilder, die ihm durch den Kopf schwirrten, und ehe er sich versah, war er Zuhause angekommen. Victoria war schon fertig fürs Bett.

„Gute Nacht, Dad, gute Nacht, Mum!“, sagte sie aufgedreht und ging in ihr Zimmer. Hazel gab ihr einen Kuss.

„Geh deine Zähne putzen! Ich komme dann gleich und lese dir eine Gutenachtgeschichte vor.“

Valentin setzte einen Cappuccino für sich und Hazel auf und ließ sich im Wohnzimmer nieder. Heute würde er mit ihr sprechen, über die Dinge, die ihm seit Wochen durch den Kopf kreisten. Er war in melancholischer Stimmung.

Hazel nahm den Cappuccino und ließ sich erschöpft neben ihm aufs Sofa fallen. „Heute war ein anstrengender Tag! Ich habe so viel erledigt, und Victoria hatte drei Freundinnen hier. Als die Mütter ihre Mädchen abholten, haben wir eine Flasche Champagner aufgemacht und auf unsere Freundschaft angestoßen. Und wie war dein Tag, Liebling?“

„Wie immer“, antwortete er flüchtig.

„Vielen Dank für den Cappuccino! Ich gehe noch zu Victoria und lese ihr eine Geschichte vor. Dann geh ich duschen und ins Bett.“

Sie gab ihm einen andeutungsweisen Kuss auf die Stirn.

„Gute Nacht“, erwiderte Valentin, gab ihr einen Kuss und streichelte ihr über das Gesicht. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass heute wieder nicht der richtige Zeitpunkt war, um mit Hazel über seine heimlichen Pläne zu sprechen. Sein Wunsch, ihr seine Gefühle begreiflich zu machen, begleitete ihn unaufhörlich.

Er ging ins heimische Büro. Ein paar Einladungskarten vom Geburtstag lagen auf dem Schreibtisch. Die Post lag ungeöffnet daneben. Scheinbar hatte Hazel noch keine Zeit gefunden, sie zu öffnen. Er kümmerte sich darum: Versicherungspolicen, Werbepost, Kataloge. Und eine Karte von Hazels Freundin Karla. Darauf waren die schönen Strände, aber auch die prallen Hinterteile der Frauen von Rio de Janeiro zu sehen.

Valentin fuhr den Laptop hoch, surfte noch eine Zeitlang im Internet und studierte die Lokalnachrichten. Dann sah er auf die Uhr. Es war spät geworden. Er fuhr den Laptop herunter, duschte sich kalt ab und ging ins Bett. In dieser Nacht konnte er nur schwer einschlafen. Zu viele Gedanken wirbelten ihm im Kopf herum. Hazel schlief tief und fest, ruhig lag sie zur Seite gedreht, er hörte ihren gleichmäßigen Atem.


Als er kurz nach sieben Uhr im Büro erschien, quoll die Ablage ZU ERLEDIGEN fast über. Das Telefon klingelte unaufhörlich, und Valentin hatte die Vermutung, dass der Feierabend sich wieder einmal hinausziehen würde. Obwohl er keine Termine mit Mandanten vereinbart hatte, kam er nicht dazu, ein paar dringende Arbeiten zu erledigen. Am Morgen war er kurz bei Gericht gewesen, und der Nachmittag verlief mit vielen Telefonaten, E-Mails schreiben und Terminvereinbarungen. Die Arbeiten, die er sich für diesen Tag vorgenommen hatte, blieben in der Ablage. Das drückte auf seine Stimmung. Er war schon spät dran, und das Telefon klingelte unaufhörlich. Obendrein wartete er auf die Unterlagen von Herrn Gehrig, die er noch durchsehen wollte, bevor er ging. Er schrie seine Sekretärin an, als diese mit rotem Kopf endlich mit den erwünschten Papieren hereinkam.

„Sie arbeiten zu langsam, Frau Müller! Heute ist Donnerstag, und da gehe ich um siebzehn Uhr, der einzige Tag in der Woche, an dem ich pünktlich das Haus verlassen will!“

Frau Müller entgegnete: „Herr Engel, ich arbeite nicht langsam, sondern sorgfältig. Ich habe Sie vor dreißig Minuten an ihren Saunabesuch erinnert. Erst da baten sie mich, den Ordner für Herrn Gehrig durchzuarbeiten. Hier, bitte sehr.“ Gekränkt legte sie die Akten auf seinen Schreibtisch.

„Danke“, erwiderte er brüsk. Er sah sich die letzten Seiten durch. Es war ein verzwickter Fall, er würde später darüber nachdenken. Die Zeit war knapp.

Eilig verließ er das Büro. Es war schon viertel nach fünf, die Straßen überfüllt von Autos und Bussen. Stau wie immer. Während er mit dem Auto zur Sauna fuhr, ging ihm der Fall Gehrig durch den Kopf. Die tiefstehende Sonne warf lange Schatten über die Häuser und Bäume. Als ein Auto aus einer Parklücke fuhr und er sofort hineinfahren konnte, spürte er einen winzigen Glücksmoment.

Die vier Freunde hatten schon den zweiten Saunagang hinter sich, als Valentin sich ihnen anschloss. Freddy begrüßte ihn: „Valentin konnte sich wieder dem Bürotisch nicht entreißen!“

Freddy war der einzige unter den fünf Studienkollegen, der sein Studium abgebrochen hatte. Er arbeitete in einer Firma, die Elektroartikel verkaufte. Er war zuständig für Computerhardware und betreute Firmen. Er war ein umgänglicher Typ und hatte Erfolg. Die Unternehmen konnten sich auf ihn verlassen, denn er baute schnell geschäftliche und freundschaftliche Beziehungen auf.

Victor war angestellt in einer Wirtschaftskanzlei, welche die Auszeichnung trug, eine der besten Insolvenzverwalter in Deutschland zu sein. Es zeichnete sich bereits ab, dass er ein erfolgreicher Anwalt werden würde. Er war bereits im Würzburger Stadtrat. Victor war intelligent, konnte gut reden, aber auch gut zuhören und Lösungen finden in schwierigen Fällen, trotz seiner jungen Jahre.

André war in einer kleinen Kanzlei angestellt. Sie hatten sehr unter der zunehmenden Konkurrenz zu kämpfen und kämpften täglich um Mandanten.

Robert, der sein Studium beendet, aber nicht sofort eine Anstellung bekommen hatte, war ins Geschäft seines Vaters eingestiegen. Seine Eltern waren zunächst nicht begeistert, weil sie der Meinung waren, Robert habe nicht so lange studiert, um dann bei ihnen im Geschäft einzusteigen. Sie hofften, diese Lösung sei nur vorübergehend. Doch als es ihnen gesundheitlich schlechter ging, waren sie dankbar dafür, dass Robert da war und den Juwelierladen an der Juliuspromenade übernahm.

Valentin, der gerade zum dritten Aufguss kam, sagte verlegen: „Sorry, bin wieder mal zu spät.“

„Schon klar“, erwiderte Freddy, „wir haben schon angefangen, sind schon mit dem zweiten Aufguss durch. Valentin, nimm dir doch Victor mit in die Kanzlei, einen besseren bekommst du nicht! Und du hättest etwas mehr Freizeit!“

„Und was macht er dann in seiner neugewonnener Freizeit?“, fügte André neugierig hinzu und musterte seine Freunde.

„Na ja“, überlegte Freddy und grinste, „Valentin könnte sich eine Geliebte zulegen. Dann wäre er auch zufriedener und ausgeglichener!“

Allgemeines Gelächter brach aus. „Willst du wieder in die Studienzeit zurück?“, entgegnete Valentin barscher, als er eigentlich beabsichtigt hatte.

„War eine geile Zeit, oder vielleicht nicht?“, schwärmte Andre. „Ehrlich, es war die geilste Zeit meines Lebens. Denkt doch mal an die coolen Wetten, die wir abgeschlossen haben! Könnt ihr euch noch an Eve erinnern?“

Alle lachten. „Ist noch gar nicht so lange her, da habe ich sie bei Douglas getroffen“, berichtete Freddy lachend.

„Und? Hast du mit ihr gesprochen?“, wollte André wissen.

„Klar. Sie hat ihr Studium damals abgebrochen, weil sie schwanger wurde. Mittlerweile hat sie vier Kinder.“

„Sind die alle von einem Vater?“, fragte André nach.

„Das weiß ich doch nicht, das habe ich natürlich nicht gefragt. Ich bin froh, dass keins von mir ist!“, höhnte Freddy. „Da gibt es nichts zu lachen! Auch ihr könntet schließlich der Vater eines ihrer Kinder sein!“

„Schon klar. Aber jetzt haben wir ganz andere Ziele, andere Perspektiven, das Leben wird viel tiefgründiger. Ich meine, alles hat seine Zeit und jede Zeit hat ihre Besonderheiten. Deshalb sollten wir in die Zukunft schauen und voranschreiten. Ich arbeite viele Stunden am Tag, habe eine tolle Frau, eine bezaubernde Tochter, ein Haus, eben alles, was ein Mann sich wünschen kann. Trotzdem habe ich das Gefühl, es fehlt was. Nichts Materielles. Ich bin mir nicht mal sicher, ob man nicht freier lebt ohne diesen ganzen Ballast, den du immer verwalten musst und vermehren. Es ist wie eine Sucht. Du brauchst immer mehr und hast Angst, deinen Lebensstandard verlieren zu können. Dein Ansehen in der Gesellschaft einzubüßen. In dieser Gesellschaft kommt es nicht darauf an, was du bist, sondern für was die Leute dich halten. Wäre es nicht schön, ohne Schlüssel zu leben, frei, ohne ständige Angst vor Verlust? Sollte man seine Zeit nicht sinnvoller gestalten?“, sinnierte Valentin in die Runde hinein.

Misstrauisch beugte Freddy sich vor. „Sei nicht so pessimistisch! Sei einfach mal zufrieden und freue dich an dem, was du hast! Oder schaff dir eine Geliebte an, wie ich vorhin schon gesagt habe. Eine, die dich auf andere Gedanken bringt!“

„Ist schon okay“, wechselte Valentin das Thema. „Wer hat Lust, am Wochenende zu dieser Ausstellung Kunst, Film und Comic im Hofgarten in der Orangerie mitzukommen? Hazel will unbedingt da hin. Sie ist ein Fan von Robert Crumb. Außerdem gibt es eine Ausstellung von verschiedenen Malern. Wird bestimmt ganz lustig.“

Victor überlegte kurz. „Ich muss mal mit Sarah sprechen. Sie wollte am Wochenende zum Stadtfest, da wird von der Stadtbücherei und dem Café Cairo ein Theaterspiel aufgeführt, Kaktussen. Und anschließend wollte sie mit ein paar Bekannten ins Lesecafé im Falkenhaus. Das Spektakel soll bis in die frühen Morgenstunden dauern.“


Am Sonntag spazierte Valentin mit Frau und Tochter am Main entlang. Enten saßen am Wegrand, einige waren auf der Suche nach Fressen, andere lagen nur faul herum und bewegten sich kaum. Die junge Familie setzte sich auf eine Bank. Victoria stöhnte kurz auf, nahm dann aber neben ihren Eltern Platz. Wortlos saßen sie nebeneinander und sahen eine Weile den Enten zu, bis Victoria drängte: „Also, lasst uns weitergehen!“

Gemütlich schlenderten sie zur Residenz. Die Luft war frisch und klar. Sie liefen durch den Hofgarten und bewunderten die fein symmetrisch gegliederte Gartenpartien mit ihren sorgfältig gestutzten Formobstbäumen, Blumenbeeten, Hecken, Spalieren und Laubgängen. Victoria hatte einen Malblock dabei. Hazel hatte ihr aufgetragen, besonders schöne Details abzumalen. Sie wollte Ideen sammeln für ihren eigenen Garten. Jeder Mensch wünscht sich ein Fleckchen Erde, an dem er die Seele baumeln lassen kann. Hazel hatte in ihrem Garten einen solchen wunderbaren Freiraum geschaffen, wo Stress und Hektik sich in Gelassenheit verwandelten. Eine Zauberlandschaft, wie sie trefflich meinte, welche die Fantasie beflügelt und uns die Welt mit anderen Augen sehen lässt.

Victoria zeichnete konzentriert und brachte sehr schöne Illustrationen auf ihren Block. Fein säuberlich schrieb sie mit Bleistift die lateinischen Begriffe darunter. Hazel und Valentin nutzten die Gelegenheit und nahmen an einer Weinverkostung teil. Valentin spielte an Hazels Haar, das ihr lose über den Rücken fiel. Er war hin- und hergerissen, mit ihr endlich über seine Gefühle zu sprechen. Er wusste, der richtige Augenblick würde nie kommen und beschloss, das Thema endlich anzusprechen. Zögernd begann er.

„Hazel, ich trage mich schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, hier alles aufzugeben, um die Welt kennenzulernen.“

Hazels Lippen verzogen sich zu einem unhörbaren Lächeln; sie schluckte trocken. „Also, die Welt kannst du gern kennenlernen. Deswegen musst du doch nicht alles hier aufgeben, Valentin.“

„So wie ich die Welt kennenlernen möchte, muss ich alles aufgeben. Ich will frei sein von Verpflichtungen und von materiellen Gütern. Es wird eine ganz neue Erfahrung für uns werden. Erlebnisse, die uns niemand mehr nehmen kann. Unabhängigkeit für alles, was wir schon immer einmal tun wollten. Nur zu dritt, du Hazel, Victoria und ich.“

„Für uns … das ist doch nicht dein Ernst? Oder doch!“ sagte sie und sah ihm fest in die Augen.

Ihm war klar, dass er sie überrumpelt hatte. Verzweifelt suchte sie nach Worten.

„Valentin, was verstehst du unter alles hier aufgeben?“

„Ich meine, alle Zelte hier abbrechen. Du kannst dir aussuchen, wo wir hingehen. Und wo es uns gefällt, da bleiben wir. Wir werden eine wunderbare Zeit erleben. Eine Zeit, die uns niemand mehr nehmen kann.“

Ihre Augen ruhten auf seinem Gesicht. Von einer Sekunde zur anderen verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck. „Du meinst wirklich, was du sagst, oder?“ Sie war blass. „Valentin, wie stellst du dir das vor? Wir haben eine Tochter! Wir tragen für sie Verantwortung!“

„Ich weiß. Aber das ist für Victoria die Schule ihres Lebens, das wird sie nie vergessen! Und Kinder entdecken viel mehr als Erwachsene. Sie sind noch offen und nicht voreingenommen.“

Ein leichter Wind blies in ihr Gesicht. Sie war bemüht, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Beherzt schüttelte sie den Kopf.

„Nein!“, stieß sie entschlossen aus, und ihr Magen zog sich zusammen, „nein, das kannst du nicht von mir verlangen! Ich bin in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Ich hatte nie eine richtige Familie. Ich habe dir erzählt von meinen Familienverhältnissen. Mit fünfzehn habe ich die Berufsschule absolviert und ging in die Lehre als Friseuse, mietete mir eine kleine Wohnung. Ich lebte immer von der Hand in den Mund. Ich hatte nie Geld übrig, um wenigstens einen kleinen Teil zu sparen. Meist reichte das Geld nicht einmal für den Monat. Du kannst das nicht verstehen, bei euch war Geld nie ein Thema. Es war da und musste nur vermehrt werden. Du musstest dir nie Gedanken machen, von was du leben sollst. In so ein Leben kann und will ich nicht zurück. Vor allem auch nicht wegen unserer Tochter. Victoria soll es einmal besser gehen. Sie soll einen Beruf erlernen, der ihr Spaß macht und genügend Geld verdienen. Sie soll die Möglichkeit haben zu studieren. Sie ist ein cleveres Mädchen. Sie soll sich mehr leisten können als ich es konnte. Ich wünsche mir für sie ein schönes, geregeltes Leben. Überlege dir diesen Schritt bitte genau! Du weißt, er hat wichtige Konsequenzen. Ich hoffe, es ist nur eine Laune von dir. Du weißt: Wer Wind sät, wird Sturm ernten.“

Nach dem Gespräch sagte Hazel kein Wort mehr darüber. Auch Victoria erzählten sie nichts von ihrer Unterredung.

In der Nacht hörte Valentin sie leise weinen. Er spürte jeden Tag, wie sie sich entfremdeten, jetzt, da sein Ziel zwischen ihnen stand.

Am nächsten Tag stand er mit Hazel in der Küche. Er nahm sie zärtlich in die Arme und drückte sie an sich.

„Ich liebe dich. Gib mir Zeit. Lass uns die Sommerferien bei Oswald in Tirol verbringen.“

„Oswald? Wer ist das?“, fragte sie verwundert.

„Ich habe ihn auf einer Zugfahrt getroffen. Er lebt in einem alten Bauernhaus, das über hundert Jahre alt ist. Er lebt da mit seinem Vater, in einfachen Verhältnissen. Ich möchte es gerne einmal erleben und bitte dich, mit Victoria daran teilzuhaben. Sie leben sehr einfach, und ich will es einmal mit euch erfahren“, forderte Valentin.

„Ich will dich nicht zwingen, hierzubleiben, Valentin. Aber ich mache mir natürlich Gedanken über unsere Zukunft. Na gut“, willigte Hazel ihm zuliebe ein. „Vielleicht kann dieser Urlaub uns ja wieder zusammenbringen. Wir hatten eine anstrengende Zeit, Valentin. Der Hausbau und all das. Vielleicht müssen wir mehr an unserer Beziehung arbeiten. Wenn es dann dieser Urlaub sein muss, dann eben Tirol.“ Lächelnd verdrehte sie die Augen. „Auch, wenn es sich nicht gerade nach Erholungsurlaub anhört.“ Ein zwanghaftes Lachen glitt über ihre Lippen.

Valentin freute sich auf die Zeit mit seiner Familie, obwohl er nicht damit gerechnet hatte, dass Hazel sich auf diesen Urlaub einlassen würde. Seine Vorfreude stieg täglich und damit seine gute Gemütsverfassung.

Verfluchte Freiheit

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