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Hazel

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Die folgenden Wochen würden viel Kraft kosten, um Valentins Gefühle in eine andere Richtung zu lenken, wusste Hazel. Schon als Valentin mit Victoria die Koffer packte, war alles anders als sonst. Sie drehten die Musik voll auf, was normalerweise nicht Valentins Art war. Victoria und ihr Vater tanzten und alberten die ganze Zeit herum. Victoria durfte so viel Gepäck mitnehmen wie sie wollte. Dieses Mal gab es keine Diskussionen darüber, was man für zwei Wochen unbedingt brauchte, oder nicht oder welche Dinge überflüssig waren. Während der Fahrt nach Tirol war Valentin wie ausgewechselt. Er war fröhlich, fast übermütig.

Als sie über den Brenner fuhren, sang er mit Victoria Kinderlieder in einer Lautstärke, die alles andere war als schön. Hazel hatte nicht einmal gewusst, dass Valentin so viele Kinderlieder kannte. Über eine Schnellstraße erreichten sie Meran. Das Klima war mediterran; das geöffnete Tal sorgte für ausgeglichene warme Luft. Die Palmen, Zypressen und Myrthen erinnerten an idyllische, zarte Aquarelle.

Von Ultental aus wollten sie in einen kleinen Ort namens St. Walburg. Vergeblich sahen sie sich nach Hinweisschildern um, konnten aber keine entdecken. Sie fragten die wenigen Menschen vor den einzeln stehenden Häusern, die sehr weit voneinander entfernt waren.

„Sehr ländlich“, stellte Hazel fest und ärgerte sich bereits ein wenig, dass sie sich auf so eine Art von Urlaub eingelassen hatte. Was würde sie erwarten?

„Wir suchen Oswald Hofer“, fragte Valentin ein älteres Pärchen. Die sahen sie ungläubig an.

„Oh, zum Oswald wollts ihr? Seid ihr euch da sicher?“

„Ja, zum Oswald“, wiederholte Valentin.

„Na, da müssts gradaus weiter, wenn ihr da zum Oswald wollt!“

Sie sahen sich verwundert an. Hazel kam das komisch vor, doch Valentin lachte nur.

Nach einigen weiteren Häusern fragte Valentin eine alte Dame: „Wir suchen den Oswald. Können Sie uns vielleicht den Weg dorthin erklären?“

Die Dame kam ganz nah ans Auto heran und fragte unschlüssig nach: „Waaas, zum Oswald wollts ihr?“

„Ja, zum Oswald Hofer“, wiederholte Valentin.

„So so, zum Oswald, gewiss zum Oswald?“

„Ja, gewiss“, sagte Valentin bestimmend.

„Na, da müsst grad no a Stück weiter, wenns halt zum Oswald wolln.“

„Da stimmt doch was nicht“, sagte Hazel zaghaft zu Valentin.

„Den finden wir schon“, sagte er.

Sie fuhren weiter. Man sah weniger Leute auf den Straßen, und es wurden immer weniger Häuser.

„Also, mir wird es hier unheimlich. So sieht das Ende der Welt aus“, flüsterte Hazel Valentin zu, obwohl sie gar nicht flüstern musste. Sogar Victoria wurde leise und blickte gespannt aus dem Fenster. Normalerweise fragte sie fast jede Minute: Sind wir bald da? Oder: Wie lange dauert es denn noch? Am nächsten Haus sah man sie an, als kämen sie von einem anderen Stern. Valentin hielt und fragte abermals.

„Zum Oswald wollen wir.“

Wieder nur verwirrte Blicke.

„Was, wirklich zum Oswald? Aha, ja, ja, da drüben geht’s zum Oswald, zwei Häuser noch, dann um die Ecke, wenn’s zum Oswald wolln. Sind sie vielleicht verwandt mit ihm?“ Die Frau sah die kleine Familie verblüfft an.

„Nein, nein, nur Freunde“, gab Valentin verwundert zurück.

„Soso“, sagte die Frau erstaunt.

„Es hört sich nicht so an, als bekäme Oswald oft Besuch“, bemerkte Hazel.

Sie bogen um die Ecke und waren da. Es war ein grauenhafter Anblick. Unzählige Fliegen zischten um das große Haus, das sich vor ihnen erhob. Die südwestliche Wand war wie mit Insekten tapeziert. Am liebsten wäre Hazel sofort umgedreht. Die Geräuschkulisse erinnerten sie an einen Horrorfilm. Doch Valentin parkte, rannte um das Haus und rief aufgeregt: “Oswald, Oswald!“ Dabei rannte er die Treppe hinauf. Die schwere Holztür stand offen und ein großer, kräftiger, gutaussehender, doch leicht verwilderter Mann kam zum Vorschein. Er begrüßte Valentin.

„Hallo, mein Freund! Ich wusste, dass du irgendwann hier auftauchen würdest. Das ist deine Familie?“

„Ja“, bestätigte Valentin stolz, „meine Frau Hazel und meine Tochter Victoria!“

Hazel brachte ein gezwungenes Lächeln zustande. Er kam auf die Beiden zu und begrüßte sie mit einem Handschlag, der so fest war, dass Hazel ein wenig in die Knie ging. Kurz sah sie ihre Hand an, ob ihr Ehering nicht in ihren Ringfinger gedrückt worden war. Oswald lud sie ein, hineinzukommen.

„Tretet´s ein, ihr kommt zur rechten Zeit, das Essen ist fertig! Kommt herein und setzt euch!“

Sie folgten ihm in den ersten Raum, wo sich die Küche befand. Hazel sah sich um. Die Küche war großräumig und enthielt auf den ersten Blick alles, was man benötigte. Sofort fiel ihr auf, wie erstaunlich sauber es hier war für einen Zwei-Männer-Haushalt. Alle setzten sich um den großen, massiven Holztisch. Oswald begann ehrfürchtig ein Tischgebet zu sprechen. Dann forderte er alle auf, kräftig zuzulangen.

Auf dem Tisch standen Kartoffeln mit Wildgulasch und Gemüse. Es schmeckte würzig und gut. Beim Essen unterhielt man sich über das Wetter und die lange Autofahrt von Deutschland nach Südtirol. Danach wollte Hazel Oswald beim Abwasch helfen.

„Nein, ich schaffe das schon. Geht hinauf, sucht euch ein Zimmer und räumt eure Koffer aus. Wie es oben ausschaut, weiß ich nicht, war schon ewige Zeiten nicht mehr oben. Mein Vater ist alt und krank, er kann die Treppe nicht mehr gehen, dann haben wir uns unten eingerichtet, dass ich in seiner Nähe bin, falls er Hilfe braucht. Platz gibt’s genug im Haus, sucht euch das schönste Zimmer aus!“

Mühselig schleppten sie ihre Koffer über die schmale, steile Holztreppe in die Zimmer.

„Wir könnten uns ein Hotel nehmen und Oswald jeden Tag besuchen“, schlug Hazel vor. Doch Valentin fand das unhöflich. Die Betten waren überzogen, aber es musste Jahre, vermutlich sogar Jahrzehnte her sein, dass jemand an ihnen gearbeitet hatte. Hazel schüttelte probeweise eine Decke auf und das gesamte Zimmer verschwand in einer Staubwolke.

„Valentin, wir können hier nicht bleiben! Diese Zimmer wurden jahrelang nicht gereinigt, es ist zu staubig hier!“, klagte sie. Sie war den Tränen nahe. Durch die niedrige Decke konnte der Staub, der sich über Jahre hinweg angesammelt hatte, nicht einmal weichen.

Valentin hustete, dann öffnete er ein Fenster.

„Wenn hier mal richtig gelüftet wird, ist es schon viel besser! Es ist wirklich schön hier, einfach und herrlich! Du hast doch Bettwäsche dabei. Die ziehen wir einfach darüber, und dann geht das schon. Du wirst sehen, wie gut es uns hier gefallen wird. Am Ende willst du gar nicht mehr weg von hier!“

„Das glaube ich eher weniger“, meinte Hazel, während ihr Blick durch das Zimmer schweifte. Sie öffnete einen Koffer, doch schloss ihn gleich wieder. Sie hatte das Gefühl, der Staub würde sofort in ihrem Koffer verschwinden und sich in ihrer Wäsche einnisten.

„Ich überziehe die Betten später. Zuerst werde ich putzen.“

Sie ging hinunter in die Küche zu Oswald und seinem Vater. Hazel erkundigte sich nach Putzsachen. Oswald reichte ihr einen Besen, eine Schaufel und einen alten Lappen. Hazel sah die Sachen an.

„Das ist alles?“

„Ja, das ist doch ausreichend“, erwiderte Oswald.

Skeptisch ging sie nach oben. „Victoria, bleib bei deinem Vater! Ich werde das Zimmer oben etwas herrichten.“ Sie wollte nicht, dass die Kleine sich in dem Staub aufhielt. Während Hazel putzte, überlegte sie verzweifelt, wie sie hier wegkamen, ohne unhöflich zu wirken. Das Haus war schön, aber in den letzten hundert Jahren war hier nichts modernisiert worden, außer Küche und Bad, die Räume mit den Nasszellen.

Sie sah zum Fenster hinaus. Es musste die Ostseite sein. Sie liebte es, wenn ein Schlafzimmer nach Osten ging. So konnte man am Morgen sehen, wie die Sonne aufging. Ein berauschender Anblick. Die Berge waren sehr steil, noch bewaldet.

Sie schleuderte die Betten hinaus, und ein Staubwall kam ihr entgegen. So viel Staub konnte man unmöglich in kurzer Zeit entfernen, dachte sie. Sie ließ die Betten auf dem Fensterbrett liegen und sah sich noch einmal die Gegend an. Sie seufzte und überlegte, wie sie hier etwas Ordnung hinbekäme. Noch einmal sah sie sich kritisch im Zimmer um, bevor sie schließlich unter Husten die Dielen abkehrte. Freudlos bezog sie danach die Matratzen. Die Zudecken legte sie auf das Bett und überzog sie mit der mitgebrachten Bettwäsche. Sie kippte das Fenster an, damit nicht so viele Mücken hereinkamen. Als sie an dem schweren Vorhang zog, kam ihr erneut eine Staubwolke entgegen. Hazel musste husten und dachte: Hier wäre man Wochen beschäftigt, alles ins Reine zu bringen. Ein Dampfstrahler würde gute Dienste leisten! Sie sah sich um. Ein Staubsauger wäre auch nicht schlecht. Sie bezweifelte jedoch, dass es hier einen gab. Sie atmete tief, schloss den Koffer sorgfältig und ging hinunter.

Valentin und Oswald waren vertieft in ein Gespräch. Es ging um den Wald, die Kühe und die Jagd. Oswalds Vater unterhielt sich selbst und hatte sichtlich Spaß an der einseitigen Unterhaltung, und Victoria hatte ein paar Bücher ausgepackt, sich auf die Terrasse gesetzt und las „Die kleine Raupe Nimmersatt“. Versunken in ihre Lektüre, saß sie im Schaukelstuhl; ihre kurzen Beine baumelten in der Luft.

In der ersten Nacht konnte Hazel nicht gut schlafen. Kurz vor fünf krähte der Hahn. Die Geräusche waren anders als in der Stadt. Sie lebten am Stadtrand, aber das war kein Vergleich zu Südtirol, am Ende der Welt. Die Vögel sangen und zwitscherten wie in einem Konzert.

Als sie um halb sieben aufstand, schliefen noch alle, bis auf Oswald, der im Kuhstall schon die Kühe gemolken hatte. Er musste in der Herrgottsfrühe aufgestanden sein. Punkt sieben fuhr ein großer Lastwagen vor, der die Milch abholte. Sie zog sich an und sah in den Spiegel. Dann ging sie langsam die Treppen hinunter ins Bad und machte sich frisch.

Oswald bereitete das Frühstück zu und bot ihr ein Glas frische, noch warme Milch an. Sie trank die Milch fast in einem Zug. Oswald erklärte ihr, dass er von der Milchproduktion und vom Verkauf der Bäume aus seinem Wald lebte. Er wurde nicht reich damit, doch es reichte zum Leben. Er und sein Vater seien nicht anspruchsvoll. Das hatte sie schon bemerkt.

Sie warteten auf der Terrasse, bis Victoria und Valentin herunterkamen. Eine getigerte Katze strich Hazel um die Beine. Der schwarze Münsterländer lag gemütlich in der Ecke und schlief.

Nach einem reichhaltigen Frühstück zeigte Oswald ihnen den Garten und den angrenzenden großen Wald, der ihm gehörte. Ein leichter Nebel hing über den Baumspitzen. Er erklärte, dass es manchmal schwierig sei, die Bäume zu transportieren, denn ein großes Stück Wald lag hoch oben in den Bergen; man konnte das Holz von dort nur etappenweise und mit großem Aufwand herunterbringen.

Victoria entdeckte eine Schaukel, von der sie begeistert war: An vier langen Ketten hing eine starke, dicke Baumrinde. Sie musste von einem sehr alten Baum abstammen. Überwältigt streckte sie ihrem Dad die Arme entgegen. Automatisch hob er sie auf die Schaukel, zog sich an der Kette empor und reichte Hazel die Hand. Sie ließ sich von ihm hinaufziehen. Sogar für Oswald wäre noch Platz gewesen, doch er weigerte sich. Er lachte zufrieden und sah der Familie beim Schaukeln zu.

Von nun an, wenn sie Victoria suchten, lag, stand oder saß sie auf der ungewöhnlichen Schaukel. Allein hatte sie nicht die Kraft, sie kräftig zu bewegen, aber ein wenig Schwingen reichte ihr völlig aus. Einmal schlief sie über dem Schaukeln ein. Sie hielt noch das Buch in der Hand und sah glücklich und friedlich aus. Schlafende Kinder waren so ziemlich das Schönste, was Hazel je gesehen hatte. Die Zufriedenheit und Sicherheit, die sie ausstrahlten, war grenzenlos.

Sie musste zugeben: Die Gegend war traumhaft. Doch das Haus war alles andere als komfortabel. Die Toiletten waren im Garten: zwei Plumpsklos. Jedes wurde ein halbes Jahr benutzt, dann sollte es austrocknen, und in dieser Zeit wurde das andere gebraucht. Victoria hatte so etwas noch nicht gesehen und traute sich nicht, allein zur Toilette zu gehen – vor allem abends nicht, wenn es dunkel war. Es war nicht mit elektrischem Licht ausgestattet, sondern eine Petroleumlampe hing davor.

Zwei Tage verbrachten sie nun schon bei Oswald. Rehe, Eichhörnchen, Schmetterlinge, Libellen, Hasen und einen Fuchs hatten sie im Wald getroffen. Hazel gewöhnte sich langsam an das einfache Leben. Auch Victoria lebte sich ein; vor allem die Tiere im Wald und die verspielte Katze bekamen ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Es gefiel ihr, dem Hund Befehle zu erteilen, und er gehorchte ihr aufs Wort und verfolgte sie auf Schritt und Tritt. Schnell wurden sie Freunde.


Der Nachmittag war heiß gewesen, doch nun spürten sie eine wohltuende Brise. Hazel und Victoria erfreuten sich an ein paar Eichhörnchen, die damit beschäftigt waren, Haselnüsse einzugraben. Eines war schwarz, das andere braun. Sie waren stets gemeinsam unterwegs und den ganzen Tag damit beschäftigt, Haselnüsse und Eicheln zu verstecken.

Auch viele Maulwurfhügel waren im Garten, und Hazel wünschte, sie würden einmal einen Maulwurf zu Gesicht bekommen. schließlich hatte Victoria noch nie die Gelegenheit dazu gehabt.

Oswald verabschiedete sich. Er wollte mit ein paar Kollegen zur Jagd gehen. Er trug eine grüne Kniebundhose, eine grüne Jacke, einen Hut und ein Gewehr über der Schultern. Ein schwarzes Fernglas hing um seinen Hals.

Valentin wartete mit Spielkarten auf der Terrasse. Victoria freute sich, ihr Lieblingsspiel Uno zu spielen. Schnell holte sie den neuen Kartenmischer, den sie zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Sie mischte gerade die Karten, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und Oswalds Vater mit einer Schrotflinte herauskam.

„Was sucht ihr hier, ihr Verbrecher? Ihr Diebe, wollt ihr mich beklauen?“

Valentin sprach leise und beschwichtigend auf ihn ein: „Wir sind zu Besuch hier. Wir sind doch Freunde von Oswald. Legen Sie das Gewehr hin, guter Mann.“

Doch der alte Mann hatte Angst. Zitternd hielt er ihnen das Gewehr vor die Nase. „Haut ab, oder ich schieße euch eine Kugel durch den Kopf, ihr Einbrecher!“, schrie er argwöhnisch, während er das Gewehr durchlud.

Sie hoben ihre Hände wie im Krimi und sagten: „Okay, wir gehen! Nicht schießen! Wir gehen, nicht schießen!“

Der Vater wurde jetzt noch lauter. „Haut ab und lasst euch nie wieder hier blicken, ihr Diebesgesindel, ihr unrechtschaffende Leut! Haut endlich ab!“

Mit erhobenen Händen gingen sie langsam die Terrassentreppe hinunter um das Haus herum, Victoria zuerst, gefolgt von Hazel und Valentin. Der Alte verfolgte sie nicht. Man hörte ihn immer noch schreien: „Haut endlich ab, ihr Gesindel, ihr Nichtsnutze, ihr Landstreicher!“

Wahrscheinlich hatte er schon wieder vergessen, dass er schießen wollte. Mit zittrigen Händen nahm Valentin den Autoschlüssel aus der Hosentasche; er fiel ihm vor Aufregung zu Boden. Vorsichtig bückte er sich, um ihn aufzuheben und sah dabei zurück zu dem alten Mann. Ein paar Schüsse fielen, doch er schoss nicht in ihre Richtung und traf nicht. Schnell öffnete er die Autotüren und warf den Motor an. Kaum saßen sie alle im Auto, fuhr er mit quietschenden Reifen davon.

Die Hotelsuche gestaltete sich schwierig. Sie waren zur Hochsaison unterwegs, es war schon spät, und sie hatten nicht gebucht. Nach zwei Stunden fanden sie ein Zimmer in einem Nobelhotel. Hazel legte sich in die Badewanne und war froh, endlich ein richtiges Zimmer zu haben. Natürlich fehlten ihr ihre Kleider und ihre Kosmetikartikel. Doch sie erwogen nicht einmal, nach oben zu gehen und ihre Koffer zu holen. Oswalds Vater war eine tickende Zeitbombe. Sie waren sich nicht sicher, ob er nicht doch schießen und vor allem, ob er treffen würde. Vermutlich war er einmal ein guter Jäger gewesen. Trotzdem war Hazel fast froh über diesen Vorfall, da sie sich endlich wieder in zivilisierter Umgebung befand. Victoria fragte immer noch: „Wenn uns der Opa findet, erschießt er uns dann?“

Valentin erklärte ruhig: „Der Opa ist krank. Er weiß gar nicht was er da tut. Er wird uns nicht verfolgen, er bleibt dort im Haus, bei Oswald.“

Victoria schlief in der Mitte des Bettes. Die Familie schlief gut, die Matratzen waren hart und alles war porentief rein. Genauso, wie Hazel es im Urlaub erwartete.

Unmittelbar nach einem reichhaltigen Hotelfrühstück besuchten sie Oswald. Er wunderte sich, warum sie so unerwartet weggegangen waren. Als sie ihm den Vorfall schilderten, war er sichtlich bedrückt.

„Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich nicht auf die Jagd gegangen! Mein Vater vergisst viel und kann sich auch nicht mehr daran erinnern, was gestern geschehen ist. Er hat Alzheimer. Er wusste nicht einmal mehr, dass wir Besuch hatten. Ihr könnt gern wieder hier einziehen. Keine Angst, ich werde euch nicht mehr mit ihm alleine lassen!“

Hazel sträubte sich. „Nein, vielen Dank. Aber ich ziehe das Hotel vor.“

Oswald bedauerte den Vorfall und entschuldigte sich. Sie blieben noch zwei Wochen im Hotel, dann fuhr Hazel mit Victoria mit dem Zug nach Hause.

Valentin aber zog wieder zu Oswald. Er half ihm im Wald und seinen Nachbarn in der Autowerkstatt. Er fühlte sich wohl bei Oswald: die anregenden Gespräche, seine Ansichten über Politik, über Literatur und über das allgemeine Weltgeschehen. Aus einer Woche wurden die gesamten Schulferien, die er bei Oswald verbrachte.


Als Valentin zurückkam, war er wie ausgewechselt. Nicht nur äußerlich, auch sein Verhalten hatte sich geändert. Alles Moderne war ihm nun zu technisch. Das Landleben, erklärte er, sei viel gehaltvoller als das Stadtleben, und unsere materielle Welt sei nicht mehr menschengerecht beziehungsweise artgerecht, wie er sich ausdrückte. Er legte keinen Wert mehr auf sein Äußeres und wurde von Tag zu Tag missmutiger.


Victorias Einschulung verlief stilvoll. Valentin hatte sich einen ganzen Tag freigenommen, um mit seiner Familie diesen Tag zu verbringen. Hazel hatte eine große Schultüte gebastelt und gut gefüllt. Victoria fragte gleich am Morgen: „Was passiert, wenn ich nicht jeden Tag in die Schule will? Kann ich dann schwänzen, wie im Kindergarten?“

„Nein, mein Schatz, die Schule ist Pflicht, da darf man nicht wegbleiben, sonst holt die Polizei dich und bringt dich zur Schule!“, antwortete Valentin belustigt.

„Das ist ja cool! Können wir das gleich heute machen? Ich wollte schon immer mal mit dem Polizeiauto fahren!“, freute sich Victoria.

„Nein, mein Schatz, was werden denn die Nachbarn und deine Schulkameraden denken, wenn du mit dem Polizeiauto zur Schule kommst? Dazu noch am Einschulungstag!“

Victoria lachte. „Na, die werden sich ärgern, dass sie nicht selber auf die Idee gekommen sind!“

„Das mag sein“, entgegnete er schmunzelnd.


Nach dem Gottesdienst und der kurzen Einführung in die Klasse gingen sie in ein Restaurant. Valentins Eltern, Hazels Mutter, Oma Augusta und der Taufpate Victor mit seiner Freundin Sarah, Freunde und Nachbarn waren anwesend. Danach lud Hazel noch alle zum Kaffee bei ihnen Zuhause ein, und sie verbrachten einen schönen Tag. Victoria ging gern zur Schule und knüpfte schnell neue Freundschaften. Vor allem Lesen und Sport machten ihr Spaß.


Schweigend betrachtete Valentin Hazel. Sie saß am Schreibtisch und tippte auf der Tastatur ihres Laptops herum. Valentin brauchte ein paar Minuten, um seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Sie blickte auf. Ihre Blicke trafen sich, und sie sahen sich schweigend an.

Valentin blieb stehen und blickte auf Hazel herab. Sie hatte sich nicht gerührt, saß reglos da und blickte Valentin an. Er ging einen Schritt auf sie zu und begrüßte sie mit einem Kuss auf ihre Lippen. Er spürte plötzlich das Bedürfnis, ihr etwas Beruhigendes zu sagen, ihr zu sagen, dass er hierbleiben würde, hier, bei seiner Familie. Dass alles wieder gut werden würde. Doch stattdessen begann er wieder mit seinem Lieblingsthema.

„Liebes, lass uns alles hier verkaufen oder noch besser verschenken und irgendwohin gehen. Irgendwohin, wo das Leben noch lebenswert ist. Wo es nicht nur um Geld geht, um Ruhm, Ansehen und Macht“, sagte er in besänftigenden Ton.

Hazel blieb angespannt sitzen und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich muss dir sagen, ich habe tatsächlich einen Augenblick darüber nachgedacht.“ Sie stand auf und lehnte sich an den Schreibtisch. Er hörte die aufkeimende Hoffnung in ihrer Stimme, doch als er ihr in die Augen sah, verschwand sie augenblicklich.

„Immer wieder habe ich mir ein Leben, wie du es dir wünschst, vor meinen Augen abgespielt. Habe mir vorgestellt, was ist, wenn es mir nicht gefällt, wenn ich zurück will? Wie würde Victoria sich entscheiden? Valentin, ich will so ein Leben nicht führen, und noch weniger mit Victoria. Ihretwegen bin ich nicht bereit nur das geringste Risiko einzugehen. Wenn du das wirklich willst, musst du ohne uns gehen. Wir sind nicht bereit dafür.“ Sie dachte einen Augenblick nach, dann fuhr sie fort.

„Nicht wie die Dinge sind, ist entscheidend, sondern wie wir sie sehen. Und wie wir handeln. Die Gesellschaft und der Staat haben nun einmal verschiedene Schichten geschaffen, in denen die Menschen in unterschiedlichen Stufen leben. Manch einer genießt Vergünstigungen und Annehmlichkeiten, andere kommen leider nie in diese Genüsse, so sehr sie es auch erstreben. Das kann man nicht ändern, und man kann nicht davor weglaufen. Valentin, ich verstehe deine Beweggründe. Ich liebe dich. Aber ich kann dich nicht begleiten. Auch nicht wegen Victoria. Was täte ich ihr damit an? Ich würde sie in eine völlig ungewisse Zukunft schicken, ohne Absicherung, ohne Perspektive. Abgesehen davon: Wo geht es nicht um Geld, Prestige und Macht? Überall regieren Geld, Macht und Ansehen, überall, schon immer! Und es wird immer so bleiben, Valentin! Von was träumst du? Was willst du beweisen? Vielleicht könnte ich weggehen, wenn ich keine Tochter hätte. Ich weiß es nicht. Aber, Valentin, ich habe für sie die Verantwortung, und das nehme ich ernst. Victoria ist gerade eingeschult worden. Sie fühlt sich wohl. Wie könnte ich sie aus dieser neugewonnen Umgebung wieder herausreißen? Sie hat neue Freundschaften geschlossen. Ich verstehe dich nicht mehr. Du bist physisch hier, aber doch kann ich dich nicht erreichen. Valentin, wo bist du?“

Erschöpft ließ sie sich auf dem Schreibtischstuhl nieder, ließ keinen Raum für irgendetwas anderes Valentin wartete einen Moment, ob Hazel noch weitersprach. Doch da kam nichts mehr. Hazel saß in sich versunken auf dem Stuhl, der leicht knackste. Er lehnte sich direkt vor ihr an den Schreibtisch. Sie roch sein herbes Duschgel.

„Überall gibt es gute Schulen. Victoria ist ein umgängliches Mädchen, das schnell neue Freundschaften schließt. Es wäre kein Nachteil für sie, wenn sie die Welt um sich herum sieht. Sie würde mit Weitblick und einer weiteren Sprache aufwachsen. Zumindest in der Grundschulzeit würde ihr nichts entgehen. Sie würde nur profitieren, glaub mir! Ich will auch nur das Beste für unsere Tochter. Und für dich. Denk darüber nach!“, bat er sie mit Nachdruck und sah ihr in die Augen.


Ein paar Tage sprachen sie nicht mehr über Valentins Pläne und Empfindungen. Hazel glaubte zu fühlen, dass sie einen Punkt erreicht hatten, wo er zu zweifeln begann, wo er sich in der Familie wieder wohlzufühlen schien. Sie schwebte über der Oberfläche des Unausgesprochenen. Ihre eigene Furcht und seine Pläne für das ungewisse Leben kehrte sie unter den Teppich.

Valentin nahm sich Zeit für Victoria und Hazel. Es war ein warmer goldener Herbst. Die Familie unternahm viel gemeinsam. Sie gingen im Wald spazieren, Valentin und Victoria zogen die Schuhe aus und liefen über Moos und Laub. Sie beobachteten die Natur und die Tiere. Sie radelten am Main entlang, wo sich farbenprächtige Bäume im Wasser spiegelten. Freudestrahlend fütterte Victoria Enten und Schwäne, und Hazel und Valentin saßen auf einer Bank und beobachteten sie.

Enten lagen am Wegrand, einige auf der Suche nach Fressen. Stillschweigend saßen Valentin und Hazel auf der Bank und sahen ihrer Tochter beim Entenfüttern zu. Manche lagen faul am Wegrand, andere watschelten herum, und wieder andere fraßen. Gelegentlich stritten sie um ein Stück Brot oder kämpften mit Rivalen. Schwäne verließen das Wasser. Ihr Gefieder war reinweiß; an Land sahen sie wegen ihrer kurzen Beine schwerfällig aus, im Wasser aber glitten sie stolz und graziös dahin.

„Die Tiere sind wie Menschen. Einige liegen auf der faulen Haut, manche fressen den lieben langen Tag, und die übrigen sind aggressiv und angriffslustig und nehmen den anderen das Futter weg. Einige streiten sich um die Aufmerksamkeit der Damen, wenn es sein muss, bis aufs Blut. Der behinderte Schwan da drüben hat gelernt, mit seiner Behinderung umzugehen. Er wird jedoch von den anderen Schwänen gemieden.“

Eine Wolke kleiner Insekten schwirrte hinweg über ihre Köpfe. Hazel drehte sich zu Valentin; die Nachmittagssonne verlieh seinem Haar einen kupferfarbenen Glanz. Sein Gesichtsausdruck war so glücklich, dass sie ihn unwillkürlich weiter ansah. Noch immer hatte sie ein stechendes, kribbelndes Gefühl in der Magengegend, wenn sie in seiner Nähe war. Er strich sich mit einer Hand durchs Haar, und sie bewunderte sein ausdrucksvolles Gesicht. Sehnsucht, Leidenschaft und heißes Verlangen stiegen in ihr empor. Sie spürte, wie ihre Wangen sich röteten und konzentrierte sich wieder auf das Wasser, in dem sich die Schwäne spiegelten. Ein Motorboot fuhr vorbei, Wellen umspülten das Ufer. Anmutig schwammen die Schwäne auf den Wellen. Sie zog ihre Augenbraue hoch, strich ihre langen Haare hinters Ohr und nickte.

„Ja, das Verhalten der Tiere ist ähnlich wie das der Menschen. An den Bäumen habe ich auch ein ähnliches Verhaltensmuster bemerkt. Ich war früher oft mit meinem Opa im Wald, er war Jäger. Wir fütterten das Wild und beobachteten die Bäume. Manche ergaben sich dem Schicksal, dass sie abgeschlagen wurden, andere wuchsen wieder. Bei manchen konntest du eine Art Harz entdecken, um ihre Wunde zu schützen. Wenn ein größerer Ast abgeschlagen wird, kannst du einen Baum richtig weinen sehen. Opa konnte die Bäume weinen hören. Er sagte immer: Hör genau hin, dann kannst du es hören, wie die Bäume weinen! Vermutlich hörte ich nicht gut genug oder nicht genau. Ich war gern mit Opa im Wald, wir erforschten die Einzigartigkeit der Bäume. Jeder Baum hat seine eigenen Gene, genau wie der Mensch, er redete gerne und viel. Das gefiel mir.“

Valentin lehnte sich zurück. „Du hast mir nie von deinem Opa erzählt.“

„Nein? Mag sein. Vielleicht hast du mich nie danach gefragt.“

Victoria riss sie aus ihrem Gespräch. „Habt ihr noch Brot? Die wollen noch mehr, sie haben Hunger!“

„Nein, leider nicht. Wir kommen morgen wieder, mit frischem Brot“, munterte Valentin sie auf.

Sie kletterten auf Bäume, gingen in den Freizeitpark und kauften kleine Häschen für Victoria, denen sie ein Holzhäuschen zimmerten. Hazel sah ihnen zu, als sie gemeinsam werkelten und einen Auslauf für die Häschen bauten. Gemeinsam bauten sie ein Baumhaus in die große Linde im Garten; man konnte es nur mit einem Seil erklimmen.

Hazel war glücklich. Sie meinte, so könnte die Zeit für immer stehen bleiben. Deshalb war sie überrascht, als Valentin abermals zu Oswald nach Tirol fuhr.


Als er nach ein paar Wochen zurückkam, sah er anders aus. Sie konnte es eindeutig in seinen grünen Augen lesen, sah diesen unerschütterlichen Blick. Seine Augen hatten einen völlig anderen Ausdruck. Sie konnte es nicht beschreiben, aber es war da, dieses Gefühl, wieder spürte sie es deutlich, diesen Drang nach Freiheit und Abenteuer. Sie waren sich nah und doch fremd. Eine Distanz, die sich zwischen sie gezogen hatte, wie ein Graben zwischen einem Felsspalt. Verstörende Gefühle erwachten in ihr. Sie spürte, er war entschlossen, sein Leben zu ändern, mit oder ohne Familie. Auch wenn er es nicht aussprach. Wieder stand sie vor dem unüberbrückbaren Abgrund.

Sie musste feststellen, dass er gut aussah. Sein attraktives Gesicht war von der Arbeit im Freien braungebrannt. Unter seinem engen T-Shirt zeichneten sich seine Muskeln deutlich ab, und seine Hände wiesen Schwielen auf. Das Landleben hatte ungeahnte Kräfte in ihm freigesetzt. Er sah sexy aus, und Hazel wurde wieder bewusst, wie sehr sie diesen Mann liebte. Sie konnte den Gedanken nicht fassen, ihn zu verlieren. Noch nie hatte sie einen Mann so geliebt wie ihn. Er war der Vater ihrer Tochter, ihr Traummann, noch immer. Warum hatte er sich nur so verändert? Jahreszeiten verändern sich, aber Menschen? Konnte ein Mensch so von seinen Gewohnheiten abweichen? Wie konnte sie die Hindernisse wegräumen, die ihrem Glück im Wege standen?

Sie suchte seine Nähe, legte ihren Kopf an seine Schulter, und er nahm sie in den Arm. Sie wünschte, wieder ein Teil von ihm zu sein. Sie wollte sich nicht in fernen Ländern verlieren. Ihr lag die Frage auf den Lippen, was dann aus ihrer Familie werden sollte. Schon der Gedanke daran machte sie traurig, fast verrückt. Sie kannte die Antwort jedoch schon und wollte sie nicht hören. Nicht von ihm. Früher hatte sie seinen brennenden Ehrgeiz geliebt, den Willen, etwas durchzusetzen. Nun erschrak sie über diese Bestimmtheit und diesen Freiheitsdrang, den er über alles setzte. Wie hatte sich alles nur so ändern können? Irgendwie, irgendwann hatten sich die Blockaden in ihre Ehe geschlichen, ohne es zu bemerken. Nichts war mehr, wie es vorher gewesen war.

Der Winter wurde kalt. Es war die Ruhe vor dem Sturm. Valentin war ruhig, besonnen. Sie verbrachten den Winter mit Wintersport. Valentin stellte Victor in der Kanzlei ein. In den Weihnachtsferien gingen sie zum Skifahren.

Hazel beobachtete Valentin und Victoria beim Skifahren. Kein Berg war ihnen zu hoch, keine Strecke zu weit. Victoria liebte Schneeballschlachten, Skifahren und lange Schlittenfahrten. Hazel war zufrieden in dieser Welt, doch sie wusste, dass dieses Glück nicht anhalten würde. Seit einer Weile hatte sie diese Ahnung. Es war nicht nur der kalte Schnee, den sie spürte, auch zwischen ihnen beiden wurde es frostig. Kälte sickerte von Tag zu Tag herein und breitete sich aus wie die Wellen eines Steines, den man in einen See wirft, nein, wie ein Krebsgeschwür. Valentin bereitete alles vor, um einen neuen Weg einzuschlagen. Einen Weg, auf dem sie ihm nicht folgen konnte. Ein stiller Anfang von vielen Jahren. Sie war wütend, weil sie nicht darauf vorbereitet war. Weil sie diese Veränderung nicht akzeptierte und keinen Einfluss auf seine Entscheidung hatte. Genauso wenig wie sie das Wetter hätte ändern können oder die Bewegungen der Wolken. Umso erschreckender war der Gedanke, dass sie ihn nicht wieder zur Besinnung bringen konnte. Sie versuchte diese Machtlosigkeit abzustreifen, aber sie blieb an ihr kleben wie Harz am Baumstamm. Wie konnte man einen Mann abhalten von seinem Weg? Wie sollte sie ihn zu seinem Glück zwingen? Zu ihrer beider Glück?


Der Himmel hatte sich zugezogen. Eine weiße Wolkenschicht drückte auf die Stadt. Aus dem Winterschlaf blinzelten nicht nur die Tiere in die wärmenden Tage, auch zarte Knospen streckten ihre Fühler aus. Hier und da sah man erste Frühlingsblüher, Schneeglöckchen, Krokusse. Das Frühjahr bäumte sich auf mit seiner prächtig sprießenden Natur, und auch Valentin hatte neue Energie getankt. Willensstark und entschlossen bat er sie, mit ihm zu kommen. Wenn du mich liebst, dann folgst du mir überall hin, sagte er.

Hazels eigener Herzschlag dröhnte ihr in den Ohren. Unzählige Gedanken wirbelten wie wild durcheinander, doch keiner von ihnen ließ sich fassen. Sie sah Valentin mit weitaufgerissenen Augen an. Ihr Blick war starr auf ihn gerichtet. Sie hatte geahnt, dass die Frage irgendwann kommen würde. Aber nun, da sie ausgesprochen war, war sie viel zu früh gekommen, zu unvorbereitet und zu endgültig, als dass sie hätte antworten können. Fast unmerklich schüttelte sie den Kopf.

„Ich liebe dich. Aber ich will hierbleiben. Hier, wo es uns gut geht, wo unsere Familien und Freunde wohnen. Hier will ich mit dir und Victoria leben, hier will ich mit dir alt werden!“

Tränen trieben ihr ins Gesicht, vielleicht, weil ihr bewusst war, dass hieraus ein nicht wieder zu kittender Bruch entstehen würde. Wie eine Vase, die einmal kaputt war. Man konnte sie kleben, aber den Sprung, den Riss konnte man nicht mehr ungeschehen machen. Dennoch wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass er hier blieb, hier, bei seiner Familie, bei ihr und Victoria.

Verfluchte Freiheit

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