Читать книгу Lust auf Callgirls - Anne Pallas - Страница 5

2

Оглавление

Wenn man Kriminalkommissar Niklas Zimmermann halbiert hätte, hätte man immer noch zwei übergewichtige Männer zusammengebracht. Der Leiter der Münchner Mordkommission bestand größtenteils aus Fett und Schweiß. Er roch nach Tabak und Knoblauch, hatte ein mächtiges Doppelkinn und kleine tiefliegende Eiswürfelaugen, die die Welt stets misstrauisch musterten. Er war selten gut gelaunt. Zumeist mochte er sich selbst nicht, die anderen noch viel weniger. Was seine Arbeitsmoral anging, so hatten ihm seine Vorgesetzten keinerlei Unbotmäßigkeiten vorzuwerfen. Sie konnten mit ihm zufrieden sein. Trotzdem war er im Kommissariat eher ein Außenseiter, mit dem niemand privaten Kontakt sucht.

Er wiegte den Kopf, und seine Ohren verschwanden dabei abwechselnd beinahe in dem dicken Schwamm, der sich da bildete, wohin sich der Kopf neigte.

Seine Männer verrichteten nebenan den üblichen Kleinkram: Suche nach Fingerabdrücken, nach Stofffasern, nach Staubkörnchen, die einen Hinweis auf den Täter gegen konnten. Der Polizeiarzt untersuchte die Tote, deren Kehle durchschnitten war. Außerdem befand sich im Oberkörper der Frau ein schwarzes Loch, wo früher ein Herz geschlagen hatte. Das Organ fehlte, eindeutig mit Gewalt aus dem Körper gerissen.

Kriminalkommissar Zimmermann stand breit und behäbig vor einer knochendürren Frau. Sie hockte in sich zusammengesunken in einem rosa Plüschsessel und drehte nervös die Daumen.

„Hat Sie ganz schön hergenommen, die Geschichte, wie?“, brummte Zimmermann.

„Kann man wohl behaupten, Kriminalkommissar“, sagte die dürre Dame. Sie hatte brandrotes Haar, ein Pferdegebiss und so viel Busen wie ein unterernährtes zwölfjähriges Mädchen. Sie hieß Elisa Krause und wohnte in der Wohnung gegenüber.

„Sie sagten, Sie hörten Lärm in der Wohnung.“

„Ja, stimmt.“

„Poltern und Schreien?“

„Ja, Herr Kommissar.“

„Sie waren auf dem Korridor draußen?“

„Ja, Herr Kommissar. Ich kam gerade nach Hause, vom Kino. Da lief ein toller Film, ich kann Ihnen ...“

„Ich will mich mit Ihnen nicht über Filme unterhalten!“, schnarrte der Niklas Zimmermann unhöflich.

„Ich dachte, das würde Sie auch interessieren“, erwiderte die knöcherne Frau kleinlaut.

„Überhaupt nicht“, knurrte Zimmermann. „Mich interessiert nur, was unmittelbar mit dem Mord an Linda Schäfer zu tun hat, verstehen Sie?“

„Sie war ein Callgirl. Habe ich das schon erwähnt?“

„Fünfmal schon.“

„Ach so.“

„Sie hielten nicht viel von ihr, wie?“

„Hören Sie mal, Herr Kommissar, was soll man von so einer Person denn schon halten? Sie war recht fleißig, emsig wie eine Biene war die. Die Männer gaben sich die Türklinke in die Hand. Linda Schäfer betrieb einträgliche Geschäfte.“

„Wie war sie zu den Nachbarn?“

„Freundlich, hilfsbereit. Direkt harmlos wirkte sie, wenn man ihr im Lift begegnete. Aber so wirken die doch alle. Was sie treiben, wie sie sich ihr Geld verdienen, steht ihnen ja nicht im Gesicht geschrieben. Nicht, solange sie noch so jung sind wie diese Linda Schäfer.“

„Wie alt war sie?“

„Neunzehn. Aber die hat auf ihre Art mehr Geld verdient, als ich mit ehrlicher Arbeit jemals verdienen werden.“

„Sie mochten Linda Schäfer nicht, wie?“, fragte der dicke Kriminalkommissar und steckte sich eine Zigarre an. Er blies den Rauch zur Decke und wartete auf eine Antwort.

„Nun ja, sie war mir nicht unsympathisch“, erwiderte die dürre Nachbarin ausweichend. „Aber ich habe mich bemüht, ihr möglichst aus dem Weg zu gehen. Man gerät sehr leicht in Verruf, wenn man sich mit einer solchen Person öfter abgibt.“

Nebenan polterte es.

Die Männer mit dem Zinksarg waren eingetroffen. Sie holten Linda Schäfer. Stimmen wurden laut. Es hörte sich nach einem Wortwechsel an.

„Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, Frau Krause“, sagte Kriminalkommissar Zimmermann. Dann watschelte er auf die geschlossene Tür zu und riss sie verärgert auf.

„Was ist das für ein Lärm da?“, bellte Niklas Zimmermann.

Kriminalmeister Martin Horn wandte ihm das hochrote Gesicht zu.

„Tut mir leid, Herr Kommissar ...“

„Verdammt, es ist mir scheißegal, ob Ihnen etwas leidtut oder nicht, Mann!“

Der Kriminalmeister - ein Mann, der Kummer gewohnt war - wies achselzuckend mit dem Daumen auf den salopp gekleideten Burschen, der neben ihm stand.

„Er will unbedingt zu Ihnen, Herr Kommissar. Ich sagte ihm deutlich genug, dass es nicht möglich ist, aber sie kennen den Burschen ja. Der ist einfach nicht abzuschütteln.“

Clemens Köhler, Reporter bei der Münchner Abendzeitung, grinste den Kriminalkommissar keck an. Der Journalist war hochgewachsen, muskulös, hatte den scharfen Blick eines Falken und männlich-markante Züge. Er war dreißig, und die grauen Schläfen stammten von der Hand eines Friseurs.

„Lästig wie eine Wanze!“, bemerkte der Kriminalkommissar giftig.

„Hallo, Herr Kommissar“, sagte der Reporter und hob die rechte Hand. Er war ein Mann, der sich vor keiner Auseinandersetzung fürchtete. Am wenigsten scheute er einen Streit mit Niklas Zimmermann.

Ihre Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit.

„Was suchen Sie hier?“, fragte der Kriminalkommissar eisig.

„Sie!“

„Was wollen Sie?“

„Ein paar Informationen.“

„Die kriegt Ihre Redaktion, wenn ich es für angebracht halte.“

„So lange will die Öffentlichkeit nicht warten“, stichelte Köhler.

„Eine Wanze!“, fauchte der Kriminalkommissar. „Bei Gott, Sie sind wirklich eine verfluchte Wanze, Köhler.“

Der Reporter zuckte gleichmütig die Achseln.

„Ich weiß, was Sie von mir halten, Kriminalkommissar Zimmermann.“

„Wanzen sollte man zertreten.“

„Eines Tages werden Sie sich an mich gewöhnt haben.“

„An S i e?“

„Warum nicht?“

„Niemals! Ich könnte mich eher an hungrige Ratten und Küchenschaben gewöhnen, aber niemals an einen Kerl wie Sie, Clemens Köhler.“

Der Reporter wies mit dem Kinn auf den Zinksarg, in dem das tote Mädchen lag.

„Mord Nummer drei!“, kommentierte er. Es klang beinahe wie ein Vorwurf.

„Ihnen entgeht aber auch gar nichts“, höhnte der Kriminalkommissar. „Wer hat Ihnen eigentlich den Tipp gegeben, hierherzukommen?“

Köhler schmunzelte.

„Ich habe einen verdammt guten Riecher für Dinge, die stinken, Kriminalkommissar.“

„So? Was sagt denn Ihr Riecher zu Ihrer Person?“

„Sie können mich nicht beleidigen. Sie versuchen es zwar immer wieder, aber Sie schaffen es nicht.“

Niklas Zimmermann verzog sein fettes Gesicht zu einem heimtückischen Grinsen.

„Wenn es Ihnen hier nicht gefällt, können Sie gern wieder gehen. Dort ist die Tür.“

„Haben Sie das Internetprofil des Mädchens schon durchgeackert? War sie auch ein Callgirl und hat sich über die Internetplattform www.kaufmich.com angeboten“, fragte der Reporter unbekümmert.

„Haben wir.“

„Etwas Brauchbares gefunden?“

„Nichts!“, entgegnete der Kriminalkommissar. „Versuchen Sie, daraus einen Knüller zu machen.“

„Ich könnte zur Abwechslung mal über einen allzeit übelgelaunten Kriminalkommissar der Mordkommission schreiben.“

„Ist ja beinahe rührend, wie Sie an meinem Leben Anteil nehmen“, gab Niklas Zimmermann bissig zurück.

Dann wandte er sich ruckartig um. Während er in das Zimmer trat, in dem Elisa Krause auf seine Rückkehr wartete, rief er dem Kriminalmeister zu, er solle alles tun, den bescheuerten Reporter so schnell wie möglich loszuwerden.

„Bin ich wieder zurück, und dieser lästige Kerl treibt sich hier noch herum, können Sie einiges erleben, Horn!“

Was diese Drohung in der Praxis bedeutete, wusste der Kriminalmeister zu gut. Das ging jedes Mal hart an den Rand einer Kündigung.

Niklas Zimmermann donnerte die Tür hinter sich zu. Elisa Krause zuckte zusammen. Sie schluckte nervös, als der Leiter der Mordkommission mit einem feindselig funkelnden Augenpaar auf sie zu stapfte.

Zimmermann nahm den Faden des Gesprächs wieder auf.

„Sie hörten also Gepolter und Geschrei in dieser Wohnung, Frau Krause.“

„Ja, Herr Kommissar.“

„Was machten Sie daraufhin?“

„Erst dachte ich, Linda Schäfer würde es mit einem ihrer Kunden mal wieder besonders bunt treiben, so etwas kann man sich ja vorstellen. Es sind doch ganz ausgefallene Typen, die zu solchen Mädchen gehen.“

„Meine liebe Frau Krause, wenn das wahr wäre, müsste die halbe Männerwelt pervers sein.“

„Ist sie doch!“

„Na, Sie müssen es ja wissen.“

„Ich hörte schon mal, wie Linda Schäfer einen ihrer Freunde auspeitschte. Die - die haben oft die verrücktesten Wünsche.“

„Woher wissen Sie denn davon?“, fragte Zimmermann spöttisch.

„Nun, ich habe so was gelesen, manchmal auch im Internet gesehen.“

„Tja, dann ...“

„Also ich hörte die Schreie und das Poltern. Ich dachte, da drinnen läuft mal wieder ein ganz miserables Spielchen. Doch auf einmal war mir, als würden diese Schreie in höchster Bedrängnis ausgestoßen. Ich hatte das Gefühl, dass Linda Schäfer wirklich Hilfe brauchte. Sie schrie so - so seltsam, so erschreckend echt. Das war kein Spiel, das fühlte ich. Aber was sollte ich machten? Ich konnte doch nicht an die Tür klopfen und fragen, was los ist. Ich war nicht in der Lage, ihr zu helfen, wirklich nicht.“

„Ich habe nichts gesagt“, erklärte Niklas Zimmermann ernst. „Ich habe Ihnen nicht den geringsten Vorwurf gemacht, oder?“

„Aber Sie sehen mich so an ...“

„Irgendwie muss ich Sie doch ansehen. Was machten Sie also?“

„Ich horchte an der Tür. Die Schreie verstummten. Ich dachte schon, alles wäre okay. Da vernahm ich Schritte. Sie kamen auf die Tür zu. Ich hatte Mühe, noch rechtzeitig in meine Wohnung zu kommen. Kaum hatte ich meine Tür geschlossen, da trat er schon auf den Korridor - der Mörder, meine ich. Er schaute sich gehetzt um. Ich beobachtete ihn durch den Türspion. Er war nicht bei Sinnen. Sein Blick war starr. Er war überhaupt nicht da, geistesabwesend. Ein Verrückter, dachte ich, so sieht ein Verrückter aus. Er rannte davon. Die Tür ließ er offen. Ich wusste sofort, dass diesmal etwas Schlimmes geschehen war. Ich wartete, bis der Lift unten war und ich den Wagen fortfahren hörte. Erst dann wagte ich mich aus meiner Wohnung. Ich ging hinüber zu Linda Schäfers Wohnung und trat ein. Es roch nach Tod. Irgendwie roch es nach Tod. Ich hatte schreckliche Angst, befürchtete, dass der Mann wiederkommen könnte, dass er mich bei Linda antreffen würde, bei ihrer Leiche, dass er dann auch mich ... oh, ich hatte furchtbare Zustände, Herr Kommissar. Im Zimmer nebenan fand ich sie dann. Ich habe sie nicht angerührt. Dass sie tot war, konnte ich auch so sehen. Die Kehle war durschnitten und in ihrem Oberkörper klaffte ein riesiges Loch. So etwas macht doch kein normaler Mensch! Das war ein Monster! Ein Dämon! Ich rief sofort die Polizei an, von hier aus. Dann begab ich mich in meine Wohnung. Hier drinnen hätte ich es allein wohl kaum so lange ausgehalten.“

„Versuchen Sie, den Mörder zu beschreiben, Frau Krause!“, verlangte Kriminalkommissar Zimmermann. Er nahm die Zigarre aus dem Mund. Sie war inzwischen ausgegangen, weil er nicht oft genug daran gezogen hatte. Missmutig legte er sie weg.

Elisa Krause kam seiner Aufforderung mit wenigen Details nach.

Nur eines kristallisierte sich glasklar heraus: zu suchen war ein Mann mit grauen Schläfen.


Lust auf Callgirls

Подняться наверх