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1 – Wellnessabend

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Alt Aussee, im Oktober

Ein freier Abend! Gemeinsam mit Jonas!

Berenike lächelte ihren Liebsten an. Beide konnten sie ihr Glück kaum fassen. Sie selbst war als Besitzerin des Salons für Tee und Literatur ständig eingespannt, ihrem Liebsten ging es als Kriminalpolizist nicht anders. Sie arbeiteten oft zu so unterschiedlichen Zeiten, dass sie sich viel zu selten sahen, gescheige denn, etwas gemeinsam unternehmen konnten.

Aber heute war es soweit. Der Salon hatte Feierabend, und Berenike hatte Jonas und sich selbst einen Wellness-Abend in einem Hotel hoch über Altaussee verordnet. Gerade ließ sie ihren Blick aus dem warmen, türkis schimmernden Outdoor-Pool über die Landschaft gleiten. Dampf waberte über ihnen, dahinter waren die Berge als gezackte Umrisse im letzten Licht des Tages zu erkennen. Weit unten war der See nur dunkel zu erahnen. Hinter den Fenstern des Hotelgebäudes flackerten Lichtergirlanden – knallorange Kürbisse mit hässlichen Gesichtern und Gespensterfiguren, an denen nur die Augen zu glühen schienen.

Wohlig plätscherte Berenike mit den Beinen herum. Kühle Luft auf den Wangen, heißes Wasser auf dem Körper – die Kombination war ungemein vergnüglich. Zudem waren sie die einzigen Gäste im Außenpool.

Jonas lächelte sie an. „Schon traumhaft hier!“ Obwohl er ursprünglich gegen so einen Aufenthalt gewesen war, sah er jetzt vergnügter und lockerer als seit langem drein.

„Und die Wärme ist so wohltuend!“ Berenike entspannte sich am Beckenrand. „Nach der starken Sommer-Saison dieses Jahr tut das besonders gut.“ Sie seufzte. „Diese Rückenschmerzen werden jeden Herbst schlimmer. Ich werd echt eine alte Frau.“

„Bist du nicht.‟ Jonas küsste sie mit seinen nassen Lippen, die ihren typischen Geschmack durch das Poolwasser verloren hatten.

Berenike lachte laut auf. „Schmeichler.‟

„Und wenn schon, dann wirst du eben die coolste Alte, die es je gab.‟

Sie holte unter Wasser aus und spritzte ihm ins Gesicht. Jetzt lachten sie beide und jagten sich durch den Pool. Am gegenüberliegenden Beckenrand kamen sie wieder zur Ruhe.

„Jetzt wird deine Arbeit aber wohl leichter Ende Oktober, glaubst du nicht?“ Jonas tastete unter dem Wasser nach ihrer Hand.

„Vermutlich.“ Wenn es zu ruhig wurde, stand sie wieder vor Geldsorgen – egal wie, arbeitete man selbständig, machte man sich wohl immer Sorgen.

Sie schwiegen eine Weile und genossen die Ruhe, nur das Wasser plätscherte und irgendwelche Anlagen gaben ein dezentes Surren von sich. Sogar Berenikes Verspannungen wirkten leichter in der Wärme.

„Hier kann man echt zur Ruhe kommen“, meinte Jonas schließlich, während er sich über den Beckenrand lehnte.

„Das könntest du immer haben. Du müsstest nur endgültig her ziehen.“ Berenike sah ihn von der Seite an. „Zu mir.‟

„Vielleicht. Was würden die Katzen dazu sagen?‟

„Noch ein Diener wärst du, das würden sie mögen.‟ Sie drehte sich zur Seite. „Wir könnten uns auch eine andere Bleibe suchen. Eine größere.‟

„Ich werde darüber nachdenken.“ Jonas strich ihr eine nasse Strähne aus dem Gesicht und küsste sie. Sie schauerte unter der Berührung und schmiegte sich an ihn, alles war so anders, die Haut unter Wasser, seine Lippen, die nach nichts schmeckten. Und doch – die Anziehungskraft war gleich, war ihnen geblieben. Sie reagierte auf ihn, jedes Mal aufs Neue. Ob das auch mit der zeitweiligen Trennung wegen ihrer zwei Wohnungen zu tun hatte? Er lebte immer noch einen Teil der Zeit in Graz, und sie selbst in Altaussee. War diese immer wieder auftretende Sehnsucht vielleicht sogar gut für ihre Beziehung?

Ein Windstoß ließ Berenike nun tatsächlich vor Kälte schaudern. Die nassen Haare ließen sie hier draußen in der doch recht frischen Abendluft frieren.

„Schwimmen wir wieder hinein!“, bat sie. „Mir ist zu kühl hier.“

Jonas nickte und bewegte sich zum Durchgang ins Innere, Berenike folgte. Warme Luft empfing sie, Dampf, Geschnatter der anderen Gäste. Im Innenpool hielten sich deutlich mehr Leute auf. Berenike und Jonas schwammen in Richtung der Seite, wo sich Massagedüsen unter Wasser befanden.

Im selben Moment gellte ein Schrei, schrill, spitz. Dann noch einer – der mittendrin abbrach.

„Das klingt nicht gut‟, murmelte Berenike.

„Nein‟, bestätigte Jonas.

Berenike fror – als wäre das Poolwasser auch hier plötzlich kühl. Von den Leuten am Beckenrand bewegte sich niemand. Es war, als hätten sie den Schrei nicht bemerkt. Sie hatten die Augen geschlossen, einige strampelten ein wenig mit den Beinen und entspannten offenbar. Eine Hotelmitarbeiterin war nicht zu entdecken.

„Von wo ist das überhaupt gekommen?‟, überlegte Berenike halblaut. Jonas schwamm bereits zum Ausstieg aus dem Becken, sie folgte ihm. Wasser rann von ihren Körpern auf den Boden, sie versuchte, es abzustreifen, zitterte. Vor Kälte oder wegen des Schreis, oder wegen beidem?

„Von draußen, glaub ich.“ Jonas deutete zum breiten, offenen Durchgang zu den Umkleidebereichen.

Auf den grünen Fliesen war es verdammt rutschig, ihre Fußsohlen machten schmatzende Geräusche auf dem feuchten Boden. Der Blick des Dunkelhaarigen aus dem Becken folgte ihnen. Sie hasteten aus dem Schwimmbad mit seinem leichten Wasserrauschen und erreichten den Vorraum mit den Garderoben.

Dort schnell die Handtücher vom Haken fischen und schon im Gehen um die Schultern werfen. Endlich nicht mehr dieses völlige Frieren und Zittern. Umziehen hätte zu lange gedauert. Badeschlapfen angezogen, weiter.

Ganz draußen vor der Tür zum Wellness-Bereich, auf dem Gang lauschten sie wieder. Weiß gestrichene Wände, ein paar Türen, der Boden lindgrün gekachelt, aber immerhin trocken. Berenike fror wieder, Zugluft auf den feuchten Haaren. „Und jetzt?“

Ratlos sahen sie sich an. Erst blieb alles still, kein Mensch war zu sehen. Ein leerer öder Gang, nicht einmal Dekorationen gab es hier. Nur das Schild Richtung Wellness-Bereich, und eine Werbung für Massagen.

„Haben wir uns getäuscht?‟ Berenike blickte zurück zu der Tür, durch die sie gerade gekommen waren. „Aber der Schrei kam doch nicht aus einem der Pools, das glaube ich immer noch nicht.‟

„Nein‟, bestätigte Jonas, „würde ich auch nicht so sehen. Nur, wir wissen nicht wirklich, ob es sonst noch Räumlichkeiten gibt. Oder warst du schon so oft hier?‟

Sie schüttelte den Kopf, legte den Finger an die Lippen.

„Da!‟

Ein Rascheln. Dann – Gepolter.

„Die Richtung!“ Berenike rannte schon auf eine halb offen stehende Tür zu. Ein Summen lag in der Luft, vermutlich vom ein wenig weiter entfernten Restaurant. Geklirr von Gläsern, Lachen.

Hatte sie überreagiert? War dort einfach etwas zu Boden gefallen und deshalb hatte jemand geschrien? Andererseits – dermaßen laut.

Vorsichtig schob Berenike die Tür weiter auf, ohne sich noch zu zeigen. Sie wappnete sich und atmete tief durch. Vorsichtig warf sie einen Blick hinein. Ein gemütlicher Raum. Rote, bequem aussehende Sofas. Eine Teekanne und mehrere Tassen auf einem Tisch. Teller mit Petit-Fours. Auf den Fensterbrettern neben Blumentöpfen Kerzen in hohen Gläsern, die gegen das Dunkel draußen anflackerten.

Es roch nach Lavendel, doch darüber legte sich der Hauch von etwas Anderem – Berenike überlegte. Ein wenig säuerlich … als wäre jemandem vielleicht übel geworden?

Ihr Blick streifte weiter. Ein Bücherregal, das eine ganze Wand bis hoch zur Decke einnahm. In einer Reihe Kriminalromane von Agatha Christie, Edgar Wallace, Arthur Conan Doyle, andere aus dem Salzkammergut. Ein paar himmelblaue Liebesromane, genauso wie Zeitschriften. Aber kein Mensch da. Was oder wer hatte hier gepoltert? Oder womit?

„Und?“, fragte Jonas hinter ihr.

Sie sahen sich ratlos an.

„Ich weiß nicht. Das ist rätselhaft. Vielleicht haben wir überreagiert? Vielleicht kam das doch aus dem Restaurant oder der Küche oder so?“ Berenike wickelte sich in ihr Handtuch, der Raum war geheizt, sie fror trotzdem in den Badeklamotten.

„Hier ist niemand“, sagte Jonas langsam.

„Nein, so weit war ich auch schon.“ Berenike starrte die Tassen auf dem Tisch an. „Aber jemand muss gerade eben noch hier gewesen sein. Die Tasse ist fast voll.“ Sie tastete die Kanne ab, öffnete sie. „Und die ist heiß.“

„Vielleicht musste derjenige zur Toilette?“, überlegte Jonas laut. „Aber was war dann der Schrei? Und das Poltern?! Hier stimmt doch was nicht.‟

„Psst.“ Berenike lauschte. „War das ein Röcheln?“ Ohne zu warten, hechtete sie um den Tisch herum und hinter das Sofa. „Meine Güte!“

Da lag jemand. Auf dem schwarzen Teppichboden. Verdreht. Zusammengekrümmt. Keine Bewegung. Schwarze Haare. Ein enger Pulli. Kurzer Rock, schwarz bestrumpfte Beine. Und Schuhe – rote Stöckelschuhe - waren von den Füßen gerutscht.

„Hallo?“, fragte Berenike und beugte sich zu der Liegenden. Sie tupfte sie vorsichtig an der Schulter an. „Können Sie mich hören?“

Ein Röcheln war die Antwort. Aber immerhin das.

Jonas ging neben ihr in die Knie. Er legte der Person einen Finger an die Schläfe, sein Blick besorgt. Er hielt das Ohr über ihr Gesicht. „Kein Puls und kein Atem mehr“, sagte er dann.

Vorsichtig drehte er die Unbekannte auf den Rücken. Ihr schmales Gesicht sah älter aus, als Berenike angesichts der Kleidung erwartet hätte. Verwischte Schminke, tiefe Falten um die Mundwinkel. Auf ihrer Bluse klebte Dreck …

Jonas prüfte ihren Mund. „Ich fürchte, sie hat sich erbrochen. Aber … daran stirbt man normalerweise nicht.‟

Jonas begann mit einer Herzmassage. Rasch suchte Berenike auf dem Handy nach Staying Alive von den BeeGees und schaltete den Song auf Lautsprecher. Das hatte sie so gelernt, im Erste-Hilfe-Kurs. Der richtige Rhythmus für diese Wiederbelebungsmaßnahme konnte so leichter gefunden werden. Jonas drückte immer wieder – nichts tat sich. Die Frau bewegte sich nicht, begann nicht zu atmen.

„Haben die einen Arzt hier?“, fragte Jonas schließlich, als sie die Hoffnung fast schon aufgegeben hatten.

„Keine Ahnung, aber es ist ja keine Kuranstalt.“

„Scheiße, das Handy ist in der Garderobe eingesperrt.“

„Ich suche wen vom Personal.“ Berenike stand auf.

Sie hastete zur Tür. Krimi-Bibliothek stand draußen auf einem Schild.

Wie passend.

Eine Tote in der Bibliothek.

Wie bei Agatha Christie.

Das Buch verkaufte sie oft, hatte es aber nie gelesen.

Zu Tode entspannt

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