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2 – Zu Tode entspannt

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Im Restaurant ging es hektisch zu. Gedämpftes Licht in dem hohen, nach mehreren Seiten offen gebauten Raum, an den Fenstern Leuchtgirlanden, Kerzen auf den Tischen. Kürbisse mit geschnitzten Grimassen, aus denen die Kerzenlichter ihre Schatten warfen. Die Gesichter der Gäste lagen im Halbdunkel, fast nur von unten beleuchtet. Wie Fratzen sahen sie fast aus.

Berenike drängte sich vorsichtig zwischen den dichtstehenden Tischen durch. Das Restaurant war so gut wie voll besetzt, Stimmen schwirrten durcheinander. Einige Gäste starrten sie an, wie sie da mit Badeanzug, Handtuch und nassen Haaren daher kam. Kellner in Lederhose und karierten Hemden hasteten mit riesigen Tabletts voller Teller vorüber. Geschirr klapperte, die Geräuschkulisse war enorm, beinahe betäubend.

„Hier bitte Ihr Zirbensekt!‟, brüllte eine Serviererin im rosa Dirndl gerade einer älteren Dame zu, als sie neben Berenike servierte.

Berenike hielt die Kellnerin auf.

„Bitte, jemand braucht Hilfe“, sagte sie.

„Bitte in der Rezeption bescheid sagen, Sie sehen doch, was hier los ist!‟, keuchte die Kellnerin und wandte sich ab.

Von rechts rief ein Gast mit grauem Vollbart und dickem Bauch nach dem „Fräulein!!“

„Sie verstehen mich nicht“, erklärte Berenike und hielt die Kellnerin am Arm zurück, „es geht um Leben und Tod.“ Sie formulierte es ungern so, aber ja, vermutlich war schon jede Hoffnung auf Leben vorbei.

Warum immer ich?

Warum finde immer ich Tote?

„Bitte, gibt es hier einen Arzt?“

Die Kellnerin schüttelte den Kopf. Der bärtige Gast begann mit lauter, tiefer Stimme über schlechtes Service zu schimpfen und dass er Hunger habe, wenn er in ein Restaurant gehe.

„Ich dachte, ich habe hier ein First-Class-Relax-Hotel gebucht!‟ Er sprang auf und warf seine Stoffserviette – orange, was sonst! - auf den Teller vor sich.

Ein jüngerer Kellner eilte auf ihn zu, beugte sich begütigend zu ihm und redete auf ihn ein.

„Tut mir leid!“ Erst jetzt schien der Kellnerin Berenikes Outfit aufzufallen. „Ist was im Schwimmbecken passiert? Dann muss der Bademeister ...“

„Von dem habe ich gar nichts gesehen. Und nein. In der Bibliothek. Jemand liegt da leblos.“

Der Blick des unzufriedenen Gastes wanderte jetzt über Berenike hin. „Und was ist das hier eigentlich für ein Betrieb, wo die Leute nass ins Restaurant stürmen? Ich habe Hunger!!!“

„Sie vertun hier Zeit!“, erklärte Berenike ungeduldig.

„Tut mir leid“, sagte der Kellner sehr laut zum Bärtigen und warf Berenike ebenfalls einen Blick zu.

„Zeit, in der vielleicht jemand stirbt. Wollen Sie das?“

„Nein, natürlich nicht“, erklärte die Kellnerin.

„Wir bringen sofort etwas zur Vorspeise, möchten Sie vielleicht die geschäumte Kürbissuppe? Mit Gebäck? Sie schmeckt erstklassig.‟

„Was ich möchte -‟

„ - geht natürlich aufs Haus!‟, fuhr der Kellner fort.

Der Bärtige setzte sich.

„Darf ich hier telefonieren?“ Berenike musste schreien, um sich verständlich zu machen.

„In der Halle bei den Kollegen.“

„Das gibts nicht! Darf ich?“ Sie hatte ein Telefon an der Wand zwischen Bar und der Tür erspäht, die vermutlich in die Küche führte. Ohne abzuwarten, ging sie hin, wählte den Rettungsnotruf.

Nachdem sie bemüht ruhig die bisher bekannten Infos durchgegeben hatte und man ihr versprach, schnellstens einen Wagen zu schicken, verließ sie unter den seltsamen Blicken der Gäste das Restaurant.

„Unverschämtheit“, erklang es hinter ihr.

„Wir reisen ab, das geht hier ja auf keine Kuhhaut mehr.“

Sollten die doch machen, was sie wollten.

Zurück in der Bibliothek kniete Jonas immer noch neben der leblosen Frau.

„Und?“, fragte sie und schloss die Tür von innen.

„Nichts.“

„Notarzt kommt gleich. Ich geh mich schnell umziehen und meine Sachen holen.“

Jonas nickte.

Berenike sehnte sich nach einem ruhigen Abend, entspannt, vergnüglich, Zweisamkeit genießend. Mit fahrigen Bewegungen schälte sie sich in der Garderobe aus ihrem klammen Badeanzug, rubbelte sich die kurzen Haare einigermaßen trocken und zog Jeans, Pulli und Schuhe an. Als sie ihre Tasche nahm und nach dem Handy tastete, fühlte sie sich endlich wieder komplett. Komisch, wie sehr man sich an diese Dinger gewöhnt hatte …

Als sie zurückkam, ging auch Jonas, um sich umzuziehen, während Berenike mit der Herzmassage fortfuhr. Diesmal zum Radetzkymarsch.

Wer hatte hier Tee getrunken und von den kleinen Süßigkeiten gegessen, die leblose Frau vor ihr? Oder jemand Anderer? Konnte einem davon so schnell dermaßen übel werden, dass man das Bewusstsein verlor?

Berenike belieferte das Hotel mit Tee, erst kürzlich hatte Tiffany die letzte Bestellung hierher gebracht. Berenike überlegte – sie verkaufte im Salon nur hochwertige Teesorten, dafür würde sie sich verbürgen. Andererseits, jemand mochte irgendwas nicht vertragen. Im Tee oder in den Süßigkeiten. Aber lebensgefährlich?

Sie drückte die Brust weiter, hoffte, drückte. Immer und immer wieder. Nicht nachlassen, sagte sie sich vor.

Die Rettungskräfte, endlich. Jonas kam hinter ihnen herein, in Jeans und Hemd, die schwarzen Haare mit den grauen Strähnen noch nass.

Berenike erklärte dem Notarzt, was geschehen war, dass die Herzmassage nichts bewirkt hatte. Der Doktor wandte sich der Frau am Boden zu, die sich immer noch kein bisschen regte. Berenike gab den Platz daneben frei, der Notarzt begann mit der Untersuchung.

Es klopfte, bevor jemand etwas sagte, öffnete sich die Tür und Annika, die Hotelchefin stürmte herein. „Was ist hier los?“ Sie sah sich um. „Oh, servus, Berenike.“

Berenike grüßte zurück.

„Kein Eintritt.“ Jonas sprang auf und schob Annika zurück Richtung Tür. „Bitte.‟

„Aber ich bin die Managerin des Hauses.“

„Achso. Aber bitte bleiben Sie da in der Tür stehen.“

„Annika Herzog“, stellte sie sich Jonas vor. Auch sie trug Dirndl – ein grünes aus Seide, es sah entsprechend teuer aus. Ihr Outfit war allerdings in Unordnung geraten, die dunklen Haare standen ihr zu Berge und eines der Schürzenbänder schleifte auf dem Boden. „Was ist denn los?“

„Vermutlich ein Todesfall, tut mir leid.“ Jonas sah sie an. „Sie kommen gerade richtig.“

„Oh mein Gott, wer denn?“ Annika fasste sich an den Hals. Ihr Blick erfasste die Szene, streifte den Rettungsarzt, die leblose Gestalt am Boden. Zögernd trat sie nun doch näher, zuckte zurück. „Oh mein Gott, nein! Die Romy!“

„ach,, Sie kennen sie?“, fragte Jonas.

„Natürlich. Rosemarie Lärch. Langjähriger Stammgast. Aus Wien, wenn ich mich richtige erinnere. Kam ein- bis zweimal im Jahr her.“ Annika seufzte tief.

„War sie alleine hier?“

„Allein? Ha!“ Die Managerin stieß ein komisches Lachen aus und knotete dabei ihre Dirndlschürze neu. „Die Romy war noch nie allein. Die hat immer ihre … Begleiter dabei gehabt.“

„Wie darf ich das verstehen?“, fragte Jonas.

„Jüngere Burschen.“ Annika seufzte. „Junge Herren. Sie können sich ja denken … Dass Romy jetzt … ausgerechnet hier … unter diesen Umständen … ‟

„Frau Herzog, niemand kann sich seinen Todesort aussuchen‟, wies Jonas sie zurecht. „Es sieht mir ja nun nicht gerade nach Suizid aus.‟

„Entschuldigen Sie, bitte. Ich bin außer mir. Was ist ihr denn um Himmels willen zugestoßen?“

„Das wissen wir noch nicht. Wir haben einen Schrei gehört‟, fiel Berenike ein, „und haben sie so hier liegend vorgefunden. Da hat sie nur noch geröchelt.“

„Tut mir leid“, sagte der Arzt schließlich. „Nichts zu machen. Herzstillstand.“

Er erhob sich.

Jonas nickte. „Habe ich befürchtet.“

„Merkwürdig“, meinte der Arzt nachdenklich. „Eigentlich ist sie zu jung für so was. Andererseits, heutzutage, mit all dem Stress, den die Leute haben … “ Er sah sich um. „Das Erbrochene macht mich allerdings misstrauisch.“ Er zeigte auf den Boden und den Fleck auf Romy Lärchs Kleidung.

„In welcher Hinsicht?“, wollte Jonas wissen.

Alle starrten gebannt den Arzt an.

„Die Umstände lassen mich an Vergiftung denken.“

„Oh nein!‟ Annika schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen.

„In dem Fall“, Jonas sah zu den Teetassen, der Kanne und den Süßigkeiten, „muss die Tote gerichtsmedizinisch untersucht werden.“

„Aber das Aufsehen!“, stöhnte die Hotelmanagerin. „Was sollen die Gäste denken?! Dass man sich hier seines Lebens nicht sicher ist?“ Sie fuhr sich durch die Haare, sodass sie noch mehr durcheinander kamen. Passte gut zu Halloween …

Berenike kannte Annika, aber nicht besonders gut. Sie hatte vor einem Jahr das Hotel übernommen, seither lieferte Berenike Tee. Was für eine seltsame Reaktion Annikas, Stress mit dem Betrieb und Todesfall hin oder her.

„Wir haben schon genügend Probleme.“

Dann wanderte ihr Blick zu Berenike. „Du! Du hast den Tee geliefert!“

„Aber ...“, wollte Berenike widersprechen. „Ja, natürlich habe ich das. Wie immer.‟

Jonas machte eine beruhigende Geste. Er und die Managerin maßen sich mit Blicken, bis Annika ihren abwandte.

„Wir tun unser Bestes, dass das alles ohne große Aufregung vonstatten geht“, versprach Jonas schließlich. „Und noch weiß niemand, was passiert ist. Sie sind doch auch an einer Aufklärung interessiert, Frau Herzog? Vielleicht war es ein natürlicher Tod, aus welchen Gründen auch immer. Wenn das sicher ist, können alle beruhigt sein.“ Er lächelte, es sah gezwungen aus. „Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt – Lichtenegger, Kriminalpolizei, Graz.“

„Sie waren aber schnell vor Ort.“

„Ich bin – war schon vorher privat hier.“ Er deutete zu Berenike.

„Achso, ja.‟

„Dann leiten Sie alles in die Wege?“, wollte der Arzt wissen.

Jonas nickte und begann zu telefonieren.

Die Rettungsleute packten ihre Utensilien zusammen. Nichts zeigte die Ausweglosigkeit deutlicher als das. Sie hatten nichts mehr zu tun hier. Es gab keine Hoffnung für Romy Lärch.

„Dieser Raum darf derzeit von niemandem betreten werden“, erklärte Jonas der Managerin.

„Aber das ist unsere Bibliothek, die Gäste entspannen sich hier und genießen ihren Tee, gerade am Abend.“ Ratlos zeigte sie auf den Tisch. „Wir haben eine Tee-Bar, unsere Teekuren sind sehr beliebt. Besonders der Liebestrank, den mochte auch Romy. Er besteht aus … sagen wir … der Liebe förderlichen Kräutern.‟

„ach, ja, welchen denn?‟

Annika schüttelte mit bedauernder Miene den Kopf. „Berenike hat sie zusammengestellt, ich weiß das nicht auswendig. Lavendel war darunter, und ich glaube Ringelblume. Wir führen aber auch Tees zum Abnehmen, zum Entspannen oder zur Entgiftung.“

„Tut mir leid, jetzt entspannt hier niemand“, erklärte Jonas streng. „Ob mit oder ohne Tee.‟

Eine jedenfalls war entspannter als je zuvor. Die Tote. Leider.

Zu Tode entspannt

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