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E WIE EINKAUFEN

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Einkaufen in der DDR hatte wenig zu tun mit dem, was heute „Shopping“ heißt. Es war kein Freizeitvergnügen der Überflussgesellschaft, sondern ein Verzweiflungskampf in der Mangelwirtschaft.

Es gab nur einen Bruchteil der Läden, die es heute gibt, viele Spezialläden gab es noch nicht, und es gab keine Supermärkte. Es gab allenfalls die Konsum-Kaufhalle mit einem Grundsortiment, die heute einem Minimarkt entspricht. Selten hatte man in einem Laden alles Erwünschte zur Verfügung, zum Fleischer musste man extra gehen, allenfalls gab es Brot und Brötchen in der Kaufhalle. Man kaufte auch nur kleinere Mengen ein, dafür wenigstens aller drei Tage, keinen Wocheneinkauf. Viele Käufer, vor allem ältere Menschen, hatten kein Auto, sie fuhren mit einem Handwagen oder mit dem Fahrrad einkaufen – oder schleppten schwere Taschen vom Laden nach Hause. Einkaufen war Nahrungssuche. Nahm später das Einkaufen mit dem Pkw zu, gab es wieder wenig Parkplätze, denn die Läden in der DDR, auch die Kaufhallen, waren noch nicht an der Peripherie der Städte zu finden, sondern im Zentrum, wo es oft an Parkplätzen fehlte.

Viele Produkte waren weniger haltbar als heute, weshalb man sie nicht länger bevorraten konnte. Ein Kasten Bier im Sommer verdarb vielleicht schon nach einer Woche, die Milch hielt sich nicht länger als drei Tage, auch nicht im Kühlschrank. Am Sonnabend bildeten sich lange Warteschlangen vor den Bäckerläden, weil die Kunden, die werktags zeitig zur Arbeit gingen, an diesem einzigen Tag der Woche frische Brötchen von einem richtigen Bäcker mit ihrer Familie essen wollten. Der Bäcker gab es einfach zu wenige, obwohl dies der Handwerksberuf war, den die DDR am meisten von politischem Druck verschonte.

Man konnte auch nicht nach Wunsch oder Bedarf einkaufen, sondern musste sich nach den aktuellen Angeboten richten und gegebenenfalls Vorräte horten. Gab es gerade Tomatenmark, musste man mehrere Flaschen kaufen, denn dann gab es ein Vierteljahr lang nie wieder Tomatenmark. Ein erfahrener Käufer mit guten Kontakten zum Verkaufspersonal erhielt geheime Tipps: „Morgen um neun Uhr wird diese Ware angeliefert, kommen Sie um diese Zeit in den Laden, am Nachmittag ist es schon wieder ausverkauft – oder ich reserviere Ihnen etwas unter dem Ladentisch!“

Die Verpackung der Waren war nicht für verwöhnte Kunden gedacht, die keinen Beutel bei sich führten. Es gab auch an der Kasse weder Plastebeutel noch Papiertüten oder Klappkisten. Dafür hatte der Kunde selbst zu sorgen. Die Verpackung der Waren war denkbar einfach. Das meiste war in Papiertüten verpackt, viele Waren gab es noch lose, und sie wurden erst in Ölpapier, danach in Zeitungs- oder Einschlagpapier eingewickelt, zum Beispiel Sauerkraut oder Fischsalat. Obst und Gemüse wurden lose in die Einkaufstasche gesteckt. Es fiel wenig Verpackungsmüll an. Für den Transport der eingekauften Waren benutzten Familien gern den Kinder- oder Sportwagen, in dessen Netz und Bodenkorb alles hineinpasste. Apropos Netz – das Dederonnetz war eines der beliebtesten Transportsysteme. Es passte in die Jackentasche und dehnte sich bei Bedarf um ein Vielfaches aus. Allerdings konnte man eine Zahnbürste oder eine Stange „Pfeffi“ unterwegs auch schnell verlieren.

Das Einkaufen kostete manchmal weniger, manchmal aber auch mehr Zeit. Preisvergleiche entfielen gänzlich. Die Suche nach Alternativen konnte sinnlos oder sinnvoll sein. Gab es den gewünschten Artikel in dem Laden, den man dafür angefahren hatte, nicht, war entweder zu erwarten, dass es ihn nirgendwo gab – oder dass er doch im Umkreis von hundert Kilometern in einem anderen Geschäft noch zu finden war.

In den meisten Bezirkshauptstädten und etlichen anderen größeren Städten gab es zwei Kaufhausketten: „Centrum“-Warenhäuser mit dem umfangreichsten Kleidungsangebot und „konsument“-Warenhäuser der Konsumgenossenschaft mit deutlich geringerem Sortiment. Man musste bei jeder Kleidungssuche zunächst davon ausgehen, dass es entweder die gewünschte Farbe, Form oder Größe nicht gab, und ein erster Einkaufsversuch führte oft noch nicht zum Erfolg. In den 1970er Jahren wurden in den Bezirksstädten Jugendmode-Läden eröffnet, die etwas mehr auf die Bedürfnisse junger Käufer eingestellt waren. Aus heutiger Sicht waren auch sie Wüsten der Langeweile.

Baumärkte waren gänzlich unbekannt, und ihre Entdeckung gehörte zu den eindrucksvollsten Erlebnissen für DDR-Bürger nach der Wende. Ich sollte für einen Bekannten ein Ersatzteil für einen Wasserhahn von einer Westreise mitbringen, aber ich scheiterte an der Fülle der Angebote im Baumarkt und war völlig ratlos und verwirrt. Baumaterialien kaufte man in einer Genossenschaftshandlung ein. Man begab sich ins Büro, bezahlte die Ware, sofern sie vorrätig war, erhielt einen Zettel und suchte dann im Betriebsgelände die Ausgabestelle. Ersatzteile für Klempner- oder Elektrikerarbeiten gab es kaum im Handel zu kaufen, man musste zum Handwerker betteln (oder ihn bestechen) gehen, denn der hatte aufgrund der knappen Warendecke kein Interesse, von der Mangelware noch etwas abzugeben. Hier und da gab es weithin bekannte Geschäfte für „Heimwerkerbedarf“, wo man gelegentlich das Gewünschte fand. Die größte Mangelware war jedoch Holz. Es war fast aussichtslos, Vollholz- oder auch nur Leimholzbretter kaufen zu wollen – man musste Spanplatten nehmen oder sich Bretter aus Latten zusammenleimen.

Für den Einkauf von Gedrucktem galt ebenso: Was in den Regalen der Buchhandlungen stand, war zur Hälfte Agitpropliteratur der DDR, zur anderen Hälfte Klassik. Moderne Literatur, sofern sie interessant für DDR-Leser war, war Bückware, die unter dem Ladentisch gehandelt wurde. Zeitungsläden waren Räume gähnender Leere, die nur durch Tabakwaren oder Lottoannahme so etwas wie öffentliche Läden wurden. Um beliebte Zeitschriften wie „Das Magazin“ oder den „Eulenspiegel“ kaufen zu können, musste man mit der Verkäuferin gut bekannt sein, denn sie wurden nur auf konspirative Rückfrage für erlesene Kunden unter dem Ladentisch herausgereicht. Auf den Bahnhöfen gab es keine Zeitschriftenhandlungen, sondern nur kleine Zeitschriftenkioske. Das Angebot war nur ein Bruchteil des heutigen.

Die Langeweile des Einkaufens wurde auch durch die Einheitspreise („Einzelhandelsverkaufspreis“ – EVP – war auf jedem Artikel aufgedruckt) verstärkt. Es gab weder Saisonschlussverkäufe noch Angebote noch Rabatte – über vier Jahrzehnte hatte jede Ware ihren Preis, den das Amt für Preisbildung der DDR für richtig befand. Er hatte weder mit Angebot und Nachfrage noch mit dem Herstellungswert etwas zu tun, sondern war politisch motiviert. Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs (auch Schulsachen), Mieten und Fahrpreise der öffentlichen Verkehrsmittel mussten billig sein und wurden deshalb hoch subventioniert, technische Geräte, Luxusgüter (dazu zählte auch der Kaffee) und Kleidung hingegen waren oft wesentlich teurer als heute. Das galt nicht für einfache Kinderkleidung.

Um bewusst einzukaufen, gab es keine Möglichkeiten. Weder waren Bio-Produkte noch fair gehandelte Waren bekannt, auch regionale Produkte gab es nur außerhalb des staatlichen Handels beim Bauern zu kaufen, sofern man die DDR-Herkunft vieler Güter nicht als regional bezeichnen wollte Natürlich gab es keine Kleidung aus Bangladesch, keine Tomaten aus Spanien, keine Weine aus Frankreich zu kaufen. Viele Waren stammten aus dem „Ostblock“ – Weine, Obst und Gemüse aus Bulgarien, Rumänien und Ungarn, Schreib- und Spielwaren aus der Tschechoslowakei, Handtücher, Reis und Tee aus China, Apfelsinen aus Kuba. Aus der Sowjetunion gab es im Einzelhandel fast nichts zu kaufen, auch kaum etwas aus Polen. Das gänzliche Wegbrechen dieses Ostmarktes – etwa bei Gemüse wie ungarische Paprika – kann man heute durchaus bedauern.

Einkaufsfahrten unternahmen viele, vor allem aus dem Süden der DDR, in ihrer Endzeit gelegentlich in die Tschechoslowakei. Dort gab es eine größere Fülle und zum Teil bessere Qualität an Sport- und Haushaltswaren und Heimwerkerbedarf. Jedoch bestand dort die Schwierigkeit, ausreichend DDR-Mark in tschechoslowakische Kronen tauschen zu können.

Technische Geräte einzukaufen, war noch komplizierter als Waren des täglichen Bedarfs. Einen bestimmten guten Staubsauger oder Plattenspieler musste man oft bestellen und erhielt ihn erst nach längerer Wartezeit. Der Einkauf eines Pkws war ein Abenteuer. Doch dazu später.

Das Einkaufen in der DDR glich insgesamt eher der Urgesellschaft, es war von Jagen und Sammeln bestimmt und von Naturalientausch statt von Geldwirtschaft.

Mein kleines DDR-ABC

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