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B WIE BRAUNKOHLE

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„Nein, o nein, kein Schornstein könnte rauchen,

ohne Kohle zu gebrauchen.

Nur mit Kohle, merkt euch das,

gibt es Strom und gibt es Gas …“

Dieses Loblied der Braunkohle lernte ich Anfang der 1960er Jahre in der Schule singen. Darin wurde das Rauchen der Schornsteine noch als Symbol des Fortschritts betrachtet. Ich wuchs, wie alle Kinder in der DDR, mit der Braunkohle auf. Wir heizten unsere Öfen mit ihr, Zentralheizung war noch Luxus. Ende der 1950er Jahre gab es gelegentlich noch Torfbriketts zum Heizen oder auch Steinkohle, doch später nicht mehr, nachdem die geringe Steinkohleförderung im Westerzgebirge eingestellt worden war. Für einige Ofentypen (sogenannte Dauerbrandöfen) brauchte man nach Möglichkeit auch später einen gewissen Zusatz an Steinkohle (man nannte es Anthrazit), der Mangelware war und nicht immer nach Wunsch gekauft werden konnte.

Braunkohle jedoch gab es in Menge, und sie wurde kostengünstig im Tagebau gewonnen. Es gab zwei große Kohlereviere in der DDR: das erste im Leipziger Becken um Borna und Espenhain, Delitzsch und Bitterfeld, Merseburg und Weißenfels, das zweite in der Lausitz um Senftenberg und bei Zittau. Die Brikettzüge rollten Tag und Nacht durch das gesamte Land und versorgten es mit Heizmaterial. Die Eisenbahn fuhr noch in den 1960er Jahren zum großen Teil mit Kohlelokomotiven. Fast der gesamte Strom für die Republik wurde aus Kohlekraftwerken gewonnen. Auch viele Chemikalien wurden aus Braunkohle hergestellt. Als 1964 ein extrem langer und kalter Winter herrschte, brach die Kohleversorgung der Republik teilweise zusammen. Die Bevölkerung sollte es gar nicht spüren, aber Schulen und öffentliche Einrichtungen wurden wochenlang geschlossen. Wir hatten zu unserer Freude reduzierten Schulbetrieb, der im Wechsel vormittags und nachmittags in Betriebsräumen einer Papierfabrik durchgeführt wurde. In diesen Räumen war die Hitze so unerträglich, da es keine Regulierungen für die veralteten Heizungen gab, sodass wir entweder einschliefen oder die Fenster aufgerissen werden mussten und letztlich bei Kohlemangel die Heizenergie vergeudet wurde. Die Folgen der Kohleheizung im ganzen Land waren ein typischer Kohlegeruch in der Luft – den besonders ausländische Besucher wahrnahmen – und eine enorme Luftverschmutzung mit Krankheitsfolgen und ästhetischen Schädigungen. Vor allem in den Großstädten Leipzig und Halle herrschte bei nebligen Wetterlagen Smog. Er schlug sich nieder in Atemwegserkrankungen vieler Menschen, über die es aber keine offiziellen Statistiken oder Mitteilungen gab. Das Thema war in der Presse tabu. Fuhr man mit dem Zug von Karl-Marx-Stadt über Borna nach Leipzig, schlug einem bei Borna ein übler Dauergestank in die Nase, und die Fenster wurden geschlossen. Die Menschen in Espenhain konnte ihre Wäsche nicht im Freien trocknen, weil sie sie sonst mit einem grauen Kohlestaubbelag in die Schränke gelegt hätten.

Die Braunkohle wurde hauptsächlich in Brikettform ausgeliefert und verbrannt. Wir brauchten für unseren großen Haushalt zirka 100 bis 120 Zentner im Jahr. Die kleine Papierfabrik, in der mein Vater arbeitete, benötigte einen Eisenbahnwaggon Kohle aller zwei Tage. Damit das ganze Land heizen und seine Wirtschaft laufen konnte, mussten zahlreiche Siedlungen zerstört und ihre Bewohner umgesiedelt werden. Jahrmillionen hatte es gedauert, bis die Braunkohle entstanden war, in Jahrzehnten wurde sie ausgeplündert und verbraucht für nur wenige Generationen der Menschen. In der Umgebung von Leipzig verschwanden zirka vierzig Dörfer und eine Kleinstadt (Eythra) von der Landkarte. Flussläufe wurden verlegt, Straßen und Eisenbahnlinien. Eine idyllische Auwaldlandschaft wurde zur mondartigen Wüste. Alte Schlösser, Bauerngüter und Kirchen wurden abgerissen, lediglich das wertvolle Inventar der Kirchen wurde geborgen und auf andere Kirchen verteilt. Es gab mangels politischer Öffentlichkeit keine Proteste der Bevölkerung. Geduldig wie Schafe ließen sich die Menschen zur Schlachtbank führen. Sie gaben ihre Bauerngüter, ihre Häuser und Gärten auf und erhielten als Ersatz eine kleine Neubauwohnung in Markkleeberg, Borna oder Leipzig und waren darauf bis zur Wende (als ihnen der reale Geldwert und der Betrug, den sie erfahren hatten, bewusst wurde) manchmal noch stolz, weil diese Wohnung zentralbeheizt war und über ein Bad verfügte, damals noch Luxus in der DDR.

Subjektiv war der Umgang mit der Kohle nicht schlimm, sondern eher erlebnisbetont. Die schwarzen, an den Pressseiten glänzenden Briketts fassten sich sympathisch an. Das Heizen der Öfen war mir nicht lästig, sondern Teil des Alltags und konnte Spaß machen. Sicher war es mühsam, hundert Zentner Kohle erst durchs Kellerfenster in den Kohlekeller zu schippen, nachdem die Ladung vom Lkw vor oder hinter dem Haus abgekippt worden war, und diese Kohlen dann in täglichen Portionen eimerweise wieder in die oberen Wohnetagen zu tragen, aber letztlich war das nicht das Elend der DDR, sondern hatte einen Zug, das Leben noch selbst zu meistern, so wie man selber wusch und kochte. Das Heizen mit Kohle hinterließ gewaltige Mengen an Asche. Dafür gab es ursprünglich Aschegruben, die gefüllt und dann wieder von Zeit zu Zeit geleert werden mussten – eine wesentlich schmutzigere Angelegenheit als das Heizen. Später gab es für jedes Haus Aschetonnen aus Zink, die von der Ascheabfuhr im zweiwöchentlichen Rhythmus abgeholt wurden. Im Winter wurde die Asche von Hausbesitzern gelegentlich auch als Streumittel auf den Gehwegen eingesetzt, was eine üble Sauerei war. Vor allem aber waren die Schornsteine der Fabriken Schmutzschleudern. Kaum eine Heizungsanlage verfügte über Filter, die meisten Betriebe stammten noch aus der Vorkriegszeit und wurden auf Verschleiß gefahren.

Verbreitet war der Beruf des Heizers, der heute fast verschwunden ist und wie der des Schornsteinfegers zu den „schwarzen Künsten“ zählte. Auf jeder Lokomotive, in jeder Schule, in jedem Kindergarten, in jeder Fabrik, in jedem Krankenhaus, in jedem Kino wurden Heizer benötigt – ein Heer von Heizern war in der DDR beschäftigt. Natürlich musste nicht überall acht Stunden lang geheizt werden, sodass es für manchen Heizer auch gemütliche Lesestunden im warmen Kabuff gab. So gab es keine Arbeitslosen in der DDR, aber die Wirtschaft musste daran bankrott gehen.

Schneemänner, die wir Kinder im Winter im Garten bauten, erhielten als Nase eine Möhre ins Gesicht gesteckt, ihre Augen, Zähne und Jackettknöpfe jedoch bestanden aus Kohlestückchen, die als Abfall in jedem Haus vorhanden waren. Womit dekorieren heute die Kinder ihre Schneemänner? Wir nutzten Kohlestückchen auch gelegentlich zum Zeichnen auf hellen Mauern. „Kohle“ wurde auch im Volksmund zum Inbegriff von Geld. Holzkohle war in der DDR noch Mangelware, aber das Grillen im Garten war damals noch kein so weit verbreiteter Sommersport wie heute, weil es erstens manchmal am Grillgut, zweitens am Grillgerät und drittens am Grillstoff mangelte.

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