Читать книгу Alexa und das Zauberbuch - Astrid Seehaus - Страница 13

Verhexte Hexerei

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Alexa saß wieder in einem Baum im Park und hatte dieses Mal die Eingangstür der Schule im Auge. Sie hatte von Minne Vrouwe und den anderen Hexen viele Geschichten vernommen, aus denen hervorging, dass Hexenjäger nur mit äußerster Vorsicht von den Hexenmeistern gebannt werden konnten, weil sie verschlagen und hinterhältig waren. Man musste um das eigene Leben fürchten, nahm man den Kampf mit einem von ihnen auf.

Das Mädchen, auf das sie nun wartete, erschien ihr überhaupt nicht verschlagen, sondern eher freundlich. Doch Freundlichkeit konnte auch der Speck sein, mit dem die Maus gefangen werden sollte. Und Alexa beschloss, nicht die Maus zu sein, sondern die Katze.

Plötzlich öffnete sich die Schultür und zehn Jungen und Mädchen traten aus dem Gebäude, lärmend wie die Spatzen. Einige rannten ungeduldig die Stufen hinunter, angeführt von einem Mann mit silbergrauen Haaren, andere gingen gelangweilt hinterher, über die Straße in den Park. Dort fielen sie zusammen in einen lockeren Trab.

Alexa beobachtete, wie sie im Kreis rannten, ohne ein einziges Mal die Wege zu verlassen. Die Hexenjägerin war das Schlusslicht der Gruppe. Ihr Gesicht war rot, und sie schnaufte wie ein Zugochse, der seine Last bergauf zog. Alexa konnte ihre Neugier nicht unterdrücken. Sie schnippte sich neben Gisela und lief locker neben ihr her. Keiner achtete auf sie.

„Unterliegt ihr alle einem mächtigen Bannzauber?“ Alexa musterte Gisela fragend. „Hat euch der Mann mit dem Silber im Haar diese Folter auferlegt?“

Gisela glotzte das Mädchen an, das so locker neben ihr herlief wie ein junges Fohlen. Sie waren kaum zehn Meter gelaufen und schon fing Gisela an zu keuchen. Im Stillen fluchte sie, dass sie überhaupt auf der Welt war. Sie hasste Sport.

„Was machst du denn hier?“, presste sie hervor. „Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen?“

Alexa musterte sie misstrauisch. Wollte ihr die Hexenjägerin damit etwa sagen, sie habe sie bereits im dunklen Verließ der Kirchenknechte geglaubt?

„Deine Augen täuschen dich nicht, ich bin noch da. Hast du etwas anderes erwartet?“

Gisela reagierte nicht weiter. Sie war schon jetzt total fertig.

„Wieso quält euch dieser Schurke?“, fragte Alexa erneut.

Gisela blickte Alexa verstört an. – Dieser Schurke? – Dieses Mädchen hatte eine seltsame Art zu sprechen. Wo kam die denn her? Sie lachte freudlos auf. „Das ist Herr Bastian, unser Kursleiter für das Freeclimbing, und er versucht, uns fit zu machen. Bei mir hat er leider keinen Erfolg.“

„Warum nicht? Du tust schwere Arbeit. Schwerer als ein Bierkutschengaul.“

Gisela grunzte beleidigt.

Sie drehten ihre Runden, und es schien kein Ende zu nehmen, bis sie an eine Wand kamen, die aussah wie ein Felsen. Alexa schnippte sich, unbemerkt von Gisela und den anderen, auf einen Baum und wartete. Die Sportler streckten und dehnten ihre Körper. Manche gingen in die Grätsche und beugten sich vornüber, andere legten sich auf den Rücken und strampelten mit den Beinen in der Luft herum.

„Clemens, du wirst zuerst klettern!“, beschloss Silberhaar und beendete damit diese wunderlichen Verrenkungen. Er nahm ein Seil mit einer Schlinge, das am oberen Ende der Felswand befestigt war, und reichte es einem Jungen mit kräftigen Beinen.

Clemens, mit seinen braunen Locken und der leichten Sonnenbräune unverschämt gut aussehend, lachte. Die beiden Grübchen, die sich auf seinen Wangen zeigten, machten ihn noch sympathischer als er ohnehin schon aussah. Die Mädchen beteten ihn geradezu an, und Gisela, die kaum noch röcheln konnte, strahlte bei seinem Anblick wie ein Weihnachtsbaum mit Festbeleuchtung.

Der Angehimmelte schlang den Sicherheitsgurt um den Bauch und ergriff etwas an der Wand, das sich über seinem Kopf befand. Er setzte einen Fuß auf einen nachgebildeten Felsvorsprung und zog sich in die Höhe. Dann griff seine Hand in eine Ritze, in der er sich festhielt, um den nächsthöheren Felsvorsprung zu erreichen. So zog er sich höher und höher, von Felsvorsprung zu Felsvorsprung, bis er oben angekommen war, auf die andere Seite hinüberkletterte, sich von Fels zu Fels wieder herunterschwang und wieder auf dem Boden landete. Gleich danach tauchte sein Lockenkopf hinter dem künstlichen Felsen auf und die Schlinge flog zurück in die Hand des Lehrers.

„Wer ist der Nächste?“, fragte Herr Bastian.

Es meldete sich ein Junge, und die gleiche Prozedur begann. Diesmal nicht ganz so schnell wie bei seinem Vorgänger.

Er brauchte doppelt so lange.

Die gesamte Gruppe musste sich an dieser Wand ausprobieren. Der Lehrer stoppte dabei die Zeit. Niemand hatte Clemens unterbieten können. Und dann kam Gisela an die Reihe. Sie hatte gehofft, dass sie nicht zu klettern brauchte. Jeder wusste, dass sie unter unerträglichen Höhenängsten litt.

Wie erwartet blieb sie an der gleichen Stelle wie immer zähneklappernd am Felsen kleben und starrte nervös nach unten. Zehn Augenpaare waren auf sie gerichtet. Die anderen Mädchen fingen an zu tuscheln, die Jungen machten noch nicht einmal den Versuch, sich das Lachen zu verkneifen.

„Komm schon, Gisela! Die Stunde ist gleich vorbei, du hältst wieder einmal den ganzen Laden auf“, sagte Herr Bastian gereizt.

„Ich kann nicht mehr“, wimmerte Gisela und war den Tränen nahe.

„So ein Fettkloß!“, flüsterte ein Junge, laut genug, damit es auch alle verstehen konnten. „Die würde es noch nicht einmal schaffen, wenn die Wand kniehoch wäre.“

„Beweg endlich deinen Hintern, Mädchen! Wir können hier nicht ewig auf dich warten“, schnaufte Herr Bastian vor Ungeduld, dass sich seine Nasenflügel blähten.

Alexa beobachtete ihn fasziniert. Sie überlegte, wie er wohl aussehen würde, wenn es aus seinen Ohren und Nasenlöchern dampfen würde. Und da ihr die Idee gefiel, kreuzte sie zwei Finger und sprach leise eine Beschwörungsformel: „Schnippe-di-schnappe-di-schnu, dein Mund bleibt zu, doch aus Nas’ und Ohr quillt mit Macht Qualm schwarz wie die Nacht.

Doch ... äh? ... Das war nicht das, was sie gewollt hatte. Erstaunt beobachtete nicht nur sie, wie Gisela plötzlich einem Känguru gleich von Stufe zu Stufe hüpfte und bäuchlings über die Felskante purzelte. Quiekend wie ein verängstigtes Ferkel fiel sie auf der anderen Seite des Felsens die Wand hinunter und landete auf ihrem Hintern. AUA!

Silberhaar stöhnte auf: „Na, wer sagt’s denn! Geht doch, Mädchen! Man muss nur wollen.“

Giselas hochrotes Gesicht tauchte mit einem Ausdruck tiefster Bestürzung hinter der Felswand auf. Ihre Mitschüler glotzten sprachlos.

Herr Bastian blickte auf seine Stoppuhr. „Gisela, heute warst du die Schnellste. Sehr gut!“ Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, stolzierte er wie ein Pfau davon.

Gisela starrte ihm nach. Niemand sagte etwas. Ihre Mitschüler trotteten davon und ließen sie an der Wand stehen, und Alexa saß immer noch auf dem Baum und musste darüber nachdenken, warum ihr Rauchzauber versagt hatte.

Der Tag war vorüber, und Alexa grübelte sich die Gehirnwindungen krumm, warum ihr Schadenzauber nicht gewirkt hatte. Statt, dass Silberhaar aus Nase und Ohren Rauch geblasen hatte, war die Hexenjägerin mit dem Namen Gisela flink wie ein Wurzelwicht die Wand hinauf- und wieder hinuntergeklettert. Wenn Alexa so darüber nachdachte, musste sie sich auch eingestehen, dass der Rückkehrzauber, den sie für diese Gisela gewirkt hatte, eigentlich auch nicht funktioniert hatte. Nicht weil sie die Formel falsch angewendet hatte, sondern ...?

Sondern?

Sondern, was?

War sie verhext worden? Hatte die Hexenjägerin sie mit einem Bannfluch belegt?

Hatte sie?

Das wäre ja geradezu entsetzlich.

Wie stets in den letzten Tagen, wenn Alexa die Hexenjägerin Gisela verfolgte, kamen sie an einer Wirtsstube vorbei, aus der es köstlich roch. Da man sie wegen ihres merkwürdigen Geldes, ganz gleichgültig ob Falschgeld oder echte Goldmünzen, nicht bediente, streifte sie hungrig durch die Fußgängerzone. Sie war es durchaus gewohnt, manchmal tagelang nichts zu essen, aber jetzt war sie wirklich sehr hungrig. Jedes Mal, wenn sie versucht hatte, sich Essen herbeizuzaubern, waren es ganz andere Dinge, die vom Himmel fielen. Einmal hatte sie statt eines gebratenen Hühnchens schwarze Katzen regnen lassen. Das war unangenehm gewesen, denn sie hatten wild um sich gekratzt und gebissen. Alexa war hungrig geblieben und zudem noch völlig zerkratzt.

Bevor sie die Hexenjägerin mit einem Bannfluch stellte, musste sie also erst einmal ihren Bauch beruhigen. Wenn die Beschwörung zum Herbeischaffen von Mahlzeiten nicht funktionierte, musste sie sich etwas anderes ausdenken. Alexa ging in den Park und probierte Beeren, die widerlich schmeckten. Das Kaninchen, das sie mit bloßen Händen fing, musste sie wieder laufen lassen, weil zwei alte Damen mit Regenschirmen auf sie einprügelten. Zerknirscht sah sie zu, wie ihre Mahlzeit munter davonhoppelte. Zu guter Letzt versuchte sie, in einem Geschäft am Rande der Wiesen die Eisentöpfe mit den Fleischbildern durch einen Zauber zu öffnen, was ihr nicht gelang. Statt der heiß ersehnten Mahlzeit aus der Dose schoss ein riesengroßer, alter Lederstiefel aus dem Nichts auf sie zu und beförderte sie im hohen Bogen durch die Ladentür nach draußen, wo sie völlig benommen sitzen blieb.

Während es allmählich dunkel wurde und sie mit wütend knurrendem und fauchendem Magen durch die Fußgängerzone schlenderte, fiel ihr Blick auf eine Ein-Cent-Münze, die jemand verloren hatte.

„Und wer hat da geunkt, dass das Glück nicht mit mir ist?“, murmelte Alexa selbstzufrieden. „Geld! Und aus diesem Geld mache ich noch mehr Geld.“ Sie schnappte sich die Münze und verzog sich in eine Nebenstraße. Rasch sah sie sich um und vergewisserte sich, dass sie allein war. Dann sprach sie die Beschwörungsformel für das Verdoppeln von Münzen. „Aus eins mach zwei, aus zwei mach vier! Verdoppel’ es und schenk es mir!

Nichts geschah.

Sie wartete.

Sie wartete lange.

Immer noch nichts.

Bis … es leise „blob“ machte. Alexa war sich nicht sicher, ob sie sich dieses „Blob“ eingebildet hatte oder nicht. Sie bückte sich.

Nein, da war nichts.

Sie bückte sich tiefer.

Nichts.

Sie kniete nieder und drückte ihr Ohr auf das Pflaster, wo die Münze lag. Ein ohrenbetäubendes „BBBLLOOOOOBB!“ krachte an ihr Ohr.

„Ziegendreck nochmal!“, fluchte Alexa und schnippte sich hastig weg.

Mit baumelnden Beinen saß sie nun in der Regenrinne des Nachbarhauses und beobachtete das Blobben. Es machte noch einmal „BLOB“, dieses Mal in Zimmerlautstärke. Dann noch einmal „blob-blob“ im Flüsterton. Und siehe da, der Mechanismus des Verdoppelns kam wie ein altes, verrostetes Rad, das man geölt hatte, wieder in Gang.

„Blob“, ein Cent, „blob-blob“, zwei Cent, „blob-blob-blob-blob“, vier Cent.

Es blobte so weiter, bis Alexa zweiunddreißigtausend-siebenhundert-undachtundsechzig Cent vor sich liegen sah. Das war ein schöner Batzen Geld, sinnierte sie. Viel Geld für viele gebratene Hühnchen. Sie war sehr zufrieden mit sich.

In der Zwischenzeit war es Mitternacht geworden. Alexa konnte vor Hunger kaum noch denken. Sie taumelte leicht, als sie wieder auf dem Boden stand, und das Geld betrachtete. Das waren wirkliche viele Münzen, aber wie sollte sie diese Haufen an Münzen transportieren? Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, als sie sich umsah und schließlich erfreut inne hielt. Gut, da stand etwas, dass ihr genau in den Kram passte: Ein passender Behälter für viel Geld.

Es war vier Uhr nachts, und Gisela wälzte sich schlaflos im Bett. Wie war das nur möglich, dass sie Clemens’ Rekord brechen konnte? So etwas Verrücktes war ihr noch nie passiert. Ihr Herz schlug schneller, wenn sie an Clemens dachte. Hatte sie nicht ein kurzes Aufblitzen von Bewunderung in seinem Blick gesehen? Oder bildete sie sich das nur ein, weil sie es sich so sehr wünschte? Was wohl Cynthia, Clemens’ schnöselige Freundin, sagen würde, wenn sie von ihrem Rekord erfuhr? Sie grinste verzückt bei der Vorstellung von Cynthias schafsdämlichem Gesicht. Als sie den sternenklaren Himmel durch ihr Fenster sah, dachte sie: Wie wunderschön. Sie fragte sich, was das fremde Mädchen machte? Ob sie wohl auch auf die Sterne schaute und glücklich war, so wie sie?

Sie stand auf und öffnete die Fensterflügel. Milde Sommerluft strömte ins Zimmer. Genießerisch schloss sie die Augen und streckte sich wie eine schläfrige Katze. Herrlich, dachte sie. Ich bin ja so verliebt, und Clemens bewundert mich. Mich! Nicht die doofe Cynthia. Denn ich bin die Wand schneller geklettert als er. Weil ich so gut bin. Sie riss die Augen wieder auf. Aber warum war sie auf einmal so gut?

„Weil ich gezaubert habe“, murmelte es aus der gegenüberliegenden Tanne.

Gisela schüttelte den Kopf. Die Tanne sprach mit ihr? Das muss eine Taube gewesen sein, die dort schlief. Aber seit wann konnten Tauben sprechen?

„Können sie nicht. Außer man ist eine verzauberte Taube“, kam es aus dem Grün.

„Wer ist da?“, hauchte Gisela und dann sah sie sie. Das Mädchen mit den komischen Haaren, das so seltsam redete. „Was machst du da?“

Alexa blinzelte Gisela verschlafen an. „Wie meinst du?“

„Warum hockst du im Baum? Wie bist du da überhaupt raufgekommen?“

Schlagartig war Alexa hellwach. War das eine Fangfrage? „Ich bin natürlich geklettert!“, log sie. Sie hatte sich natürlich hinaufgezaubert, aber das durfte die Hexenjägerin nicht wissen.

Gisela glotzte. „Du kletterst einen Baum hinauf und schleppst eine Mülltonne mit?“

„Meine Geldbörse“, erklärte Alexa.

„Eine Mülltonne?“, krächzte Gisela ungläubig. „Und warum schläfst du auf einem Baum? Hast du kein Zuhause?“

Alexa zögerte. Sollte sie die Wahrheit sagen? Und wie sah diese Wahrheit aus? Dass sie nicht wusste, wo sie war? Dass sie ihr Dorf nicht wiederfand? Dass Meister Schrawak sie prüfte? Hilflos zuckte sie die Schultern. „Ich komme von weit her – von so weit her, dass ich nicht zurück kann.“

Das klang in Giselas Ohren ein wenig bedrückt. Nein, nicht bedrückt, es klang vollkommen verrückt. Genau! Das war eine Verrückte da im Baum. Die war irre. Und Gisela musste jetzt schlafen. Sie träumte bestimmt. Alles war nur ein fieser Traum. Sie stand jetzt nicht am Fenster und sprach mit einem Mädchen, das eine Mülltonne mit sich schleppte. Möglicherweise war die Kletterei an der Wand auch nur ein Traum gewesen und … möglicherweise hatte Clemens sie gar nicht bewundert, sondern … sondern … Sie wandte sich vom Fenster ab.

„Psssst!“, machte sie und legte ihren Zeigefinger an die Lippen. „Mein Bruder ist aufgewacht. Treff mich morgen Abend im Park! Mir wird schon etwas einfallen.“ Sie schloss rasch das Fenster und wunderte sich, warum sie diesem Mädchen helfen wollte. Sie musste ihren Verstand verloren haben.

Als sie sich in ihre Decke kuschelte, lächelte sie. Was für ein seltsamer Traum, dachte sie. Seltsam. Ja, klar, auch spannend, aber vor allem sehr, sehr seltsam.

Alexa und das Zauberbuch

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