Читать книгу Schattenreich - Azura Schattensang - Страница 6

Kapitel 3

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Tock! Tock! Mit einem dumpfen Geräusch landeten die Dolche in der Brust der Holzpuppe. Das Tageslicht fiel schräg durch die schmalen Fenster und malte helle Flecken auf den Boden. Gedämpft drangen die Geräusche von oberhalb des Gebäudes zu Constantin hinunter. Nach den Ereignissen der vergangenen Nacht schien alles seinen gewohnten Gang zu gehen, doch wer genau hinhörte, konnte das aufgeregte Flüstern in den Gängen vernehmen. Die allgegenwärtige Spannung war nahezu greifbar und es machte ihn wahnsinnig. Tock! Der nächste Dolch traf sein Ziel und die Spitze bohrte sich tief in das Holz. Seine Gedanken drehten sich im Kreis und schienen kein Halten zu kennen. Alles war so verwirrend! Die ganze Nacht über hatte er keinen Schlaf gefunden und sich rastlos im Bett hin und her gewälzt. Nur mit Mühe hatte er sich davon abhalten können, ein Pferd zu satteln und Aurelia hinterher zu reiten. Wie konnte der Meister sie so einfach ziehen lassen? Verfolgt von einer Gruppe Inquestoren!

Wütend schleuderte er einen weiteren Dolch gegen die Puppe. Es knallte und in einer kleinen Explosion entlud das Metall Constantins gespeicherte magische Energie. Die Puppe fiel krachend zu Boden. Das Holz an der Einstichstelle hatte sich schwarz verfärbt und rauchte stark.

„Verdammt!“ Constantin raufte sich die Haare. Das würde Ärger geben.

Er ging zu der Puppe hinüber und begutachtete den entstandenen Schaden.

„Was soll ich nur mit dir machen?“ Die Stimme ließ Constantin herumfahren. Meister Albion stand in der Tür und stützte sich auf seinen Stab.

Constantin lachte verlegen und stellte die Trainingspuppe wieder auf. Dann ließ er den Kopf hängen. „Ich bitte um Verzeihung.“

Meister Albion lachte herzlich und betrat den Raum.

„Ach, Constantin.“ Er winkte ihn heran und bedeutete ihm, sich zu setzen.

Constantin griff einen Hocker und stellte ihn für den Meister bereit, danach schnappte er sich einen niedrigen Schemel und setzte sich. Meister Albion nahm Platz und streckte die Beine von sich. Die Arme in den weiten Ärmeln seines dunklen Gewandes versteckt, blickte er zu den Fenstern hoch.

„Dieser Orden war einst der Stolz dieses Landes. Viele Jahrhunderte lang zogen seine Mitglieder mutig in die Schlacht. Im Volk waren sie berühmt und geachtet und bei ihren Gegnern gefürchtet. Bald traute sich keine Nation einen Finger gegen Canthan zu erheben, aus Furcht, es mit den Kampfzauberern aufnehmen zu müssen. Zusammen mit Arthenholm bildete Canthan das Herz dieses Kontinents und brachte Wohlstand und Fortschritt nach ganz Werduum.“ Ein verträumter Blick trat in seine Augen. „Der Handel florierte... nach Mherdon, über den Ozean zu den westlichen Kontinenten. Ach, selbst hoch in die Länder der Nordmänner! Sogar Drachen kamen auf ihren Reisen in Ehrenthal vorbei.“

„Drachen?“, schnaubte Constantin ungläubig und fing sich einen strafenden Blick des Meisters ein.

„Ganz genau. Drachen. Die ältesten Lebewesen dieser Welt. Noble Kreaturen mit einem ungeheuren Maß an magischer Kraft. Selbst der stärkste Zauberer wirkt gegen sie wie ein Kind.“

Constantin stützte die Arme auf die Knie und musterte den Meister. Worauf wollte er diesmal hinaus? Es war nichts Neues, dass der Meister eine Lektion mit einem ausschweifenden Geschichtsvortag begann. Nur heute war Constantin wirklich nicht in der Stimmung dazu.

„Jedoch nahm das Schicksal vor nicht allzu langer Zeit eine dramatische Wendung.“ Theatralisch hob der Meister seinen Stab und fuchtelte mit den Händen. „Seitdem Roderich auf dem Thron sitzt, ist alles anders! Die Allianzen zwischen den Ländern sind zerbrochen... alles, was unsere Vorfahren mühsam aufgebaut haben, wurde mit Füßen getreten.“ Plötzlich sprang er auf die Füße und deutete mit einem Finger auf Constantin. „Doch das Rad des Schicksals hält niemand auf. Ich kann es im Wind hören, wenn er in den Zweigen der Bäume wispert. Ich kann es nachts in den Sternen sehen – die Zeit ist gekommen.“

„Die Zeit wofür?“ Allmählich verlor Constantin die Geduld. Warum konnte der Meister seine Fragen nie wie ein normaler Mensch beantworten? Mit einer kaum sichtbaren Bewegung ließ Meister Albion seinen Stab in Constantins Richtung schnellen. Er drehte das Handgelenk und das Ende des Stabes verharrte wenige Zentimeter vor Constantins Nase. „Ich weiß, was dich bedrückt.“ Constantin öffnete den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch wieder. „Jedoch liegt Aurelias Schicksal nicht mehr in unseren Händen. Es ist an der Zeit, dass sie ihren eigenen Weg geht.“

„Das ist doch Unsinn! Sie gehört hierher und nirgendwohin sonst!“, brauste Constantin auf. „Meister, Ihr habt sie in den Tod geschickt!“ Plötzlich war er auf den Füßen.

Die Augen des Meisters blitzten gefährlich und sein Stab bohrte sich schmerzhaft in Constantins Brust.

„Nein, das tut sie nicht. Ihr Platz war niemals hier an diesem Ort.“

„Bitte?!“ Es bedurfte all seiner Willenskraft nicht zu schreien.

„Es gibt keine Zufälle in dieser Welt“, sagte Meister Albion und ragte plötzlich groß und drohend über ihm auf. Constantin wich einen Schritt zurück und versuchte sich zu beruhigen. Wenn er sich weiter aufregte, würde er lediglich eine Tracht Prügel beziehen. Langsam setzte er sich wieder auf seinen Hocker.

„Was würdest du tun, wenn ich dir sage, dass es kein Zufall war, dass ich Aurelia damals auf der Straße fand? Was würdest du tun, wenn ich dir sage, dass ich nach ihr gesucht habe, nachdem ich hörte, was ihrer Familie widerfahren war?“ Aufmerksam musterte Meister Albion seinen Schüler. „Constantin, was würdest du tun, wenn ich dir sage, dass Aurelia nicht diejenige ist, die sie glaubt zu sein?“

Constantin benötigte einen Moment, um zu antworten. „Wie meint Ihr das? Aurelia ist, wer sie ist...“

Meister Albion seufzte schwer. „Constantin... was habe ich euch über die Geschichtsschreibung beigebracht?“

„Es gibt immer zwei Seiten der Geschichte. Es gibt diejenigen, die sie erleben und diejenigen, die sie erzählen“, antwortete Constantin mechanisch. „Aber was hat dies mit Aurelia zu tun?“

„Das wirst du zu gegebener Zeit erfahren“, wiegelte Meister Albion plötzlich ab.

„Meister, das ist nicht gerecht!“, begehrte Constantin auf.

„Das Leben ist niemals gerecht“, konterte der Meister und stützte sich auf seinen Stab. Einen Moment lang starrte er schweigend zu Boden. „Du hast sie wirklich sehr gern, nicht wahr?“

„Ich... ja...“, stammelte Constantin verblüfft und spürte, wie sich seine Ohren leuchtend rot verfärbten.

„Hab keine Sorge. Ihr wird nichts geschehen.“ Meister Albion ging auf ihn zu und legte ihm väterlich eine Hand auf die Schulter.

„Wie könnt Ihr Euch da so sicher sein?“

„Ich weiß es“, lautete die einfache Antwort. Der Meister ließ ihn los und schritt auf die Tür zu.

„Meister?“, hielt Constantin ihn zurück. „Warum hat Aurelia nie über die Zeit, bevor sie zum Orden kam, gesprochen?“

Meister Albion schien seine Worte zu bedenken, bevor er antwortete. „Man kann seine Vergangenheit nicht ändern. Sie haftet an einem wie der eigene Schatten. Sie zu akzeptieren und daran zu wachsen, zeugt von wahrer Stärke.“ Er sah Constantin über die Schulter an, dann öffnete er die Tür und trat hinaus. Constantin blieb alleine und völlig verwirrt zurück. Rätsel. Nichts als Rätsel!


Es dauerte eine Weile, bis sie die restlichen drei Männer gefunden hatten. Sie wirkten müden und erschöpft. Vermutlich hatten sie die ganze Nacht mit der Suche nach ihr verbracht. Einer der Männer trat vor.

„General, wir haben immer noch keine Spur von Haynes.“ Er reichte dem General ein Paar Handschellen. Dieser seufzte schwer und legte Aurelia die Ketten an.

Sie musterte das Metall. Rings um die Handschellen waren Runen der Magiebindung eingraviert. Zähneknirschend musste sie zugeben, dass die Männer keine Narren waren. Die Runen würden dafür sorgen, dass jeglicher Einsatz von Magie ihrerseits verpuffte. Die magische Kraft würde aufgenommen und an die Luft abgegeben werden. Sie würde nichts als heiße Luft erzeugen. Ungewollte musste sie darüber lachen. Der General musterte sie streng. Dann nahm er die lange Kette auf, die an den Handschellen befestigt war.

„Haynes wird nicht wieder zu uns stoßen. Er hatte einen... Unfall.“ Dabei warf er Aurelia einen vielsagenden Blick zu. Sie erwiderte seinen Blick, sagte aber nichts. Warum auch? Sie hätten ihr eh nicht geglaubt. Die Männer blickten sich unsicher an, stellten aber keine weiteren Fragen.

Da der Tag noch einige Stunden Licht bot, setzte sich die Gruppe in Bewegung. Die Männer hatten vier ihrer Pferde an der Hand. Das Fünfte lief noch alleine irgendwo im Wald herum, wie Aurelia sehr gut wusste. Als der Wald sich zu lichten begann, saßen sie auf. Aurelia musste zu Fuß neben dem Pferd des Generals laufen. Immer wenn sie einen Schritt zurückfiel, gab es einen unangenehmen Ruck an der Kette und sie stolperte nach vorne. Die Kräuter unter dem Verband an ihrem Oberschenkel verloren irgendwann ihre Wirkung und die Schmerzen kehrten zurück. Sie biss die Zähne zusammen und versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

Eine Weile ging es gut, doch dann wurden die Schmerzen zu groß und sie begann zu humpeln. Der General bemerkte es, zügelte sein Pferd und stieg ab. Er betrachtete den Verband an ihrem Bein, sagte aber nichts. Stattdessen hob er sie auf sein Pferd und führte es am Zügel. Seine Männer tauschten einige Blicke miteinander, verloren aber kein Wort darüber.

Als der Tag sich dem Ende neigte, erreichten sie den Waldrand. Erleichter darüber endlich den Wald hinter sich zu lassen und mit der Aussicht auf einige Stunden Schlaf, suchten die Soldaten trockenes Holz für ein kleines Lagerfeuer. Als das Feuer brannte, rollten sie ihre Decken aus und machten es sich bequem. Sie holten ihre Vorräte hervor und begannen schweigend zu essen, bis sie Aurelias hungrigen Blick bemerkten. Unschlüssig begannen sie miteinander zu flüstern, dann reichte jeder von ihnen Aurelia einen Teil seiner Ration herüber. Einer war sogar so freundlich und gab ihr seinen Wasserschlauch.

Aurelia bedankte sich mit einem Lächeln und schmunzelte über diese seltsam anmutende Situation. Verstohlen beobachtete sie, wie der General in den Satteltaschen seines Pferdes nach etwas suchte. Es dauerte einen Moment, dann wurde er scheinbar fündig. Er zog sein zerrissenes Wams aus und warf es ins Feuer. Die Männer beobachteten ihn mit großen Augen, aber er schien sich nicht darum zu kümmern. Danach zog er das ebenso zerrissene Hemd über den Kopf. Kurz wog er es in der Hand, dann drehte er sich um und warf auch dieses in die Flammen. Aurelia erhaschte einen schnellen Blick auf seinen nackten Oberkörper.

Feste Muskelpakete zeichneten sich unter der blassen Haut ab. Ein roter Strich zog sich von seinem Nabel quer über Bauch und Brust. Dort hatte sie ihn mit dem Dolch getroffen. Sie wunderte sich noch immer darüber. Ein normaler Mensch hätte am Boden gelegen, die Gedärme überall verteilt.

Der General schien ihren Blick zu spüren. Mit einer schnellen Drehung wandte er ihr den Rücken zu und zog ein frisches Hemd über den Kopf. Ein neues Wams ließ er jedoch weg. Erneut fischte er in der Satteltasche herum und zog ein kleines Bündel hervor. Damit kam er zu Aurelia herüber und ließ sich neben ihr nieder.

„Zeig mir deinen Oberschenkel“, sagte er leise.

„Wie bitte?“ Sie schnaubte unfein durch die Nase.

„Du bist verletzt. Zeig mir die Wunde. Sie muss behandelt werden oder sie entzündet sich.“

Die Männer auf der anderen Seite des Feuers beobachteten ihre kleine Auseinandersetzung aufmerksam.

„Ich kann das selber.“ Schnell griff sie nach dem kleinen Beutel, den er vor sich auf den Boden gelegt hatte und stand auf.

Der Schmerz schoss wie eine Feuerwalze ihr Bein entlang. Die Wunde hatte sich ohne Zweifel schon entzündet. Hinkend verschwand sie zwischen den Bäumen, denn sie wollte nicht, dass sie jemand dabei beobachtete. Mit dem Rücken an den Stamm eines Baumes gelehnt, betrachtete sie ihren Oberschenkel und dann ihre Handgelenke.

„Ich bin so blöd“, zischte sie halblaut und verdrehte die Augen. Mit gefesselten Händen würde sie es kaum schaffen, den Verband zu wechseln. Raschelndes Laub und knackende Äste verrieten ihr, dass der General ihr gefolgt war.

„Probleme?“ Er hatte ein selbstgefälliges Grinsen im Gesicht.

Sie dankte den Göttern, dass es bereits dunkel war und er nicht sehen konnte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. Ohne zu antworten, warf sie ihm den Beutel zu. Geschickt fing er ihn aus der Luft.

Leise vor sich hin fluchend, setzte sie sich auf die Überreste eines umgestürzten Baumes. Der General kniete sich vor sie und entfernte vorsichtig den alten Verband. Ihre Ohren verfärbten sich noch dunkler, als seine kalten Finger die Innenseite ihres Schenkels berührten. Ihr wurde nur allzu bewusst, wie wenig Stoff sie noch trug, nachdem sie das zerfetzte Hosenbein am Morgen abgerissen hatte.

Sie neigte den Kopf leicht zur Seite, um die Wunde besser sehen zu können. Noch im schwachen Licht der Abenddämmerung konnte sie erkennen, dass sich die Wundränder dunkelrot verfärbt hatten. Eine Blutvergiftung würde den Tag doch aufheitern, dachte sie mürrisch.

Klirrend öffnete der General eine kleine Glasflasche mit einer durchsichtigen, klaren Flüssigkeit als Inhalt und tröpfelte etwas davon auf ein kleines Tüchlein. Dieses drückte er dann auf die Wunde. Aurelia musste auf ihre Faust beißen, um nicht zu schreien.

„Entschuldige, ich hätte dich vorwarnen sollen“, sagte er, doch die Entschuldigung klang nicht ganz echt.

Als nächstes holte er eine Dose aus Metall hervor und strich eine scharf riechende Paste auf die Wunde. Sie erwartete ein Brennen, doch stattdessen sorgte die Paste für eine angenehme, schmerzlindernde Kühle. Zum Schluss deckte er die Wunde mit einer sauberen Auflage ab und legte einen neuen Verband an. „Ich wusste gar nicht, dass jemand der nicht sterben kann, einen Beutel mit Heilmitteln mit sich herum trägt.“

„Es gibt einige Dinge, von denen du nichts weist“, sagte er ungerührt und verstaute das Fläschchen, sowie die Dose, wieder in dem Beutel.

„Wie lautet dein Name?“ Sie wusste nicht, warum sie das fragte. Eigentlich war es ihr egal, aber irgendwie wollte sie ihren Gegenüber auch gerne mit einem Namen ansprechen.

Er sah sie kurz an, antwortete aber nicht.

„Findet du nicht auch, dass eine junge, unschuldige Maid, wie ich es bin, wenigstens das Recht dazu besitzt, den Namen ihres Peinigers zu erfahren?“ Sie konnte nahe zu hören, wie er mit den Zähnen knirschte. Langsam fand sie Gefallen daran, ihn zur Weißglut zu treiben. Auch wenn die Prellung an ihrer Wange sie schmerzhaft daran erinnerte, wie kräftig seine Schläge waren.

„Kyle“, antwortete er und hätte sie am liebsten mit seinen Blicken getötet, wenn er gekonnt hätte.

Aurelia legte den Kopf schräg und wartete. „Kyle und weiter?“ fragte sie schließlich.

„Nichts weiter.“ Er wich ihrem Blick aus.

„Kyle...“, sagte sie gedehnt. „Ich danke dir.“ Wider Erwarten war es tatsächlich ernst gemeint. Diese ganze Situation war paradox. Kyle schien das Gleiche zu denken und sah sie von der Seite an. „Und wie lautet dein Name?“ Diesmal fixierte er sie wieder mit seinen tiefgrünen Augen.

Sie zögerte einen Augenblick lang.

„Aurelia“, sagte sie dann.

Kyles Augen wurden schmal und seine gesamte Haltung bekam etwas angespanntes. „Wie lautet er weiter?“

Sie grinste.

„Nichts weiter. Nur Aurelia.“

Ihr Grinsen wurde breiter, als sie sah, wie er innerlich zu toben begann. Dieses Spiel gefiel ihr immer besser.

„Komm jetzt“, sagte er, fasste sie am Arm und zog sie hinter sich her zurück zum Lager.

Dort lagen die anderen drei Männer schon fest in ihre Decken gewickelt und schnarchten laut vor sich hin.

Aurelia bedachte Kyle noch mit einem kalten Blick, bevor sie sich nahe beim Feuer auf den Boden niederließ und sich in ihren Mantel wickelte. Kyle setzte sich, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, ihr gegenüber. Sie drehte sich so, dass sie in die Flammen starren konnte. Während sie so dalag und sich fragte, wie es weitergehen sollte, überfiel sie der Schlaf.


Der Drache starrte sie aus schwarzen Augen an. Überall um sie herum tobten lodernde Flammen. Es war heiß, unerträglich heiß. Plötzlich wuchsen lange, dünne Beine aus dem Drachenkörper. Erst zwei, dann vier, dann immer mehr, bis er die Gestalt eines Tausendfüßlers annahm. Er zog immer engere Kreise um sie und spie schwarze Flammen in die Luft.

Mit einer raschen Bewegung drehte er den Kopf und öffnete sein gewaltiges Maul, um sie zu verschlingen. Alles, was sie sehen konnte, war ein Meer aus schwarzen Flammen.

Mit einem jähen Aufschrei erwachte Aurelia.

Ihr Herz hämmerte wild in ihrer Brust. Kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn. Mit zitternden Fingern griff sie nach der Kette um ihren Hals. Der rote Stein lag kühl und glatt in ihrer Hand.

Für einen kurzen Augenblick schloss sie die Augen und atmete tief durch. Das Feuer war fast vollständig herunter gebrannt. Auf der anderen Seite konnte sie die drei Soldaten sehen, die tief und fest schliefen. Beneidenswert. Sie neigte den Kopf ein wenig und betrachtete den Stein in ihrer Hand.

Das Feuer spiegelte sich auf seiner Oberfläche und es wirkte, als würde er leben.

„Eine schöne Kette hast du da. Ein Erbstück?“ Die Stimme zu ihrer Linken ließ sie aufschrecken. Ihr Kopf flog herum und sie ließ die Kette unter ihrem Hemd verschwinden.

Es war Kyle. Er saß immer noch an den gleichen Baum gelehnt, wie einige Stunden zuvor.

„Beobachtest du mich?“ fuhr sie ihn ungehalten an.

„Es wirkte, als hättest du einen Albtraum“, sagte er ungerührt.

Aurelia musterte ihn kritisch. Dann zog sie die Beine an die Brust und legte ihren Kopf darauf. Mit der Hand griff sie unter ihr Hemd und fasste nach dem Stein.

„Du hast recht. Diese Kette ist ein Erbstück. Meine Mutter hat sie mir damals geschenkt.“

Kyle sah sie wieder mit diesem unergründlichen Blick an. „Lebt sie noch? Deine Mutter?“

Aurelia war von der Frage so perplex, dass sie im ersten Moment nicht wusste, was sie sagen sollte.

„Nein, sie ist... gestorben“, hauchte sie. Dann sah sie ihn wütend an. „Wie kann man nur so etwas fragen?“

Er gab ihr keine Antwort, sondern sah sie nur weiterhin an. Sie warf ihm einen derben Fluch an den Kopf, legte sich hin und drehte ihm demonstrativ den Rücken zu. Auf der vergeblichen Suche nach etwas Bequemlichkeit, bettete sie ihren Kopf auf dem Arm und schloss die Augen. Plötzlich landete etwas weiches und schweres auf ihr. Genervt öffnete sie ein Auge. Es war ein Mantel. Verwundert richtete sie sich wieder auf und spähte über die Schulter.

Kyle saß immer noch an der gleichen Stelle und wirkte sichtlich an einem Stück Holz interessiert, welches er mit einem Messer bearbeitete. Sie warf ihm noch einen Blick zu, dann schnappte sie sich den Mantel, rollte ihn zusammen und schob sich ihn unter den Kopf. Was stimmt nur nicht mit diesem Kerl? Mit diesem Gedanken schlief sie schließlich wieder ein.

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