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6.1. Kontexte

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Berger 2006, 436–441

Erste Spuren einer Siedlung datieren aus dem Neolithikum. Um 700a gab es auf der »asiatischen« Seite ein phönizisches Dorf, gegen 660a auf der anderen Seite des Bosporus eine Handelsniederlassung vermutlich von dorischen Griechen aus Megara, die nach dem legendären Gründer mit dem thrakischen Namen Byzas den Namen Byzantion trug. Dies war bis ins 15. Jh. die Bezeichnung der Stadt. Manchmal diente der Ausdruck »byzantinisch« dazu, das Römische Reich des Mittelalters von der Antike abzugrenzen. Es gab im antiken Byzantion eine Akropolis, mehrere Tempel und Thermen, ansonsten wissen wir über diese Stadt nur wenig.

Krautheimer 1983, 28ff

Da das Römische Reich durch den Einfall der Germanen von Rom aus nicht mehr zu regieren war, die alten Metropolen zu weit im Osten lagen, errichtete Konstantin seinen eigenen römischen Regierungssitz in hervorragender strategischer Lage auf den Trümmern dieses mehrfach zerstörten und inzwischen verfallenen Byzantion. Angeblich hat Konstantin damit gespielt, sein neues Rom in Serdica, dem heutigen Sofia, zu gründen. Die Frage nach dem Warum der Neugründung am Goldenen Horn hat denn auch eine größere Diskussion ausgelöst, insbesondere ob die Antwort auch mit Konstantins Zuwendung zum Christentum zu tun hat. Blickt man auf die Vorgangsweise Konstantins, mit Rücksicht auf die heidnische römische Aristokratie auf christliche Kultbauten im Zentrum Roms zu verzichten, könnte man in dieser christlichen Wende in der Tat eine Motivation neben anderen für eine Neugründung sehen.

Zweifellos war ihre hervorragende geostrategische Lage ein weiteres zentrales Motiv. Die neue Hauptstadt ließ sich durch die Halbinselposition mit zwei See- und einer Landseite gut absichern, sie lag in der Nähe der Donaugrenze und in Reichweite des Euphrat, während Rom dem Druck der neuen Völker schutzlos ausgeliefert war. Und schließlich errang Konstantin in der Nähe (Adrianopel, heute Edirne) den Sieg in der letzten und entscheidenden Schlacht gegen Licinius, was ihn zum Alleinherrscher machte.

Am 11. Mai 330 wurde die neue Stadt, zunächst bloß kaiserliche Neugründung, aus der sich (unter Constantius II.) die Hauptstadt des gesamten Römischen Reichs entwickelte, von Konstantin mit römischem Prunk (nach heidnischem Ritual!) geweiht, nachdem ab 324 mit einer Erneuerung der alten Anlage, an der bereits Septimius Severus Renovationen durchführen ließ, begonnen worden war. Die Bewohner nannten sich selbst Rhomaioi, also Römer. Das ist zumal für die spätere Zeit bemerkenswert, denn Rom lag weit weg. Diejenigen, die sich so bezeichneten, sprachen nur mehr vereinzelt Latein und dennoch entfaltete dieses Rom mit seiner Geschichte eine erstaunliche Magie.

Beck 1994, 29ff

Diefenbach 2007, 133–153

Nicht zwangsläufig ist das Jahr 330 mit dem Beginn des Byzantinischen Reichs, das sich nochmals von der oströmischen Identität abheben sollte, verknüpft. Dessen Anfang wird in der Geschichtswissenschaft kontrovers diskutiert und manchmal mit der Reichsteilung 395 (gegen die die byzantinischen Kaiser freilich die Einheit aufrecht erhalten wollten), dem Untergang Westroms 476, mit der Regierungszeit Justinians oder erst mit der Regierungszeit des Herakleios (610–641) mit den damals nachhaltigen Wandlungen verknüpft. Der Name Byzanz verschwand mit Konstantins Neugründung, ich werde ihn aber im Folgenden nach der üblichen Gepflogenheit weiterhin verwenden. Die Datierung der einzelnen Geschehnisse ist Sache der Historiker.


247 Reste des Goldenen Tores; Istanbul

Schneider 2007, 14ff

Müller-Wiener 1977

Die Stadt war an die Via Appia angeschlossen, die von Rom nach Brindisi, von dort ideell über den südlichsten Teil der Adria nach Saloniki und weiter nach Konstantinopel führte. Sie verlief durch die (theodosianische) Porta Aurea, das Drei-Arkaden-Tor, über die teilweise von zweigeschossigen Säulenhallen gesäumte Prachtstraße (mese) der Stadt in das Zentrum. Die Informationen über Stadttopographie, Lage und Aussehen der Gebäude sind für die Forschung angesichts der heute dicht überbauten Stadt nur mit großen Schwierigkeiten zu gewinnen. Die Stadtforschung setzt daher mehr als auf archäologische Befunde auf die umfangreichen erhaltenen Textbestände.

L’Orange 1973, 27

Karayannopulos 1956, 488ff

Pfeilschifter 2014, 59

Baker 2006, 338–350

Sicher ist, dass unter Konstantin erst ein kleiner Teil des Masterplans der neuen Metropole umgesetzt werden konnte. Es entstanden an der Stelle der alten Agora das kaiserliche Forum, Verwaltungs- und Repräsentationsgebäude. Bei der Einweihung des Forum Constantini stellte Konstantin eine rund 37 Meter hohe Porphyrsäule auf, die eine Statue trug und in der zugleich zahlreiche christliche Reliquien, darunter ein Splitter des Kreuzes Christi, eingearbeitet waren – gleichsam eine programmatische Aussage des Selbstverständnisses der Stadt und zugleich ein Zeichen eines spätantiken Synkretismus. Solche Kaisersäulen, die sich auch andere Kaiser auf den Hügeln der Stadt errichteten, wurden regelrechte Markierungspunkte. Ob diese Statue Helios darstellte und sich Konstantin als Helios verehren ließ, darüber gehen die Meinungen auseinander. Hans Peter L’Orange beschrieb die Bilder des Konstantinsbogens, die den in Rom einfahrenden Kaiser bei Sonnenaufgang zeigen. »Ein neuer Tag, ein neues aureum saeculum geht über die Menschheit auf.« Dagegen spricht, dass zuerst Konstantins Wandlung zum Christen stand und seit etwa 326 der Sol, den er lange prägen ließ, zugunsten christlicher Motive von den Münzen verschwand. Rene Pfeilschifter hält eine heidnische Konnotation hingegen durchaus für möglich und sieht in Konstantins Umgang mit dem Christentum einen unbekümmerten Einbau des neuen Christengottes in sein polytheistisches Weltbild. Ganz anders Simon Baker, der hinter Konstantins Lavieren eine geschickte und gut überlegte Diplomatie vermutet und davon ausgeht, dass Konstantin jedenfalls seit den Schlachten gegen Licinius Christ war.

Veyne 2008, 54

Christensen 1981, 203ff

Burckhardt 1853

Meier Mischa in Kat. 2010, 44

Die Meinungen, ob Konstantin nach 310 (in diesem Jahr opferte er noch in einem Apollo-Tempel) überzeugter Christ war oder die neue Religion pragmatisch zur Bindung des Reichs verwandte (diese These hatte prominent und prägnant Jacob Burckhardt vertreten), sind geteilt. Vermutlich haben er und seine Nachfolger jedenfalls die Kraft der universalen Religion für den Aufbau des Staates erkannt. Zudem gilt, was schon festgestellt wurde, dass Konstantin sein Christentum nicht an die große Glocke hängte, um die überwiegend heidnische, gebildete Aristokratie vor allem in Rom, der Hochburg des Heidentums, nicht zu verprellen. Auf dem Bildprogramm des 315 anlässlich seines zehnjährigen Thronjubiläums (decennalia) errichteten Konstantinbogens fehlt die für solche Anlässe übliche Darstellung des kapitolinischen Opfers des Kaisers (wohl aber sind einige andere Opferhandlungen zu heidnischen Göttern abgebildet). Das Opfer für den Jupiter Capitolinus scheint nicht mehr opportun gewesen zu sein. Allerdings gibt es auf ihm auch keine christlichen Symbole. Es war anscheinend immer noch schwierig, sich als christlicher Kaiser zu bekennen.

In Konstantinopel hatte Konstantin durchaus keine ausdrücklich christliche Stadt geplant. Das ist übrigens ein Unterschied zu Rom, wo im 4. und 5. Jh. durchaus eine Umcodierung zu einer christlichen Stadt im Gang war. »Denn man hatte sich inzwischen eine neue Vergangenheit im Stadtbild Roms konstruiert: die der christlichen Anfänge der römischen Kirche, festgemacht an den zahlreichen Orten der Märtyrerverehrung.«

Muth 2006, 456


248 Fries auf Obelisken-Sockel mit Theodosios; Istanbul

L’Orange 1973, 206–209

Engemann 2014, 110f

Schreiner 2007, 109

Neben einigen Kirchen, die in der Fülle profaner Bauten und Kunstwerke im Stadtbild verschwanden, waren weitere Bauten das schon von Vorgängern stammende Hippodrom mit der kaiserlichen Loge (kathisma) – vermutlich bereits mit dem gemauerten Obelisken, ursprünglich mit Bronzeplatten verkleidet – und der bronzenen Schlangensäule aus Delphi. Sie diente als Siegeszeichen für den Triumph der Griechen über die Perser 479 (die Namen von 31 beteiligten Städte waren auf ihr verzeichnet). Kaiser Theodosius ließ einen Obelisken des Thutmosis III. aus Rosengranit (aus dem Karnak-Tempel) aufstellen. Die Zeremonie ist auf einem Relief am Sockel des Obelisken dargestellt, den man benötigte, weil der Obelisk bei der Aufstellung 392 zerbrochen war. Wie weit als Nukleus der gesamten Stadtanlage bereits der Kaiserpalast mit römischen und hellenistischen Zügen entstand, ist unsicher. An diesem rund 100.000 qm umfassenden, terrassenartig angelegten Areal wurde bis ins 10. Jh. gebaut. Vorbild war auch hier wie für alle spätantiken Paläste der Kaiserpalast auf dem Palatin in Rom. Der Palast besaß Gartenanlagen, Theater und Bäder. Ab dem 12. Jh. benutzte man die Anlage nicht mehr, sie verfiel. Aufgrund der Überbauung durch den Sultanspalast aus osmanischer Zeit ist die Rekonstruktion kaum mehr möglich. Es dürfte eine erste Version der Irenenkirche (vermutlich als Basilika) und vielleicht (oder erst unter seinem Nachfolger Constantius II.) eine als Mausoleum gedachte erste Apostelkirche entstanden sein.

Berger 2006, 447

Konstantins Sohn Constantius II. ließ eine hauptstädtische Kathedrale (die Große Kirche), die spätere Hagia Sophia, neben der Irenenkirche errichten. Es kann auch sein, dass bereits Konstantin damit begonnen hatte, dann eher als »Palastaula im Sinn des Kaiserkultes.«

Heidenverfolgung

Heldt 2008, 55

Kaiser Valens war der letzte Arianer, die Nachfolger wandten sich der Orthodoxie zu und unterstützten die Kirche in ihrem Kampf gegen die Häresie. 380 erklärte Theodosius I. in einem Edikt Cunctos Populos (Alle Völker) das nizäanische Christentum (»eine Gottheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist, in gleicher Majestät und in frommer Dreieinigkeit«) zur Staatsreligion. Der arianische Patriarch von Konstantinopel wurde durch den katholischen Gregor von Nazianz ersetzt. 394 verbot Theodosius alle heidnischen Kulthandlungen, darunter die Olympischen Spiele zu Ehren des Zeus, die 393 zum letzten Mal stattfanden. Im Zuge der nun anhebenden Heidenverfolgung wurden die großen Tempel in Delphi und Alexandrien geschlossen. Ein Sturm auf die heidnischen Götterbilder, auf die »Götzen in Silber und Gold, von Menschenhänden gemacht« (Ps 115), setzte ein.

Meier 2004, 198–223

Firmicus Maternus, zit. nach Hahn Johannes in Kat. 2013a, 364

Immer wieder befeuert wurden diese Aktivitäten von selbstbewusst gewordenen Christen, deren Intoleranz in gnadenlosen Hass überging. Der ehemalige römische Senator und Konvertit Firmicus Maternus rief um 350 (dreißig Jahre nach der letzten Christenverfolgung) in seiner polemischen Denkschrift De errore profanarum religionum zur Vernichtung der heidnischen Kulte auf: »Von Grund auf müssen die Tempel und die abscheulichen Kultpraktiken der Heiden ausgemerzt und vernichtet werden und jenes Volk durch schärfste Gesetze und Erlasse Eurerseits korrigiert werden: […] Diese Götter soll das Feuer der Münzstätte oder die Flamme des Metallbergwerkes schmelzen: […].«

Im Jahr 392 legte ein christlicher Pöbel das zweitwichtigste Heiligtum neben dem Kapitol in Rom, das Serapeum in Alexandrien, nach gewalttätigen Auseinandersetzungen wegen einer provokant angelegten Prozession, bei der pagane Kultobjekte als verdammenswert vorgeführt wurden, in Schutt und Asche. 415 ermordete ein Mob christlicher Fanatiker die am Museion von Alexandrien lehrende Astronomin und Philosophin Hypatia – ob mit Wohlwollen des Patriarchen Kyrill, ist unklar.

Im Jahr 376 hatte der überwiegend in Trier residierende Kaiser Gratian im Westen im Gleichklang mit Byzanz ein Edikt gegen die Arianer, 379 eines gegen die heidnischen Kulte erlassen. Diesen Edikten fiel unter anderem der spanische Bischof Priscillian wegen Magie-Vorwurfs zum Opfer. Er wurde in Trier hingerichtet. 382 ging Gratian rigoros gegen die paganen Reste in Rom vor. Aufsehen unter den heidnischen Senatoren erregte vor allem die endgültige Entfernung des 400 Jahre alten Altars der römischen Siegesgöttin Victoria im Jahr 382 (er war schon einmal im Jahr 357 durch Constantius II. entfernt, durch Julian II. aber wiedererrichtet worden). Das Begehren des (paganen) Stadtpräfekten Quintus Aurelius Symmachus 384 um Wiedererrichtung wurde schließlich von Bischof Ambrosius durchkreuzt. Doch die Gewalt eskalierte nicht nur zwischen Christen und Heiden, sondern auch zwischen Christen verschiedener Konfessionen. Orthodoxe gingen auf vermeintliche Häretiker los. In den großen Städten Rom und Konstantinopel gab es blutige Kämpfe mit oft mehreren hundert Toten.

Hofzeremoniell

Alföldi 1999, 175

Ebd., 184

Beck 1994, 97ff

4.2.1.

II.1.2.2.2.

Baldson 1950, 274

Verzone 1967, 8

Schreiner 2007, 60f

Die Aufwertung des Christentums zur Staatsreligion veränderte das Hofzeremoniell nach hellenistischem und persischem Vorbild. Bereits Diokletian und Konstantin hatten mit dieser Sakralisierung begonnen. Auf Münzdarstellungen lassen sich die Veränderungen gut nachvollziehen. In konstantinischer Zeit begann auf Münzen und Schalen eine bislang ungewohnte Frontalität und Erstarrung – manchmal kam der Nimbus dazu –, eine »zeremonielle Starre und Siegerpose«. Es erlosch die lebendig-narrative Art der herrscherlichen Bildersprache zugunsten dogmatischer Typik. Ob bei diesem Selbstverständnis des Kaisers als Abbild des göttlichen Universums die Kaiserideologie des Eusebius einen Einfluss hatte, ist unklar. Der Kaiser erhob sich nicht mehr von seinem Thron, um seine Besucher zu begrüßen, er verharrte vielmehr statuarisch. Man musste ihm mit (der im Alten Orient wurzelnden) Proskynese huldigen und Gesuche und Gaben durften nur mit verhüllten Händen überreicht werden. Von der unbewegten Starrheit des Kaisers bei Prozessionen berichtet uns der wichtigste spätantike Historiker, Ammianus Marcellinus. Dies alles floss sowohl in die christliche Liturgie als auch in die Kunst ein, etwa in die Abstraktheit der Ikone. Allerdings gab es auch Berichte, dass sich die kaiserliche Familie dem einfachen Volk zeigte und bei den zahlreichen Prozessionen teilnahm. Anfang des 6. Jh.s wurde der Kaiser im Hippodrom sogar mit Steinen beworfen.


249 Reste der Stadtmauer von Konstantinopel; Istanbul

Während der Herrschaft des theodosischen Kaiserhauses mit dem Spanier Theodosios I., Arkadios und Theodosius II. schritt der Ausbau mit mehreren Kaiserforen zügig voran. 412 wurde mittels einer neuen Mauer mit etwa 100 Wehrtürmen die Fläche der nunmehr größten Stadt der damaligen Welt nahezu verdoppelt und das mächtigste Verteidigungssystem der Spätantike geschaffen. Die Maueranlage wurde ein militärtechnisches Vorbild für zahlreiche spätere Kreuzritterburgen im Nahen Osten. Ganz im Süden der Mauer errichtete Theodosius die bereits erwähnte 66 m hohe Dreitoranlage mit einem goldverkleideten Bronzetor. Das Goldene Tor wurde neben der Hagia Sophia zum zweiten Wahrzeichen der Stadt und zum Ausgangspunkt der Triumphzüge nach römischem Muster. Um 455 ließ der römische Patrizier und Konsul des Oströmischen Reichs Studios ein großes, Johannes dem Täufer geweihtes Kloster errichten. Die Basilika ist die älteste noch im Original (wenn auch in schlechtem Zustand) erhaltene Kirche Konstantinopels. Dem Kloster, das zeitweilig um die tausend Mönche beherbergte, stand 250 Jahre später unter anderem Theodor als Abt vor. Er war neben Johannes von Damaskus und Dionysios Pseudo-Areopagites ein wichtiger Theologe der Ikone und wurde im Bilderstreit mehrmals inhaftiert.

8.4.

V.3.2.

451 wurde im Konzil von Chalcedon gegen den Widerstand mancher Patriarchate (z.B. jenem von Alexandrien, das sich monophysitisch ausrichtete) die Kirche als Reichskirche zur Legitimationsinstanz der Kaiserstadt erklärt. Theologische Entscheidungen waren damit zugleich politische Entscheidungen. Paradoxerweise wurde dadurch eine Grundlage für die später so erfolgreiche Expansion des Islam gelegt, weil viele christliche Gemeinden unter muslimischen Herren mehr Freiheiten genossen als unter dem Regime von Konstantinopel.

Meier 2009

Die Transformation war demnach ein längerer Prozess. Neuerdings hat Mischa Meier in einer vorzüglichen Biographie auf die wichtige Rolle des im Schatten des großen Justinian stehenden Anastasios I. für diesen Transformationsvorgang aufmerksam gemacht.

6.2.2.

Stanzl 1979, 47


250 Blick in die Yerebatan-Zisterne; Istanbul

Einen großen Sprung nach vorne machte Konstantinopel unter Justinian, neben Ramses II. einer der großen Bauherrn der Geschichte. Mit Justinian begann die Ablösung der Basiliken konstantinischen Typs durch Zentralbauten. Unter anderem entstanden nach Bränden an der Stelle der alten Basilika eine neue Hagia Sophia und eine neue Irenenkirche als zentrale Kuppelbauten. Die Apostelkirche – sie war vielleicht die »prächtigste Ausformung« einer kreuzförmigen Kirche – wurde zur Grablege der Kaiserfamilie. Auch in der Provinz, in Ravenna oder Ephesos, entstanden Kirchenbauten.

Çeçen 1990, 20

Bis heute erhaltene Zisternen sicherten in der Metropole die Wasserversorgung. Das Wasser musste in das wasserlose Konstantinopel mittels eines großen Aquädukts, gebaut ab 368 unter Kaiser Valens, aufwendig von der 120 km entfernten Region Bizye herangeführt werden. In den offenen und geschlossenen Zisternen vermuten Forscher einen täglichen Wasservorrat um die 5o Liter pro Person und Tag für ein Jahr.

Justinian hatte vorübergehend das Römische Reich ein letztes Mal wieder einen können – Byzanz hatte seinen Anspruch auf den Westteil ja nie aufgegeben. Auch das Vandalenreich und das Ostgotenreich konnten Justinians Feldherren Belisar und Narses für Byzanz gewinnen, bevor Italien 568 an die Langobarden verloren ging. Justinian hinterließ bei seinem Tod ein Riesenreich von Gibraltar bis zum Kaukasus, von den Alpen bis nach Ägypten. Es war ein christliches Reich und ein Reich des Kaisers geworden. Es gab keinen Senat mehr, damit auch keine Beziehung mehr zur alten römischen Republik.

V.6.1.

Kurzzeitig wurde im 7. Jh. Sizilien zum Mittelpunkt des Reichs. Konstans II. residierte sogar einige Jahre in Syrakus. Im 9. Jh. ging die Insel an die Sarazenen (827 landeten sie auch in Kreta) verloren, die dort eine reiche – leider verlorene – Kultur gründeten. Um 1000 übernahmen die Normannen Sizilien, das eine arabische Verwaltung und ein römisch-byzantinisches Rechtssystem hatte. Sizilien erblühte in einem arabisch-normannisch-byzantinischen Mischstil.

8.3.

Die Nachfolger Justinians, die bereits dem Mittelalter zuzurechnen sind, hatten alle Hände voll zu tun, die herandrängenden Perser, Vandalen, Goten, Awaren, Bulgaren, Ungarn und – ab der 2. Hälfte des 7. Jh.s – die Araber in Schach zu halten und die zahlreichen Gebietsverluste (darunter Syrien, Ägypten und Palästina) zu verdauen. Die über zwei Jahrhunderte im Mittelmeerraum wütende Pest schwächte die Herrschaft zusätzlich. Diese Zeit war die dunkelste, die Byzanz erleben musste. Dazu kam eine der schwersten Krisen auf den Gebieten der Religion, Innenpolitik und der Kunst. Es war der im 8. Jh. ausgebrochene Bilderstreit. Dessen endgültige Überwindung 843 führte zu einer neuen Blüte des Reichs mit seiner größten Ausdehnung, wobei allerdings die neuen Gebiete (Armenien, Bulgarien, Dalmatien, Süditalien) nicht lange gehalten werden konnten. Nach Basileios I., dessen armenische Familie sich in Makedonien niedergelassen hatte, spricht man von der »makedonischen Dynastie«. Sie förderte die Ausdehnung nach Osten und kulturell die Rückbesinnung auf die Antike. In der Kunst sprechen Kunsthistorikerinnen von einer »makedonischen Renaissance«, die sich durch eine an der Antike angelehnten Plastizität und Raumwirkung ausdrückt. Schöne Beispiele dafür haben sich in Hosios Lukas und Nea Moni (Chios) erhalten.


251 Auferstehung Jesu (14. Jh.); Hosios Lukas

Rice 1993, 132–158

In Konstantinopel entstand die erste Universität, an der unter anderem der mehrfach abgesetzte, exkommunizierte und wieder rehabilitierte Patriarch Photios lehrte. Er schuf bedeutende theologische Werke, Bibelkommentare und christologische Klärungen und regte eine Missionstätigkeit der byzantinischen Kirche an (Slawenmission). Im Zuge dieser Mission durch Kyrill und Methodius wurde Russland christianisiert. Damit war das spätere Ausbreitungsgebiet der Ikone vorbereitet. Die Sophienkirche in Kiew (1037–1046) ist ein beeindruckendes Symbol für die byzantinische Prägung Russlands. Zahlreiche Felskirchen in Kappadokien und im Kaukasus wuchsen in dieser Zeit buchstäblich aus dem Boden. Großartige Buchmalerei entstand vor allem in Armenien, darunter der Rabbula-Codex, der Vorbild für weitere Arbeiten gewesen sein dürfte.

Ducellier 1990, 236f

In diese Blüte Konstantinopels fiel ein Aufschwung im Seehandel, in der Landwirtschaft und im Handwerk, der Metall-, Keramik- und Stoffverarbeitung. Seit dem 6. Jh. war Amalfi eine wichtige Drehscheibe zwischen Süditalien und Byzanz, wo im 10. Jh. ein größeres Volumen umgeschlagen wurde als in Venedig.

Humanismus

Kapriev 2005, 201

Ebd., 215; Kristeller 1974, 54

Barber 2007, 71

Die geistige Bewegung, die sich ab dem 10. Jh. in der Stadt abspielte, wird in der Literatur gerne Humanismus genannt, sei es, dass man eine humanistisch-wissenschaftliche Richtung gegen eine monastisch-asketische stellt, oder sei es, dass man zwischen einem theozentrierten und anthropozentrierten Humanismus unterscheidet. Festgemacht wird dies an den Namen des Lichtmystikers und langjährigen Abtes des Mamas-Klosters, Simeon, der mit seinen 58 Hymnen über die Gottesliebe ein auch literarisch großes Werk verfasste, auf der einen und jenem des populären Michael Psellos auf der anderen Seite. Psellos war Polyhistor, politisch aktiv und hinterließ ein gewaltiges Werk aus allen Fachgebieten – in üppigem rhetorischen Stil geschrieben. Philosophie war für ihn eine Wissenschaft, die alle Gebiete umfasste. Psellos war davon überzeugt, die antike Philosophie, vor allem Platon (daneben aber auch ägyptische Quellen und die Chaldäischen Orakel), wiederentdeckt und für Byzanz fruchtbar gemacht zu haben. Er war einer der wichtigsten Anreger dafür, dass im Geistesleben von Byzanz der Platonismus eine »intellektuelle Mode« wurde, und er war ein »Advokat für die Rolle der Philosophie in Byzanz«. Psellos gehörte – ähnlich wie Patriarch Photios – zur geistigen Elite der makedonischen Dynastie, die sich bewusst auf die Antike bezog und eine humanistische Aufklärung verfolgte.

8.4.

Psellos hat sich auf eine sehr spirituelle Weise auch mit der Ikone auseinandergesetzt, genauer mit der Frage, was die Ikone zu leisten vermag. Die aufgeklärte Intellektualität des Psellos stieß im Klima des 1. Kreuzzuges und der Eroberung Jerusalems 1099 bald an die Grenzen der Orthodoxie. Die umfangreichen Streitereien über Häresie und wahre Liebe förderten eine polemische Literatur und trugen so zur Qualität der theologischen Debatte bei.

7.0.

Tatakis 1949

cf. Ierodiakonon Katerina/Zografidis George in Gerson 2010, 843–868

Auf den Topos einer »byzantinischen Philosophie«, den vor allem Basil Tatakis geprägt hat, soll hier ausdrücklich verwiesen und in einem späteren Kapitel näher darüber gesprochen werden. Der Platonismus blieb im Osten, wo das gesamte OEuvre Platons vorlag, die Leitphilosophie. Tatakis ging es vor allem um die Sondierung einer dem Westen analogen christlichen Philosophie in Konstantinopel. Demgegenüber hat der Neuplatonismus eine breitere Spannweite. Er umfasst auch, aber eben nicht nur, die christliche Philosophie des Ostens. Fragen nach der Identität einer byzantinischen Philosophie, die ihren Höhepunkt nach dem Bilderstreit bis ins 11. Jh. erlebte, sowie nach dem Ausmaß ihrer Selbständigkeit gegenüber der Theologie sprengten den Rahmen dieser Untersuchung.

Mit Basileios II. begann die Wende zum Schlechteren. Seine Nachfolger plünderten die Staatskasse, was nicht zuletzt die Verteidigungsbereitschaft schwächte. Sogar die starke byzantinische Währung geriet unter Abwertungsdruck. Es kam zu Ämterkauf und Korruption. Vom Osten rückten die Seldschuken heran, die nur mehr mit Mühe abgewehrt werden konnten.


252 Hagia Sophia, Mosaik der Kaiserin Irene

Fried 2006, 159

Als Leo III. Karl den Großen zum Kaiser für das Gesamtreich krönte, weil er eine Frau (Kaiserin Irene) auf dem griechischen Thron nicht anerkannte, wurde dies 812 durch Michael I. noch akzeptiert. Dazu kam die von Leo gefälschte Konstantinische Schenkung, die dazu diente, dem Papsttum eine über den Kaisern stehende Rolle zu sichern. Unter Leo erhielt die schon des Längeren stattfindende Angleichung von römischer Kirche und Papst an das Kaisertum (Imitatio imperii) eine neue Dynamik. Das päpstliche Zeremoniell ahmte »in Kult, Liturgie, Kleidung, Palastordnung und Prozessionswesen das kaiserliche nach; […].« Dazu kam der imperiale Ausbau des Lateran – unter Verwendung von antiken Spolien und antiken Skulpturen (Reiterstatue Marc Aurels als Konstantin) – als sichtbares Zeichen des Anspruchs der römischen Kirche.

3.5.

Grabar 1964, 59

Roeck 2017, 276

Ein weiterer Gegenpol erwuchs Byzanz im Frankenreich. Sein Selbstbewusstsein führte zur politischen und religiösen Trennung, die man im 15. Jh. rückblickend als Schisma bezeichnete. Patriarch Michael I. Kerullarios setzte sich mit dem lateinischen Papst (Leo IX.) gleich und ließ 1053 die lateinischen Klöster und Kirchen schließen. Dieser Akt hatte fanatische Reaktionen auf beiden Seiten zur Folge. Eine arrogante römische Gesandtschaft und der alte Zwist um den Hervorgang des Heiligen Geistes aus Gottvater und dem Sohn (filioque) führten schließlich zu heftigem Streit. Die Lateiner hinterlegten am 16. Juli 1054 eine Bannbulle gegen Michael in der Hagia Sophia, was die Wut der Griechen auslöste. Trotzdem blieb 1054 eigentlich nur ein heftiger Streitfall, die Gesprächskanäle blieben erhalten. Auch in der Kunst findet sich kein Niederschlag dieses Ereignisses. Zumindest eine Konsequenz war allerdings, dass Rom die Bevormundung aus Byzanz abschütteln und das Papsttum sich entfalten konnte. Eine weitere Konsequenz mag der strenge Konservativismus gewesen sein, der nun Platz griff. »Im Weihrauchdunst […] erstickte freies Denken und Erfinden.«


253 Fresko in Agios-Nikolaos; Mistra


254 Hodegetria-Aphendiko, Innenansicht; Mistra

Knapp nach der Jahrtausendwende baute man unter der Herrschaft der Komnenenkaiser in den Blachernen im Nordwesten der Stadt am Goldenen Horn ein neues Regierungsviertel. Zwar war die Gegend unter militärischem Gesichtspunkt die sicherste Region in der Stadt, trotzdem sind die Gründe für dieses Projekt unklar. Unter dieser Dynastie wurde die Kunst persönlicher und intimer, zugleich zutiefst religiös. Aber es gab auch – vor allem in den Palästen – profane Kunst, Darstellungen des höfischen Lebens und historischer Ereignisse.

An der Peripherie ist eines der eindrucksvollsten Ensembles das von Guillaume II. de Villehardouin gegründete Mistra bei Sparta, das 1262 an Byzanz fiel. Es weist eine Vielzahl von Kirchen mit qualitätvoller Freskierung auf. Von Sizilien (Cefalù, Monreale), über Norditalien (Torcello) bis Zypern prägte der komnenische Stil die Kunst.

Knatz 1990, 108f

Auf Zypern lassen sich in einigen Kirchen aus dem späten 15. Jh. beide Stiloptionen nebeneinander betrachten: In Galáta im Troodos-Gebirge ist die Archangelos Michael-Kirche im traditionellen hieratischen Stil freskiert, die ein paar hundert Meter entfernte Panagia Poditou hingegen mit einem wunderbaren französisch/venezianisch-byzantinischen Mischstil mit perspektivischen und naturalistischen Aspekten. Lothar Knatz beschrieb die Verhältnisse praxisnah: »Ein italienischer Kaufmann vermählt sich mit einer fränkischen Adeligen, erzieht die Kinder im orthodoxen Glauben und stiftet eine Kapelle, die von einem zypriotischen Künstler nach orthodoxem Kanon ausgemalt wurde.«

Einen der markantesten Einschnitte brachte die Okkupation Konstantinopels durch die lateinisch-christlichen Kreuzfahrer 1204, die erste geglückte Eroberung der Stadt seit 900 Jahren. Politische Ränke, durch Brände beschädigte Mauern und eine knapp einjährige Drohkulisse der venezianischen Flotte am Goldenen Horn hatten dies möglich gemacht. Der Hass der Lateiner auf die Griechen entlud sich in einem Massaker an Menschen und einer Zerstörungswut samt dem Raub unzähliger Kunstschätze, die im Westen verschachert wurden. Vor allem Venedig wurde zu einem Umschlagplatz byzantinischer Kunst. Noch heute ist deswegen byzantinische Kunst in zahlreichen Museen des Westens verstreut. 1204 wäre ein Jahr, an dem man das Schisma besser festmachen könnte als am Jahr 1054. Aus Geldmangel erlebten in der lateinischen Besatzungszeit Kunst und Kultur einen Niedergang, viele Kirchen und Paläste verfielen. Nur wenige Kirchenbauten entstanden im lateinischen Kaiserreich, zumeist gotische Kirchen, etwa auf Zypern. In abgelegenen Gebieten hielt sich die byzantinische Kunst.

Schreiner 2007, 36

In der Bevölkerung Konstantinopels verstärkte sich aus Abneigung gegenüber dem lateinischen Westen die Bildung eines byzantinisch-griechischen Selbstverständnisses mit Sympathien für das Erbe der Antike. Auch wenn 1261 der Spuk bereits wieder vorbei war und der byzantinische Flottenführer Alexios Strategopulos gegen geringen Widerstand die Stadt zurückeroberte, sodass wenig später Michael VIII. Palaiologos feierlich einziehen konnte, erlitt die geistige Führungskraft der Metropole nachhaltigen Schaden. Der Kaiser musste zudem nach alten Handelsverträgen mit Genua den Genuesen ein Niederlassungsrecht einräumen. Sie erhielten das Gebiet Galata, das sie ausbauten, gegen die Abmachungen befestigten und den heute noch existierenden Wehrturm auf die Spitze des Hügels stellten. Über die Genuesen lief der Großteil des internationalen Handels, denn Konstantinopel musste die Flotte einsparen und sich auf einen Beistandspakt mit Genua verlassen.


255 Istanbul, Blick auf das Galata-Viertel

Eine verbreitete Abneigung gegen den lateinischen Westen und die humanistischen Regungen brachten Künstler und Intellektuelle nach dem Ende der lateinischen Okkupation ins neu erblühende Zentrum. Der Kaiser verstand sich als aufgeklärter Herrscher und nicht mehr als Stellvertreter Christi auf Erden. Es kam zu zahlreichen Gründungen von Kirchen und Klöstern im ganzen Reich. In Bulgarien, Rumänien, Serbien gab es Zentren der religiösen Kunst und eine Fülle von Kirchen (Studenica 1314, Gracanica 1321, Decani 1327, Ravanica 1377, Kalenic 15. Jh., Moldovița 1532, Sucevița 1584) mit expressiven Malereien in satten Farben. Viele der Klöster sind bis heute Schmuckstücke und werden auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes geführt.

Teilweise waren Künstler aus Konstantinopel selbst am Werk und verbreiteten eine höfische Kunst. Die Scheunenkirche Panagia tou Araka (1192) in Lagoudera auf Zypern ist dafür ein erlesenes Beispiel. Auffällig dabei ist die Abbildung zahlreicher Gebäude auf den Ikonen.

VI.3.4.

Rice 1993, 220ff

Lafontaine-Dosogne Jacqueline in Volbach/Lafontaine-Dosogne 1968, 146

Der Hellenismus, den man früher als heidnisch verurteilt hatte, gewann starken Einfluss. In Mistra lebte Georgios Gemistos Plethon, ein wichtiger, in der Renaissance von Florenz wirkender neuplatonischer Philosoph. Seine Gebeine holte Sigismondo Malatesta 1466 nach Rimini. Plethon soll Cosimo Medici die Gründung der ersten platonischen Akademie der Neuzeit empfohlen haben. Die humanistischen Aspekte führten angesichts der platonischen Leitkultur zwar nicht zu einer Renaissance im westlichen Sinn des 14. und 15. Jh.s, aber doch zu einer Aufweichung der strengen Statuarik des alten Stils. Die Eigenart der letzten Kunstepoche in der Zeit der Palaiologen (1259–1453) ging als »Palaiologenstil« in die Forschungsliteratur ein. Er schloss die byzantinische Kunst ab und seine Entdeckung hat zur Behauptung gleich mehrerer »Renaissancen« geführt. Wie auch immer: Die Kunst dieser Zeit zeigt eine humanistische Facette, ist lebendig, detailreich-erzählend und dekorativ. Ein eindrucksvoller Niederschlag palaiologischer Rückwendung zur freieren Kunst der Antike sind die Mosaiken und Fresken der nach einer Zerstörung wieder aufgebauten Chora-Kirche. Sie waren eine Frucht der Stiftung des Politikers und Gelehrten Theodoros Metochites. In diesen Mosaiken hat die »letzte Renaissance der Konstantinopler Kunst ihren zweifellos schönsten Ausdruck gefunden.« Auch in Mistra hat der aufgelockerte Palaiologenstil seine Spuren hinterlassen und steht dort neben dem alten konservativen. Besonders schön lassen sich die Unterschiede in der Ikonenmalerei in den byzantinischen Kirchen Zyperns studieren. Teilweise ist die Palette von einem streng hieratischen Stil bis zu den Lockerungen der spätbyzantinischen Renaissancen in einer einzigen Kirche versammelt (Agia Paraskevi in Geriskopou bei Paphos; Agios Nikolaos tis Stegis in Kakopetria).


256/257 Fresken in der Chora-Kirche; Istanbul

Die Entwicklung der Ikonostasis half mit, dass die Ikonenkunst in der Palaiologenzeit eine besondere Blüte erreichte und neue Formen szenischer Ikonen entstanden. Die Freiheit und Materialität in der Gestaltung und die entmaterialisierende Strenge der hesychastisch-mönchischen Doktrin hielten sich geradezu die Waage.

Der vorletzte Kaiser, Johannes VIII., reichte nach reichlichem Hin und Her in den vorausgehenden Jahrhunderten dem Konzil von Ferrara-Florenz die Hand zur konfessionellen Wiedervereinigung, die 1439 verkündet wurde. Die gebildeten Schichten im Oströmischen Reich lehnten diese Annäherung an Rom aber vehement ab, zahlreiche Diözesen zogen osmanische Herren dem römischen Papst vor.

V.3.4.3.5.

1453 schließlich eroberte Mehmed II. mit seiner überlegenen Artillerie Konstantinopel, das bis zur Republikgründung 1923 Konstantiniye hieß, das Volk bevorzugte den Namen Istanbul (von griech.: eis tin polin/in die Stadt). Drei Tage lang plünderten die Truppen die Stadt und vernichteten unschätzbare kulturelle Werte. Andererseits wussten die Eroberer die byzantinische Kultur durchaus auch zu schätzen. 1460/61 fielen Mistra und Trapezunt an die Osmanen. Im Osten wurde Moskau zum neuen Zentrum und zum Neuen Rom. Der Kiewer Großfürst Wladimir I. (»der Apostelgleiche«) nahm 988 anlässlich seiner Vermählung mit der Tochter des byzantinischen Kaisers Romanos II. den byzantinischen orthodoxen Glauben an und führte erzwungene Massentaufen in der Bevölkerung durch. Seit dieser Christianisierung der Kiewer Rus war die orthodoxe russische Kirche bis zur Eroberung Konstantinopels stark griechisch geprägt. Sie empfand sich nicht in erster Linie als Erbin von Byzanz, sondern suchte nach dem Fall Konstantinopels, fern jeder scholastischen oder gar aufklärerischen Relativierung, als letzte christliche Bastion im Osten eine eigene Identität zu entwickeln. Mit solchem Selbstbewusstsein behielt die Kirche eine massive Präsenz im Land, die – nach dem Untergang der Sowjetzeit – noch heute eine erschreckende politische Kraft entfaltet.

8.4.

Russland ist seit damals ein Hort der Ikonenmalerei. Es entstanden lokale Schulen, die die genormte Form der Ikonenmalerei immer wieder höchst kreativ durchbrachen. Auch volkstümliche Traditionen flossen ein. Die Ikone kreierte einen Kunsttyp, der einerseits als Höhepunkt religiös-anagogischer Kunst angesehen werden kann, der aber auch mit totalitären Ambitionen und einer regulierten Kunst in Einklang zu bringen war.

Yerasimos 2007, 214

V.3.4.3.5.

Der Zug der griechischen Gelehrten nach Florenz verhalf dort der angebrochenen Renaissance zur Blüte und inaugurierte die Neuzeit. Mehmed verlegte nach umfangreichen Aufbauarbeiten (Topkapi Saray, Yedikule Hisar, Basar) den Regierungssitz von Edirne nach Istanbul und machte es zum Mittelpunkt des Osmanischen Reichs. Dazu gehörte auch der Bau einer Sultansmoschee auf dem Gelände der abgebrochenen Apostelkirche (Fatih-Moschee). Man fand keinerlei Bauteile der alten Kirche in der Moschee, sodass von einer radikalen Auslöschung der Erinnerung an das Alte ausgegangen werden kann. Die weitere Bautätigkeit, die wohl wegen der noch nötigen Konsolidierung des Reichs erst unter Süleyman I. dem Prächtigen und seinem berühmten Baumeister Sinan einen Höhepunkt erreichte, hielt sich an die Vorbilder Konstantinopels. Die Geschichte Istanbuls unter den Osmanen gehört in den nächsten Abschnitt.

Kunstphilosophie und Ästhetik

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