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Die Stufen fliegen mir entgegen. Meine Rippen krachen hart gegen das mit einem Läufer überzogene Holz. Der heftige, dumpfe Schmerz lässt mich nach Luft ringen. Die Wand des Treppenhauses wirbelt kopfüber, dann steht sie wieder gerade. Asbjørn fällt grunzend gegen mich, aber der Fall dreht mich. Mit einem Mal ist er unter mir. Ich lande auf ihm und stoße ihm instinktiv den Ellbogen gegen den Nasenrücken. Er schreit schmerzerfüllt auf. Krachend kommen wir nebeneinander am unteren Treppenabsatz auf.

Für ein paar Sekunden nehme ich alles um mich herum wie durch einen grauen Schleier wahr, der sich um meinen Kopf gelegt hat. Asbjørn ist wie ausgeblendet. Mühsam setze ich mich auf und betaste benommen meine Schultern und Rippen. Ich scheine noch einmal Glück gehabt zu haben. Der Alkohol in meinem Blut dämpft den Schmerz in meinem Hinterkopf, aber nur ein wenig. Mir ist schwindlig, und mein Magen rumort.

»Ver… verdammte Fotze!«, stößt Asbjørn neben mir mit gepresster Stimme hervor. Erst jetzt bemerke ich, dass er sich aufgerichtet hat. Mit geballten Fäusten starrt er auf mich herab. Ein dunkler Streifen Blut rinnt ihm über die Schläfe und bis zur Wange hinab. Er bückt sich und reißt mich grob auf die Beine. Ich komme mir vor, als würde ich in einem Fahrstuhl nach oben sausen. Seine Faust holt aus.

Doch bevor er zuschlagen kann, prallt jemand gegen ihn und stößt ihn zur Seite, sodass er mich loslassen muss. Asbjørn wird von einem Mann festgehalten, der ihm einen Arm auf den Rücken gedreht hat und ihn so hart nach oben reißt, dass er eine unfreiwillige Verbeugung machen muss. Er schreit laut auf vor Schmerz und versucht, sich aus dem Griff seines Angreifers herauszuwinden, aber ohne Erfolg.

»Ich mag’s nicht, wenn Typen Frauen verprügeln«, sagt der Grauhaarige von Odds Party. Ich versuche mich krampfhaft an seinen Namen zu erinnern. Hatte Siri ihn nicht erwähnt? Ach ja: Geir!

»Die hat mehr als verdient, was sie kriegt«, keucht Asbjørn undeutlich, die Stimme schmerzverzerrt. Er sieht aus, als würde er sich mit seinen Schuhen unterhalten. »Die Schlampe hat mich die Treppe runtergestoßen!«

»Zuviel der Ehre«, bringe ich dumpf heraus. »Ich hab mich nur an dir festgehalten. Nachdem du mich gestoßen hast.«

Er erwidert nichts, sondern schnauft nur weiter und zieht hörbar Rotz die Nase hoch.

»Du solltest dich bei ihr entschuldigen, meinst du nicht?«, fragt Geir. Er hört sich so gelassen an, als stünde er wie vorhin oben im Flur herum, eine Bierflasche in der Hand, anstatt sich mit aller Kraft zu bemühen, seinen Gegner vor sich gebückt im Fesselgriff zu halten.

»Fick dich!«, stößt Asbjørn hervor. Sofort drückt Geir ihm den Arm noch weiter nach oben gegen die Schultern. Dem Riesen entkommt ein hohes Winseln.

»Entweder du entschuldigst dich bei ihr«, sagt Geir, und jetzt höre ich seiner ruhigen Stimme doch die Anstrengung an, »oder ich brech dir den Arm. Und dann entschuldigst du dich bei ihr.«

»En… Entschuldigung«, brummt Asbjørn widerwillig.

Ich bin aufgestanden. Jetzt bücke ich mich, sodass sich mein Gesicht auf gleicher Höhe mit seinem befindet. Er dreht den Kopf und stiert mich verwirrt hinter einem Vorhang aus verschwitztem langem Haar an. Auch Geir wirft mir einen leicht verwunderten Blick zu. Doch er hält Asbjørn weiter fest, als hätte ich es mit ihm abgesprochen.

»Du wolltest doch wissen, was eine wie ich in Oslo macht«, sage ich. »Ich verrat’s dir.«

Asbjørns Augen ruhen auf mir, er atmet schwer, antwortet aber nicht.

»Ich bin hier auf der Suche nach jemandem«, sage ich leise. Meine Lippen nähern sich seinem Ohr. Ich zögere für einen Herzschlag, bevor ich weiterflüstere. »Und wenn ich ihn gefunden habe, dann bring ich ihn um.«

Mitten im Einatmen hält Asbjørn die Luft an.

Langsam richte ich mich wieder auf. Geir wirft mir einen Blick zu, den ich nicht deuten kann. Er wendet sich an Asbjørn. »Ich lass dich jetzt los. Keinen Blödsinn, verstanden? Und dann gehen wir zu Alex. Dem schuldest du auch noch eine Entschuldigung.«

»Was ist denn hier los?«

Ich fahre herum. Geir entlässt Asbjørn aus seinem Griff und folgt meinem Blick. Odd kommt die Treppenstufen herabgeeilt, gefolgt von Siri. Einige der Gäste sind nach ihnen ins Treppenhaus gekommen und starren uns neugierig an, wie die Zuschauer eines Straßentheaters.

Asbjørn hat sich schwankend zu voller Größe aufgerichtet und reibt sich die Schulter. Sein Kinn ruckt in meine Richtung. »Wegen der hier hätte ich mir beinahe alle Knochen gebrochen! Die ist ja völlig irre, deine Freundin!«

»Sie ist nicht meine Freundin«, sagt Odd mit flacher Stimme. »Sie ist …«

»Sie ist meine Freundin«, unterbricht Siri ihn. Ärgerlich funkelt sie Asbjørn an. »Was hast du mit ihr gemacht?«

»Er hat sie die Treppe runtergestoßen«, erklingt Alex’ Stimme hinter ihr. Er hört sich eifrig an, klarer als zuvor. »Und vorher hat er mir den Finger gebrochen.«

»Du Scheißkerl«, sagt Siri bemüht ruhig. Es klingt wie ein erschöpftes Ausatmen. »Verschwinde. Sofort. Und komm bloß nicht wieder!«

Asbjørn hebt den Kopf und mustert meine Freundin. Ein hässliches Lächeln flackert über sein Gesicht. »Oh nein. Ich bin es bestimmt nicht, der verschwindet.« Er deutet mit ausgestrecktem Arm auf mich, ganz der Schmierendarsteller auf den Brettern seiner Bühne. »Sie macht den Abgang. Du bist doch bei Odd untergekommen, nicht wahr?«

Ich antworte nicht. Ein harter Klumpen aus Zorn presst gegen meine Bauchmuskeln. Der dumpfe Schmerz in meinem Kopf macht mich halb irre.

»Du hast uns überhaupt nichts zu sagen!«, ruft Siri schrill. Ihre Augen treten hervor. »Das ist Odds Wohnung, nicht deine!«

Asbjørn lacht auf. »Dein Freund schuldet mir so viel Geld – die Bude könnte genauso gut mir gehören!«

Odd zuckt zusammen, als ob Asbjørn ihm einen Schlag versetzt hätte.

»So viel ist es auch wieder nicht!«, murmelt er.

»Es ist genug«, schnappt Asbjørn. »Und jetzt pass mal gut auf: Entweder du setzt das Miststück vor die Tür, und zwar genau jetzt, oder ich will morgen früh alles in cash haben, was mir gehört, verstanden?«

Odd sieht grau aus. Sein Blick irrt zwischen Siri und mir hin und her.

»Kommt gar nicht infrage!«, sagt Siri, aber sie blickt zu Boden und vermeidet es, mich anzusehen.

Ich weiß nicht, was mich reitet. »Es ist in Ordnung«, sage ich deutlich. »Ich gehe.«

»So ein Blödsinn!«, schnappt Siri. »Du bleibst natürlich hier!«

Ich schüttle den Kopf. »Nein, wirklich. Es ist in Ordnung. Deswegen bin ich ja nicht aus der Welt. Ich hätte mir sowieso früher oder später etwas Eigenes suchen müssen.«

»Ja, verpiss dich!«, zischt Asbjørn. Er hört sich zufrieden an. Ein Teil von mir kann es ihm nicht verdenken. Mir verschafft es ebenfalls Befriedigung, das Blut auf seinem Gesicht trocknen zu sehen.

Ohne ein weiteres Wort gehe ich an Siri, Odd und den anderen Gästen vorbei die Treppe hinauf. Die Leute teilen sich rechts und links von mir, als hätte ich eine ansteckende Krankheit.

Im Gästezimmer werfe ich die wenigen Sachen, die ich bereits ausgepackt hatte, wieder in meinen Koffer zurück, schließe ihn, schnappe mir Winterjacke und Stiefel und verlasse Odds Wohnung.

»Wir bleiben in Kontakt«, sagt Siri, als ich an ihr vorbeikomme. Ihr Blick blitzt zu Asbjørn hinüber. »Oder willst du mir das verbieten? Ich bin nicht Odd – oder irgendein anderer aus deinem Haufen von Idioten!«

»Mach, was du willst«, sagt Asbjørn trocken. »Aber solange Odd mir Geld schuldet, bleibt die nicht in seiner Wohnung.«

»Natürlich bleiben wir in Kontakt«, entgegne ich Siri. Ich umarme sie. Als Odd mich ebenfalls umarmen will, weiche ich ihm aus und hebe die Hand zum Abschied.

Am Ausgang zur Straße stellt Asbjørn sich mir in den Weg. Geir tritt einen Schritt näher, gleichzeitig hält der hochgewachsene Kerl inne. Für einen Moment durchzuckt mich der Gedanke, dass es nicht Geir ist, der ihn Abstand halten lässt, sondern dass ich es bin.

»Wir sehen uns wieder«, sagt er, ohne besondere Betonung, so, als würde er etwas klarstellen, das ohnehin unumgänglich ist. »Oslo ist eine kleine Stadt, das findest du schon noch raus.«

Ich erwidere nichts.

»Du solltest besser auch bald verschwinden«, sagt Geir kalt an Asbjørn gewandt. »Am besten eine Viertelstunde, nachdem sie gegangen ist. Nicht, dass du noch zufällig vor dem Haus in sie rennst. Wir wollen hier nämlich noch eine Weile feiern. Ohne Stress, und ohne dich.«

Asbjørn zieht eine verächtliche Grimasse. Doch obwohl er den Maler überragt, lässt er sich nicht von ihm dazu provozieren, ihn anzugreifen.

Ich nicke Geir zu und gehe an Asbjørn vorbei aus dem Haus.

Ein kalter Wind fegt mir ins Gesicht, kühlt ein wenig die Hitze auf meinen heißen Wangen. Meine Hüfte schmerzt und ich schwanke leicht. Der Alkohol rauscht mir in den Ohren. Auf einmal kommt mir mein Koffer doppelt so schwer vor. Ich sehe über die Schulter, ob mir jemand hinterherblickt, aber die Tür zu Odds Haus ist geschlossen.

Langsam lasse ich mich auf dem abgestellten Koffer nieder und starre den matschigen Gehsteig entlang. Ich bin betrunken und müde. So verdammt müde. Zwei Tage in dieser Drecksstadt und schon ohne Bleibe. Ich muss ein billiges Hotel für den Rest der Nacht finden und morgen … und übermorgen …

»Hast ihm ganz schön zugesetzt«, sagt Geir neben mir.

Ich sehe zu ihm auf. Ich habe gar nicht mitbekommen, wie er die Tür geöffnet hat und auf die Straße hinausgetreten ist.

Ich zucke die Achseln. »Viel gebracht hat’s nicht.«

»Hast du schon eine Idee, wo du übernachten willst?«

Ich schüttle den Kopf.

»Wenn du willst, kannst du erst mal bei uns bleiben.«

Ich brauche einen Moment, um darüber nachzudenken. »Was meinst du mit bleiben?«

»Ich hab vorhin gehört, wie du dich mit Siri unterhalten hast. Du bist neu in Oslo und hast keine Wohnung. In unserer WG ist gerade ein Zimmer freigeworden.«

»Du hast uns belauscht?« Ich merke, wie furchtbar lahm sich meine Entgegnung anhört, aber das ist das Einzige, was mir gerade durch den Kopf geht.

»Ihr wart ja laut genug.« Er lächelt, und die Falten in seinem hageren Gesicht vertiefen sich zu Gräben. »Also, wie sieht’s aus? Willst du dir unser Haus anschauen? Ist nicht weit von hier, in Grünerløkka. Wenn du die Miete bezahlen kannst, ist das Zimmer deines.«

Ich nicke. Klar. Eine Wohnungsbesichtigung um drei Uhr nachts oder wie spät es auch immer ist. Warum nicht.

Jeder Knochen meines Körpers schmerzt, als ich wieder aufstehe. Ich komme mir so langsam vor wie eine alte Frau. Geir packt ohne zu fragen den Griff meines Koffers, und ich lasse es kommentarlos zu. Wir gehen nebeneinander die leere Straße entlang. Ich hebe den Kopf und blicke zum dunklen Nachthimmel jenseits des Lichts der Straßenlaternen hinauf. Keine Sterne sind zu sehen. Nur ein paar Wolken lassen sich in der Finsternis erahnen, Fetzen aus schwarzem Stoff, die der Wind jenseits der Dächer über die Stadt treibt.

Raubtierstadt

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