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6. Germanen auf römischem Boden

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Da das weströmische Reich im 5. Jahrhundert politisch, wirtschaftlich und militärisch geschwächt war, vollzog sich hier eine wesentliche Entwicklung für den Übergang von der Antike zum Mittelalter: die Etablierung germanischer Reiche auf römischem Boden. Der Begriff „Völkerwanderung“ führt hier in die Irre, denn die Migrationsbewegung erfasste weder komplette Bevölkerungen noch kann von in sich abgeschlossenen Völkern oder Stämmen die Rede sein. „Völker“ bildeten sich erst allmählich heraus, indem Gruppen sich zusammenschlossen und integrierten oder aber auch abspalteten. Als beispielsweise die Ostgoten auf dem Boden des Römischen Reiches angekommen waren, verließ ein Großteil der Wandernden seine Anführer und baute sich eine neue Existenz auf. „Germanen“ ist also eine schon von den Römern etblierte Sammelbezeichnung für eine Vielfalt von Gruppen, deren Ethnogenese am Übergang von Antike und Mittelalter noch im Fluss war.

Der Beginn der Migrationsbewegungen lässt sich mit dem Jahr 375 ansetzen, als die Hunnen aus den asiatischen Steppen in das Gebiet am Schwarzen Meer vordrangen und die dort ansässigen Goten sich entweder unterwerfen oder nach Westen ausweichen mussten. Dies führte zur Spaltung: Während sich die Ostgoten den Hunnen unterwarfen, zogen die Westgoten ins Römische Reich, schlugen die Truppen des Kaisers Valens und eroberten Rom (410) – ein enormer Schock für die römische Welt, der sich etwa in Augustins De civitate Dei spiegelt. Doch wurden die Westgoten in Italien nicht ansässig, sondern zogen zunächst nach Gallien, wo sie um Toulouse ein Herrschaftsgebiet begründeten, und Anfang des 6. Jahrhunderts unter fränkischem Druck nach Spanien. Das westgotische Reich dort bestand bis zur Eroberung durch die Araber 711.

Die Römer konnten mit ihren Verbündeten den Hunnen 451 eine entscheidende Niederlage beibringen, in deren Folge sich auch die Ostgoten von den Hunnen emanzipierten. Nach langen Kämpfen konnten sie unter Theoderich (gest. 526) ein eigenes Reich in Italien etablieren. Durch Heiratspolitik und die Übernahme der bestehenden Verwaltungseliten bemühte sich Theoderich um Integration, doch ging sein Reich nach seinem Tod unter, als das oströmische Reich unter Justinian nach Italien expandierte.

Franken

Entscheidend für die Entwicklung des europäischen Kontinents von der Antike zum Mittelalter wurden jedoch die Franken, die – aus dem Gebiet östlich des Rheins kommend – keine langen Wanderungen absolvierten, sondern im 5. und 6. Jahrhundert am Rhein und in Gallien durch kriegerische Aktionen ein größeres Reich aufbauen konnten. So integrierten sie die Reiche der Burgunden und Alamannen, aber auch das Reich des Syagrius, ein letztes Überbleibsel des weströmischen Reiches in Gallien.

Auch in Britannien kam es zu Wanderungsbewegungen, als die germanischen Sachsen, Angeln und Jüten auf der Insel sesshaft wurden und die ansässige keltische Bevölkerung in den Südwesten, nach Wales und Schottland verdrängte.


Abb. 1 Europa im frühen 6. Jahrhundert

Religion der Germanen

Hinsichtlich der Religiosität der germanischen Stämme verfügen wir über wenig sicheres Wissen. Schriftliche Aufzeichnungen bietet vor allem der römische Geschichtsschreiber Tacitus, der freilich germanische Religiosität derart mit „römischer Brille“ sieht, dass ihr Eigencharakter kaum mehr erkennbar ist. Wesentlicher aber als die Funktionszuschreibungen für einzelne Gottheiten dürfte für unseren Kontext aber die Tatsache sein, dass bei den Germanen religiöse und politische Sphäre miteinander eng verflochten waren und einander durchdrangen; dies zeigt sich insbesondere an der räumlichen Nähe von Orten des Kultes und der Herrschaftsausübung. Im Kontext der christlichen Mission sollte dieser Faktor bedeutsam werden. Da aber die Franken und die nach England ziehenden Stämme Heiden waren, brachte ihre Herrschaftsübernahme einen teils drastischen Rückgang des Christentums bis hin zu Repaganisierungen mit sich.

Auf einen Blick

Das mittelalterliche Christentum fußt auf spätantiken Voraussetzungen, doch müssen sich die neuen Formen erst noch herausbilden. Ein wesentlicher Faktor ist dabei das Wegbrechen der römischen Herrschafts- und Verwaltungsstrukturen und die Etablierung germanischer Reiche auf römischem Boden. Wo das Christentum nicht wie in Britannien und im Frankenreich zurückgedrängt wurde, änderte sich seine Lebenswelt entscheidend. Das Christentum bewahrte aber Amtsstrukturen, Institutionen und das Mönchtum, das ebenso wie der römische Bischofssitz zu einem entscheidenden Träger der Wissenskultur über die Epoche des Wandels hinweg wurde. Auf diese Weise wurden auch Ideen und Ideale von Kaisertum und Herrschaft sowie vom Verhältnis zwischen kirchlicher und weltlicher Gewalt transportiert, die ihre Wirkmacht im Lauf des Mittelalters entfalten sollten.

Kirchengeschichte des Mittelalters

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