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AUF DER VERNISSAGE

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Julia drehte sich vor dem hohen, dreiteiligen Kristallspiegel und musterte sich kritisch von allen Seiten. „Was meinst du, Karla?“, fragte sie. „Soll ich den türkisfarbenen Seidenanzug anbehalten?“

„Unbedingt, Kleines. Er sieht toll aus zu deinem dunklen Haar und dem schwarzen Onyx-Schmuck. Jetzt noch die passenden Schuhe und die anderen Frauen werden vor Neid erblassen.“

„Das kornblumenblaue Seidenkostüm und der Platinschmuck als Kontrast zu deinem mahagonifarbenen Haar ist aber nicht weniger attraktiv, Karla. Und deine hochgesteckte Frisur ist einfach toll“, sagte Julia bewundernd.

„Mit anderen Worten, Schwesterherz: „Du meinst, wir sind der Hit des Abends, richtig?“, lächelte Karla.

„Genau!“

„Dann auf ins Vergnügen, Kleines.“

„An sich habe ich gar keine rechte Lust“, erwiderte Julia trübsinnig. „Aber ich muss mich dort unbedingt sehen lassen.“

„Du hast mich eingeladen, also streng dich ein wenig an und enttäusche deine greise Schwester nicht“, neckte Karla sie.

„Ich werde mich bemühen“, erwiderte Julia lächelnd.

Beschwingten Schrittes verließen die beiden Schwestern Julias elegante Wohnung, die sie sich im obersten Stockwerk eines ihrer Mietshäuser eingerichtet hatte und die sich über die gesamte Etage erstreckte.

Auf der Treppe der zweiten Etage blieb Julia plötzlich stehen. „Da war doch noch was“, murmelte sie.

„Hast du was vergessen?“

„Ich weiß nicht. Ich dachte ...Nein.“ Julia schüttelte den Kopf und stieg weiter die Treppe hinunter. Vor dem Haus stiegen sie in ihr weißes Mercedes Cabriolet und fuhren nach Pöseldorf zur Vernissage.

Als sie gegen einundzwanzig Uhr dort eintrafen, war das Spektakel bereits in vollem Gange. Künstler und Prominente aus Politik und Business; Schauspieler und Ärzte; Sammler und solche, die es gerne wären; Kunstsachverständige und andere, die sich dafür hielten; Kapitalanleger und wahre Kunstliebhaber; Journalisten und Kritiker; Spinner und Exzentriker, sie alle drängten sich am „Kalten Buffet“.

Als Skelette verkleidete Kellner kämpften sich mühsam durch die unaufhörlich schnatternde Menge und reichten Tabletts mit Sektgläsern herum.

Julias und Karlas Garderobe gehörte mit zu der Schlichtesten in diesem Theater, aber mit Sicherheit waren sie die am geschmackvollsten und elegantesten gekleideten Gäste in diesem Heer männlicher und weiblicher Paradiesvögel.

Geübt durch unzählige ähnliche Besuche schlängelte sich Julia zusammen mit ihrer Schwester geschickt durch die trinkende, essende, schnatternde und johlende Menge. Sie versuchten mit wechselndem Erfolg einen Blick auf die ausgestellten Arbeiten zu erhaschen.

Doch was sie sehen konnten gefiel ihnen absolut nicht. Die dem Stil Bacons nachempfundenem Bilder mit Anklängen an den abstrakten Julian Schnabel – nach seiner Tellerbilderzeit – waren Julia und Karla zu blutrünstig und zu deprimierend.

Die verstümmelten, menschlichen Körper in rosa und grünlichem Weiß sahen aus wie hingemetzelte Leichen auf einem Schlachtfeld. Obszöne Frauenakte; daneben Rinderhälften, aus denen kadmiumrote, mit Krapplack abgeschwächte Blutströme flossen; verendende Rinder und Dromedare mit heraushängenden Zungen und vor Durst weit aufgerissenen Mäulern, vor einem vor Hitze wabernden – von der Farbwirkung her ausgezeichnet getroffenen – Hintergrund stehend und so ging es weiter von Bild zu Bild.

Eine bemerkenswert große Anzahl der Bilder zierte bereits der begehrte rote Punkt, der Verkauft signalisierte. Grauen vermarktet sich in unserer pervertierenden Welt eben ausgesprochen gut. Schönheit und Harmonie, Ethik und positive Kreativität sind in dieser schnelllebigen, unaufhörlich nach neuen, immer stärkeren Reizen suchenden Gesellschaft anscheinend nicht mehr gefragt.

Erschöpft von dem Lärm und der Hektik zogen sich Julia und Karla neben eine, für den heutigen Abend in die Ecke verbannte, grob gearbeitete Holzskulptur – vielleicht von Baselitz? – zurück, wo zwei einsame Stühle zum Sitzen einluden. Julia nippte in sich gekehrt an ihrem Sekt, und Karla musterte die hektische Meute um sie herum.

Ein schrilles: „Julia, meine Liebe, hier haben Sie sich versteckt“, schreckte sie auf.

Ach herrje! Pauline Bocara hatte sie entdeckt. Na ja, gute Miene zum bösen Spiel machen hieß die Parole, denn Pauline war eine ihrer besten und treuesten Kundinnen; kapriziös, steinreich und exzentrisch bis zum Exzess. Wie sah sie nur wieder aus! Der frech in die Stirn gezogene kleine, grüne Hut mit den überproportional langen Straußenfedern (kein Wunder, dass bei der Länge zwei bereits abgebrochen waren) auf dem zyklamroten Haar; dazu das in herrlichen Blau- und Grüntönen schimmernde Kleid.

Aber der Schnitt! Mein Gott!

Dazu trug Pauline grüne Chevreaulederstiefel mit zum Kleid passenden, blauen Applikationen. Und wie stets, war sie mit kostbarem Schmuck behängt wie ein Weihnachtsbaum. Es war ein Wunder, dass sie überhaupt noch am Leben war, wo in dieser gewalttätigen, gierigen Welt schon für weniger als eine billige Uhr gemordet wurde. Das war Pauline, die schwatzhafte Intrigantin par excellence. Also Julia, auf in den Kampf und nicht gekniffen.

„Hallo, Pauline! Welche Freude Sie zu sehen. Darf ich Ihnen meine Schwester Karla vorstellen? Karla, und das ist Madame Pauline Bocara, meine beste und treueste Kundin, eine exzellente Kunstkennerin“, säuselte Julia zuckersüß.

Die beiden Frauen reichten sich die Hände. „Ach, Sie haben eine Schwester? Wie nett“, war Paulines magerer Kommentar. Sie hatte keine Zeit, brannte darauf ihre sensationelle Neuigkeit loszuwerden. Außerdem war ihr diese Karla mit den intelligenten, durchdringenden Augen und dem kühlen Lächeln auf Anhieb unsympathisch.

„Gefallen Ihnen die Arbeiten des Künstlers?“, fragte Julia. „Wo ist er überhaupt? Ich habe ihn noch gar nicht zu Gesicht bekommen“, schleimte Julia so gekonnt, dass ihr fast schlecht wurde bei dem Gedanken an so viel Falschheit.

„Ob mir die Bilder gefallen? Also wirklich, Julia! Sie sollten mich aber wirklich besser kennen. Diese ausgekotzten Farbtöne und diese deprimierenden Motive“, rief Pauline empört. Die sogenannte feine Gesellschaft drückte sich gern drastisch aus. Das war modern und schließlich konnte man sich ja fast alles erlauben, wenn man nur genügend Geld besaß. Schlimmstenfalls wurde man den Exzentrikern zugeordnet – und das war schick.

„Diese sogenannten Kunstwerke sind ja noch schlimmer, als die Nachrichten im Fernsehen“, schrillte Pauline.

„Kennen Sie den Künstler, Pauline?“

„Natürlich kenne ich den Perversling. Er ist genauso widerlich wie seine Bilder.“

„Wo ist er?“

„Ich weiß es nicht. Vermutlich bumst er irgendjemanden. Sie können sich nicht vorstellen, was mir seine Freundin vorhin erzählte“, flüsterte Pauline verschwörerisch, und ihre tiefliegenden, mit schwarzem Kajal umrandeten Augen funkelten vor Sensationslust.

„Was denn, Pauline?“, tat ihr Julia den Gefallen zu fragen.

Karla verdrehte die Augen und seufzte innerlich. Sie hasste Klatsch!

„Also gut, meine Liebe. Ihnen kann ich es ja anvertrauen, aber Sie müssen es für sich behalten, denn seine Freundin erzählte es mir im Vertrauen. Sie sagt, dieser Angeber Voltaire kann immer! Das hat mir seine Freundin Mijou gesagt. Stellen Sie sich das nur mal vor, Julia. Er pumpt an seinem Penis und dann hat er einen Ständer nach dem anderen. Manchmal macht er es ihr so häufig hintereinander, dass sie am nächsten Tag kaum laufen kann. Das hat sie wirklich gesagt.

Aber natürlich ist das nicht normal! Voltaire hat sich seinen Schwanz operieren lassen. Ich glaube auf Mallorca. Ja, genau! Auf Mallorca war es. Mijou lernte ihn dort kennen, als sie in einer anderen Privatklinik einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen ließ. Die Klinik in der er war ist ein Geheimtipp für alles Mögliche. Zwar sehr teuer, doch absolut diskret“, sagte Pauline verschwörerisch.

„Was haben Sie denn, meine Liebe?! Sie sind ja kreidebleich. Aber, aber, so schlimm ist das, was ich Ihnen erzählte, doch auch nicht. Sie sind ja ein Sensibelchen, Julia. Kommen Sie, nehmen Sie hiervon einen kräftigen Schluck, dann wird Ihnen gleich besser.“

Pauline reichte Julia einen goldenen, mit Brillanten und Smaragden verzierten Flachmann.

Nach einem herzhaften Schluck kehrte die Farbe in Julias Wangen zurück. „Mein Kreislauf. Die Luft hier“, murmelte sie.

Pauline nickte verständnisvoll und verschwand. Mit Kranken wollte sie lieber nichts zu tun haben. Man wusste ja nie!

„Mir ist schlecht“, murmelte Julia und erhob sich mit butterweichen Knien. „Ich fürchte, ich muss mich übergeben.“ Karla legte fürsorglich ihren Arm um Julias Schultern und führte sie zu den Waschräumen. Nachdem Julia die Tür hinter sich verriegelt hatte, setzte sie sich auf den mit Fell bezogenen Toilettendeckel.

Rote Nebelschwaden waberten vor ihren Augen, und ihr Magen zog sich krampfhaft zusammen. „Diese verfluchte Gastritis“, stöhnte sie gequält. Sie erzitterte unter einem Anfall von Schüttelfrost der sich unvermittelt in glühende Hitze verwandelte. Ihr Innerstes schien zu verglühen; Atemnot überfiel sie. Stöhnend japste sie nach Luft.

„Ist alles in Ordnung, Kleines?“, fragte Karla besorgt.

„Es geht schon wieder“, flüsterte Julia.

„Hast du mich verstanden, Liebes?“

„Ich komme gleich“, erwiderte Julia dieses Mal lauter. Von einer Sekunde auf die andere vergingen die Kälte- und Hitzewallungen. Sie richtete sich auf und streifte das Zittern ab wie eine Schlangenhaut. Ruhe und Gelassenheit vertrieben den in ihr tobenden Aufruhr und beruhigten ihren angegriffenen Magen. Die Übelkeit verging und Julia atmete erleichtert auf. Sie strich sich übers Haar und verließ lächelnd den Toilettenraum. Mit weichen, fließenden Bewegungen durchquerte sie an der Seite ihrer Schwester die Galerie. Sie bemerkte weder die bewundernden Blicke der Männer, noch die neidischen der Frauen.

„Geht es wieder? Oder möchtest du lieber nach Hause?“, fragte Karla.

Julia schüttelte den Kopf. „Nein, ich möchte noch etwas hierbleiben. Ich möchte den Maler kennenlernen. Außerdem helfen die Magentabletten von Dr. Fergusen ganz fantastisch.“

„Also gut, dann wollen wir uns mal auf die Suche nach diesem Voltaire machen. Der junge Mann dort drüben mit dem Pferdeschwanz könnte es sein“, meinte Karla.

„Dann sollten wir ihn begrüßen“, erwiderte Julia und machte sich auf den Weg. „Ich bin Julia van Dangen“, stellte sie sich vor. „Die Dame neben mir ist meine Schwester Karla. Sie sind der Künstler Voltaire?“

„Der bin ich“, erwiderte der hochgewachsene, in schwarzes Leder gekleidete junge Mann. Geile Puppe, dachte Voltaire. Die würde in meine Sammlung passen.

Julia lächelte und er lächelte zurück. „Darf ich Ihnen und Ihrer Schwester etwas zu trinken holen?“, fragte er so zuvorkommend wie noch nie.

„Gerne“, nickte Julia und er eilte davon.

„Magst du diesen Angeber etwa?“, fragte Karla erstaunt.

„Nein, eigentlich nicht. Ich möchte nur wissen, ob es von ihm noch andere, positivere Arbeiten gibt, denn malen kann er“, erklärte Julia.

Als der Künstler mit zwei Gläsern Sekt zurückkam, verwickelte ihn Julia in ein Gespräch.

Karla schlenderte währenddessen an den einheitlich schwarz gerahmten Gemälden vorbei. Die Menge hatte sich mittlerweile gelichtet, sodass sie sich die Bilder in Ruhe ansehen konnte. Allerdings mochte sie sie auch aus der Nähe nicht.

Die schwarzen Rahmen sind gut gewählt, dachte Karla. Sie passen ausgezeichnet zu dieser Anhäufung von Gewalt, Grausamkeit und Tod. Dieser Voltaire muss ein ziemlich gestörtes Verhältnis zu seiner Umwelt haben, dachte die Psychiaterin in ihr. Sie sah zu Julia hinüber, die in ein angeregtes Gespräch mit dem Maler vertieft war, der sich wie ein Pfau vor ihr spreizte.

Gleich wird er schrille Paarungslaute ausstoßen, dachte Karla amüsiert. Trillern, pfeifen oder schreien Pfaue eigentlich während ihres Werberituals? überlegte sie schmunzelnd. Da ihre Schwester keine Notiz von ihr nahm, suchte sie sich einen ruhigen Winkel. Sie lehnte sich gegen die Wand und beobachtete die Gäste, die sich zu kleinen, munter palavernden Gruppen zusammengefunden hatten.

Karlas Augen suchten die schrille Pauline Bocara, deren Klatschsucht sie unerträglich fand. Aber diese war erfreulicherweise nirgends zu sehen. Anscheinend hatte sie die Vernissage bereits verlassen. Anderenfalls würde ich sicherlich ihre durchdringend schrille, hysterische Stimme auch noch im entferntesten Winkel vernehmen, dachte Karla schaudernd.

Ihr Blick wanderte weiter und blieb an einer schmächtigen, ungesund aussehenden blonden jungen Frau hängen, die sich gerade mit zitternden Händen eine Zigarette anzündete. Sie inhalierte tief, so tief, dass ihre Lungen mit einem Hustenanfall protestierten. Hastig hielt sich die Frau ein Taschentuch vor den Mund. Dabei rutschte ihr Kleiderärmel zurück. Drogen, dachte Karla entsetzt, als sie den zerstochenen Arm sah. Diese verdammten Drogen!

Endlich verebbte der Hustenanfall und die junge Frau entspannte sich. Sie zündete sich eine Zigarette an und starrte mit angespanntem Gesicht auf die Leute hinter Karlas Rücken. Sie war so in ihre Betrachtung vertieft, dass sie die auf ihr billiges, indisches Baumwollkleid fallende Asche überhaupt nicht bemerkte.

Karla drehte sich um und folgte der Blickrichtung der Unbekannten. Es waren Julia und der Künstler, denen ihre ungeteilte Aufmerksamkeit galt. Aber warum?

Vielleicht eine ehemalige Freundin dieses affektierten Angebers? überlegte Karla und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Galeristen Etzak Goldstein, dem Initiator dieses Abends, zu, der einen äußerst zufriedenen Eindruck machte. Da etwa siebzig Prozent der ausgestellten Bilder ein roter Punkt schmückte war die Zufriedenheit des Galeristen verständlich.

Als sie wieder zu ihrer Schwester hinübersah verabschiedete sich der Künstler gerade und steuerte beschwingt auf den Ausgang zu, während Julia lächelnd zu Karla ging.

„Na, hast du erfahren was du wissen wolltest?“, fragte Karla.

„Ja, aber seine Arbeiten kommen für meine Galerie nicht in Frage. Offensichtlich hat dieser Maler einen Pakt mit dem Grauen und mit dem Tod geschlossen, denn er malt ausschließlich diese schauerlichen Dinge“, sagte Julia kopfschüttelnd.

„Vielleicht sollte dieser Voltaire mal einen guten Psychiater konsultieren“, meinte Karla trocken.

„Ich glaube nicht, dass das nötig ist.“

„Na, ich weiß nicht so recht.“

„Nein, Karla. Er hat weder einen größeren noch einen kleineren Spleen, als die anderen Künstler. Aber was soll´s, Schwesterherz. Fahren wir nach Hause. Ich bin rechtschaffen müde.“

„Einverstanden. Aber ich nehme ein Taxi, dann liegst du früher im Bett.“

„Unsinn! Du schläfst heute wie abgesprochen bei mir, dann können wir noch ein bisschen klönen. Danach machen wir uns ein schönes Glas heiße Milch mit Honig und danach werden uns Morpheus´ Arme liebevoll umfangen.“

„Sehr poetisch“, sagte Karla schmunzelnd. Arm in Arm verließen sie die Vernissage und fuhren munter plaudernd zu Julias Wohnung.

Dunkle Tiefen der Seele

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