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I. Von der Entstehung der Welt

Am Anfang war die Zeit. Sie, die gesichtslose Göttin, gebar den Ursprung allen Daseins. Als Schauplatz des aufkeimenden Lebens wählte sie die Form einer Kugel, denn die Kugel ist das Symbol der Vollkommenheit.

Um aber dem Leben seine kosmische Form zu verleihen, mußte die Große Göttin das Erste Aeon erschaffen, das den Ursprung der göttlichen Vielfalt in sich barg. Noch herrschte das Nichts inmitten der großen Weite, formlos und wüst, noch gab es keine Sonne, die der Welt das Licht schenkte, noch war alles eins, und doch war das All-Eine nichts.

Am dritten Tage der Schöpfung trug es sich zu, daß die weise Schöpferin den äonischen Staub, bestehend aus Myriaden von goldenen Teilchen, hineinstreute in das schwarze Nichts. Damit nun aus den unzähligen, goldschillernden Elementarteilchen Materie entstehen konnte, entsandte die Schöpferin die große Schwere, genannt »Gravitas«, in das Vakuum.

Und so begab es sich, daß aus dem Nichts die ur-erste Materie hervorging, aus dem Chaos aber sollte der Kosmos entstehen, dem die Große Göttin die irdische Kugel und die Himmelskörper schenkte. Sodann entriß sie dem unergründlichen Chaos die Sonne und gebot ihr, den Erdenball mit Wärme und Licht zu bestrahlen. Doch damit war das große Werk noch nicht vollbracht. Wenn da auch Erde war, und Wasser und Luft und ein Himmel mit den Gestirnen, so bot doch die Weltenkugel keinen festen Stand, nichts auf der Welt besaß seine eigene, bleibende Gestalt, nichts besaß eine feste Form. Noch trieb der Erdenball mit seiner kleinen Schwester Luna ziellos im Raum, die Sterne umtanzten die Sonne ohne Halt und ohne Sinn. Da gebot die Schöpferin allen Himmelskörpern und aller Materie, den Gesetzen der Großen Schwere zu folgen und sich in festen Bahnen um die Sonne zu scharen. Und so geschah es am vierten Tage der Schöpfung.

Ehe die Große Göttin die neue Ordnung mit ihrem göttlichen Odem krönte, umgab sie das neuerschaffene Sonnensystem mit einer Wolke aus hellem Licht, dem Halós.

Nachdem nun alle Gestirne ihre Bahn auf den galaktischen Spiralen gefunden hatten, begann der Erdenball zu beben, denn er war kein totes Ding, sondern ein lebendiges pulsierendes Wesen. Wie ein Blutkörperchen im Kreislauf jenes großen Gewebes, das das Universum geheißen ward, befand sich die Erde auf Reisen, um die ihr vorbestimmte Aufgabe zu erfüllen. Und so geschah es nun am fünften Tage der Schöpfung, daß die Weltenkugel, sich um die göttliche Achse der Zeit zu drehen begann, auf daß sich das Licht von der Finsternis schied. Es erhob sich das leichte ätherische Gewölbe des Himmels und bettete sein blasses Blau über den von Wasser umspülten Erdball. Bald darauf trennte sich der Ozean vom Festland; Gajapana, der Urkontinent, stieg aus den äonischen Fluten empor und teilte sich in zwei große Hemisphären, genannt Euradon und Wanado.

Über die Gestade von Euradon und Wanado legte sich endlich der göttliche Atem der Zeit, genannt: Atmós. Der erhabene Hauch der Zeit bäumte sich auf und teilte sich in die vier großen Windgeister:

Im hohen Norden regierte Boreas mit eiskalter Macht, Euros, der Geist des Ostwindes, zog sich in den Orient zurück, um die vom Morgenstrahl der Sonne vergoldeten Gefilde zu umwehen. Der sanfte Notos, Windgeist des Südens, umhüllte sein Land mit regentragenden Wolken und dichtem Nebel. Das Abendland schließlich, mit seinen von der untergehenden Sonne beseelten Gestaden, war den Kräften des Cephyros anvertraut. Den vier Windgeistern zu Ehren erschuf die weise Göttin ein ehernes Monument, das fortan den höchsten Punkt der Welt bezeichnen sollte. Hoch über den schneebedeckten Gipfeln des Mahilaya-Gebirges, dort, wo die Erde dem Himmel am nächsten ist, ragte der Turm der Winde in die Luft. Und die Große Göttin sah, daß es gut war.

Auf Erden herrschte reges Treiben, Getier aller Art und Größe tummelte sich dort. Doch eines fehlte: ein aufrechtes Wesen, das mit seinem Geist alle anderen Lebewesen überragen sollte. Also erschuf die Große Göttin das erhabenste aller Wesen nach ihrem Bilde, und sie nannte es »Mensch«. Die weise Schöpferin beseelte die ersten Menschen mit ihrem göttlichen Atem, sodann befreite sie ihre Kinder aus den Stämmen der magischen Bäume von Gathas.

Als nun das erste Menschenkind seinen Fuß auf die Erde setzte, schenkte ihm die Große Göttin das Wort. Das Wort gebar die Frage. Die Frage, so entschied die Zeit, barg in sich eine Vielfalt, die Vielfalt wiederum erschuf eine neue Frage: Es war die Frage nach dem Sinn.

Es neigte sich der sechste Tag der Schöpfung dem Ende, da lüftete die Zeit ihre Schleier und offenbarte ihr Angesicht. Sie zeigte der Welt die Farbe des göttlichen Lichts, auf daß die Welt in Wahrheit gehüllt sei. Die Wahrheit, Alethejah genannt, war Teil der göttlichen Prophezeiung, die sich selbst erfüllen mußte.

Nachdem der erste Schöpfungszyklus vollbracht war, schenkte die Zeit der Weltenkugel zwei magnetische Pole: Einen Nordpol mit Namen »Thalamos« und »Wanamos«, den südlichen Pol. Fortan war alles Leben, das die Urmutter gebar und in die Welt aussandte, an den Wechsel von Schatten und Licht gebunden. »Also«, sprach die weise Göttin, »Mit Schatten und Licht mögen Glück und Leid über alles Lebendige kommen, und jedwede Existenz auf der Welt soll verurteilt sein, das Glück zu suchen und das Leid zu meiden!« Also erschuf die weise Göttin den Schlaf, auf daß das Leben mit allem Glück und Leid, das es mit sich brachte, Linderung erfahre, und so geschah es.

Da aber die Urmutter all ihre Geschöpfe liebte, schenkte sie ihnen die Hoffnung. Sodann erschuf sie den Bruder des Schlafes, den großen Erlöser, und sie nannte ihn: Tod. Als nun aber die Zeit den Tod in die Welt hinausgesandt hatte, auf daß er den großen Kreis schließe, begann das Leben sich selbst zu erschaffen. Und die göttliche Urmutter sah, daß es gut war. Sie verhüllte ihr Antlitz, und mit ihrem Gesicht verhüllte sie die Farbe allen Seins. Damit aber das Große Gleichgewicht auf ewig gewahrt bleibe, schenkte sie der Welt die Großen Schöpfer, vierundzwanzig an der Zahl.

Zwölf strahlende, von Licht beseelte und zwölf finstere, von Chaos beseelte Ahnen sandte sie in die Welt. Gemeinsam waren sie die Havatheri, die Hüter des Großen Gleichgewichts. So geschah es am achten Tage der Schöfpung.

Den zwölf Weißen Ahnen gab die Urmutter die Namen: Athamae, die Ahnenmutter, Estra-Rah-Diva, die Limbische, Hathora, die aus Nebel geborene, Idyllanora, die Paradiesische, Stellavera, die Sternenwahrerin, Venetir, der Vielfältige, Chrysostomos, der Unwägbare, Diotimos, der Zweigeist, Spirogard, der Begnadete, Quietos, der Friedvolle, Theotastros, der aus Demut geborene, und Zenonnios, der Rastlose.

Den zwölf Dunklen Ahnen gab sie die Namen: Leviathorr, der Ahnenvater, Nihilostromos, der Verweigerer, Rhamenorr, der Verschleierer, Thorrherrsios, der Globale, Ynfamos, der Gewissenlose, Zagreus, der Entherzte, Bromosthenia, die Imposante, Cruelifé, die Bestialische, Eleazara, die Animalische, Feritassandra, die Verführerin, Dhaimonea, die Wüstenfee, und Ultrizia, die Unentfliehbare. Am Ende des letzten großen Schöpfungstages sah die Große Göttin, daß es gut war.

Als das große Werk vollbracht war, begab sich die Göttin zur Ruhe. Bis heute schlummert sie im Verborgenen. Unsichtbar und schweigend dirigiert sie alles Werden und Vergehen. Als Wächterin allen Lebens verbirgt sich die gesichtslose Göttin im Schatten ihrer selbst.

Clockwise - Reise durch Traum und Zeit

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