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Mein Nachlass

Kathrin Thiemann

Es ist ganz still. Sie meinten, es sei ein Schlaganfall gewesen. Ich dachte, ich hör nicht recht. Ich und ein Schlaganfall? Ich habe doch 88 Jahre gesund gelebt. Ein Schlaganfall. Vom Schlag gefällt. Bin ich eigentlich noch in der Lage etwas zu spüren? Irgendwie fühlt es sich an wie ein Faustschlag in den Magen. Es erschüttert mich, dass sie mich jetzt auf die Palliativstation gefahren haben. Weil nichts mehr zu machen sei. Mir geht das alles zu schnell.

Stille.

Mit aller Kraft versuche ich, wenigstens meine Augen zu öffnen. Oh Gott, wie schwer Augenlider sein können. Hallo? Haallo? Hört mich denn niemand?

Stille.

Ein leises Klopfen, die Tür geht auf, Schritte nähern sich. Ich spüre einen kühlen Hauch.

»Vater?« Es ist Peter, mein Ältester. Geschäftsmann durch und durch, erfolgreich, korrekt, gewiss wieder in Schlips und Kragen. »Was meinen Sie, Doktor« fragt er. »Wird er diese Woche noch sterben? Wir haben für Samstag einen Urlaub gebucht.«

»Das kann ich Ihnen so genau nicht sagen.« Eine fremde Stimme. Aber Peter, möchte ich sagen, ich bin doch dein Vater. Es geht nicht. Die Schritte entfernen sich und ich versinke im Dunkeln.

Stille.

Ein stechender Geruch weckt mich, den ich leider nur zu gut kenne. Gerrit, mein jüngerer Sohn, immer schon unser Sorgenkind. Künstler wollte er sein mit all seinen Flausen im Kopf. Ich sehe ihn förmlich vor mir: ausgelatschte Turnschuhe, eine schmutzige und leicht bepinkelte Jogginghose, ein Anorak mit kaputtem Reißverschluss und großem Fünfer am Ärmel, ungeschnittenes und ungewaschenes Haar – und die gigantische Bierfahne.

Was höre ich da?

»He Doc, was meinen Sie? Können Sie Papa nicht einen ordentlichen Joint organisieren, dass er noch mal kurz auf die Beine kommt? Ich würde ihn zu einer Hure fahren, dass er einen letzten schönen Tag erleben kann.«

Ich höre den Arzt förmlich nach Luft schnappen. Meine beiden Söhne – mein Nachlass.

Wieder kommt das Dunkel.

Touché - und andere Generationengeschichten

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