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Es gefiel ihr auf dem Gut der Grangers, stellte Sarah wieder einmal fest, als sie durch den Garten schlenderte und dann durch das Törchen in der hinteren Mauer nach draußen trat. Ein hübscher Weg verlief durch die Grangerschen Felder und dann in den Wald dahinter, der schon von weitem so aussah, als könnte er den wunderbarsten Duft nach Natur, nach Bäumen und Moos verströmen. Den Grangers zufolge war die Gegend ausnehmend friedlich und freundlich, also würde der Wald ja wohl keine Schurken beherbergen…

Sie schritt munter aus und hatte den Waldrand bald erreicht. Am letzten Feldrain pflückte sie sich zwei Mohnblüten und fädelte sie durch den hohen Gürtel ihres dunklen Kleides. Nicht ganz der Trauer entsprechend, aber passend zu ihrer gelösten Stimmung. Sie war doch wirklich ein Glückskind, dass Tante Letty sie so freundlich aufgenommen hatte - und Onkel Thomas, natürlich!

Wären die beiden nicht gewesen, wäre sie jetzt möglicherweise auf Stellensuche. Als Gouvernante oder als Küchenmädchen… unangenehmer Gedanke. Lavvy und Selly hatten mehrere Gouvernanten gehabt – bedauernswerte Wesen, von Tante Barbara herumgescheucht und von den Mädchen mit albernen Streichen geplagt…

Sie streckte die Arme zur Seite und seufzte glücklich: Hatte sie es nicht gut getroffen?

Der Wald umfing sie etwas kühler und tatsächlich wunderbar duftend, Vogelgezwitscher erfreute die Ohren und Sarah begann zu hoffen, dass sie vielleicht ein Reh oder wenigstens einen Hasen zu sehen bekam.

Wie lange konnte sie wohl hier bleiben? Würden die Grangers nicht irgendwann genug von ihr bekommen? Ach, was sollten diese trüben Gedanken an einem so schönen Tag…

Sie schlenderte weiter, strich hier über samtweiches Moos, spähte dort ins Dickicht und bog nach Lust und Laune ab, denn der Wald war sehr entgegenkommend mit natürlichen Spazierwegen ausgestattet. Nach etwa einer halben Stunde kam sie auf eine kleine Lichtung, die von der Sonne beschienen wurde und eine unglaubliche Ruhe ausstrahlte. Sarah setzte sich auf einen Baumstumpf und betrachtete sich das saftige Gras und den Saum der Bäume rund um das kleine Areal: welch eine Idylle!

Wie spät mochte es jetzt wohl sein? Nach dem Sonnenstand konnte sie sich nicht richten, denn sie hatte nicht die leiseste Ahnung, in welche Himmelsrichtung sie gerade blickte.

Dieser Gedanke irritierte sie, denn er führte weiter: Wie sollte sie denn wieder zum Gutshaus zurückfinden? Sie war so oft abgebogen, ohne sich irgendetwas zu merken!

Nun, den Weg von der Lichtung auf den letzten Pfad würde sie gerade noch finden – und dann musste sie eben sehen, ob sie etwas wiedererkannte, einen blühenden Strauch oder dergleichen…

Auf den Weg fand sie tatsächlich zurück, aber dann stand sie wieder ratlos da – kein blühender Streich, kein anderes Erkennungszeichen… sie versuchte die Wege, die nach links und rechts abzweigten, aber alle wirkten sie fremd, auch wenn sie sich umdrehte und den Anblick mit dem Hinweg verglich. Offenbar war sie so in Gedanken gewesen, dass sie sich den Weg auch nicht ordentlich eingeprägt hatte.

Dumm, ausgesprochen dumm!

„Sarah, sonst bist du wirklich gescheiter“, tadelte sie sich selbst halblaut, und dann verstummte sie und horchte – raschelte da nicht etwas? Knackten da nicht Äste?

Ob es hier größere Tiere gab, nicht nur Rehe und Hasen? Mit Flora und Fauna hatte sie sich viel weniger befasst als mit Ovid und Sappho – und die beiden nützten ihr im Moment leider gar nichts.

Einen Moment lang lachte sich in sie hinein, als sie sich vorstellte, mit Hilfe antiker Naturlyrik (vielleicht Vergil?) aus diesem Wäldchen wieder herauszufinden.

Wenn sie sicher wüsste, dass es sich nur um ein Wäldchen handelte, könnte sie natürlich bis ans Ende spazieren und dann im freien Gelände jemand Ortskundigen fragen… aber was, wenn dieser Wald sich so ungefähr bis kurz vor London erstreckte? Nein, dieser Plan taugte nichts.

Es knackte wieder im Unterholz, dieses Mal schon etwas lauter, und Sarah presste sich ängstlich an einen Baumstamm. Vielleicht sah das große Tier sie dann ja nicht?

Ob es hier Bären gab? Oder Wölfe wie in den russischen Märchen, die Papa ihr als kleinem Mädchen einmal vorgelesen hatte? Gab es Wölfe nicht nur in Russland, wo es doch viel kälter war?

Dieses Mal knackte es noch bedrohlicher – und plötzlich tauchte zwischen den Bäumen ein großer Kopf auf.

Ein Pferdekopf. Dunkelgrau und aufgezäumt.

Ein Reiter! Ihr wurden vor Erleichterung fast die Knie weich: Keine Gefahr, statt dessen jemand, der wissen musste, wie sie zurück nach Great Abbington kam!

Der große Graue wurde gezügelt und der Reiter besah sich die einsame Spaziergängerin stirnrunzelnd. „Wer sind Sie, bitte?“

Sarah sah zu ihm auf. Dunkle Haare, ein gut geschnittenes, aber nicht allzu freundliches Gesicht, ein Hemd mit nachlässig gebundener Krawatte, Tweedjackett und Reithosen, wie es sich für einen Gentleman auf dem Lande geziemte.

„Nun?“

Sie knickste flüchtig. „Ich bin Sarah Linton und lebe bei den Grangers auf dem Gutshof.“

„Aha. Und was hat Sie auf mein Land geführt?“

„Oh! Das ist bereits Ihr Land? Das tut mir leid, ich wusste es nicht. Mit der Gegend bin ich noch nicht so recht vertraut. Wenn Sie mir verraten, wie ich zum Gutshof zurückfinde, werde ich Ihren Besitz natürlich sofort verlassen.“

Der Reiter seufzte. „Das wird schwierig. Sie, verehrte Miss – Mrs. Linton?, werden meine Anweisungen nicht lange genug im Gedächtnis behalten können, fürchte ich.“

„Miss. Mein Gedächtnis ist ausgezeichnet, Sir.“

„Sie kennen mich?“

„Nein, woher sollte ich denn – ach, wegen des Sir? Wie sollte ich einen mir unbekannten Gentleman denn sonst ansprechen, wenn mich die Situation schon dazu zwingt?“

„Ich bin Mordale. Ihr gutes Gedächtnis sei Ihnen unbenommen, aber eine endlose Abfolge von links – rechts, am Brombeerbusch wieder links – nach der dritten Eiche halb rechts und dann geradeaus bis zur großen Wurzel und so weiter überfordert auch Gedächtniskünstler. Ich glaube nicht, dass außer mir und einigen meiner Landarbeiter jemand den direkten Weg durch den Südwald kennt.“

„Südwald?“

„Mein Haus liegt nördlich dieses Waldes, also heißt dieser hier Südwald. Phantasielos, aber naheliegend.“

Sarah lächelte. „Nun, wenn das so ist, dann versuche ich wohl am besten mein Glück auf eigene Faust. Ich schätze, es dürfte jetzt etwa Mittag sein – dann müsste Süden in dieser Richtung liegen, nicht wahr? Das sollte ich eigentlich schaffen. Leben Sie wohl, Sir.“

Sie wandte sich schon um, aber er rief sie zurück. „Miss Linton, warten Sie doch! Es ist jetzt erst Viertel nach elf, also liegt Süden ein wenig weiter rechts. Bedenken Sie das auf Ihrem Rückweg!“

Sie lächelte ihm zu und bedankte sich.

„Und kommen Sie gut nach Hause“, fügte er hinzu, als sie schon fast außer Hörweite war. Dann wendete er den Grauen und trieb ihn mit leichtem Schenkeldruck an.

Sarah Linton… er hatte noch nie von ihr gehört. Bei den Grangers lebte sie? Die Grangers waren ordentliche Leute, durchaus kultiviert und dem Tratsch eher weniger zugeneigt als so manch anderer hier… in Gedanken versunken ritt er zurück nach Hause.

Rätselhafte Nachbarschaft

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