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I. Das osmanische Reich Das Entstehen eines Großreiches

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Die Geschichte der osmanischen Dynastie beginnt mit Osman Bey (1258 –1326). Osman Bey erbte von seinem Vater Ertugrul Bey die Herrschaft über ein Gebiet im nordwestlichen Anatolien, in der Umgebung von Sögüt, zwischen Eskisehir im Osten und Bursa im Westen gelegen. Die Dynastie der Osmanen gründete sich auf einem der vielen kleinen Fürstentümer, die nach dem Zerfall des seldschukischen Reiches in Anatolien entstanden waren. Diese türkischen Fürstentümer befanden sich zum Teil im Kampf miteinander, zum Großteil aber in Auseinandersetzung mit dem ehemals mächtigen Byzantinischen Reich (Ost-Rom). Byzanz, das einst über den Bereich des gesamten östlichen Mittelmeeres geherrscht hatte, befand sich in einem Rückzugs- und Zerfallsprozess. Neben Angriffen der Araber, Plünderungen durch die Kreuzritter und Interventionen der Venezianer wurde Byzanz zudem durch interne Streitigkeiten und Instabilität geschwächt.

Osman I. konnte seine Kraft gegen den großen Nachbarn mobilisieren und sein Herrschaftsgebiet auf Kosten der Byzantiner rasch ausweiten. Dadurch war das Osmanische Reich, dessen Gründung von Historikern mit dem Jahr 1299 angesetzt wird, von Anfang an ein multi-kulturelles, multi-ethnisches und vor allem multi-konfessionelles Staatswesen.

Als Osman I. starb, überließ er seinem Sohn Orhan ein Gebiet, das dreimal so groß war wie jenes, das er seinerzeit von seinem Vater geerbt hatte. Expansion sollte zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität und noch mehr des ökonomischen Systems des entstehenden Großreiches werden. In kurzer Zeit sollten die Osmanen als Herrscher über das gesamte östliche Mittelmeer und die angrenzenden Regionen das Erbe der arabischen Großreiche, sowie des Byzantinischen Reiches, antreten.

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Die Grenzlage zum Byzantinischen Reich und der Kampf gegen dessen christliche Armee hatte das osmanische Fürstentum zu einem Zentrum des ideologischen Kampfes im Namen des Islams gemacht. Seit den Anfängen im siebenten Jahrhundert befand sich der Islam in Auseinandersetzung mit Byzanz. Schon 624 wird von der ersten militä­rischen Auseinandersetzung arabischer Truppen mit den Byzantinern in Palästina berichtet. Nur zwei Jahrzehnte später beendeten die Araber die byzantinische Vorherrschaft über das östliche Mittelmeer und eine islamische Armee stand zum ersten Mal vor den Mauern Konstantinopels. Insgesamt kam es zu zwölf Expeditionen, um die Stadt zu erobern. Die Eroberung Konstantinopels blieb den arabischen Armeen jedoch verwehrt. Die Stadt wurde dadurch für Muslime sowie Christen zu einem Symbol des Widerstands gegen die Expansion des Islam. (Ahmad, 1993)

Die Osmanen sahen sich als Krieger im Namen des Islam. Die Idee des Dschihad, des Krieges gegen die Ungläubigen, hatten die Osmanen von den Seldschuken übernommen. Das kleine Fürstentum Osmans wurde aufgrund der Grenzlage zum Byzantinischen Reich zu einem Anziehungspunkt für muslimische Kämpfer aus der gesamten Region. Vor allem turkmenische Stammesführer und Krieger, die auf der Flucht vor den aus dem Osten vordringenden Mongolen in Richtung Westen gewandert waren, schlossen sich den Osmanen im Kampf gegen die Byzantiner an.

Expansion beinhaltete demnach neben einer wirtschaftlichen und machtpolitischen Komponente auch eine religiös-ideologische Mission, vergleichbar mit jener der christlichen Kreuzfahrer. Die osmanischen Krieger galten, falls sie im Krieg fielen, als sehit (Märtyrer) bzw., wenn sie überlebten und heimkehrten, als gazis. Die religiöse Mission förderte zweifelsohne den Kampfgeist der osmanischen Krieger und trug dazu bei, dass sie eine Schlacht nach der anderen erfolgreich schlagen konnten. (Vgl. Ahmad, 1993: 16)

Als Mehmet II. (der Eroberer) (Fatih Sultan Mehmet) 1453 mit seinen Truppen Konstantinopel eroberte, war er davon überzeugt, dass er damit eine göttliche Vorsehung erfüllt habe, nämlich, dass die Stadt für Muslime vorbestimmt war. (Vgl. Inalcik,1998: 249) Die Eroberung Konstantinopels stellte einen Wendepunkt dar. Während die christliche Welt

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den Verlust Ostroms beklagte – allerdings war niemand den Byzantinern zu Hilfe gekommen –, besiegelte die Eroberung Konstantinopels den Aufstieg der Osmanen zu Herrschern über ein Großreich.

Am Höhepunkt seiner Macht sollte es sich über ein Territorium, das vom heutigen Ungarn und Serbien über den gesamten Süd-Balkan und Rumänien, vom Schwarzmeerraum über Anatolien, Syrien, Palästina, den Irak, Kuwait, Jordanien, die arabische Halbinsel, einschließlich der heiligen Stätten (Mekka und Medina), den Jemen über Ägypten, bis an die nordafrikanische Küste an den Ausläufern des Atlasgebirges reichte, erstrecken.

Mit Konstantinopel verleibte sich die auf Expansion ausgerichtete Dynastie eine Stadt mit langer imperialer Tradition ein. Die Osmanen übernahmen in weiten Bereichen nicht nur die byzantinische Tradition der absoluten Herrschaft und des Verwaltungswesens, sondern Mehmet sah sich auch als der Nachfolger des byzantinischen Kaisers. Die Verlegung der osmanischen Hauptstadt und des Sitzes des Sultans von Edirne (Adrianopel) nach Konstantinopel, das er in Istanbul umbenannte, sollte diesen Anspruch bekräftigen.

Der Sultan und sein Hof sollten ähnlich wie der byzantinische Kaiser das absolute Zentrum der staatlichen Macht darstellen. Denn alle Macht ging vom Sultan aus.

Turkmenische Notabeln, die bislang ein politisches Gegengewicht zum Herrscher gebildet hatten und die am ehesten eine Basis für eine vererbbare Aristokratie dargestellt hätten, wurden nach der Eroberung Konstantinopels und der Errichtung der zentralen, absoluten Herrschaft des Sultans ausgeschaltet und ihr Eigentum und Landbesitz konfisziert. (Vgl. Ahmad, 2003: 19)

Die Bevölkerung Konstantinopels war durch Kriege, Bürgerkriege und Hungersnöte stark dezimiert. Mehmet II. siedelte deshalb Menschen aus den umliegenden Regionen in der Hauptstadt an. Er achtete dabei darauf eine türkisch-muslimische Mehrheit zu schaffen, dennoch war die Bevölkerung der neuen Hauptstadt weitgehend kosmopolitisch. Neben Türken zählten vor allem Griechen und Armenier, sowie Angehörige anderer christlicher Gruppen sowie Juden zu den Bewohnern der Hauptstadt. (Vgl. Inalcik, 1998: 253)

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Nicht-muslimische Untertanen wie Christen und Juden unterstanden dem Schutz des Sultans. Sie wurden nicht zum Konvertieren gezwungen, ebensowenig gab es den Versuch der Missionierung. Vielmehr wurde das Weiterbestehen christlicher und jüdischer Gemeinschaften gewährleistet, solange sie die Souveränität des Herrschers und die Vormacht des Islams nicht in Frage stellten. Nicht-Muslime entrichteten gemäß der islamischen Tradition spezielle Abgaben. Im Gegenzug waren sie vom Armeedienst befreit. Die endgültige Islamisierung der eroberten Gebiete wurde zwar nicht aktiv betrieben, blieb aber eine ständige Hoffnung der muslimischen Herrscher.

Die Osmanen wollten bestehende Strukturen nicht zerstören, sondern vielmehr übernehmen und adaptieren. Mehmet ließ zwar als Zeichen seiner Macht einen neuen Palast errichten, der das Zentrum des neuen Imperiums darstellen sollte, er erhielt aber gleichzeitig viele der bestehenden Bauwerke.

Die Stadt sollte aber ein muslimisches Antlitz haben. Die wichtigsten Kirchen der Stadt, darunter die Kathedrale der Hagia Sophia, wurden in Moscheen oder Dervish-Klöster umgewandelt. Nicht-muslimische Gotteshäuser wie Kirchen und Tempel durften zwar weiterhin bestehen, bzw. wurde auch der Bau von neuen zugelassen, sie mussten sich aber dem islamischen Stadtbild unterordneten. Inalcik stellt fest, dass bei dem Ansinnen, Istanbul in eine islamische Metropole zu verwandeln, die Überzeugung, dass eine spirituelle Macht zum Sieg der Osmanen über die christlichen Byzantiner beigetragen habe, eine wichtige Rolle spielte. (Vgl. Inalcik, 1998: 251) Auch wenn mit der Eroberung Kon­stantinopels die Stadt nun zur Hauptstadt eines islamischen Großreiches geworden war, war es gleichzeitig auch weiterhin das kulturelle und spirituelle Zentrum der Orthodoxie. In diesem Sinne hatte das Osmanische Reich sogar dazu beigetragen die griechische Orthodoxie wieder unter einer Herrschaft zu vereinen. Einflussreiche griechische Familien der Stadt, die Phanarioten, sollten im Laufe der osmanischen Geschichte wichtige Posten im Reich besetzen und eine bedeutende Rolle spielen.

Die Eroberung Konstantinopels stillte nicht den Hunger nach weiterer Expansion, vielmehr schien die Erfüllung einer religiösen Vorsehung den

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Drang nach weiterer Expansion größer werden zu lassen. (Vgl. Lapidus, 2002: 253ff.) (Rustow, 1965)

Schon bald konnten die Osmanen ihren Herrschaftsbereich auf das gesamte östliche Mittelmeer, inklusive den Küsten Nordafrikas und des Balkans, ausweiten. Durch die Eroberung des „abbasidischen Kalifats“ in Kairo 1517 und die Eingliederung von Mekka, Medina und Damaskus erlangten die Osmanen die Weltführerschaft über die islamische Welt. Zusätzlich zum Titel eines Gazi, eines „Kämpfers im Namen des Glaubens“ nahmen die osmanischen Herrscher nun auch jene des „Dieners der heiligen Stätten“ und des „Verteidigers der Scharia“ an. Die Osmanen wurden dadurch nicht nur die Kämpfer und Bewahrer eines islamischen Imperiums mit einem Anspruch auf Universalität, sondern ihre Hauptstadt wurde auch zu einem Zentrum für islamische Gelehrte. (Vgl. Lapidus, 2002: 253)

Eine wichtige Rolle bei der Expansion sollte das Infanteriekorps der Janitscharen spielen. Mit der Eroberung der Balkanhalbinsel hatte der Sultan versucht, seine Abhängigkeit von der Unterstützung durch turkme­nische Notabeln durch die Rekrutierung junger Christen aus den eroberten Gebieten zu schwächen. Es wurden die tüchtigsten und talentiertesten Jünglinge aus christlichen Familien ausgewählt und in die Hauptstadt gebracht, wo sie zu Muslimen erzogen, ausgebildet und trainiert wurden. Dieses Umerziehungsprogramm, das bis ins 18. Jahrhundert in dieser Form Bestand hatte, wurde devsirme genannt. Devsirme war keine Erfindung der Osmanen, sondern eine Praxis, die es in allerdings anderer Form zuvor auch schon unter den Byzantinern und Abbasiden gegeben hatte.

Nicht alle Janitscharen wurden nach Beendigung ihrer Ausbildung Krieger, vielmehr ermöglichte die Nähe zum Sultan – das Korps galt als ein Teil des Haushaltes des Sultans und war auch als Elitetruppe im Palast angesiedelt – auch den Aufstieg in wichtige Regierungsämter bzw. in die Verwaltung. Die Janitscharen entwickelten aufgrund ihrer besonderen Ausbildung und Stellung einen Korpsgeist. Sie besetzten wichtige Posten im Reich und konnten unabhängig vom Sultan politische Netzwerke aufbauen. Dadurch wurde das Janitscharenkorps im Laufe der Zeit zu einem bedeutenden politischen Machtfaktor innerhalb des ­osmanischen Herrschaftssystems. Immer wieder intervenierten

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Janitscharen bei Machtkämpfen innerhalb des Palastes und setzten meist blutig den einen oder anderen Sultan, zu Gunsten eines von ihnen favorisierten Thronfolgers, ab. Einfluss und Reichtum waren allerdings das Privileg des Korps und konnten nicht von einzelnen Mitgliedern an ihre Nachkommen vererbt werden. (Vgl. Ahmad, 2003: 19 ff)

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