Читать книгу Mirabili - Charline Dreyer - Страница 3

Prolog

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»Die Sonne tönt nach alter Weise

In Brudersphären Wettgesang,

Und ihre vorgeschriebene Reise

Vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,

Wenn keiner sie ergründen mag;

Die unbegreiflich hohen Werke

Sind herrlich wie am ersten Tag.«

- J. W. v. Goethes Faust, Erzengel Raphael

G E N E V I È V E

Die Erde und mit ihr der heiße Feuerball gehen langsam hinter den Bäumen der goldenen Lagune unter und Mirabili entfaltet seine magische Schönheit im nächtlichen Dunkel.

Die Erde. Ein weit entfernter Planet. So grausam und doch so schön. Bewohner, barbarisch wie Riesen, heißt es. In ihrer Vergangenheit hatte die Erde Wälder und Wiesen gehabt. Schöner noch, als die magischen Lichtungen Mirabilis. Wüsten und Savannen hatten Länder geprägt, genauso wie tropischer Regenwald und eisige Schneelandschaften. So vielschichtig und bunt. Ich muss schlucken und denke an die düsteren Geschichten, die meine Großmutter mir einst über die Erde erzählt hat. Sie ist zerstört und es wird nie sein wie früher. Die Bewohner wussten viel, sagte sie. Die Bewohner sind kluge Köpfe gewesen, hatten Erfindungen und sensationelle Geräte entwickelt. Und doch waren sie so dumm, so bestialisch, ihren eigenen Planeten zu zerstören. Sie waren von Habgier erschüttert gewesen, hatte Großmutter erzählt. Sie wollten immer mehr und das um jeden Preis. Mit einem Kopfschütteln sehe ich die schlammgraue Kugel hinter dem Horizont verschwinden.

Die sieben unbenannten Monde, welche man von hier aus sehen kann, werfen blasses Licht in kühlen Silber-, Blau- und Violetttönen auf das Wasser der Lagune. Der Steinbruch steht mit seinen mächtigen Felsen im Kontrast zu der Wiese, mit den lieblich blühenden Wildblumen und den zart im Wind schwingenden Gräsern. Der Duft eintausender, exotischer Gewürze und Pflanzen liegt in der lauen Luft, ich richte mein Gesicht gen Himmel und atme den Geruch tief ein.

„Schon da?“, fragt Will hinter mir und ich muss lächeln, als ich seine Stimme höre.

„Wo sollte ich auch sonst sein?“ Ich strahle meinem besten Freund entgegen, der mit Pfeil und Bogen in den großen Händen aussieht, wie der erste Krieger der Königin höchstpersönlich. „Ich hatte Sorge, du kämest eventuell nicht durch. Die Wächter der Bäume nehmen ihre Aufgabe zurzeit viel zu streng“, seine Augen funkeln in ihrem Moosgrün und ein freches Grinsen huscht über seine schmalen Lippen. Über die drei ältesten Bäume der Lebenskraft gelangt man in die Wälder Mirabilis und es ist zurzeit ein Privileg, hier jagen gehen zu dürfen. Normalerweise ist es Menschen wie mir nicht gestattet, an diesen Ort zu kommen. Die Wächter sind stark und sie sind furchteinflößend. Jedoch nicht die Hellsten, um ehrlich zu sein. Es ist ein Leichtes für mich, an ihnen vorbei zu schleichen.

„Zweifelt Ihr etwa an meinen Fähigkeiten, Sir?“ Ich ziehe eines meiner Messer unter meinem Rock hervor, welches an einem ledernem Strumpfband stabil befestigt ist.

„Auf keinen Fall!“, lacht er, weicht zurück und zückt einen Pfeil, dessen metallische Spitze Mondlicht reflektiert und gefährlich aufblitzt. Spielerisch lässt er ihn zwischen den Fingern tanzen, wirft ihn in die Luft und fängt ihn geschickt wieder auf. „Schon an deinen Wurffähigkeiten gearbeitet?“

Ich weiche seinem Blick aus, mein Lächeln erstirbt und ich stecke mein Messer zurück an seinen sicheren Platz. Der Wind frischt auf und die Gräser beugen sich immer weiter, während die Blätter der Bäume rauschen und zu glühen beginnen.

„Hey …“, er kommt näher, versucht mich zu berühren.

„Nein, Will.“ Ich trete an den Waldrand und sehe zu, wie immer mehr Blätter und Nadeln zu glühen beginnen, wie sich leuchtende Wesen zwischen den Ästen bewegen und die geflügelten Diener der Herzogin in glitzerndem Weiß beginnen, ihre Lieder zu summen. „Mir ist nicht wohl dabei, auf etwas Lebendes zu zielen. Nicht einmal bei der Jagd.“

„Du bist gut. Sehr gut. Du könntest am Hof der Herzogin wachen. Du kannst es an die Spitze schaffen.“

„Und du? Du ziehst ans Schloss und wirst wahrhaftig erster Krieger der Königin. Und dann? Sehen wir uns nie wieder?“ Wütend gebe ich ein Schnauben von mir. „Ich will auch ans Schloss. Ich will der Königin dienen, nicht der hinterlistigen Herzogin.“

„Ach, Geneviève.“

„Nein. Es wird kommen, wie Turquoise prophezeit hat.“ In der Ferne höre ich das Jaulen der Wölfe, vermischt mit dem Gesang der Feen. „Selbst sie“, ich deute auf die kleinen, summenden Wesen mit weißer Haut und silbernem Haar, „bezeichnet Herzogin Jade schon als ihre Diener. Obwohl Feen niemandem dienen sollten, außer der Natur.“

„Du magst recht haben. Aber das wird niemanden interessieren. Keiner wird …“ Ich unterbreche ihn, beachte seinen Einwand nicht, spreche einfach weiter. „Sie plant einen Hinterhalt gegen das Königshaus. Sie will die Familie stürzen, will die Schwäche der Königin ausnutzen, die durch den Tod von König Julius den gesamten Planeten Mirabili erschüttert.“ Mein langes, dichtes Haar wird mir ins Gesicht geweht und die Feen kreischen erzürnt auf, während eine heftige Böe die Baumkronen schüttelt, als würde der Wettergott meine Worte unterstreichen wollen.

„Du siehst Gespenster …“, wirft Will ein.

„Mag sein!“, wiederhole ich seine Wortwahl und schaue ihn an. Seine große, schlanke Gestalt wirft unheimliche Schatten. Doch sein Gesichtsausdruck ist so weich, so mitfühlend. „Muss es nicht wenigstens einen geben, der der Wahrheit ins grässliche Antlitz blickt?“

„Menschen und ihre Emotionalität“, murmelt er, streicht mir das Haar aus dem Gesicht, was seine Worte abmildert. „Es wird zu keinem Krieg kommen. Es wird alles bleiben, wie es ist“, verspricht er.

„Wird es nicht. Selbst wenn die Herzogin es nicht wagt … Selbst wenn. Du gehst fort und ich … Ich habe niemanden mehr.“ Menschen ist es nicht erlaubt, der Königin zu dienen. Selbst wenn ich das Zeug dazu hätte – was ich definitiv habe – würde es unmöglich bleiben. Gerade junge Frauen werden nicht wirklich ernst genommen, wenn sie dir ihr Messer an die Kehle halten. In Wills Adern jedoch fließt das magische Blut seiner Urahnen. Eines Tages wird er Magier sein und seine Fähigkeiten am Bogen werden sich optimieren und ihn zu einem gefährlichen Krieger machen. Oder vielleicht ist es ihm auch bestimmt, zum Wesen der Nacht zu werden. Dann wird er mit den Schatten verschmelzen, schnell wie der Wind sein und stark wie ein drei mannshoher Bär. Oder er wird des Fliegens mächtig und zusammen mit einem Pegasus den Himmel über Mirabili beherrschen … Ihm sind keine Grenzen gesetzt. Im Gegensatz zu mir.

„Das wird sich nicht vermeiden lassen … Die Hexen haben bereits entschieden“, antwortet er und blickt ins leuchtende Dickicht. Auch über mein Schicksal haben sie ebenfalls bereits gerichtet. Mir ist es erlaubt, die Messer als Waffen zur Verteidigung meiner selbst oder eines magischen, höheren Wesens einzusetzen. Eigentlich eine Ehre, denn die meisten Mädchen dürfen nicht mit Waffen hantieren, erst recht nicht, wenn sie menschlicher Abstammung sind. Die meisten Frauen werden Hebamme, oder Bäckerin, oder Floristin. Manchmal auch Hüterin von Fabelwesen. Früher wollte ich immer Einhörner reiten können.

„Vermutlich werden wir uns trotzdem irgendwann wiedersehen. Mich würde es nicht wundern, wenn du es doch irgendwann bis ins Schloss schaffen solltest“, flüstert er mit einem Lächeln.

„Das ist lächerlich.“

„Also lehnst du es gänzlich ab, über die Herzogin zu wachen?“ Resigniert versucht er, meinen Blick zu halten.

„Wie von vornherein geplant.“

„Was wirst du sonst tun?“ Verzweifelt packt er mich an den Oberarmen und ich bin schließlich gezwungen, den Blick seiner abgrundtiefen, besorgten Augen zu erwidern. „Das wird die Zukunft zeigen. Jetzt lass uns endlich jagen gehen, Will.“ Ich schüttele seine Hände ab und lasse mich vom Grün des Waldes verschlingen.











Mirabili

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