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Drei Jahre später

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J A R E D

Der silbernste aller Monde. Ich denke an diesen, den hellsten, den kühlsten, wenn ich sie sehe. Ich denke an die tiefschwarze Nacht, die sie umgibt wie ein edler Umhang. Die im kompletten Kontrast zu ihrem hellen Schein steht. Ihre Augen, klar, tief. Sie scheinen zu strahlen, wann immer man ihren Blick auffängt. Ihr Haar, so hell und lang. Die Art, wie sie es trägt. Glatt, seidig. Ihre Haut, wie Porzellan. Weich, wie weiße Rosen und mit demselbigen Duft.

Der silbernste Mond scheint kühl und einsam in der dunklen Nacht, weit abseits seiner anderen Geschwisterplaneten. Wie sie, sie ist kühl und einsam in der Dunkelheit des Alltags. Die zähe Trägheit des Alltags. Das Grauen der täglichen Lasten und Sorgen. Das Elend ihrer Menschlichkeit.

Ich will sie ansprechen. Ich will ihre Stimme hören. Ich will sie zum lächeln bringen. Doch ich tue es nicht. Ich tue es nicht, aus Angst, meine eigenen Erwartungen könnten sich nicht erfüllen. Aus Angst, ich würde einen Schein zerstören, den ich mir selbst aufgebaut habe. Den ich mir selbst herbei fantasiert habe.

Sie ist meine Konstante, der tägliche Lichtblick. Meine Dosis an Glück.

„Die blauen kosten Euch etwas mehr, Lisbeth“, sagt sie sanft und reicht einer alten Dame einen Strauß mit wunderschönen Blumen in der Farbe von Saphiren.

„Aber Kindchen, es ist der Hochzeitstag meiner Enkelin. Macht mir ein faires Angebot und ich werde Euch beim nächsten Einkauf zwei Hühner dazu schenken.“ Das alte Mütterchen mit den glasigen Augen und dem herzlichen Lächeln diskutiert nun schon beinahe den ganzen Vormittag mit ihr um einen Preis für die Blumen. Sie, mit ihrem Strahlen, ihrer Präsenz einer Göttin, umgeben von Blumen und Kräutern jeder Art, verkauft jeden Vormittag ihre Ware auf dem Markt der Magierinnen. Wie auch immer sie es geschafft hat, sie hat sich einen Namen gemacht zwischen all den Hexen und Zauberinnen. Sie, ein gewöhnliches Mädchen menschlicher Abstammung, zwischen all den magischen Gestalten, die normalerweise allem Ungewöhnlichen den Rücken kehren und bekannt sind, für ihre Intoleranz.

„Um Himmelswillen, wie oft muss ich Euch noch sagen, dass Ihr hier nichts verloren habt“, krächzt eine alte Hexe hinter mir und verschleiert mir mit einem Zauber die Sicht zu dem Menschenmädchen. Etwas erschrocken wende ich mich ihr zu und senke respektvoll den Blick. „Ich bin im Auftrag der Herzogin hier. Vergebt mir, falls ich Euch gestört habe bei … Euren Geschäften.“ Es ist die Älteste. Ihr Haar reicht bis zum Boden, sie geht geduckt und ihre Augen sind nichts weiter als zwei schwarze, kleine Punkte in einem Gesicht voller tiefer Falten. Man sagt, sie sei älter als der Planet Mirabili selbst. Wie auch immer das möglich sein soll.

„Die Aufträge der Herzogin interessieren mich nicht, hört auf hier herumzulungern wie ein streunender Köter. Oder muss ich Euch tatsächlich erst in einen verwandeln?“

Ich spanne mich unter dem Leder meiner Kleidung an, werfe einen raschen Blick in die Richtung des Mädchens, doch sie scheint viel zu sehr mit der Standhaftigkeit des Mütterchens beschäftigt zu sein, als ihre Aufmerksamkeit in meine Richtung zu lenken. „Es tut mir aufrichtig leid, ich werde Euch nicht mehr das Gefühl geben, irgendjemanden zu belästigen.“ Mit diesen Worten werde ich eins mit dem Treiben auf dem Markt, versinke in der Menge und gebe mich meinen Gedanken hin.

Ich hege keinen Groll gegen meine Herzogin. Ich führe ihre Aufträge aus. Ich tue nichts weiter, als ihren Aufforderungen zu folgen.

Immer wieder rede ich mir das ein. Immer und immer wieder.

Es ist meine Pflicht, das Mädchen zu observieren. Ich tue das als erster Krieger der Herzogin. Ich tue das für die Allgemeinheit. Ich tue es nicht aus eigenem Willen. Doch. Ich tue es aus dem Willen, meiner Herzogin zu dienen. Das ist es. Und nur das. Nichts weiter.

Ich gebe ein leises Knurren von mir, als ich an ihre Worte denke ...

„Wir müssen dafür sorgen, dass sie isoliert bleibt. Allein lebt. Und, bei allen Monden – achte darauf, dass sie in ihrem Leben nicht den Hof der Königin auch nur von der Nähe sieht.“

Auch wenn Gesagtes der Herzogin nie hinterfragt werden darf, tat ich es dennoch: „Was wird passieren, sollte es trotzdem geschehen? Was, wenn ich es nicht schaffen sollte ...“

Ihr Blick war schneidend geworden, so scharf wie mein eigenes Schwert. Zerschmetternd. Unheilvoll. „Du wirst es nicht dazu kommen lassen, Jared. Diese Sache wird sonst zur Gefahr – und zwar für den gesamten Planeten!“ Worte, die keinen Widerspruch zulassen. Worte, denen man nicht ausweichen kann. Wie Giftsporen, die sich langsam in die Haut fressen.

Ich hatte es damals dabei belassen. Nicht nachgefragt, wieso ich das Mädchen nicht gleich umbringen soll. Und heute bin ich dankbar dafür, auch wenn ich es niemals laut aussprechen würde. Etwas in mir hat sich verändert. Etwas in mir fühlt Schmerz und Abscheu vor mir selbst. Da ist diese … Angst. Angst, diesem zarten Mädchen auch nur eines ihrer seidigen Haare zu krümmen. Angst, sie könnte mich mit ihren ungewöhnlich großen Augen ansehen, während ich mein Schwert gegen sie erhebe. Angst, sie schreien zu hören. Ihr Schmerzen zuzufügen. Sie tatsächlich … zu töten.

Ich versuche mir seit Monaten das Gegenteil einzureden. Ich versuche seit Monaten, diesen Gefühlen auszuweichen, sie abzustellen, wie sonst immer. Ich versuche, nur den Befehl der Herzogin zu sehen, an aller erster Stelle. Doch der physische Schmerz, der durch meine Gefühle ausgelöst wird, droht mich zu ersticken und da ist nur dieser eine Gedanke: Ich observiere sie nicht, um den Planeten vor ihr zu beschützen. Ich beschütze sie vor dem Planeten. Ich beschütze sie vor der Herzogin. Ich beschütze sie, damit es mir besser geht und beobachte sie nicht mehr, um der Herzogin willen.

Ich observiere sie, weil ich keinen Tag mehr überstehen kann, ohne ihr Gesicht zu sehen und diese bittere Wahrheit bringt mich fast um. Diese Erkenntnis bringt mich ins Grab, dessen bin ich mir bewusst, weshalb ich eine unheilvolle Entscheidung treffen muss.

G E N E V I È V E

„Er ist wieder da, der dunkle Schatten. Ich sehe ihn ganz deutlich, im Schein der Sonne“, zische ich Turquoise zu. Die kleine Halbelfe blinzelt gegen das helle Licht, während sie an einem Bund Rosen zupft. „Ich kann nichts sehen, Geneviève.“

„Dort ist ein Schatten, obwohl nichts Schatten werfen dürfte.“ Ich zeige unauffällig auf den schwarzen Punkt in der Menge.

„Das ist unheimlich. Hör auf, so zu reden.“

„Eine Kälte, die mich bis hier hin erreicht ...“

„Vièvi! Mit deinem düsteren Geschwafel vertreibst du uns die Kundschaft.“ Turquoise ist die erste, die einst den vermeidlichen Verrat der Herzogin vorausgesehen hat. Sie ist halb Mensch, halb Elfe und besitzt die Fähigkeit, die Zukunft voraus zu ahnen. Aus dem Grund wird, beziehungsweise wurde, sie als Orakel bezeichnet. Das, ihr türkisfarbenes Haar und die spitzen Ohren sind der einzige Verweis darauf, dass ihre Mutter eine Elfe ist. Ihr Herz und ihr Mitgefühl jedoch sind rein menschlich, genauso wie ihre Impulsivität und ihre Stimmungsschwankungen.

Ein Jahr ist es jetzt her, seitdem Will gegangen ist, um der Königin zu dienen. Drei Jahre, in denen der Frieden gewahrt wurde und selbst ich meine Skepsis der ungewöhnlichen Ruhe gegenüber beinahe verloren habe, seitdem Turquoise den Krieg prophezeit hatte. Das ist auch der Grund, weshalb Turquoise an ihren Fähigkeiten zweifelt und sich schon lange nicht mehr auf ihre Magie einlässt. Seitdem versucht sie jeglichem Ungewöhnlichen keine Beachtung mehr zu schenken. „Vielleicht bin ich doch mehr Mensch als Elfe“, seufzt sie oft vor sich hin und der Klang bitterer Enttäuschung schwingt jedes Mal in ihrem Tonfall mit. „Und das ist eher gut als schlecht“, versuche ich sie dann zu ermutigen.

Jedenfalls bin ich meinen Prinzipien treu geblieben und habe tatsächlich auf den Dienst der Herzogin verzichtet. Auf dem Markt der Hexen verkaufe ich Blumenkränze, Sträuße und manchmal sogar Heilkräuter, zusammen mit Turquoise. Ich bin keine Magierin und nicht in der Lage dazu, die Wirkung der Kräuter zu intensivieren. Trotzdem mache ich akzeptablere Preise als die Hexen und meine Gesellschaft ist auch um einiges angenehmer … Es war nicht einfach, hier verkaufen zu dürfen. Die Hexen sind die älteste aller Gattungen von magischen Wesen auf Mirabili. Sie folgen strengen Traditionen und sind eher dazu gezwungen uns Menschen auf ihrem Planeten zu akzeptieren, als uns wirklich zu tolerieren. Doch die Älteste scheint einen Narren an mir gefressen zu haben, wie Turquoise immer so schön sagt. Einst sah sie, wie ich die Wächter des Baumes ganz ohne Magie zu überlisten weiß, um im Wald jagen gehen zu können. Hexen ist es, genauso wie uns Menschen, nicht mehr erlaubt den Wald zu betreten. Die Herzogin verabschiedete dieses Gesetz aus Angst, wir könnten die Wälder einnehmen und uns so gegen sie auflehnen. Die magischen Wälder waren das ursprüngliche Heim der Hexen, ihre Zufluchtsstätte und gleichzeitig der Ort von stärkster Magie, da sie ihre Macht aus den Bäumen ziehen. Um diese Macht einzuschränken verbot die Herzogin allen Hexen den Zutritt zum Wald. Den Menschen verbietet sie allgemein so gut wie alles, ohne jeglichen Grund. Aber man vermutet, sie traue uns „ungehobelten Bestien“ die Zerstörung des Waldes zu und würde uns deshalb den Zugang verbieten. Angeblich um den Wald zu schützen.

Jedenfalls stehen die Hexen seither mit der Herzogin auf dem Kriegsfuß und die Älteste war beeindruckt von meinem Mut, den Wald dennoch zu betreten. Ich bringe ihr Kräuter und Wurzeln von dort mit, die nirgendwo anders auf Mirabili zu finden sind und darf im Gegenzug dazu auf ihrem Markt meine Waren verkaufen.

„Du schwebst wohl in Gedanken an deinen Schatten?“, zieht die Halbelfe mich auf.

„Und du wünschtest dir wohl, die Kunst des Schwebens zu beherrschen“, kontere ich trocken. „Die blauen kosten Euch etwas mehr Lisbeth“, gehe ich dann auf das alte Mütterchen ein, das schon den ganzen Vormittag versucht, die Gestecke zu einem viel zu niedrigen Preis zu ergattern.

„Du bist heute wieder ausgesprochen witzig“, zischt Turquoise mir zu, lächelt aber belustigt und verdreht die Augen.

„Aber Kindchen, es ist der Hochzeitstag meiner Enkelin. Macht mir ein faires Angebot und ich werde Euch beim nächsten Einkauf zwei Hühner dazu schenken.“ Sie sieht mich aus liebevollen Augen an.

„Das Angebot habe ich schon vor einer Stunde ablehnen müssen“, erwidere ich bedauernd. „Wenn ich könnte, würde ich sie Euch schenken. Aber leider sind die Zeiten schlecht.“

„Wann waren sie denn jemals gut“, murmelt Turquoise hinter mir. Wo sie recht hat, hat sie recht.

J A R E D

Diesmal sehe ich den Mond am Himmel und denke an sie ... Bilder von ihr und saphirblauen Rosen tauchen vor meinem inneren Auge auf. Wie sie lächelt. Wie sie die Augen verdreht, als die dünne Elfe mit dem Namen Turquoise ihr etwas zuflüstert. Doch dazu leider auch Bilder von ihr aus meiner schlimmsten und düstersten Vorstellung, wie ihr lebloser zarter Körper blutverschmiert vor mir liegt … Mein Schwert, das ihr im Rücken steckt. Ich atme zitternd aus und spanne mich an. Nicht daran denken. Nicht daran denken!

Die Nacht ist schneller eingebrochen, als mir lieb ist, doch ich habe eine Entscheidung gefällt. Eine Entscheidung, die ich längst hätte fällen müssen, beim Namen meiner Herzogin. Mit großen Schritten rausche ich durch das hohe Gras über die Lichtung, auf der ihr kleines Haus steht.

Langsam pirsche ich mich nun an der südlichen Hauswand entlang, darauf bedacht keine Schatten im Mondlicht zu werfen. Ich strenge meine Sinne an und höre das Mädchen leise und gleichmäßig im inneren des Hauses atmen, sauge ihren Geruch nach Rosenblättern, Lavendel und Sommerregen in meine Lungen und schließe die Augen. Sie schläft offensichtlich. Als ich ausatme und die Augen wieder öffne, bin ich eins mit der Dunkelheit. Durch das Schlafzimmerfenster kann ich sie in ihrem Bett liegen sehen. Ihre Lippen sind leicht geöffnet und ihr blondes Haar ergießt sich über das gesamte Kissen. Ich stelle mir rotes Blut vor, im Dunkeln fast schwarz, wie es ihre weißen Bettlaken tränkt. Schon wieder von einem Zittern erschüttert halte ich mich am Fensterrahmen fest. Wie kann es sein, dass mein Bewusstsein derart abstoßend auf den Gedanken des Tötens reagiert? Das ist es doch, was mich ausmacht! Was mich prägt. Was ich bin. Ich bin ein Mörder. Ich bin ein Krieger. Ich bin ein Mann der Schatten und der Dunkelheit, ich fürchte das Töten nicht. Ich genieße es.

… Ich tue das Richtige. Es ist meine Pflicht, das ist meine Aufgabe. Mein Leben. Ich muss nicht nur, ich will es. Ich tue alles, was die Herzogin verlangt. Ewige Treue, das habe ich geschworen. Auch wenn meine Aufgabe nicht darin besteht, diesen Menschen zur Strecke zu bringen, bleibt mir dennoch keine andere Wahl. Ich werde meine absurden Gefühle zusammen mit diesem erbärmlichen, kleinen Leben ein für alle Mal auslöschen.

Mein Puls schwillt an, meine Atmung wird flacher, meine Sicht schärfer und meine Instinkte gleichen nun denen eines Raubtiers. Schnell habe ich die Tür erreicht. Angespannt drücke ich dagegen. Sie ist offen. - Mir wird mulmig. Wie leichtsinnig von ihr! Leise Wut ergreift mich. Sie sollte wirklich besser auf ihre Sicherheit acht geben. - Zum Teufel, nein!, besinne ich mich und ehe ich überhaupt diesen schwächlichen Gedanken zu Ende führen kann, zucke ich durch ein eigens von mir verursachtes Geräusch zusammen. Ein Windspiel, direkt über der Tür. Was ist nur los mit mir? All meine Jagdinstinkte sind mit einem Mal wieder eingestellt. Ich runzele die Stirn, bin verwirrt. Das hat sie geweckt. Oder? Sie hat bestimmt einen leichten Schlaf. Ob das Windspiel als Alarmanlage dient? Es erfüllt in jedem Fall seinen Zweck. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Ich benehme mich wie ein purer Anfänger! Lasse mich von einem Windspiel aus der Bahn bringen und mache Lärm, sodass sie vermutlich aufwacht. Wütend beiße ich die Zähne zusammen. Nun, dann eben der schnelle, laute Angriff. Das wird kein Leichtes. Ich kann mich kaum mehr auf meine Sinne konzentrieren, da tausende von Fragen in mir aufkeimen, als ich eine Bewegung aus dem Schlafzimmer wahrnehme. Was tue ich, wenn sie mich angreift? Ob sie ihre Messer bei sich hat? Ist sie vielleicht doch die Gefahr, von der die Herzogin gesprochen hat? Aber könnte ein so harmlos aussehendes Menschenmädchen denn je jemandem wie mir überhaupt ansatzweise gefährlich werden?

„Stehen bleiben, oder diese Messer treffen erst Euer Herz und dann Eure Kehle! Und glaubt mir, ich bin mehr als nur fähig dazu!“, wirft sie mir ihre Worte entgegen, wie kalte Blizzards. Das beantwortet zumindest schon einmal einen Teil meiner Fragen. Doch dann sehe ich ihre kleinen Hände, fest um die Griffe zweier Messer geschlungen, wie sie sie aus dem Schatten in der Ecke ins Mondlicht streckt. Mir entfährt sofort ein Lachen, so dünne Arme können gar nicht gefährlich sein. Sie hätte nicht einmal die Kraft, eines dieser Messer zu werfen. Wie will sie dann mit zweien gleichzeitig hantieren? - Das ist der Moment! Ich sollte sie an diesen kleinen, zarten Armen packen. Schneller, als sie realisieren kann. So fest zudrücken, dass sie diese Spielzeugmesser fallen lässt und dann sollte ich dem ganzen Spiel ein Ende setzen. Dann wäre ich frei von diesen lächerlichen Fantasien und der Besessenheit von ihr. Diesem ständigen Drang bei ihr zu - … Verdammt! - sei ihr Geruch, der mich erreicht. So lieblich und süß, überrollt mich und hüllt mich ein, schneidet mir den Gedankengang ab. Mein Kopf ist wie leergefegt.

„Mir wurde schon gesagt, Ihr würdet mir drohen ...“, entfährt es mir. Wieso spreche ich? Wieso greife ich nicht an? Meine Beine sind zäh, wie versunken im Morast des großen Waldes.

„Was wollt Ihr in meinem Haus?“ Es ist merkwürdig, ihre Stimme aus der Dunkelheit zu hören. Ihre Stimme, hübscher als die der Feen. Ich will sie sehen … Nur um besser abwägen zu können, wie ich sie packen kann, natürlich!

„Ich bin im Auftrag der Herzogin gekommen, Geneviève.“ Ich spreche schneller, als ich denken kann. Was um alles in der Welt gebe ich hier von mir? Ich sollte mir mein eigenes Schwert in den Leib rammen.

„Warum flüstert Ihr?“, fragt sie und ihre Stimme zittert leicht. Wenn man sie nicht kennen würde, würde man ihr die Nervosität nicht anmerken. Doch da ich sie wahrscheinlich öfter habe reden hören als jeder andere Mirabilis, höre ich das kleine Zittern ganz deutlich.

Ich flüstere, um Euch nicht zu verschrecken, will ich sagen. Damit niemand hören kann, wie ich Euch töte, müsste ich sagen und: „Ihr wohnt hier allein, nicht wahr?“, sage ich stattdessen, was vollkommen überflüssig ist, da ich die Antwort natürlich bereits kenne.

Ohne auf diese Frage einzugehen tritt sie nun endlich aus dem Dunkel ins Mondlicht und mir stockt der Atem, wie so oft bei ihrem Anblick. Ihre klaren Augen mustern mich von oben bis unten und sie hält die Messer gezückt, was mich immer mehr amüsiert. So ein kleiner Mensch kann gar nicht gefährlich sein. Meine Glieder werden schwächer und ich schaffe es kaum noch, aufrecht zu stehen. Ob sie doch eine Hexe ist? Ist das Magie? Ein Fluch? Was tut sie mir an!

„Wie nennt Ihr Euch?“, fragt sie, nun schon etwas mutiger und mit erhobenem Haupt.

„Jared. Mein Name ist Jared. Ich bin erster Krieger der Herzogin.“ Und ich werde dir deine zarte Kehle aufschneiden, schneller noch als du überhaupt in Erwägung ziehen könntest, deine Messer nach mir zu werfen. Was ich allmählich tun sollte, da ich es nun endgültig geschafft habe, jegliche Anonymität zunichte zu machen.

„Was Ihr nicht sagt.“ Ihre Lippen zucken und sie legt den Kopf schräg, wodurch ihr unendlich langes Haar ihr auf der rechten Seite beinahe bis zur Hüfte reicht. Ein silberner Wasserfall, der ihre Kurven umgibt, an ihnen entlangfließt und ihnen schmeichelt.

„Was starrt Ihr mich so an?“, zischt sie und tritt wieder einen Schritt zurück. Verunsichert ziehe ich die Augenbrauen zusammen. Was soll ich sagen? Ich bin kein Mann großer Worte, dafür umso größerer Taten. Ich bin ein Mann, der sich von Schattenwesen, Riesen, wilden Tieren, Trollen und monströsen Gestalten nicht im Ansatz verunsichern lässt. Doch da stehe ich nun. Vor einem kleinen Mädchen mit großen Augen, deren Farbe sich kaum deuten lässt und ich fürchte mich. Oh, und wie ich mich fürchte! Aber nicht vor ihr, nein. Ich fürchte mich vor mir selbst und davor, wie sie mein Unterbewusstsein berührt.

Verdammt sollt Ihr sein, Jade.

Ich schließe die Augen und greife mit meiner finstersten Magie nach ihrem reinen Herzen. Sie lässt die Messer fallen und mit dünner Stimme entfährt ihr: „Was tut Ihr da?“ Ohne an meinen eigenen Schmerz zu denken, den ihr verzerrter Gesichtsausdruck bei mir hervorruft, lasse ich meine düstersten Energien in ihren warmen Körper fließen und spüre, wie ihr Herzschlag immer langsamer wird. Ich brauche sie nicht einmal berühren. Es geht ganz schnell. Noch ein paar Sekunden und sie ist tot. Ein paar Sekunden. Es geht schnell. Schnell …

„Du … Du bist ...“, krächzt sie. Ich halte ein, es geht nicht anders, ich versuche sie zu verstehen. „Der … Schatten.“

Zu spät. Es ist zu spät. Die Magie verblasst schon wieder. Ich habe mich ablenken lassen. Meine einzige Möglichkeit ist verstrichen. Ich bin eingebrochen, unter ihr. Ich habe versagt. „Was bin ich?“, hauche ich und falle neben ihr auf die Knie. Will sie halten, sie wärmen. Diese furchtbare schwarze Magie, die ich ihr angetan habe zurücknehmen. Will ihr nie wieder etwas antun. Will sie beschützen, vor mir selbst.

„Du bist mein Schatten.“

Und da wird es mir klar. Sie weiß genau, wer ich bin und wie lange ich sie schon beobachte.

G E N E V I È V E

Ich werde tief in der Nacht von einem Geräusch geweckt. Es hört sich an, als wäre eine Böe durch das Windspiel gerauscht, welches aus kleinen Scherben und Muscheln besteht und am Hauseingang hängt. Doch ich weiß genau, dass es vollkommen windstill ist. Ich fahre hoch und greife unter mein Kissen nach meinen Messern, halte die Luft an und tauche in den Schatten ein, den mein hoher Kleiderschrank im Mondlicht wirft.

Schwere Schritte auf dem Korridor lassen mich erzittern. Da treibt sich jemand in meinem Haus herum, ganz offensichtlich! Und das nicht einmal darum bemüht, leise zu sein. Eine hohe Gestalt betritt das Schlafzimmer und schaut sich suchend um. Ich erkenne schemenhaft, dass es sich um einen Mann handeln muss. Auch das noch.

„Stehen bleiben, oder diese Messer treffen erst Euer Herz und dann Eure Kehle! Und glaubt mir, ich bin mehr als nur fähig dazu!“, donnere ich aus meinem dunklen Versteck und halte die Klingen abwehrend vor mir ausgestreckt. Ich nehme ein leises, verächtliches Lachen wahr, was meine Gewaltbereitschaft nur noch mehr provoziert.

„Mir wurde schon gesagt, Ihr würdet mir drohen ...“ Seine Stimme klingt heiser und tief, ein bisschen angsteinflößend.

„Was wollt Ihr in meinem Haus?“, zische ich und wage es nicht, ins Licht zu treten.

„Ich bin im Auftrag der Herzogin gekommen, Geneviève.“ Das wird ja immer besser. „Warum flüstert Ihr?“, ich denke, ich klinge klar und gefasst, doch mein Herz rast.

„Ihr wohnt hier allein, nicht wahr?“, da er jetzt laut spricht, komme ich in den Genuss des schmeichelnden Klangs seiner ungewöhnlichen Stimme. Das ist wohl genau das, was ein Fremder nicht wissen sollte, wenn er nachts bei dir einbricht. Langsam trete ich nun doch hervor und mustere den Mann in meinem Zimmer von oben bis unten. Lederne Weste, dunkle Hosen. Das Gewand eines Kriegers, ein Gürtel mit Waffen und besonders auffällig ist das lange Schwert an seiner Hüfte. Das Wappen des Herzogtums in Form einer Brosche ziert den Kragen seiner Weste. Zarte Flügel und ein gebogener Säbel, der sich schützend über sie legt. Was für eine Ironie, wenn man bedenkt, dass die Herzogin selbst sich für den Schutz der Feenwesen einzusetzen hat und diese aber seit Jahren als ihre Diener versklavt. Das Haar des Mannes ist dunkel und reicht ihm vermutlich bis zur Schulter, weshalb es hinten im Nacken zusammen gebunden ist. Seine Augen sind einschüchternd blau, im Mondlicht wie flüssiger Türkis und er trägt den Ansatz eines Bartes, was seinen markanten Kiefer noch härter aussehen lässt. „Wie nennt Ihr Euch?“, frage ich bestimmt und nehme weiterhin eine abwehrende Haltung ein, meine Messer gezückt.

„Jared. Mein Name ist Jared. Ich bin erster Krieger der Herzogin.“

Ich wusste es. „Was Ihr nicht sagt.“ Weiterhin skeptisch mustere ich diesen einschüchternden Mann. Dann ist ihm nicht zu trauen. Es ist allseits bekannt, dass Kriegern der Herzogin stets das Blut Unschuldiger an den Händen klebt. Das war auch der Grund, weshalb ich mich dagegen entschieden habe, ihren kleinen Machtspielchen beizutreten und sie zu unterstützen.

Der Krieger, Jared, blickt mich unentwegt an und steht steif wie eine Salzsäule vor mir. Beinahe wie ein Geist, bewegt sich nicht und seine Augen fesseln mich im Mondlicht dieses kleinen Zimmers und ich fühle mich erdrückt, spüre einen Druck auf der Brust. Ein Verlangen danach, dieser Situation zu entkommen. Ihm zu entkommen. Ich möchte wegrennen, möchte fliehen.

„Was starrt Ihr mich so an?“ Meine Stimme ist scharf und voller Misstrauen. Der Krieger scheint verwirrt, verzieht das Gesicht, was ihn irgendwie menschlicher aussehen lässt. Ist er nicht! Er ist nicht menschlich, er ist in erster Linie gefährlich! Doch dieser Moment der Unsicherheit reicht aus, dass meine Hände wie von selbst nach unten sacken und die Messer scheppernd auf den Holzdielen landen. „Was tut Ihr da?“, keuche ich und sinke zu Boden. Eine unendliche Kälte legt sich um mein Herz, drückt zu und nimmt mir die Luft. Der Krieger tritt näher, beugt sich über mich wie ein unheilvoller Schatten. Schatten … Schatten! Bilder der letzten Jahre schießen mir wie kleine Rückblicke durch den Sinn. Bilder von dem Schatten auf dem Markt, beim Jagen im Wald, in meinen Träumen, beim Schwimmen am Steinbruch … „Du … Du bist ...“, ich ringe nach Luft, versuche die Worte auszusprechen, doch es kommen nur Fetzen heraus und die Kälte fängt schon zu brennen an, beißt sich in jede meiner Zellen und lässt nicht los. „Der … Schatten.“

„Was?“, stöhnt er und fällt neben mir auf die Knie. Die Kälte wird schwächer, noch immer einnehmend aber ich bekomme wieder Luft. Ich sehe ihn an, direkt in diese unergründlichen Augen und flüstere: „Du bist mein Schatten.“

„Geneviève ...“ Wie er meinen Namen sagt, das jagt mir eine Gänsehaut über den gesamten Körper.

„Woher kennt Ihr ...“

„Es tut mir so leid.“ Er streckt seine Hand nach mir aus doch ich schrecke zurück, presse mich halb auf dem Boden liegend gegen die Wand. Ein völlig fremder Mann, in meinem Haus scheint erst Konversation führen zu wollen, um mich danach umzubringen? Sich dann entschuldigend vor mir auf die Knie fallen zu lassen, das ist so gar nicht die Art, die ich einem stolzen Krieger zugetraut hätte. Erst recht nicht im Auftrag der Herzogin.

„Das ist ein Trick, nicht wahr?“, wachsam drücke ich mich in eine aufrechte Position, mein Blick huscht zu den Messern rechtes neben mir auf dem Boden.

„Bitte? Was?“ Seine Verwirrung nutze ich aus. Blitzschnell greife ich nach meinen Waffen, packe ihn von hinten und halte ihm eine Klinge an die Kehle. Seine Haut ist kalt wie Stein und glatter, als ich gedacht hätte. „Das“, knurre ich dicht an seinem Ohr.

Er zieht scharf die Luft ein und spannt sich an. „Tut das nicht“, warnt er.

„Ich tue, was immer ich will“, erwidere ich trotzig. „Was wollt Ihr wirklich hier? Seid Ihr ein Auftragsmörder?“

„Nehmt das Messer weg.“ Er klingt ganz ruhig. Unheimlich ruhig. Die Stimmungen in diesem Raum scheinen in jeder Sekunde umzuschwenken, genauso wie die Position desjenigen, der die Oberhand gewinnt. Jetzt drücke ich die Klinge noch fester an seinen Hals, doch das scheint ihn herzlich wenig zu interessieren. Mit einer Bewegung die schneller ist als ein Luftzug, haben wir zu meinem Erschrecken die Plätze getauscht. Doch hält er mir keine Klinge an die Kehle sondern seine Hand auf meinen Mund und drückt mich, jetzt stehend, gegen seine harte Brust. „Genau das bin ich, Geneviève – und ich bin hier, um dich umzubringen.“













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