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3. Dogmatik als Darstellung des Glaubens

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Unterscheidung von Theologie und Religion

In der Moderne wurde auf der Grundlage der Unterscheidung von Theologie und Religion die theologische Dogmatik zu einer reflexiven Beschreibung der christlichen Religion. Aufgabe der Dogmatik ist es, das materiale Wesen der christlichen Religion in einem systematischen Zusammenhang zu entfalten und die Identität des Christentums auf eine normative Weise zu bestimmen. Die methodische Grundlage bildet die Unterscheidung von Theologie und Religion. Diese Unterscheidung ist jedoch eine solche, die in der Theologie selbst vorgenommen wird. Sie unterscheidet sich im Interesse an der Selbständigkeit der gelebten Religion von dieser. Gegenüber der altprotestantischen Ineinssetzung von Dogmatik und Religion soll die gelebte Religion vor einer Bevormundung und normativen Abgleichung durch die Theologie geschützt werden ([86]). Die Emanzipation der Religion gegenüber der Theologie, wie sie von der Aufklärung geltend gemacht wurde, nimmt das reformatorische Motiv der Unvertretbarkeit des eigenen Glaubens und der individuellen Aneignung der Glaubensgehalte auf und führt es unter den veränderten soziokulturellen Bedingungen der Moderne weiter. Die theologische Dogmatik wird dadurch zu einer Theorie der Religion, der die Aufgabe obliegt, die Religion im Medium der Wissenschaft zu explizieren.

Der Beitrag der Theologie insgesamt zur Erschließung der religiösen Lebenswelten der Moderne wird in der Gegenwart eher skeptisch beurteilt. Zwar war die Theologie in Europa über mehr als tausend Jahre allein für Thematisierung und Diskussion von Religion zuständig, aber seit der Aufklärung ist ihr dieses Alleinvertretungsmonopol in religiösen Angelegenheiten zunehmend durch Religionswissenschaften, Soziologie und Ethnologie strittig gemacht worden. Aufgrund der konfessionellen Ausrichtung der Theologie traut man ihr in der Gegenwart kaum noch eine unvoreingenommene Analyse der Religion zu. Daher sei den angeblich neutralen Religionswissenschaften die Bearbeitung des religiösen Felds zu überlassen, da Theologen bestenfalls ihren eigenen Glauben bekennen und an diesem auch nichtchristliche Religionen messen. Die Religionsentwicklung der Moderne hat scheinbar dazu geführt, dass die Dogmatik keinen Beitrag zur Aufklärung der Religion leisten könne. Diese Aufgabe sei von nicht-theologischen Wissenschaften zu übernehmen, da sie die Religion wesentlich angemessener beschreiben können als die theologische Dogmatik. Dieser Sicht ist aus mehreren Gründen zu widersprechen. Zunächst hat die theologische Dogmatik die Standortrelativität ihrer Sicht der Religion und ihrer Geschichte seit der Aufklärung in intensiven Methodendiskursen auf einem hohen Niveau reflektiert. Sodann sind auch die nicht-theologischen Beschreibungen der Religion, seien diese nun religionswissenschaftlich, soziologisch oder phänomenologisch, Konstruktionen der Religion und ihrer Binnensicht. Nicht spricht dafür, dass sie angemessener sind als die dogmatische Beschreibung der Religion.

Selbstsicht des Glaubensgeschehens

Wie gestaltet sich nun unter den Bedingungen der Unterscheidung von Theologie und Religion die Bedeutung der Dogmatik für eine konstruktive und angemessene Wahrnehmung der Religion? Um zu einer konstruktiven Erfassung der Religion zu gelangen, muss sich die Dogmatik als eine Beschreibung der Selbstsicht des Glaubensgeschehens verstehen. Auf eine reflexive Weise beschreibt sie den Glauben als das Geschehen des Sich-Verstehens des Menschen als eines endlichen Wesens. Glaube und Religion werden dabei von der theologischen Dogmatik selbst schon als die sich durchsichtige Grundlegung des Selbst verstanden. Mit dem Gottesgedanken beschreibt der sich in seiner paradoxen Struktur verständlich werdende Mensch das Geschehen dieses Sich-Verständlich-Werdens ([87]). Indem die theologische Dogmatik den Glauben expliziert, beschreibt sie das stets inhaltlich bestimmte Geschehen des Sich-Verstehens des Menschen. Auf diese Weise wird die Dogmatik selbst zu einer reflexiven Beschreibung des Geschehens des Glaubens in Form einer begrifflichen Rekonstruktion der Selbstsicht des Glaubensvollzugs als dem Geschehen des Sich-Verständlich-Werdens des Menschen. Die materialen Inhalte der christlichen Religion sind von der Dogmatik als die symbolischen Medien auszuarbeiten, mit denen sich das sich selbst in seiner Tiefenstruktur erfassende und artikulierende Selbst beschreibt. Sie haben keine gegenständliche Funktion, sondern ihre Funktion liegt allein in der Selbstbeschreibung des Glaubens als dem unableitbaren Geschehen des Sich-Verstehens des Menschen. Die Dogmatik als Darstellung der Inhalte der christlichen Religion ist also die Darstellung der in der Religion selbst schon auftretenden Durchsichtigkeit des Selbst im Gottesbezug. Eine solche theologische Dogmatik ist eine reflexive Theorie der Religion. Sie beschreibt in geltungsbezogener Weise das Geschehen des Sich-Verständlich-Werdens des Menschen in der Unbedingtheit und Bedingtheitseines Bezugs auf sich selbst.

Auf diese Weise nimmt die theologische Dogmatik die Entwicklungsgeschichte der Religion in der Moderne auf, die zu einer zunehmenden Innenverlagerung, Vollzugsgebundenheit und Individualisierung der Religion führte, und wird selbst zu einer begrifflichen Theorie der Religion. Als Selbstdarstellung des christlichen Glaubens beschreibt die Dogmatik die Identität des Christentums.

Einführung in die evangelische Dogmatik

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