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4 Augen auf

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4.2.2018

Die Tage fliegen dahin. Vier Mal die Woche pilgere ich zu nachtschlafender Zeit zum Bahnhof und gondle wie der letztklassigste Pamela mit dem Schülerzug nach Klagenfurt. Wo man mich noch vor ein paar Monaten unter Androhung ganz besonders schwerer Strafen aus dem Bettchen scheuchen musste eile ich jetzt völlig frank und frei auf Samtpfoten ins Badezimmer, putze mich gründlich, verzichte lieber auf das Frühstück, weil ich naturgemäß immer etwas verspätet bin und bin auch schon weg.

Es ist früh morgens, die Pendler eilen zum und aus dem Bahnhof.

Dio mio, hier ist ja ganz schön was los! Die Cafés und Stehbars sind überfüllt. Verkehrsinfarkt vor und um den Hauptbahnhof. Auch der Zug nach Klagenfurt ist voll, aber ich habe bisher immer noch einen Platz bekommen. Wer wird es wagen einem feschen, jungen Mädchen den Sitzplatz streitig zu machen?

Ich sehe mich um. Viele Leute lesen die Zeitung.

Die Arbeiterklasse liest das Kleinformat. Die Angestellten lesen auch das Kleinformat. Die Beamten lesen ein Mittelformat. Die Schüler lesen, wenn sie nicht ihre Aufgaben noch schnell abschreiben, Comics. Die Studenten lesen das Kleinformat und manchmal auch ganz großformatige Blätter, die so dick sind, dass der Leser sie unmöglich als Gesamtausgabe in den Händen halten kann. Manche lesen Wochenzeitungen, die immer im Kleinformat sind, was offensichtlich praktischer ist. Die Wochenzeitungen unterscheiden sich je nach Blattlinie durch schmälere und umfangreichere Ausgaben, die Klatschblätter pflegen den Hochglanz, die seriöseren Magazine sind optisch eher unauffällig.

Keines von allen habe ich mir bisher gekauft, geschweige denn im Kaffeehaus oder der Studentenkneipe gelesen, ich bin auch bisher noch nicht auf die Idee gebracht worden, dass man/frau Zeitungen auch in Lokalen gratis lesen kann.

Ein Buch hat bisher noch niemand gelesen, ich übrigens auch nicht. In der Öffentlichkeit ein Buch zu lesen scheint nicht schicklich zu sein.

Der Zug hält idiotischer Weise nicht in Uninähe sondern fährt bis zum Hauptbahnhof durch und ich muss wieder den Bus zurücknehmen, was noch idiotischer, weil nicht nur Zeit-, sondern auch Kostenintensiv ist.

Der Bus ist überfüllt. Es ist so voll, dass es unmöglich ist die Zeitung zu lesen, bzw. an den Zeitungen anderer mitzuschnorren, dafür wird man/frau unerlaubter Weise überall betatscht.

Der Bus stoppt. Alle raus. Uff geschafft, endlich bin ich an der Uni.

Ich bin jetzt drei Wochen am Campus und es wird Zeit sich nach einem oder mehreren Liebhabern umzuschauen, man/frau kann nicht ewig von einem erfolgreichen Sexsommer zehren, das ist allgemein verständlich und überall bekannt.

Außerdem muss es, Gott behüte, nichts fixes sein, ich bin sicher noch ein paar Jahre an der Uni.

Es ist Donnerstagmorgen, ich bin wieder im überfüllten Bus, da fällt mir ein großer, dürrer mit Lockenkopf auf.

Eines ist klar: er ist nicht von hier und, ich kann es kaum glauben, er liest ein Buch.

Die Stielaugen fahren aus. Der Röntgenblick wird aktiviert.

?

Noch ist nicht zu erkennen was er liest.

Ich pirsche mich näher ran.

?

Das Buch scheint der Form und Farbe nach nicht von hier zu sein.

Merke 1.1.: entweder nicht deutschsprachig, oder

Merke 1.2.: so ein Schund, dass mir diese Art von Trivialliteratur noch nicht untergekommen ist.

Merke 1.3.: bisher habe ich mich sechs lange Jahre durch die Pflichtlektüre gebissen und besitze überhaupt keine Kenntnisse der deutschsprachigen Literatur, außer dem Mist, den man/frau uns im Gymnasium eingetrichtert hat.

Zugegeben, das eine oder andere Buch war gar nicht so schlecht, immerhin habe ich dort meinen ersten Hemingway gelesen und Arthur Miller haben sie mal im Kellertheater im Rathaus gespielt, das war auch ganz gut, aber sonst? Hesse zum Beispiel, mit seinen Schwarten kann man/frau sich nicht einmal den Arsch abwischen und Brecht, tja Brecht, bei dem ist es kein Wunder, dass Torberg und Weigel ihn schleunigst wieder hinter den eisernen Vorhang loswerden wollten. Ihr versteht was ich meine, dieser undurchlässige Vorhang hängt nicht im Theater.

Torberg und Weigel: wenn ich ehrlich bin, habe ich auch keine Ahnung was die beiden so machen, aber wer gegen Brecht ist, der ist okay, ein aufrechter Bürger und auf Seiten der Amerikaner, denn die Amis stehen für Elvis und Rock’n Roll, für Cola und Nutella und für gute amerikanische Filme und dieser Brecht ist nur ein Langeweiler, der stinkmoralische Theaterstücke verfasst hat um irgendwelche Weiber von der Bühne flachzulegen.

Nein, so ein Esel kommt uns wirklich nicht ins Haus, da bin ich ganz Mamas Meinung und Papa hält auch nicht viel von diesem Berthold, obwohl er meint, dass er irgendwie etwas mit dem Sozialismus zu tun hat und er, also mein Vater, als roter Gemeinderat, eigentlich für Brecht sein sollte, aber das heißt nicht, dass Brechts Stücke deshalb gut zu heißen sind, nur weil er ein Roter ist.

Ist Brecht vielleicht ein Linker?

Ich blöde Kuh habe vor lauter schlechten Schriften das fesche Lockenköpfchen aus den Augen verloren.

Ich sehe mich um.

Mist.

Er ist vor der Endstelle noch ausgestiegen und geht, scheinbar noch ganz in Gedanken versunken, zum Copyshop hinüber.

Ich erspähe gerade noch, dass er die Ohrstöpsel eines Walkman trägt.

Verstehe, er mag Musik. Auf welche Songs so ein fescher Kerl wohl steht?

Der Bus erreicht die Endstelle. Ich steige aus und sehe mich noch einmal um.

Leider nein, der lange, dünne mit dem Lockenkopf ist nicht mehr zu sehen.

Ich gehe in die Uni.

Nur eine Illusion

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