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Dezember

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Neben diversen kleineren Feierlichkeiten, die im Dezember begangen wurden, fand am 4. Dezember eines der wichtigsten kultischen Feste statt: das Fest der Bona dea, der „guten Göttin“, einer römischen Fruchtbarkeitsgottheit. Dabei feierten die Priesterinnen der Göttin Vesta zusammen mit ausgewählten Frauen der römischen Oberschicht im Haus des Pontifex Maximus, des obersten römischen Priesters, geheime Riten. An diesen Riten durfte kein Mann teilnehmen, auch nicht der Pontifex Maximus – ja nicht einmal männliche Tiere durften sich am Abend des 4. Dezember auf seinem Grundstück befinden. Daher wissen wir auch bis heute nicht, was dabei genau vor sich ging.

Der Bona-Dea-Skandal

Im Jahr 62 v. Chr. kam es zu einem Skandal, als dem Politiker Clodius Pulcher gelang, sich während des Bona-Dea-Fests ins Haus des Pontifex (der damals Gaius Julius Caesar war) einzuschleichen – als Frau verkleidet! Cicero schreibt darüber voll Empörung in einem Brief an seinen Freund Atticus.

Ich nehme an, du hast schon davon gehört, dass man Publius Clodius, den Sohn des Appius, in Frauenkleidern in Caesars Haus erwischt hat, als dort das Opfer fürs Volk stattfand, und dass es ihm mithilfe einer Sklavin gelang, zu fliehen. Die Sache hat sich zu einem regelrechten Skandal ausgeweitet, und ich bin sicher, du findest es ebenfalls abscheulich.

(Cicero, Att. 1.12)

Unser heute in kultureller Hinsicht wichtigstes und bekanntestes Fest ist Weihnachten. Man kann sich ihm nicht entziehen, und jeder macht mit – selbst Atheisten stellen Weihnachtsbäume auf, und in Deutschland feiern sogar viele Muslime Weihnachten. Denn letztlich geht es dabei ja meist weniger um den Anlass (die Geburt Jesu) als vielmehr um das Festliche, um Familie, Beisammensein, gutes Essen und Geschenke. Dass wir unser Weihnachtsfest Ende Dezember feiern, liegt natürlich mitnichten daran, dass Jesus von Nazareth am 25. Dezember zur Welt gekommen wäre. Es liegt vielmehr an diversen Faktoren, zu denen auch das Fest der Wintersonnenwende (21./22. Dezember) gehört, das man im nördlichen Europa feierte und das christliche Missionare nur zu gerne aufgriffen, um den „Heiden“ ihren Gott näherzubringen. Ebenfalls eine Rolle spielte ein Fest, das in Rom das beliebteste des Jahres war und seinerseits ebenfalls eine Variante des Sonnenwendfestes: Gemeint sind die Saturnalien (Saturnalia).

Dieses Fest zu Ehren des Gottes Saturn fand traditionell am 17. Dezember statt; unter Caesar wurde es 45 v. Chr. auf eine ganze Woche ausgedehnt, bis zum 23., noch später sogar bis zum 30.12. Gerichtshöfe, Geschäfte und Schulen blieben geschlossen, das öffentliche Leben ruhte. Stattdessen wurde vor dem Saturntempel auf dem Forum Romanum dem Gott geopfert, anschließend waren alle Bürger zu einer großen öffentlichen Speisung eingeladen. Zuhause legten die römischen Bürger ihre Toga ab und zogen ein bequemes Festgewand an, setzten sich eine Filzkappe auf und genossen es, ihre Verantwortlichkeiten für eine gewisse Zeit los zu sein. Befreundete Familien besuchten einander gegenseitig, denn es hatte ja ausnahmsweise jeder frei, man aß gut und alle Römer machten einander Geschenke – genau wie wir es von unserem Weihnachtsfest kennen.

Die Saturnalien waren aber auch ein Fest, an dem sich die Rollen umkehrten. Die ansonsten verbotenen Würfelspiele wurden in aller Öffentlichkeit gespielt; so schreibt der Dichter Martial (11.6): „An den fetten Tagen des alten Sichelträgers Saturn,/an denen der Würfelbecher König ist,/erlaubst du es mir, oh Rom, mit der Filzkappe auf dem Kopf,/ein paar Verse rauszuschleudern, ohne dass ich mir viel Mühe gebe.“ Und auch andere Gesetze traten außer Kraft: Sklaven und Sklavinnen erhielten (natürlich nur symbolisch) den Status freier Männer und Frauen, und es ist überliefert, dass sich manche Herren sogar den Spaß erlaubten, ihre Sklaven bei Tisch zu bedienen. Honoré de Balzac schreibt dazu in der „Physiologie der Ehe“: „Am Saturnalientag entdeckten die Römer in zehn Minuten mehr über die Eigenschaften ihrer Sklaven, als sie sonst während des ganzen übrigen Jahres erfahren konnten! Du mußt in deiner Ehe Saturnalien einzurichten verstehen.“

Ein höchst unwillkommenes Saturnalien-Geschenk

Wenn ich dich nicht mehr als mein Augenlicht liebte,

liebster Calvus, für dieses Geschenk

würde ich dich hassen mit dem Hass eines Vatinius:

Was habe ich bloß getan, was habe ich gesagt,

warum willst du mich mit so vielen Dichtern so übel zurichten?

Die Götter sollen den Klienten bestrafen,

der dir so viel von üblen Schreiberlingen geschickt hat.

Wenn aber, wie ich fürchte, dieses neuartige und ausgesuchte

Geschenk von dem Elementarlehrer Sulla stammt,

dann ist es mir nicht lästig, sondern ich finde es gut und schön,

dass deine Mühe nicht umsonst gewesen ist.

Große Götter, so ein schreckliches, verfluchtes Büchlein,

das du deinem Catull sicherlich

geschickt hast, um mich einen ganzen Tag lang tödlich zu quälen,

und das ausgerechnet am besten aller Tage – den Saturnalien!

Nein, nein, so lasse ich dich, du Witzbold, nicht davonkommen:

Wenn die Sonne aufgeht, dann laufe ich zum Regal

des Buchhändlers; ich kaufe dir die Caesii, die Aquini,

den Suffenus – all dieses giftige Zeug –

und damit zahle ich es dir heim.

Ihr aber, geht inzwischen dahin zurück,

woher eure üblen Füße euch trugen,

ihr schlechtesten Dichter, Unglück unserer Zeit!

(Catull 14a)


Heute ist der Saturntempel eines der markantesten Bauwerke des Forum Romanum. In der Antike war er der Schauplatz eines großen öffentlichen Opfers im Rahmen der Saturnalien. In der Zeit der Republik beherbergte der Tempel den römischen Staatsschatz. Das erste Heiligtum für Saturn entstand an dieser Stelle bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. Das heute zu bewundernde Podium wurde 42 v. Chr. errichtet, die Säulen stammen von 283 n. Chr.

An einigen deutschen Universitäten werden heute noch „Saturnalien“ gefeiert, die vor allem auf diese Beziehung von Herr zu Sklave abzielen und bei denen es Sitte ist, dass die Studenten ihren Professoren die Meinung sagen dürfen. Nicht zu Unrecht erinnert dies auch an den rheinischen Karneval, bei dem die Teilnehmer nicht nur per Verkleidung Rollen tauschen, sondern beim Festumzug möglichst heftig ihre „Herren“ und „Herrinnen“ (sprich: die Politiker) schelten – einmal im Jahr, wenn von München über Mainz bis Köln ausnahmsweise alles erlaubt ist – und das natürlich vor allem, weil es ohnehin keiner der Verantwortlichen ernst nimmt, weder bei den Professoren noch bei den Politikern.

Natürlich weiß jeder, dass der Karneval den Norddeutschen so fern ist wie einem Bayern das Fischbrötchen. Betrachtet man die Karnevalsregionen jedoch auf der Deutschlandkarte und vergleicht sie mit einem Geschichtsatlas, dann entdeckt man Erstaunliches: Die Grenze zwischen „Karneval“ und „Nicht-Karneval“ fällt im Prinzip mit der befestigten Grenze zwischen Germanien und dem Römischem Reich zur Kaiserzeit zusammen; daran hat nicht einmal die Tatsache etwas geändert, dass zwischen Dreißigjährigem Krieg und der Zeit Napoleons in Deutschland quasi kein Karneval stattfand. Die Beziehung zwischen Karneval und Saturnalien mag also noch enger sein, als wir glauben.

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